Protocol of the Session on December 14, 2010

Im ÖPNV dürfen öffentliche Aufträge zukünftig nur noch an solche Unternehmen vergeben werden, die den am Ort der Leistungserbringung gültigen Lohn- und Gehaltstarif zahlen. Zukunftssicherung lässt sich nicht auf morgen verschieben, hat Minister Posch in seiner Rede auf dem Mittelstandstag gesagt.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

Herr Minister, das sehe ich genauso. Deswegen biete ich Ihnen heute an, unseren Gesetzentwurf als Diskussionsgrundlage zu nehmen und gemeinsam ein gutes Gesetz für den Mittelstand in Hessen und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verabschieden.

(Beifall bei der SPD)

Frau Waschke, ich darf Sie bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Der letzte Satz, Frau Präsidentin. – Das wäre wirklich ein Schritt auf dem neuen Weg bzw. im neuen Stil, den Ministerpräsident Bouffier angekündigt hat, gemeinsam etwas Gutes für Hessen zu schaffen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Waschke. – Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Wissler für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Waschke, wir haben uns nicht nur darauf beschränkt, einen Antrag einzubringen, sondern wir haben auch einen Gesetzentwurf eingebracht, und zwar schon vor fast eineinhalb Jahren. Wir haben uns damals angeschaut, was in Hamburg Rechtslage ist. Man kann sagen, in Hamburg geht es derzeit drunter und drüber. Dennoch glaube ich, dass das Hamburgische Vergabegesetz europakonform ist. Nichtsdestotrotz freuen wir uns natürlich, dass die SPD jetzt auch mit einer Diskussionsgrundlage in die Debatte einsteigt.

(Zurufe der Abg. Petra Fuhrmann und Dr. Thomas Spies (SPD))

Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf, den die SPD heute vorlegt, hat zwei Vorteile. – Herr Spies, ich war gerade bei den Vorteilen Ihres Gesetzentwurfs. Schreien können Sie doch später noch, wenn ich zu den Nachteilen komme.

Der erste Vorteil ist, dass es aus der Feder einer schwarzroten Koalition in Thüringen stammt. Das heißt, in unserem Nachbarbundesland ist dieses Gesetz in Kraft. Es ist europarechtskonform, und es ist technisch umsetzbar. Jedenfalls gehen sowohl SPD als auch CDU in Thüringen davon aus. Deshalb klingen die üblichen Verdächtigungen, die an solcher Stelle immer angebracht werden – „alles zu bürokratisch“, „bürokratisches Monster“, „es überlastet die öffentlichen Verwaltungen“ –, nicht mehr so glaubwürdig, wenn ein solches Gesetz in einem anderen Bundesland schon Realität ist.

In den letzten Jahren haben sehr viele Bundesländer ihre Vergabegesetze novelliert, unter fast allen Regierungskonstellationen. Leider ist das in Hessen bisher nicht passiert.

Zweitens spricht für den Gesetzentwurf der SPD, dass viele vergabe- und mittelstandsrechtliche Fragen angesprochen werden und damit der Gesetzentwurf weit über das hinausgeht, was die Landesregierung vorgelegt bzw. nicht vorgelegt hat. Die Regierung betont zwar immer bei jeder sich bietenden Gelegenheit, wie sehr ihr der Mittelstand am Herzen liegt, dass der Mittelstand das Rückgrat der hessischen Wirtschaft ist und dass zwei Drittel der Beschäftigten im Mittelstand arbeiten; aber leider hat der sogenannte hessische Weg nicht dazu geführt, dass der Mittelstand davon profitiert hätte. Vielmehr haben die Praxis der Auftragsvergabe, Privatisierungen und Lohndumping den Mittelstand geschwächt, haben die Qualität der Arbeit verschlechtert. Deshalb liegt es natürlich nahe, auch den Mittelstand zu fördern.

Ob das über einen Mittelstandsbeauftragten sinnvoll ist, wie die SPD das vorschlägt, da bin ich sehr skeptisch, weil die Herausforderungen kleiner und mittelständischer Unternehmen strukturell bedingt sind und die Probleme oft mit der wachsenden Rolle und Macht transnationaler Konzerne und der Konkurrenz aus Billiglohnländern zu tun haben. Deshalb ziehen viele kleine und mittelständische Unternehmen im Wettbewerb zu Großkonzernen oft den Kürzeren. Deshalb finde ich es etwas fraglich, ob ein Mittelstandsbeauftragter da weiterhilft.

Wer das Handwerk und die Beschäftigten stärken will, der muss konsequenterweise auch das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union ablehnen oder zumindest kritisieren, weil sämtliche schwer erkämpfte Standards in sozialer und ökologischer Hinsicht ausgehöhlt werden, indem völlig unterschiedliche Wirtschaftsräume zusammengeschlossen werden und der Schmutzkonkurrenz Tür und Tor geöffnet werden.

Der eigentlich substanzielle Teil Ihres Gesetzentwurfs befasst sich mit der Vergabe öffentlicher Aufträge. Hier finde ich es immer wieder richtig, zu erwähnen, dass die öffentliche Hand der größte Auftraggeber der Privatwirtschaft ist und dass man diese Verantwortung auch wahrnehmen muss.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Petra Fuhr- mann (SPD))

Öffentliche Aufträge machen fast ein Fünftel des Bruttoinlandsproduktes aus. Damit ist klar, dass alle Regelungen, die hier getroffen werden, eine Auswirkung auf das gesamte Wirtschaftsleben haben. Da sage ich: Transparenz muss an erster Stelle stehen. Das zeigen gerade die jüngs ten Unregelmäßigkeiten, die wir in Hessen bei der Auftragsvergabe erlebt haben. Es geht hier um Steuergelder, und deshalb darf öffentliche Vergabe nicht der Begünstigung von Parteifreunden und anderen Seilschaften dienen, sondern wir brauchen transparente, nachvollziehbare Verfahren, die öffentlich sind. Solche Verfahren wie bei der Vergabe des Digitalfunks beschädigen das Vertrauen der Bürger in die öffentlichen Verwaltungen, und das ist ein Problem.

(Beifall bei der LINKEN)

Die öffentliche Vergabepraxis muss dazu beitragen, gute Arbeit zu fördern und den Ressourcenverbrauch so nied rig wie möglich zu halten. Wir müssen verhindern, dass internationale Monopolisten kleine und ortsansässige Unternehmen in den Ruin treiben, weil sie Preis- und Lohndumping betreiben.

Ich empfinde als wichtigsten Satz im Gesetzentwurf der SPD den Satz: „Der niedrigste Angebotspreis allein ist nicht entscheidend.“ Denn die Beurteilung alleine nach dem niedrigsten Preis greift zu kurz. Wenn bei einer Ausschreibung im Verkehrsbereich beispielsweise ein Subunternehmer eine Konzession erhält, der seinen Mitarbeitern so wenig Lohn zahlt, dass sie nicht davon leben können, sodass sie vielleicht gezwungen sind, aufzustocken, wenn derjenige vielleicht deshalb ein billiges Angebot vorlegen konnte, weil er sich nicht um die ordentliche und saubere Entsorgung seiner Abfälle kümmert, weil er vielleicht an der Sicherheit seiner Fahrzeuge spart, und deswegen ein ortsansässiger Mittelständler Konkurs anmeldet, kann das einfach nicht Sinn und Zweck öffentlicher Auftragsvergabe sein.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das ist volkswirtschaftlich nicht klug, und das ist auch teurer, als wenn man gleich auf gewisse Standards bestanden hätte. Im Umweltbereich gilt Ähnliches. Die Folgekosten trägt am Ende die Allgemeinheit, und diese Kurzsichtigkeit hat ihren Grund natürlich auch in den leeren öffentlichen Kassen. Das Kaputtsparen der öffentlichen Haushalte, gerade der Kommunen, durch Steuersenkungen hat in den letzten Jahren zur Aushöhlung tariflicher und arbeitsrechtlicher Normen und dazu beigetragen, dass billig offensichtlich immer besser sein soll.

Der Fall des CDU-Landrats in Uelzen – ich weiß nicht, ob Sie das gelesen haben; Theodor Elster heißt er – ist durch die Presse gegangen, weil dieser Herr Elster dankenswerterweise unverblümt ausgesprochen hat, was offensichtlich dahintersteht. Er verteidigte den Kauf von Produkten aus Kinderarbeit, weil deren niedrige Lohnkosten ein „entscheidender Wettbewerbsvorteil“ seien.

Meine Damen und Herren, das ist ein CDU-Politiker. Von seinen Lieferanten wolle er auch keinen Nachweis über ihre Produktionsketten verlangen, weil das zu einem „erhöhten Aufwand bei der Prüfung“, also zu mehr Bürokratie führen würde. Umgekehrt komme der Verzicht auf Produkte aus Kinderarbeit nicht „unmittelbar den Kreiseinwohnern zugute“. – Das ist wirklich christliche Nächs tenliebe. Herzlichen Glückwunsch, kann ich nur sagen, dass Sie so jemanden in Ihren Reihen haben, der im Kreistag von Uelzen verteidigt, dass Produkte aus Kinderarbeit erworben werden. Aber das ist das Problem. Genau dahin führt es, wenn man immer nur sagt: „Billig, billig, billig“.

Ich denke, die Rechtsprechung des EuGH lässt zu, dass soziale und ökologische Anforderungen an Auftraggeber gestellt werden, auch nach dem Rüffert-Urteil. Von dieser Möglichkeit sollte Gebrauch gemacht werden. Dann muss man aber weiter gehen, als es die Thüringer Landesregierung getan hat. Man kann nicht nur Kannformulierungen wählen, sondern man muss Mussformulierungen wählen. Wir brauchen bindende Formulierungen, und wir brauchen Kontrollen, d. h. Kapazität und Personal, um Kontrollen durchführen zu können.

Eine Kritik an dem SPD-Entwurf ist auch, dass Sie den Schwellenwert von 50.000 € gewählt haben, d. h. dass alle Aufträge unter 50.000 € gar nicht erfasst werden. Es gibt andere Länder, wie beispielsweise Niedersachsen, auch schwarz-gelb regiert, wo der Schwellenwert 10.000 € ist. Ich halte es gerade angesichts dessen, dass wir alle kleinere Teillose wollen, um den Mittelstand zu fördern, für sinnvoller, den Schwellenwert wesentlich niedriger anzusetzen. Andere Bundesländer zeigen, dass das möglich ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Kollegin Wissler, ich darf Sie bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Frau Präsidentin, ich habe es gerade mit Schrecken gesehen: Die Zeit ist vorbei. Deshalb will ich zum Schluss kommen. – Herr Hahn, Sie sind auch erschrocken.

(Minister Jörg-Uwe Hahn: Ja!)

Ich denke, der Gesetzentwurf der SPD weist in die richtige Richtung. Ich finde, dass er in Teilen zu kurz greift, dass er Wünsche offenlässt. Aber ich denke, wir sollten im Ausschuss gemeinsam unseren und Ihren Gesetzentwurf diskutieren; denn in einem, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir uns einig: Hessen braucht ein neues Vergabegesetz. Hessen braucht ein Vergabegesetz, das dafür sorgt, dass Firmen nicht noch dafür belohnt werden, wenn sie Lohndumping betreiben und Umweltschutzauflagen unterlaufen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Das Wort hat Frau Kollegin Lannert für die CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Einstieg von Herrn Rudolph mit seiner Frage an Frau Waschke zeigt, dass man noch nicht einmal vor diesem Thema zurückschreckt, um Klamauk zu veranstalten.

(Beifall bei der CDU – Widerspruch bei der SPD und der LINKEN)

Wenn man eben die Ausführungen von Frau Wissler gehört hat, muss man schon einmal sagen: Sie verstehen nur etwas von Staatswirtschaft. Von freier Marktwirtschaft haben Sie wohl noch nicht viel gehört.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

An Frau Waschke und Frau Wissler muss man schon einmal die Frage stellen: Haben Sie schon jemals für ein Unternehmen und für die Menschen, die dort arbeiten, Verantwortung getragen? Das ging aus Ihren Reden heute nicht hervor.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP – Zurufe der Abg. Sabine Waschke (SPD) und Hermann Schaus (DIE LINKE))

Ja, der Mittelstand ist die Basis für Wachstum und Beschäftigung. Mehr Wachstum, mehr Wohlstand und mehr Beschäftigung wird es aber nur geben, wenn unsere Unternehmen gute Bedingungen haben, um sich weiterzuentwickeln.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen müssen daher zugunsten einer nachhaltigen wachstums-, wohlstands- und beschäftigungsfördernden Entwicklung der Unternehmen ausgestaltet werden.

(Zuruf der Abg. Heike Habermann (SPD))

Dies setzt aber die Formulierung einfacher, klarer, transparenter und unbürokratischer Regelungen voraus. Ein Mittelstandsförderungs- und Vergabegesetz soll und muss einen Beitrag zur zielgerichteten und effektiven Förderung des Mittelstandes sowie der freien Berufe leisten.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Meine sehr geehrten Damen und Herren insbesondere von der SPD, Mittelstandsförderung muss man richtig machen. Schaut man Ihren Gesetzentwurf an, findet man 41 Paragrafen

(Zurufe von der SPD)

auch Schreihälse ändern daran nichts – und eine Vielzahl neuer, sogenannter ökologischer oder sozialer Kriterien im Vergabeverfahren. Dies kann kein Beitrag zu einem an den Bedürfnissen des Mittelstands orientierten Fördergesetz sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)