An der Stelle frage ich allerdings die Damen und Herren von der FDP auch, ob das Ihr Bild vom guten Kaufmann, vom liberalen Weltverständnis ist, dass sich das Land die Gesetze passend macht, um anschließend mit den selbst passend gemachten Gesetzen den Verkauf zu erleichtern, den Sie sonst niemals hinbekommen hätten. Hoch motivierte und engagierte Beschäftigte wurden von ihnen nach Strich und Faden über den Tisch gezogen. Ansonsten wäre es auch nie etwas geworden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Walter Arnold (CDU): Beschimpfen Sie jetzt auch noch das Arbeitsgericht?)
Dass die Tatsache, dass die Verfassungswidrigkeit bereits in einem Urteil vom Jahre 2006 des Arbeitsgerichts Marburg angesprochen wurde, Sie nicht dazu geführt hat, wenigstens mal eine Rückstellung vorzunehmen, damit wenigstens ein bisschen vorsichtig umzugehen, ist nur der ideologisch überhöhten Fehleinschätzung dieser Privatisierung geschuldet. Sie haben es von vorne bis hinten versemmelt.
Man muss sich jetzt einmal einen Moment lang überlegen, was das bedeutet. Gestern Abend konnte man auf SWR 1 den Arbeitsrechtler der Ludwig-Maximilians-Universität hören, der sehr deutlich sagte, dass ein so großer Arbeitgeber wie das Land bei einem Betriebsübergang größte Schwierigkeiten haben wird, die Beschäftigen, wenn diese widersprechen, zumindest die unkündbaren im öffentlichen Dienst – 15 Jahre, über 40 Jahre alt –, jemals loszuwerden. Ein so großer Arbeitgeber wird mit größter Mühe danach suchen können, wie er diese Beschäftigten weiter führen kann.
Jetzt stellen wir uns einmal vor, dass sich nicht nur im Bereich der Pflege, sondern auch der Technik, der Hauswirtschaft, der Fahrer, der Verwaltung usw. nur 25 % Unkündbare finden und dass diese auf das Land zurückfallen, dann sind wir ein Risiko im dreistelligen Millionenbereich eingegangen, weil Sie diese Privatisierung nach Strich und Faden versemmelt haben und weil Sie es nicht können.
Meine Damen und Herren, dieser Prozess muss jetzt transparent und klar geführt werden. Wir haben mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass die Ministerin im Ausschuss eher überschaubare Auskünfte geben konnte. Ich kann das verstehen. Das hat Sie überrollt; Sie haben die Situation völlig falsch eingeschätzt. Sie haben keine Planungen, keine Rückstellungen und keine Vorsorge dafür getroffen, dass Ihnen dieses Desaster so vor die Füße kippen konnte.
Sie werden jetzt Daten beschaffen müssen, derer Sie sich bisher verweigert haben. Ich kann mich an die eine oder andere Anfrage über die Situation an den Universitätsklinika Gießen und Marburg vor der Privatisierung erinnern, als das noch Landesbedienstet waren, als sich die
Landesregierung fröhlich geweigert hat, irgendeine Auskunft zu geben, denn das ginge nicht, man habe die Sachen nicht mehr, und die Unterlagen seien alle weg. Sie werden jetzt sehr detailliert fragen müssen: Wie viele Beschäftigte betrifft das, unter welchen Bedingungen? Welche Konsequenzen hat ein Wahlrecht, ein Rückkehrrecht im neuen Gesetz? Wie viele fallen in die Unkündbarkeit im öffentlichen Dienst, wenn sie zurückkommen? Welche Einkommensdifferenzen sind an welcher Stelle entstanden, und wer hat eigentlich, da er nämlich beim Land hätte bleiben können, wegen eines Einkommensausfalls Ersatzansprüche gegen das Land?
Wir werden sehen, welche Dimension an arbeitsrechtlichen Prozessrisiken bei 8.000 Einzelfällen auf das Land zukommt, weil Sie eine grob fehlerhafte gesetzgeberische Entscheidung vorbereitet und mit der Mehrheit auf der einen Seite des Hauses beschlossen haben.
Der Maßstab, um den es meines Erachtens gehen muss, ist: Sie schulden den Beschäftigten fünf Jahre Fürsorge eines anständigen Dienstherrn. Da haben Sie ziemlich viel nachzuholen.
Der Maßstab muss meines Erachtens vor allem sein, dass es jetzt an der Zeit ist, respektvoll und anständig mit den Beschäftigten umzugehen. Wenn Ihnen das Verfassungsgericht bescheinigt hat, dass Sie gegen die Grundrechte der Beschäftigten verstoßen haben, dann bedeutet das, dass es da einen Kompensationsbedarf gibt. Es bedarf einer detaillierten, auch neutralen Aufklärung der Beschäftigten. Die müssen sehr ehrlich gesagt bekommen, was sie erwartet. Der Landtag muss meines Erachtens in dem durch das Verfassungsgericht verlangten neuen Gesetzgebungsverfahren auch sehr genau schauen, wie er respektvoll und anständig mit den Beschäftigten umgeht, mit den Beschäftigten, die jeden Tag, sieben Tage in der Woche, 24 Stunden, eine wirklich schwere Arbeit machen. Wenn Sie mit ihnen reden, werden Sie erfahren: Es ist für die Beschäftigten nicht besser geworden. Da gibt es für das Land eine Menge nachzuholen.
Meine Damen und Herren, angesichts des Fürsorgeversagens in der Vergangenheit erscheint es mir doch angemessen, dass das Land auf Drohungen gegenüber den Mitarbeitern, wen es alles nicht mehr haben wolle, tunlichst verzichtet.
In Hamburg hat ein CDU-geführter Senat unter Herrn von Beust zwar die Volksabstimmung über die Privatisierung des Landesbetriebs Krankenhäuser mit 75 : 25 % verloren – da zeigt sich, warum das politisch falsch ist –, er hat sie aber trotzdem umgesetzt. Bei der Umsetzung war man in Hamburg klug genug, den Beschäftigten nicht nur eine zweijährige Übergangszeit zu ermöglichen, sondern jeder, der zurück wollte, wurde zurückgenommen. Für jeden wurde ein Weg gefunden, im Landesdienst zu bleiben. Das hat viele getroffen. Das war mühsam. Das war anstrengend. Meine Damen und Herren, meines Erachtens ist das der Maßstab, an dem sich das Land Hessen orientieren muss.
Das Thema ist aufregend. Jetzt kommt es darauf an, eine Lösung zu finden, die die Interessen der Beschäftigten und der Patienten ins Zentrum stellt, um zu schauen, dass diese beiden Krankenhäuser keinen Schaden nehmen. Ich will Ihnen an der Stelle ausdrücklich Kooperation anbieten. Das Problem kann man vernünftig nicht im Konflikt,
sondern nur gemeinsam lösen. Ich will gerne unsere Unterstützung anbieten, in dieser Frage eine Lösung zu finden.
Ich will aber gleich dazusagen, dass das natürlich Transparenz und Offenheit sowie eine gründliche Prüfung aller Alternativen umfasst. Dazu gehört auch die Beantwortung der Frage, ob der wirtschaftliche Schaden, der diese Privatisierung für das Land bedeutet, groß genug ist, dass man mit dem Konzern auch in Verhandlungen über Alternativen eintreten muss. – Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Florian Rentsch (FDP): Großer Gott!)
(Florian Rentsch (FDP): Man müsste das wirklich einmal durchrechnen! Das wäre eine spannende Sache!)
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die genannten Panikattacken gibt es eher bei der SPD in diesem Hause, aber nicht bei den Betroffenen in der Region.
Lassen Sie uns einmal genauer anschauen, worum es eigentlich gehen sollte, wenn man tatsächlich die Fürsorge für das Klinikum Gießen-Marburg im Sinn hat. Es geht um die optimalen Rahmenbedingungen für die Ärztinnen und Ärzte für die Behandlung und für die Diagnose von Patienten.
Frau Kollegin Wolff, ich bitte um Entschuldigung. – Es ist nicht gestattet, im Plenum von dort oben zu fotografieren. Ich bitte, das sofort zu unterlassen.
Herr Präsident, es geht zum Zweiten darum, dass Krankenschwestern und Krankenpfleger die Möglichkeit haben, die Betreuung und Pflege der Patienten in guten Arbeitsabläufen so gut wie möglich darzustellen, dass Wissenschaftler ihre Forschungsvorhaben weiterentwickeln, dass Studenten ihr Handwerkszeug lernen, um in Zukunft den Herausforderungen moderner Medizin gewachsen zu sein. Es geht nicht zuletzt darum, dass Patienten eine optimale Versorgung haben, dass sie die bestmöglichen Heilungschancen haben.
Meine Damen und Herren, dass der medizinische Alltag immer anstrengender geworden ist, liegt mit Sicherheit an der finanziellen und personellen Ausstattung. Das liegt mit Sicherheit an vielen Rahmenbedingungen der Gesundheitspolitik, über die nicht wir entscheiden und die heute von dem Tagesordnungspunkt nicht betroffen sind.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Dr. Chris- tean Wagner (Lahntal) (CDU): Die nicht hessenspezifisch sind!)
Wir haben in Mittelhessen einen Zustand vorgefunden, der nur durch zwei Kennziffern beschrieben werden soll: ein Investitionsstau in Höhe von 200 Millionen € an beiden Standorten und allein in Gießen ein bilanzieller Verlust von 10 Millionen € im Jahr 2004. Das war die Ausgangssituation. Das hat nicht erst gestern oder vorgestern begonnen. Das ist ein Zustand, der sich über 15 bis 20 Jahre aufgehäuft hat.
Meine Damen und Herren, man kann es auch so herum sagen: Dieser Zustand über 15 bis 20 Jahre war unterlassene Hilfeleistung für das Klinikum Gießen, aber auch für Marburg und für die Menschen in der Region.
Wenn es tatsächlich dazu gekommen wäre, dass das Klinikum Gießen z. B. keine Zukunft gehabt hätte, hätte dies Arbeitsplatzverluste in der Region bedeutet – und nicht das, was tatsächlich gemacht worden ist.
Das heißt, es ging darum: Entweder wir schaffen einen starken Verbund, oder beide Standorte versinken in der Bedeutungslosigkeit, und einer geht möglicherweise sogar dem Ende entgegen.
Meine Damen und Herren, deswegen haben wir etwas Neues, sicherlich auch etwas Außergewöhnliches gemacht, nämlich beide Standorte zusammengelegt, privatisiert und damit für die Patienten sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Zukunft dieses gemeinsamen Standortes gesichert. Wir haben als Land 100 Millionen € aus dem Erlös bereitgestellt und dies in die BehringRöntgen-Stiftung eingebracht. Wir haben dadurch die Medizin an beiden Standorten vorangebracht. Der Inves tor hat sich verpflichtet, beachtliche Investitionen zu leisten: 367 Millionen €.
Er hat sich außerdem verpflichtet, bis Ende 2010 keine betriebsbedingten Kündigungen für das übernommene Personal auszusprechen. Es besteht nicht der geringste Anlass, zu glauben, dass dieses Personal heute und in Zukunft nicht mehr gebraucht würde. – Das ist die Ausgangslage.
Wir haben uns im Ausschuss intensiv auch mit den Ergebnissen des Wissenschaftsrats 2010 beschäftigt, der diese Entscheidung im Kern bestätigt hat. Ich darf ganz kurz zitieren:
Die Privatisierung des fusionierten Universitätsklinikums Gießen und Marburg hat zu erheblichen infrastrukturellen Investitionen des privaten Betreibers an beiden Standorten geführt, mit denen die baulichen Rahmenbedingungen für die Krankenversorgung und die patientenorientierte klinische Forschung auf ein wettbewerbsfähiges Niveau angehoben wurden.
Auch durch zusätzliche Investitionen des Landes konnten die Bedingungen für Forschung und Lehre verbessert werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben die Entscheidung getroffen, dass es keinen Sinn macht, zwei Einrichtungen zu privatisieren, sondern dass es notwendig ist, das entsprechende Personal bereitzustellen. Wir haben entschieden, dass es keinen Sinn macht, dass wir auf Dauer unterschiedliche Beschäftigungsverhältnisse mit verschiedenen Arbeitgebern haben – sonst besteht der interne Unfrieden in der Einrichtung weiter –, sondern es ist nur sinnvoll, wenn an einen neuen Arbeitgeber, einen Arbeitgeber für alle Beschäftigten dieses Klinikums übergeleitet wird.
Deswegen haben wir gerade auch mit Blick auf den internen Betriebsfrieden entschieden, dass das Personal vollständig auf den neuen Arbeitgeber übergeleitet wurde. Darauf komme ich gleich noch einmal zurück.
Die SPD schwadroniert – anders kann man es nun wirklich nicht bezeichnen – in Pressemeldungen auch heute noch in Bezug auf die Privatisierung mit Begriffen wie „durchgedrückt“, „Privatisierungswahn“, „dilettantisch durchgeführt“, „Gutsherrenmentalität“ und „Scherbenhaufen“.