Protocol of the Session on September 9, 2010

Die Selbstverwaltungsorgane Landesärztekammer Hessen und Kassenärztliche Vereinigung haben unverzüglich und angemessen reagiert. Sie haben die Tatbestände bezeichnet, wegen deren ermittelt wird: Vertragsverletzung aus kassenärztlichen Pflichten und Verstoß gegen die Berufsordnung. Darüber hinaus haben sie sich gegenüber der Presse klar geäußert und gesagt,dass sie einen solchen Vorgang „als verwerflich ansehen“.

Die Landesregierung, also das Sozialministerium, hat die Kassenärztliche Vereinigung Hessen aufgefordert,ständig über den aktuellen Stand dieser Ermittlungen zu berichten.

An dieser Stelle möchte ich sagen: Es gibt in unserem Land einige Interessensvertretungen, die die Kassenärztliche Vereinigung abschaffen möchten. Aber in diesem

Moment sind wir doch sehr froh, dass von der KV nicht nur der Notdienst, sondern auch solche funktionierenden Disziplinarausschüsse organisiert werden – sonst wäre eine solche Reaktion nicht möglich gewesen.

Mittlerweile hat sich der Arzt entschuldigt und gesagt: Ich habe mich im Ton vergriffen.

Im Moment bin ich nicht in der Lage, diese Entschuldigung abschließend zu bewerten. Aber ich vertraue den handelnden Institutionen und den handelnden Personen an deren Spitze, dass sie sich damit sehr sensibel auseinandersetzen und nach Durchsicht der Aussagen und Unterlagen und nach Anhörung der Betroffenen sehr sorgfältig entscheiden, ob dies sanktionsbefreiend oder -mindernd sein kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,ich finde es auch etwas unsensibel – um mich vorsichtig auszudrücken –, dass der Titel dieser Aktuellen Stunde lautet: „Rassismus in Arztpraxen“.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Man hätte sich überlegen sollen, ob hier die Verwendung des Plurals angemessen ist.Wenn Sie eine zweite derartige Arztpraxis kennen, dann nennen Sie sie. Dann soll dort auch ermittelt werden.

Sie sollten auch einmal überlegen,ob Sie nicht denjenigen den Respekt versagen, die sich tagtäglich in den Arztpraxen darum bemühen, den Bürgern mit Migrationshintergrund und den muslimischen Bürgern den Zugang zu erleichtern. Das sind weniger die Ärzte. Das sind – Frau Schulz-Asche hat das gesagt – mehr noch die Arzthelferinnen in den Praxen, die hier ein besonderes Engagement an den Tag legen,indem sie organisieren,ob nicht jemand aus dem Umfeld dolmetschen kann oder dass bei Untersuchungen ein Angehöriger mit dabei ist, oder indem darauf geachtet wird, dass etwa in Zeiten des Ramadan die Tablettenverschreibung so erfolgt, dass eine einmalige Dosierung des betreffenden Medikaments ausreichend ist.Ich glaube,auch das sind die kleinen Helden des Alltags, die sich in besonderer Weise bemühen und auch sehr erfolgreich sind.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Richtig!)

Bei aller Fokussierung auf einen solch verwerflichen Fall sollten wir uns bemühen, die Realität in den Praxen nicht verzerrt wahrzunehmen.

(Beifall bei der CDU, der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren,von dieser Debatte sollte auch die Botschaft ausgehen, dass Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen muslimischen Glaubens in den hessischen Praxen niedergelassener Ärzte herzlich willkommen sind und genauso nach den neuesten Erkenntnissen der Medizin behandelt werden wie alle deutschen Mitbürger.

(Beifall des Abg. Holger Bellino (CDU))

Diese Botschaft wollen wir aussenden und sagen, auch in der ambulanten Medizin wollen wir keine Parallelgesellschaften.Wir wollen nicht, dass türkische Mitbürger überwiegend zu türkischen Ärzten gehen und Deutsche nur zu deutschen Ärzten. Auch hier wollen wir eine echte Integration. In der Regel ist das auch Praxis in unserem Land.

Noch ein abschließendes Wort. Die Praxis zeigt auch, dass sehr viele Türken, die ihren Lebensabend in ihrer alten

Heimat verbringen,die Zeit,in der sie sich in Deutschland aufhalten, auch dazu nutzen, deutsche Ärzte aufzusuchen – nicht etwa, weil deutsche Ärzte besser sind als türkische, sondern weil der Zugang zu ihnen leichter ist. Das soll auch so bleiben. Dazu möchten wir durch unsere Botschaft einen Beitrag leisten. – Besten Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel und Petra Fuhrmann (SPD))

Vielen Dank, Herr Dr. Bartelt. – Meine Damen und Herren, zu diesem Tagesordnungspunkt 55 gibt es keine weiteren Wortmeldungen.

Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 57 auf:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend eine Aktuelle Stunde (Leiharbeit braucht den Mindestlohn – Hessen muss Gesetzentwurf der Bundesregierung korrigieren) – Drucks. 18/2787 –

Das Wort hat der Kollege Decker, SPD-Fraktion.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Guter Mann!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Und sie bewegt sich doch. – Ich meine jetzt die Bundesregierung.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Und ich dachte, die SPD!)

Wer hätte denn gedacht, dass eine CDU/FDP-Regierung in Sachen Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt plötzlich einen Schritt nach vorne tut, und dann noch in die richtige Richtung?

Frau von der Leyen hilft – leider aber nur so ein kleines bisschen.Meine Damen und Herren,und genau das ist das Problem.

Gleicher Lohn nur für gekündigte Stammkräfte – das greift schlicht zu kurz.Sollen die Arbeitnehmer,die bisher keine Stammarbeiter waren, auf Dauer weniger verdienen als ihre Kolleginnen und Kollegen, frage ich Sie – um nur eine Unzulänglichkeit in diesem Gesetzentwurf zu benennen.

(Beifall bei der SPD)

Aber warum bleibt sie mit dem Gesetzentwurf auf halbem Wege stehen? Ich sage es Ihnen, meine Damen und Herren: weil sich CDU und FDP in dieser Frage wieder einmal gegenseitig blockieren.

Geradezu sensationell war der sommerliche Vorstoß der FDP: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Donnerwetter, als wenn wir es Ihnen aufgeschrieben hätten. Ich habe mich tatsächlich gefreut,dass ich etliche Passagen von Reden, die ich zuvor gehalten habe, in Ihren Pressetexten wiederfinden konnte. Das hat mich wirklich sehr gefreut.

(Beifall bei der SPD – Dr. Frank Blechschmidt (FDP): Entschuldigung! Es wird nie wieder vorkommen!)

Meine Damen und Herren, warum jemand, der einerseits für gleiche Entlohnung ist,andererseits immer noch vehement gegen Mindestlohn in der Leiharbeit ist – zu unserer Freude hat die CDU das endlich auch gefordert; das freut

uns echt –,das versteht kein Mensch mehr.Ich sage Ihnen, diese Regierung hat bisher keinen Mut, keine Traute, das zu tun, was längst überfällig ist und was den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern endlich das gibt, was sie verdienen, nämlich einen gerechten und auskömmlichen Lohn, von dem sie ohne staatliche Unterstützung mit ihren Familien leben können.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, das erreichen wir nur mit gleichem Lohn für gleiche Arbeit und mit einem garantierten Mindestlohn in der Leiharbeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wir sagen Ihnen auch: Die Sache eilt. Das muss aus unserer Sicht jetzt ein bisschen zackig gehen. Oder wollen Sie, dass mit dem neuen EU-Recht z. B. ab Mai 2011 Billigarbeiter für 4 c in der Stunde in Deutschland legal arbeiten und damit ungewollt zu Dumpingkonkurrenten für inländische Arbeitskräfte werden? Das wollen wir doch alle zusammen nicht, oder?

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Im Übrigen wächst die Kritik in Europa. Ich erinnere daran, dass Ihnen kürzlich der Premierminister JeanClaude Juncker Lohn- und Sozialdumping vorgeworfen hat. Er hat Ihnen vorgeworfen, Profit auf Kosten anderer Länder zu machen. Denken Sie einmal darüber nach, ob nicht auch das ein Punkt ist, schnell die Haltung zu ändern.

Equal Pay und der Mindestlohn für Zeitarbeit müssen jetzt kommen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ich sage Ihnen auch, dass die politischen Mehrheiten dafür da sind. Denn Sie wissen sehr genau, dass sich die SPD seit Jahr und Tag dafür ausspricht und seit Jahr und Tag dafür zur Verfügung steht, um die politischen Mehrheiten hierfür zu schaffen.

(Stefan Müller (Heidenrod) (FDP):Warum habt ihr nichts gemacht?)

Die SPD hat in Berlin der Bundesarbeitsministerin angeboten – hören Sie einmal zu, Herr Mick, es wird interessant –, gemeinsam unverzüglich 800.000 Leiharbeiter im Mindestlohn durchzusetzen.Aber Sie sind nicht dabei.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, das bieten wir von der SPDLandtagsfraktion Ihnen auch heute in diesem Hause erneut an. Dieses Angebot richtet sich in erster Linie an die Union, solange die FDP beim Mindestlohn in ihrer Blockadehaltung ist. Aber dieses Angebot ist für Sie gleichzeitig der Lackmustest dafür, ob Sie es wirklich ernst meinen mit dem, was Sie in Berlin sagen.

(Beifall bei der SPD)

Der Weg zum Mindestlohn ist auch ziemlich einfach; denn man braucht im Grunde nur § 4 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes zu ändern. Das geht sogar mit einer ganz einfachen parlamentarischen Mehrheit.

Meine Damen und Herren, Leiharbeit braucht den Mindestlohn. Hessen muss den Gesetzentwurf der Bundesre