Protocol of the Session on March 2, 2011

Die SPD schwadroniert – anders kann man es nun wirklich nicht bezeichnen – in Pressemeldungen auch heute noch in Bezug auf die Privatisierung mit Begriffen wie „durchgedrückt“, „Privatisierungswahn“, „dilettantisch durchgeführt“, „Gutsherrenmentalität“ und „Scherbenhaufen“.

(Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, woher Sie diese Fantasien haben. Wer lesen und verstehen kann, der ist eindeutig im Vorteil. Der sieht, dass auch das Bundesverfassungsgericht eindeutig ein Ja zur Privatisierung sagt.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist gar nicht Bestandteil der Klage! – Dr. Thomas Spies (SPD): Das ist absurd!)

Ich zitiere, und dann zitiere ich auch gleich noch andere Beschlüsse:

Dabei ist nicht zweifelhaft, dass der Landesgesetzgeber berechtigt war, die Universitätskliniken zu privatisieren. Das gilt unabhängig von den besonderen, auch ökonomischen Gründen, die den Gesetzgeber im vorliegenden Fall zu dieser Entscheidung bewogen haben.

Meine Damen und Herren, das Bundesarbeitsgericht ist auch nicht gerade ein Kleckerles-Gericht. Im Jahr 2008 hat es festgehalten:

Die Privatisierungsentscheidung der Hessischen Landesregierung wie das ihre dienende, vom Landesgesetzgeber verabschiedete UKG hatten das Ziel, wichtige Gemeinschaftsgüter zu schützen.

Deswegen sage ich an diesem Pult sehr eindeutig: Die Privatisierung von Gießen und Marburg ist nicht infrage gestellt. Es war eine richtige Entscheidung der damaligen Regierung Roland Koch

(Florian Rentsch (FDP): Alternativlos!)

und vom Bundesverfassungsgericht im Kern bestätigt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, es gibt eine kleine Einschränkung.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Eine kleine! – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine kleine winzige!)

Bei der Überleitung hat das Bundesverfassungsgericht in der Tat eine andere Gewichtung gesehen als zuvor das Landes- und das Bundesarbeitsgericht.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Es geht um den gesamten Betrieb!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Tat ist das etwas, was wir jetzt gewichten müssen.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Abenteuerlich!)

Herr Dr. Spies, wenn Sie sagen, das sei abenteuerlich: Habe ich irgendwie Ihre Pressemeldung übersehen, in der Sie eine der beteiligten Richterinnen aufgefordert haben, zwischen zwei Jobs einmal ihre Karenzzeit in Anspruch zu nehmen? Ich glaube, in diesem Hause gab es einmal Anträge, die sich mit dieser Thematik beschäftigt haben.

Meine Damen und Herren, wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner Bewertung der Auslegung von Art. 12 – und zwar nicht dort, wo es um die Berufswahlfreiheit geht, sondern um die Arbeitsplatzwahlfreiheit – eine kleine Schattierung anders interpretiert als das Landes- und das Bundesarbeitsgericht, dann müssen Sie es uns wohl erlauben, dass wir an dieser Stelle überrascht sind, dass wir das respektieren, es sorgfältig auswerten und dass wir im Laufe dieses Jahres auch zu gerichtsfesten Entscheidungen an dieser Stelle kommen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, das Bundesarbeitsgericht hat im Jahr 2008 festgestellt – ich zitiere –:

Sowohl die Überleitung der Arbeitsverhältnisse als auch die Nichteinräumung eines Widerspruchsrechts sind aber durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt,...

Durch § 3 Abs. 1 Satz 1 UKG ist sichergestellt, dass sämtliche Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis bestehen bleiben. Der neue Arbeitgeber ist demnach auch verpflichtet, kraft Nachwirkung geltende Tarifverträge weiter auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden.

Im Übrigen sage ich dazwischen: Auch die VBL ist übernommen und von Rhön akzeptiert worden.

Ich zitiere einen weiteren Satz:

Zu Recht stellt insoweit das Landesarbeitsgericht eine im Zuge der Privatisierung zustande gekommene Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Form einer zeitlich befristeten Arbeitsplatzsicherung fest.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, daraus schließe ich: Das Land ist in einem viel weiteren Sinne seiner Fürsorgepflicht für die Beschäftigten nachgekommen, als sich das Ihnen zu erschließen vermag und als Sie das aufbauschen möchten.

Dieser Sicht des Fachgerichts – auch das gehört zur Wahrheit – hat sich das Bundesverfassungsgericht nicht angeschlossen. Es hat eine andere Auslegung von Art. 12 vorgenommen.

Frau Wolff, kommen Sie bitte zum Schluss.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

Ich will sehr deutlich in Richtung der Öffentlichkeit, in Richtung dieses Landtags und auch in Richtung der Beschäftigten sagen: Wir nehmen das Bundesverfassungsgericht in anderer Interpretation als die höchstrichterlichen Beschlüsse, etwas des Bundesarbeitsgerichts, ernst. Wir werden das in Ruhe und Sorgfalt prüfen. Wir werden alle Optionen absichern, und dann werden wir die Lösung finden, die für das Personal, für die Patienten und für die medizinische Versorgung in Mittelhessen zukunftsweisend und richtig sind. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Frau Wolff. – Es spricht jetzt Frau Wissler für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat die Privatisierung der Universitätskliniken Gießen und Marburg in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Diese Entscheidung ist eine Riesenklatsche für die Landesregierung und für alle anderen Privatisierungsbefürworter.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass das sogenannte Leuchtturmprojekt von Roland Koch auf einem Verfassungsbruch fußt; denn Ihr Privatisierungsgesetz ist mit Art. 12 des Grundgesetzes unvereinbar.

Frau Wolff, ehrlich gesagt, verwundert mich da schon Ihre Gelassenheit. Immerhin geht es hier um ein Grundrecht, das im Grundgesetz geschützt ist; und nebenbei geht es auch um verdammt viel Geld, das hier für das Land Hessen auf dem Spiel steht.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stärkt die Arbeitnehmerrechte bei der Privatisierung von Staatsbetrieben. Das können wir nur begrüßen.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Entscheidung hat eine große Bedeutung über den konkreten Fall hinaus. Sie ist ein Erfolg für die Beschäftigten und für alle Privatisierungsgegner. Es trägt hoffentlich dazu bei, den Privatisierungswahn der letzten Jahre und Jahrzehnte zu stoppen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Universitätskliniken in Gießen und Marburg wurden im Jahr 2005 fusioniert und anschließend durch den Verkauf von 95 % der Anteile privatisiert. Aus dem Bieterverfahren ging die Rhön AG als Käuferin hervor. Der Kaufpreis betrug 112 Millionen € - obwohl das Universitätsklinikum damals einen Verkehrswert von mindestens 700 Millionen € hatte. Da haben Sie einen schönen Deal gemacht.

Diese erste komplette Privatisierung eines Universitätsklinikums in der öffentlichen Hochschulmedizin Deutsch

lands war von Beginn an umstritten. Es gab eine Bürgerinitiative, es gab eine Initiative für ein Volksbegehren gegen diese Privatisierung. Es gab zahlreiche Protestaktionen, weil eine Verschlechterung der Patientenversorgung und eine Verschlechterung der Arbeits-, Lehr- und Lernbedingungen befürchtet wurden.

Meine Damen und Herren, das Dramatische ist: Viele dieser Befürchtungen sind tatsächlich eingetreten. Trotz aller Warnungen, trotz verfassungsrechtlicher Bedenken und gegen alle Widerstände hat das Land diese Privatisierung vorangetrieben. Dabei hat es – das haben wir jetzt schwarz auf weiß – die Rechte der Beschäftigten eklatant verletzt.

Das Grundgesetz schützt die Berufsfreiheit und damit auch die Wahl des Arbeitgebers. Sie aber haben dem nicht wissenschaftlichen Personal des Universitätsklinikums kein Widerspruchsrecht gegen den Wechsel seines Arbeitgebers und den Verlust seiner Anstellung im öffentlichen Dienst eingeräumt. Meine Damen und Herren, damit haben Sie in verfassungswidriger Weise gegen die Entscheidungsfreiheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verstoßen. Das finde ich besonders peinlich für Sie – weil Sie sich doch sonst bei jeder Gelegenheit als Hüter und Schützer unserer Verfassung aufspielen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser Fehler ist jetzt höchstrichterlich bestätigt worden. Geklagt hatte eine Krankenschwester, die seit 1985 am Universitätsklinikum Marburg beschäftigt war. Die Verfassungsgerichtsentscheidung erklärt die im Gesetz angeordnete Überleitung des Arbeitsverhältnisses vom Land auf das Universitätsklinikum Gießen und Marburg für unvereinbar mit Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes und dem Recht auf Berufsfreiheit. Diesen Eingriff in das Recht der Berufsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt angesehen.

Meine sehr verehrten Herren von der FDP, deswegen stelle ich fest: Die sehr hohe Rechtsanwaltsdichte in Ihrer Fraktion macht Sie noch lange nicht zu einem guten Gesetzgeber.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))