Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Wagner, wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
Ich darf an dieser Stelle – wir können das Ganze dann sicherlich auch insgesamt debattieren oder hier eine Gesamtentschuldigung einholen – an die Vorwürfe gleicher Art vor ungefähr einem Jahr erinnern, die der Kollege Kaufmann den Fraktionen von FDP und CDU in einer gleich gelagerten Debatte in diesem Haus gemacht hat. Insoweit ist da auch bei Ihnen ein bisschen Zurückhaltung angebracht.
Herr Kollege Wagner, insgesamt sind wir uns aber sicherlich einig, und dazu brauchen wir nicht den Ältestenrat hinter verschlossenen Türen, dass wir in dieser Frage, aber auch in vielen anderen Fragen, alle ein wenig abrüsten können und müssen und dass dies nicht Aussagen sind, die in diesem Parlament den Standard prägen sollten. Das gilt in Teilen, das darf man selbstkritisch so sagen, immer wieder für meine Fraktion, aber auch für alle anderen Fraktionen. Herr Kollege Wagner, das gilt in diesem Haus insbesondere auch für Ihre Fraktion.
Bevor wir anfangen, das miteinander aufzurechnen, sage ich an dieser Stelle lieber vom Pult aus als im Ältestenrat,
dass das ein Stil ist, den wir so nicht gemeinsam pflegen sollten und nicht pflegen wollen. Aber da muss jeder zunächst einmal bei sich selbst anfangen, bevor er mit dem Finger auf die anderen zeigt. Herr Kollege Wagner, das erwarte ich an der Stelle auch von Ihnen und Ihrer Fraktion.
(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Er hat sich nicht zu Wort gemeldet! – Wortmeldung des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will kurz darstellen, was ich damit zum Ausdruck bringen wollte. Mit Punkt 2 Ihres Antrags wird eines ganz klar formuliert: Es gibt eindeutig eine Priorität des Lärmschutzes und der Lärmbekämpfung gegenüber der Sicherheit bei den Anflugrouten. Das steht so eindeutig in Ihrem Antrag.
(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist falsch! – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt doch nicht!)
Ich habe den Antrag jetzt nicht mit nach vorne genommen. Aber ich kann Ihnen das Wort für Wort vorlesen. Es gibt eindeutig eine Priorität für die Bekämpfung des Flug lärms.
Ich habe gesagt: Wenn Sie das etwas relativieren, ist das überhaupt kein Problem. – Ich wollte niemandem von Ihnen unterstellen, dass Sie gerne Flugzeugabstürze oder sonst irgendetwas haben wollen.
Um Himmels willen. Aber meine Kritik setzt da an, dass Sie die Sicherheit nachrangig nach der Lärmbekämpfung setzen wollen. Das ist etwas, was wir so nicht hinnehmen können und was nicht funktionieren kann. Das ist es, was ich zum Ausdruck bringen wollte. – Vielen Dank.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns dabei doch alle etwas zurücknehmen. Denn ich kann Ihnen sagen, dass wir uns bei der Rede zuvor auch etwas angeguckt haben. Es wird hier an der einen oder anderen Stelle sehr emotional argumentiert.
Ich sage es noch einmal – wenn Sie dem widersprechen, müssen Sie es sagen –: Herr Kollege Müller hat eben deutlich gemacht, dass er nicht das ausdrücken wollte, was Sie, Herr Wagner, hier eben vorgetragen haben.
(Stefan Müller (Heidenrod) (FDP): Das steht hier drin! – Gegenruf des Abg. Mathias Wagner (Tau- nus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt sagt er auch noch: „Das steht hier drin“! – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kaufmann sagt, da Herr Müller intellektuell nicht in der Lage war, den Antrag zu verstehen, nimmt er die Entschuldigung an!)
Herr Kollege Al-Wazir, ich habe vernommen, dass die Entschuldigung angenommen wurde. – Damit können wir jetzt mit der Behandlung der Tagesordnung fortfahren. Nächster Redner ist Herr Abg. Grumbach für die SPDFraktion.
Ich hoffe, dass wir die restlichen Stunden des wunderschönen heutigen Tages über die Sache diskutieren und uns gegenseitig achten werden. – Herr Grumbach, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe irgendwie den Eindruck, dass wir uns in juristischem Kleinkram verzetteln. Lassen Sie uns doch einmal schauen, was sich gerade verändert.
Nehmen wir doch einmal einen uralten Satz. Er antwortet auf die Frage: Was ist Aufklärung? – Er lautet: Aufklärung ist, sich zu verabschieden aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit.
Die Bürger der Rhein-Main-Region beanspruchen derzeit, mündig zu sein. Sie beanspruchen nicht nur, von ihrer Landesregierung vertreten zu werden. Sie beanspruchen nicht nur, von ihren Bürgermeistern vertreten zu werden. Sie wollen selbst reden. Das ist das Erste, was sich verändert hat. Ich finde das gut.
(Dr. Walter Arnold (CDU): Basisdemokratie oder was? – Gegenruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Herr Arnold, hören Sie doch einfach einmal zu!)
Zweitens. Ich will nicht die große Frage stellen: „Was ist Fortschritt?“, sondern die Frage stellen: Was gehört zum Fortschritt? – Zum Fortschritt gehört, dass Sachzwänge aufgrund der besseren technischen Entwicklung zu gestaltbaren Elementen werden. Das gilt auch für den Lärm.
Ich darf Sie einmal an die ganzen Debatten erinnern, die wir Ende der Fünfzigerjahre und in den Sechzigerjahren um den blauen Himmel über der Ruhr hatten. Damals hieß es: Diese Vorstellung ist völlig irreal. Wer Industrialisierung will und wer Arbeit will, der muss den Dreck an der Ruhr in Kauf nehmen.
Heute leben wir in einer Welt, in der es durch die Technik möglich geworden ist, das zu beenden. Durch die Technik wurde es möglich, einen solchen Fortschritt zu organisieren.
Wir haben die Situation, dass Deutschland ein relativ reiches Land ist. Nachdem die Not für große Teile der Bevölkerung beendet worden ist, erleben wir, dass die Menschen darüber nachdenken, was ein gutes Leben ist. Ich möchte Sie daran erinnern – auch wenn ich da ein biss chen hin- und hergerissen bin –, dass ein Gericht vor ein paar Tagen in einem Urteil über Baulärm in Frankfurt gesagt hat, dass Lärm einer bestimmten Größenordnung mit einem guten Leben nicht vereinbar ist.
Da ändert sich etwas in der Gesellschaft. Ihre Antwort darauf bleibt aber die gleiche. Die Antwort bleibt: Wer das eine will, muss das andere in Kauf nehmen.
Genau das ist der grundlegende Denkfehler, der uns unterscheidet. Wir glauben, dass wir Gestaltungsmöglichkeiten haben, um den Lärm langfristig zu verringern und dass die Menschen nicht mehr gezwungen werden müssen, Dinge in Kauf zu nehmen, die sie nicht in Kauf nehmen wollen. Das ist der zentrale Unterschied. Da ist Gestaltung gefragt.
Herr Müller, eine Bemerkung darf ich mir erlauben. In einer grundsätzlichen Regelung für alle Flughäfen einschließlich dessen in Hahn und aller anderen, über die wir reden, kann man sagen: Natürlich muss es so sein, dass der Fluglärm eine große Rolle einnimmt, weil er die Menschen schädigt. – Wie sehr er die Menschen schädigt, ist dabei nicht das Problem. Er schädigt die Menschen, und er ist mit Sicherheit gleichauf. Das wäre dann eine Regelung für alle Flughäfen.
Dafür völlig unbeachtlich ist die Frage, was in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet passiert. Im Rhein-Main-Gebiet ist die Position völlig unverändert: Wir, also alle, die den Flughafenausbau wollen, haben uns zusammen – außer denen, die den Flughafenausbau nicht wollen – im Gespräch mit den Menschen und im Mediationsverfahren darauf geeinigt, dass es diesen Ausbau nur mit einem Nachtflugverbot geben wird. Daran gibt es jedenfalls für uns nichts zu ändern. Ich glaube, auch das ist relativ klar.
Dort ist Folgendes geschehen. Wir haben die Situation, dass bestimmte Gebiete als lärmbelastet definiert worden sind. Dort wurde gefragt. In anderen Gebieten wurde überhaupt nicht gefragt.
Das ist genau der Punkt, bei dem die Frage der mündigen Bürger eine Rolle spielt. Es ging in der Geschichte darum, die Lärmverteilung anders zu organisieren. Darüber kann man viele Debatten führen. Das will ich im Moment nicht machen. Wer da aber sagt: „Wir fragen nur die eine Hälfte der Betroffenen, die andere Hälfte fragen wir nicht“, verkürzt deren Rechte. Als Sozialdemokrat bin ich nicht damit einverstanden, dass die Rechte der Bürgerinnen und Bürger verkürzt werden. Auch das ist eine klare Position.
Damit komme ich zu dem, was wir hier einmal zu Ende diskutieren müssen. Da gibt es keine einfache Antwort.
In einer Konstellation, in der die Gesamtbelastung nicht nach oben geht, könnte man darüber reden, ob eine andere Verteilung sinnvoll ist oder nicht. In einer Konstellation, in der aber absehbar ist, dass die Gesamtbelastung deutlich nach oben gehen wird und das auch von niemandem bestritten wird, bedeutet das doch nur, dass neue Spielräume geschaffen werden, indem die Zahl der Menschen, die höherer Belastung ausgesetzt werden, erhöht wird. Das ist das Gegenteil dessen, was wir mit der Mediation erreichen wollten. Es ist das Gegenteil von dem, was diese Landesregierung und die vorhergehende Landesregierung versprochen haben.
Genau deswegen muss man die neuen Routen anders betrachten. Man muss mit ihnen anders umgehen. Man muss diesen Abwägungsprozess neu organisieren. Man muss unter Beteiligung aller diskutieren, die davon betroffen sind, und nicht nur eines Teils davon.
Damit bin ich an dem Punkt, an dem ein zweites Versagen vorliegt. Ich sage das relativ ruhig. Wir reden an anderer Stelle darüber, wie die Rhein-Main-Region eigentlich aufgestellt ist und wie sie zusammenarbeitet oder nicht. Mit Verlaub: Die Behandlung der Fragen, wie z. B. mit dem Fluglärm umzugehen ist und wie mit den Auswirkungen des Flughafens umzugehen ist, erfordert eine völlig andere Organisation der Rhein-Main-Region als das Schnitzelwerk, das Sie uns vorgelegt haben. Auch das ist ein Problem.