Es kommt hinzu, dass gerade im strukturschwachen ländlichen Raum die allgemeine demografische Entwicklung noch gravierender ist und somit der Bedarf an ambulanter medizinischer Versorgung noch größer wird. Diese Entwicklung, die den Menschen in den letzten Jahren zunehmend Sorge bereitet hat, ist auch für die in den Ballungsräumen gelegenen Städte absehbar, die Stadtteile mit sozialen Brennpunkten haben.
Die naheliegende, notwendige Verkleinerung der Zulassungsbezirke kann von der KV auf der Landesebene nicht
umgesetzt werden; zuständig ist nämlich die KV auf der Bundesebene. Maßgeblich ist hier der Gemeinsame Bundesausschuss – GBA –, der aus fünf Vertretern der Ärzteschaft, fünf Vertretern der gesetzlichen Krankenkassen und drei unabhängigen Sachverständigen zusammengesetzt ist. Es ist nachvollziehbar, dass ein solches Gremium nicht in der Lage ist, etwa die regionalen Gegebenheiten und Besonderheiten in einem Landkreis in Nordhessen zu analysieren und daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Dies wird jetzt grundsätzlich geändert. Folgende Maßnahmen im Eckpunktepapier als Grundlage für das GKVVersorgungsgesetz, das am 01.01.2012 in Kraft treten soll, machen den Weg für eine bedarfsorientierte Versorgung im ländlichen Raum frei:
Erstens. Ein Vertreter der Bundesländer ist im GBA bei Themen der regionalen Bedarfsplanung mit beratender Stimme vertreten.
Drittens – das ist für eine zeitnahe Problemlösung entscheidend – : Die Landes-KVen und die gesetzlichen Krankenkassen bekommen das Recht, bei der regionalen Bedarfsplanung und bei dem Zuschnitt der Zulassungsbezirke Beschlüsse zu fassen, die von den gegenwärtigen Vorgaben des GBA abweichen können.
Das kann dann sehr schnell in die Praxis umgesetzt werden. Im Sinne der Subsidiarität bekommen die regionalen Gremien mehr Gestaltungsmöglichkeiten.
Ich will auch sagen, dass die Länder, selbst wenn sie den wesentlichen Punkt umgesetzt haben, noch nicht alle Punkte abgeschlossen haben. Deshalb wird hier weiter verhandelt. Wir trauen dieser Landesregierung, weil sie den Vorsitz der Ministerkonferenz innehat, besondere Fähigkeiten zu.
Wir wollen, dass auch die Selektivverträge zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern genehmigungspflichtig werden und dass die Landesebene ein Mitspracherecht bekommt.
Wir wollen, dass der Landesvertreter im GBA eine noch stärkere Stellung bekommt, und wir wollen im Zusammenhang mit den Selektivverträgen, dass die Notfallversorgung im Sinne des Sicherstellungsauftrags bei der KV verbleibt, dass also die Sicherstellung auf jeden Fall vonseiten der Landesebene geprüft wird.
Insofern fassen wir den Entschließungsantrag der Sozialdemokraten als Unterstützung unserer Initiativen auf
und nehmen die Punkte 5 und 6 gern mit in unseren Antrag auf. Wir freuen uns, dass wir in der sachlichen Auseinandersetzung mit der Bundesebene Unterstützung bekommen, und bedanken uns ausdrücklich für diese Form der konstruktiven Opposition.
Damit die Basis noch breiter wird und die Formulierungen ganz exakt sind, schlagen wir vor, dass die Dringlichen
Entschließungsanträge von CDU und FDP sowie von der SPD ebenfalls an den Ausschuss überwiesen werden. Dann können wir die exakte Formulierung, die wir in der Konzeption schon vor Augen haben, gemeinsam beschließen.
Weitere Gestaltungsmöglichkeiten erhalten indirekt jetzt auch das Land und die Kommunen. Anreize der Gemeinden, um einen neuen Praxisinhaber am Standort zu halten, werden jetzt wirksam. Die Vermittlung von günstigen Praxisräumen und Unterstützungsmaßnahmen bei der Organisation des Notdienstes werden für den jungen Arzt oder die junge Ärztin interessant, wenn die Möglichkeit der Praxisverlegung in die Kreisstadt entfällt. Niederlassungsinteressierte und Bürgermeister kommen stärker ins Gespräch und haben die Möglichkeit, auch über andere Aspekte der Standortwahl zu sprechen.
Bei kleineren, bedarfsorientierten Zulassungsbezirken hat auch das Land ganz neue Möglichkeiten, auf die Einhaltung des Sicherstellungsauftrags durch die KV zu achten. Bislang hatte das Sozialministerium hier überhaupt keine Eingriffsmöglichkeiten, da der Versorgungsgrad über die Gesamtzahl der Hausärzte und der Fachärzte der einzelnen Disziplinen im Kreis definiert wurde. Wenn jetzt, bezogen auf einen kleinräumigen Bezirk, eine Unterversorgung festgestellt wird, kann das Sozialministerium in einem ersten Schritt die Sicherstellung der kassenärztlichen ambulanten medizinischen Versorgung im Sinne des SGB V § 72 ff. anmahnen, und weitere Schritte können folgen. Das wird mit Sicherheit Wirkung zeigen.
Bei der Bewältigung der Herausforderung, Defizite der Versorgung des ländlichen Raums und in den sozialen Brennpunkten der Großstädte zu beseitigen, muss auch beachtet werden, dass es in Deutschland nicht generell zu wenige Ärzte gibt, sondern dass sich ein massives Verteilungsproblem entwickelt hat. KVen und Krankenkassen müssen also auch die Möglichkeit erhalten, bei einer Praxisaufgabe aus Altersgründen eine sektorale Überversorgung anzugehen. Bei einer Praxisaufgabe wäre ein Vorkaufsrecht der KV zu marktüblichen Preisen eine mögliche Option.
Ich möchte zusammenfassen: Unter der Leitung des Hessischen Sozialministers – mit Unterstützung anderer Länder – haben die Länder bei der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung auf dem Land einen großen Erfolg erzielt, der, als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen, bereits im nächsten Jahr für die Bürger Wirkung zeigen wird.
Wie schon bei der Durchsetzung der Optionskommunen in der Arbeitsmarktpolitik hat Hessen hier eine Vorreiterrolle gespielt, und der begrenzte Disput in der Sache, auch mit Vertretern der Bundesebene, kommt den Menschen zugute. – Vielen Dank an die Landesregierung, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke sehr, Herr Dr. Bartelt. – Zum Dringlichen Entschließungsantrag der SPD spricht jetzt Herr Dr. Spies.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Bartelt, es ist ein bisschen gemein, dass Sie ein Thema zum Setzpunkt gemacht haben, mit dem vor allem der Bundesgesundheitsminister am Nasenring durch die Manege geführt wird. Der Bundesgesundheitsminister verhandelt am Mittwoch mit den Ländern über Eckpunkte und einigt sich mit ihnen darüber. Das sind alles Punkte, die in dem Teil unseres Antrags stehen, den Sie freundlicherweise übernehmen wollen, und über die inhaltlich überhaupt kein Streit besteht.
Punkte, die den Ländern wichtig waren: Am Mittwoch werden sie vereinbart, und am Donnerstagabend zieht Herr Spahn den Bundesgesundheitsminister am Nasenring durch die Manege; denn seine Zusagen vom Mittwochmittag sind am Donnerstagabend nichts mehr wert. Das weckt schon fast Mitgefühl mit einer FDP, die jemanden zum Vorsitzenden machen will, der in den Regierungsfraktionen nichts zu sagen hat.
(Beifall bei der SPD – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt will Herr Hahn noch sein Stellvertreter werden! Das passt!)
Meine Damen und Herren, ist das jetzt ein Problem der Zuverlässigkeit oder eine Frage der Relevanz? – Wir vermuten, der Relevanz, wenn schon die Hausärzte rufen, sie wollten ihre Ulla wieder haben. Wenn wir feststellen, dass der Bundesgesundheitsminister weder Fragen der Finanzierung noch der Versorgungsstrukturierung erfolgreich lösen kann, sondern dringend auf die Vorlage der Länder angewiesen ist, und wenn er die Arzneimittelpolitik nicht beherrscht – seit Neuestem darf man in der Apotheke, wie wir heute Morgen hören, nicht einmal mehr Vitamine und Hautcreme kaufen – Herr Rentsch, dann kommt man an den Punkt: Diesem Bundesgesundheitsminister gilt unser Mitgefühl. Das hat nicht einmal die FDP verdient.
Was ist Tatsache, wenn nach der Zukunft der Versorgung im ländlichen Raum, aber auch in den Städten gefragt wird? – Tatsächlich haben sich die Länder, der Bund leider überhaupt nicht, um diese Frage intensiv gekümmert. In Hessen hat die Sozialdemokratie vor einem Jahr in einem Konzept zur Gestaltung des ländlichen Raumes Punkte vorgelegt, wie gerade im ländlichen Raum die medizinische Versorgung geregelt werden kann.
Im Mai letzten Jahres gab es eine wegweisende Veranstaltung der Landesregierung, auf die zwar kein Konzept folgte, die aber doch wichtige Impulse geliefert hat. Im Sommer haben dann auch die GRÜNEN ein Konzept zur Zukunft der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum vorgelegt. Die Länder haben gemeinsam – wesentlich von Bremen und Sachsen geprägt, anschließend in der Gesundheitsministerkonferenz unter dem Vorsitz des Hessischen Sozialministers – wichtige Wege im Hinblick auf die zukünftige Gestaltung der Versorgung im ländlichen Raum vereinbart. Auch der Bund hat dann irgendwann damit angefangen und die Punkte der Länder im Wesentlichen abgeschrieben.
Meine Damen und Herren, hierzu muss man einmal deutlich sagen: Diese Vorstellung, die es offenkundig in Berlin gibt, man könne aus dem Bundestag und dem Bundesgesundheitsministerium heraus die Versorgung mit Hausärzten in Sebbeterode, Wanfried, Schiffelbach, Rai-Breitenbach, Darmstadt-Eberstadt oder am Schiersteiner Hafen regeln, ist grotesk. Die unermessliche bundestägliche
Weisheit, die da in einer wirklich eindrucksvollen Selbstüberschätzung des Bundes gegenüber den Ländern und seiner Regelungsfähigkeit einmal wieder zum Ausdruck kommt, ist bestürzend. Anders kann man das überhaupt nicht sagen.
An dieser Stelle, glaube ich, ist allerdings die Einigkeit der Länder gefragt; denn es kommt nicht nur darauf an, richtige Vorschläge zur Lösung der aufkommenden Schwierigkeiten in der ärztlichen Versorgung zu machen, sondern auch deutlich zu machen, dass die gesundheitliche Versorgung in die Zuständigkeit der Länder gehört, und das aus gutem Grund, weil Fragen der Versorgung vor Ort und in der Region eben regional gelöst werden müssen und weil die Usurpierung durch den Bund, aufgrund seiner Zuständigkeit für die Sozialversicherungen und sonst gar nichts, endlich Grenzen finden muss.
Wir freuen uns, dass die Länder, auch Hessen, bereit sind, an dieser Stelle Verantwortung zu übernehmen. Ich erinnere mich da an Debatten vor einigen Jahren, in denen man davon weit entfernt war.
Was sind die Herausforderungen, die sich für die Versorgung im ländlichen Raum, aber weitaus mehr – man verkennt das gerne – in den sozialkritischen Bereichen der Städte stellen? Denn, meine Damen und Herren, die Unterversorgung in den sozialen Brennpunkten ist schon längst da. Wir haben einmal für eine Veranstaltung, auf der Grundlage des Darmstädter Sozialatlas, in Kürze eine Karte gemacht und eingezeichnet, welche Stadtviertel in Darmstadt exemplarisch als sozial besonders kritisch gelten. Wir haben dann markiert, wo es dort überall einen Hausarzt gibt. In den sieben als bedenklich, als sozial hoch belastet identifizierten Stadtteilen gibt es insgesamt einen einzigen Hausarzt.
Ich bin Herrn Kollegen Bartelt sehr dankbar, dass er eben die Attraktivität und Fehlsteuerung durch eine höhere Ansammlung von Privatpatienten nachgewiesen hat. Für den sozialen Brennpunkt gilt noch viel mehr – das gilt natürlich keineswegs nur an einem Ort, sondern überall, und ist für Köln nachgewiesen –: Die Unterschiede in der Versorgung mit Hausärzten sind Faktor 2, je nachdem, ob Sie eine hohe oder niedrige Anzahl von Sozialhilfeempfängern haben. Die Unterschiede der Ärzteversorgungsdichte in Berlin sind in Abhängigkeit vom Sozialstatus Faktor 3.
Gerade im Brennpunkt, das wissen wir, kommt es auf die Niedrigschwelligkeit und die Versorgung vor Ort an. Das ist eine Herausforderung, der sich auch die Eckpunkte der Länder noch nicht vollständig stellen, während sie die Frage der Versorgung im ländlichen Raum adäquat bewerkstelligen. Wenn man sich klarmacht, dass umgekehrt natürlich die Dichte der Privatpatienten ein wichtiger Anlockungs- und damit ein wichtiger Fehlsteuerungsfaktor in der medizinischen Versorgung ist, worauf Sie zu Recht hingewiesen haben, muss man sich nur den Landkreis Starnberg anschauen. Der hat keine 100-prozentige, sondern eine 150-prozentige Hausarztversorgung. Daran sieht man, wo das Problem liegt.
Meine Damen und Herren, an der Stelle muss man auch ganz klar sagen: Die Leute zahlen im ländlichen Raum den gleichen Beitrag wie in der Stadt. Dann haben die auch ein Recht darauf, vergleichbar gut versorgt zu sein. Das ist auch eine Frage der Gestaltung. Angesichts der großen Gemeinsamkeit, die es in der Genese eines gemeinsamen Antrags gab, aber auch der Einstimmigkeit
der Länder – wohlgemerkt: der Länder – im Ergebnis der Kommission unter dem Vorsitz des Landes Hessen, will ich allerdings ein paar Punkte herausstellen, die in diesen Eckpunkten fehlen und die, gerade wenn Hessen eigene Initiativen ergreift, darüber hinaus zu berücksichtigen sind:
Das Erste ist, dass sich die kommunale Beteiligung in der Organisation auf Dauer, insbesondere im ländlichen Raum, aber gerade auch in den sozialen Brennpunkten, nicht nur nicht wird nicht vermeiden lassen, sondern von elementarer Bedeutung sein wird, wenn man eine am Gesamtinteresse und nicht nur an Einzelinteressen ausgerichtete Versorgung haben will. Deshalb muss man sehen, dass nicht nur mehr Zuständigkeit für die Länder, sondern eine stärkere Integration der kommunalen Ebene unvermeidbar ist.
Das Zweite ist die Frage der Verbindlichkeit regionaler Planung. Im Hessischen Krankenhausgesetz sind die Krankenhauskonferenzen in Gesundheitskonferenzen umbenannt worden. Jetzt dürfen wir mitmachen; das ist sehr schön. Aber, mit Verlaub, wer für das gesamte Regierungspräsidium Mittelhessen zuständig ist und die hausärztliche Versorgung vom Vogelsberg bis in den LahnDill-Kreis hinein auch nur diskutieren soll, ist überfordert. Diese Konferenzen müssen erstens kleinteiliger und zweitens vor allen Dingen mit einer Verbindlichkeitsoption versehen sein.
Schauen Sie sich an, wie das Modell „Gesundes Kind“ in Baden-Württemberg gerade mit höchstem Erfolg die Versorgung verbessert und Geld einspart, sodass es am Ende zu dem Ergebnis kommt, dass die Leute besser versorgt und gesünder sind. Wenn man eine regionale Organisation über die Einzelinteressen der Anbieter hinaus zusammenführt, sind sie nicht nur besser versorgt, sondern leben gesünder, und das zu günstigeren Konditionen. Wenn man dafür sorgt, dass Präventionsaspekte belohnt und nicht bestraft werden, dann sieht man: Verbindliche regionale Planung in enger Absprache von Akteuren, die einander kennen, ist der Weg, mit dem die Versorgung im ländlichen Raum, aber gerade auch in den kritischen Regionen des Ballungsraums, in den sozial benachteiligten Stadtteilen, geregelt werden kann.
Meine Damen und Herren, was es allerdings auch dringlich braucht, ist eine differenziertere Betrachtung der Motivation angehender Ärztinnen und Ärzte. Wir wissen alle, dass es ihnen nicht an erster Stelle auf das Geld, sondern auf die Arbeitsbedingungen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ankommt. Man muss doch sehr viel genauer schauen, ob die Versorgung tatsächlich über Geld geregelt werden kann, ob wir die Ärzte, die wir dort haben wollen, dann sowohl in den ländlichen Raum als auch in die benachteiligten Stadtteile bekommen oder ob nicht andere Faktoren mindestens genauso wichtig sind. Hierzu zählt nicht zuletzt die Ausbildungsstruktur.
Ein letzter Satz, den ich mir an dieser Stelle nicht verkneifen kann: In Hessen gab es einmal einen Lehrstuhl, nämlich den Lehrstuhl für Soziologie der Medizin der Universität Frankfurt, der sich der Frage der Gestaltung des Gesundheitswesens, seiner Organisationsfaktoren jenseits der Steuerung durch Geld gewidmet hat. Es ist mit größtem Bedauern zu betrachten, dass dieser gerade abgewickelt wird. In Zeiten wie diesen, in denen wir über zukunftsfähige Strukturierung nachdenken, ist gerade das dringlicher nötig denn je, und es ist umso bedauerlicher, dass es das in Hessen demnächst gar nicht mehr geben wird. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Dr. Spies. – Als Nächste spricht Frau Kollegin Schulz-Asche für das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.