Protocol of the Session on March 2, 2011

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Die Hessische Landesregierung hat sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass etwa die Schulfahrtkosten für Kinder ab der 10. Klasse im Bildungs- und Teilhabepaket eingesetzt werden. Die Unterstützung von insgesamt 1,6 Milliarden € pro Jahr wird gezielt für Schulmaterialien, Mittagstisch, Sport- und Musikunterricht und Schulausflüge eingesetzt. Die Hessische Landesregierung hat auch durchgesetzt, dass Gestaltung und Organisation des Bildungspakets in die Hände der kommunalen Familie gelegt wird. Damit

kommen die Mittel am besten den Kindern zugute. Das basiert auf unserer Erfahrung, dass bei der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen die Jobcenter in kommunaler Hand am erfolgreichsten sind.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Hessen ist spitze beim Anteil der Optionskommunen und hat sich für sie eingesetzt. Dieses Erfolgsmodell soll auf die Organisation des Bildungs- und Teilhabepakets übertragen werden. Ich bin mir sicher, dass mit diesen Beschlüssen eine Erfolgsstory dank der Hessischen Landesregierung begonnen hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Petra Fuhr- mann (SPD): Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Der größte Erfolg für die kommunale Ebene im Zusammenhang mit den jetzt getroffenen Regelungen ist die Übernahme der Grundsicherungen für Menschen im Alter. Hier fließen bis zum Jahr 2015 bundesweit 12,2 Milliarden € in die Städte und Gemeinden. Bezogen auf Hessen ist dies 1 Milliarde € über den Zeitraum von drei Jahren.

Wir sind sehr froh, dass nun dieser Leuchtturm des Kompromisses umgesetzt werden kann. Sicherlich trugen auch die Stellungnahmen des Städtetags durch die Oberbürgermeisterin Roth und den Oberbürgermeister Ude dazu bei, die politischen Blockaden bei der SPD aufzulösen.

Die jetzt verabschiedeten gesetzlichen Maßnahmen kommen den betroffenen Menschen, besonders den nachfolgenden Generationen zugute. Sie stärken die Gemeinden, sie stärken das Prinzip des Förderns und Forderns. Es gibt den Kommunen wieder Luft zum Atmen.

Wir stehen zu diesen Beschlüssen und lassen uns weder von der Linkspartei noch durch linkspopulistische Aktionsbündnisse in unserer gefestigten Haltung beirren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir hoffen, dass die demokratischen Oppositionsparteien das Prinzip des Förderns und Forderns nach etwas Nachdenken auch wieder mittragen werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Schönen Dank, Herr Kollege Dr. Bartelt. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Herr Bocklet das Wort. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht nur so viel zu den LINKEN, bevor ich einiges zum dem Prozess sage, der sich in Berlin abgespielt hat. Wir haben gerade versucht, uns schlau zu machen, was die LINKE für eine Position bei der Frage Grundsicherung hat. Meine Kollegin Schulz-Asche und ich kamen zu dem Ergebnis, dass die LINKE eigentlich eine bedingungslose Grundsicherung von 1.000 € haben möchte, plus modifiziertes Wohngeld, plus Möglichkeiten des kumulierten Einkommens. Deswegen frage ich Sie: Wie kommen Sie denn auf den erbärmlichen Betrag von 500 €, den Sie in Ihrem Antrag nennen?

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Jetzt hören Sie doch auf!)

Herr Schaus, ich höre damit nicht auf, ich fange damit gerade erst an. Es beschreibt nämlich, dass es bei Ihnen nur um die eine Frage geht: Darf es ein bisschen mehr sein?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Sie wollten einmal 800 €. Dann haben die Sozialdemokraten über das Grundeinkommen diskutiert, und Sie haben dann erst 900 € und dann 1.000 € gesagt, und das Ganze bedingungslos.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das stimmt doch gar nicht!)

Doch, wir haben auf Ihrer Homepage nachgesehen. Wir liefern das gerne nach.

Dann wollten Sie 1.000 € plus, und nun sagen Sie, Sie wollen nicht völlig darüber hinausschießen, und sagen 500 €.

Es geht in dieser Frage um die Willkürlichkeit der Position der LINKEN nach dem Motto: Dieser Sozialstaat ist scheiße. Uns fällt auch nichts Besseres ein, aber wir können uns weiter aufblasen, und das, was alle anderen an Verbesserung machen, finden wir blöde. Deswegen fordern wir willkürlich weitere Verbesserungen. – Das geht uns als GRÜNEN mächtig auf den Zeiger. Und das will ich Ihnen hiermit sagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Jetzt kommen wir zu dem Punkt, worum es eigentlich ging. Das Bundesverfassungsgericht hat den Parteien, die damals Hartz IV auf den Weg gegeben haben, SPD und GRÜNEN und später im Bundesrat auch CDU und FDP, mitgeteilt, dass die Berechnungen der Regelsätze nicht verfassungskonform sind. Lieber René Rock, damit du 90 % deiner Rede für etwas anderes verwenden kannst:

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Wir leben in dem Bewusstsein, dass damals mit auf den Weg gegeben haben. Sonst lässt du dich wieder darüber aus, dass die GRÜNEN damals dabei gewesen sind.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Ich will drei Gründe aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herausnehmen.

Erstens. Die Regierung hat dafür Sorge zu tragen, Zirkelschlüsse zu vermeiden. Bei Aufstockern handelt es sich um Menschen, die erwerbstätig sind und gleichwohl auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind. Das heißt, diese Personen stocken ihr zu geringes Einkommen mit zusätzlichen Hartz-IV-Leistungen auf. Diese Gruppe ist im Übrigen in den vergangen Jahren erheblich angewachsen und umfasst mittlerweile über 1,3 Millionen Menschen, davon 400.000 Vollzeiterwerbstätige. Dazu heißt es in der Entscheidung, es würde zu unzulässigen Zirkelschlüssen führen, wenn man das Verbrauchsverhalten dieser Hilfeempfänger zur Grundlage der Bedarfsermittlung machen würde.

Zweitens geht es um die Frage von verdeckten Armen. Ein weiterer Zirkelschluss ist dort ebenfalls auszuschließen.

Der Gesetzgeber bleibt freilich entsprechend seiner Pflicht zur Fortentwicklung des Bedarfsermittlungssystems verpflichtet, bei der Auswertung künftiger Einkommens- und Verbrauchsstichproben darauf zu achten, das Haushalte, deren Nettoein

kommen unter dem Niveau der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch und dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch... liegt, aus der Referenzgruppe ausgeschieden werden.

Punkt drei:

Die Auswahl der Referenzgruppe,

da drückt sich die Entscheidung positiv aus –

nach deren Ausgaben der Eckregelsatz bemessen wird, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden...,

wenn er wie bisher eine 20-prozentige Quote, also das untere Quintil, als Berechnungsgrundlage zugrunde legt. Zugrunde zu legen sind also – so kommt es in der Entscheidung- „die Verbrauchsausgaben der untersten 20 % der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte“.

Ein bisschen kompliziert, ein bisschen trocken – das gebe ich zu. Es sind drei Punkte: verdeckte Armut, Aufstocker und die Berechnungsgrundlage von 20 %. Jetzt bewerten wir das einmal. Die Bundesregierung hat als Grundlage nicht 20 %, sondern nur noch 15 % genommen. Sie hat die Referenzgruppen der Aufstocker nicht herausgenommen. Sie hat die verdeckte Armut ebenfalls nicht herausgenommen.

Es kam zu den Diskussionen im Vermittlungsausschuss um die Frage der Verfassungskonformität der Regelsätze. Wenn man in aller Nüchternheit zu diesem Ergebnis kommt und zu diesen drei von mir zitierten Punkte, so langweilig sie klingen mögen, so schwer vermittelbar sie in der Öffentlichkeit sind, feststellt, dass sich die Bundesregierung in keinem dieser Punkte auf die Kritik des Bundesverfassungsgerichts hinbewegt hat, dann kann und muss man zu dem Schluss kommen, dass die Berechnung des Regelsatzes momentan methodisch höchst fragwürdig ist. Wir haben erhebliche Zweifel daran, dass sie verfassungskonform sind. Deshalb haben wir die GRÜNE dagegen gestimmt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So einfach kann das manchmal sein. Man kann davon sprechen, die GRÜNEN hätten sich aus der Verantwortung gezogen, sie hätten sich in die Büsche geschlagen, usw. Aber wenn es sachlich und nüchtern betrachtet zu der Erkenntnis führt, dass uns vom Verfassungsgericht – das ist ja nicht irgendeine Frittenbude, sondern ein wirklich wichtiges Organ – zu drei Hauptkritikpunkten ins Stammbruch geschrieben wird: „bitte verändert diese Fehler“, dann sind wir aufgefordert, diese Fehler zu begradigen, sie zu korrigieren.

Dann verhandeln wir mit der Bundesregierung. An dieser Stelle noch einmal ausdrücklich Dank – ich habe selbst mit Fritz Kuhn telefonieren können – an die Sozialdemokraten. Die GRÜNEN und SPD haben dort vorbildlich verhandelt und versucht, noch einmal ein bisschen mehr Weisheit in die Erkenntnisse der Bundesregierung zu bekommen. Daran sind wir offensichtlich gescheitert.

(Minister Stefan Grüttner: Das ist ja lächerlich!)

Wir sind offensichtlich daran gescheitert, weiter zu erklären, dass die Bemessungsgrundlagen höchst fragwürdig sind und darüber hinaus große Zweifel bestehen, dass sie verfassungskonform sind. Heute wissen wir es nicht. Aber wenn wir angesichts dieser drei von mir zitierten Kritikpunkte sagen: „Wir stimmen dem zu“, und dann in einem

Jahr das Urteil geliefert bekommen: „Das war nicht verfassungskonform“, dann müssen wir uns heute schon die Frage stellen: Müssen wir zweimal mit demselben Kopf durch dieselbe Wand? Wir GRÜNE haben gesagt – ich finde, man kann mitgehen, was meine Bundestagsfraktion gemacht hat –: Nein, wir können diesem Verhandlungsergebnis so nicht zustimmen. – So war die Entwicklung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir begrüßen ausdrücklich – aber es geht um die Entscheidung der Verfassungskonformität – die Frage der Mindestlöhne, was dort hineinverhandelt wurde, gemeinsam mit SPD und GRÜNEN. Wir begrüßen ausdrücklich die Übernahme der Wohngeldkosten durch den Bund. Wir kritisieren, dass das zulasten des Etats der Bundesagentur für Arbeit gemacht wird. Dort wird man wieder einige Milliarden herausholen.

Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich das Bildungspaket deutlich von 1,2 auf 1,6 Milliarden € verbessert. Das sind ausdrückliche Verbesserungen durch die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss. Die begrüßen wir auch, und daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln. Aber man muss auch sagen, dass diese Verbesserungen überhaupt nur zustande kamen, weil sich der Bundesrat mehrheitlich geweigert hatte, der Vorlage der Bundesregierung zuzustimmen. Nur dadurch wurden die Verbesserungen überhaupt möglich.

Deswegen macht es sie nicht schlechter. Diese Verbesserungen sind richtig und gut. Wir freuen uns, dass sie tatsächlich realisiert werden. Es ändert aber nichts daran, dass es in der entscheidenden Ursache, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat: „Wir brauchen eine verfassungskonforme und transparente und klare Regelung“, in mindestens drei Punkten große Fragezeichen bestehen bleiben. Meine Bundestagsfraktion hat für sich entschieden: Den Weg gehen wir nicht mit.

Deswegen noch einmal: Kritik daran, dass man den gleichen Lohn für gleiche Arbeit bei der Zeitarbeit nicht hat durchsetzen können. Kritik daran, dass man das Geld, das der Bund jetzt für die Wohngeldempfänger übernimmt, wieder aus dem Etat der Bundesagentur für Arbeit herausnimmt. Aber es sind wirklich wertvolle, richtige sozialpolitische Schritte erzielt worden. Unsere Fraktion glaubt allerdings, das wird mit der Verfassungskonformität nicht einhergehen. Deswegen haben wir in Berlin gegen diesen Kompromiss gestimmt. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Decker (SPD))