Protocol of the Session on June 24, 2010

Es sind dies die Anerkennung, die Wahrung und der Schutz der Menschenrechte als Grundlage und Auftrag jeder staatlichen Ordnung. Dem muss sich die staatliche Ordnung verpflichtet fühlen, und dafür muss sie jederzeit aktiv eintreten. Im engeren Sinne ist ein Rechtsstaat ein Staat, in dem jeder Bürger und jede Bürgerin auf der Grundlage der Menschenrechte die gleichen Chancen haben, ihr Recht zu bekommen, und vor staatlicher und juristischer Willkür geschützt sind.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Die Realität der DDR und auch ihr eigener Anspruch gingen an diesen Anforderungen weit vorbei. Die DDR war von Anfang an ein undemokratisches, autoritäres Zwangssystem. Daran kann jenseits juristischer Rabulistik kein Zweifel bestehen, und daran besteht gerade für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, deren Parteifreunde unter diesem System gelitten haben, kein Zweifel.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU)

Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass die Verhältnisse in der DDR so waren, wie sie waren.Vielleicht ist das nirgendwo deutlicher geworden als durch die Ereignisse des 17. Juni. Insofern ist es eine traurige Ironie, dass Frau Jochimsen ihre Bemerkungen just an diesem Tag machte.

Der 17. Juni ist ein Beleg dafür, wie eng Arbeitnehmerrechte und Menschenrechte zusammenhängen. Den Arbeiterinnen und Arbeitern, die am 17. Juni auf der Straße waren, blieb unter dem System der DDR keine legale Möglichkeit der Austragung von Interessenkonflikten. Der Kampf für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen ist sofort und zwangsläufig in einen politischen Kampf für Demokratie und freie Wahlen übergegangen, weil es einen fundamentalen Zusammenhang zwischen den politischen und den sozialen Grund- und Menschenrechten gibt: zwischen Streikrecht und freien Wahlen, zwischen gewerkschaftlicher Autonomie und Selbstbestimmung des Einzelnen. Dieser Zusammenhang ist unauflöslich.

Meine Damen und Herren,deshalb ist es höchste Zeit,mit den Lebenslügen des bundesdeutschen Poststalinismus Schluss zu machen. Dazu gehört die Legitimierung der Niederschlagung des Aufstands vom 17. Juni. Dazu gehört das Gegeneinander-Ausspielen von bürgerlichen Freiheitsrechten und sozialen Grundrechten. Dazu gehört die Wahrheit, dass es ein Teil der unveräußerlichen Menschenrechte ist, dass man das Land, in dem man lebt, verlassen darf.

(Beifall bei der SPD)

Einen Staat, der auf diese Art und Weise und in vielen anderen Formen die Menschenrechte bewusst und vorsätzlich missachtet und gebrochen hat, wird man nicht einen Rechtsstaat nennen können. Man wird ihn jenseits aller Juristerei einen Unrechtsstaat nennen müssen, jedenfalls was seinen Wesenskern angeht.

Frau Jochimsen hat die Chance zu einem anständigen Umgang mit der DDR-Vergangenheit verschenkt. DIE LINKE insgesamt verschenkt mit der Kandidatur von Frau Jochimsen die Chance, sich nicht nur mit Worten – noch dazu mit zweideutigen – von der DDR-Tradition abzukehren.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Letzter Satz. – Ihnen aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP und der CDU, will ich noch eines sagen: Wenn Ihnen das Thema DDR-Unrecht wirklich so wichtig wäre, könnten Sie einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten, indem Sie Joachim Gauck zum Bundespräsidenten wählen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Merz. – Das Wort hat Herr Abg. Dr.Wilken, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Obwohl ich auch nach den ersten Beiträgen noch immer nicht weiß, wo der Hessen-Bezug dieser Aktuellen Stunde ist, will ich mich mit dem beschäftigen, wovon Sie mit dieser Aktuellen Stunde offensichtlich ablenken wollen.

Unsere Partei hat eine Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten aufgestellt, die die andere Hälfte der Republik repräsentiert,

(Lachen bei der CDU und der FDP – Holger Bel- lino (CDU):Aus Hessen! – Weitere Zurufe von der CDU)

nämlich die Hälfte der Republik, die gegen den Krieg in Afghanistan ist – nach den letzten Umfragen sind 65 % der Bevölkerung gegen den Krieg in Afghanistan –, die gegen eine Rente erst mit 67 Jahren ist, die gegen das Sparpaket zur weiteren Verarmung ist, weil es genau sie trifft, und zu der die gehören, die überhaupt kein Vermögen haben.

Diesen Teil der Menschen der Republik repräsentiert unsere Kandidatin. Davon, da gebe ich Ihnen recht, wollen Sie ablenken.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU: Was für ein Quatsch! – Weiterer Zuruf von der CDU: Thema verfehlt! – Weiterer Zuruf von der CDU: Setzen! Fünf!)

Hinsichtlich der Kritik an dem, was in der DDR an Unrecht und Verbrechen geschehen ist, haben wir in diesem Haus eine gemeinsame und die gleiche Einschätzung. Ich habe das von diesem Ort aus schon mehrmals gesagt.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Also Unrechtsstaat!)

Wir haben da eine gemeinsame Einschätzung,nämlich die Verurteilung der Verbrechen, die im Namen der SED und der DDR begangen worden sind.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Unrechtsstaat!)

Dabei bleibe ich.

Was hat Frau Jochimsen gesagt?

(Zuruf: Unsinn hat sie gesagt!)

Sie verzichten darauf, das gesamte Zitat zu nennen. Sie ist vom „Hamburger Abendblatt“ nach ihrer persönlichen Haltung zu der Frage gefragt worden, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei. Sie hat geantwortet:

Die DDR war ein Staat, der unverzeihliches Unrecht an seinen Bürgern begangen hat.

Wie Sie da eine Verhöhnung der Opfer herauslesen wollen, ist mir wirklich schleierhaft.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Weiter vorlesen!)

Ich zitiere weiter. Sie sagt:

Nach juristischer Definition war sie allerdings kein Unrechtsstaat.

(Zurufe von der CDU:Aha!)

Auf Nachfrage sagt sie, solche Definitionen sollten „juristisch und staatsrechtlich haltbar“ sein, der Begriff „Unrechtsstaat“ sei das nicht.

(Zuruf von der CDU: Das ist eine Verharmlosung!)

Ich stelle fest: Wir streiten uns um den Begriff und nicht um die Tatsache, dass wir als LINKE genauso wie Sie das Unrecht in der DDR Verbrechen nennen und verurteilen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte auch daran erinnern – das ist etwas mehr als ein Jahr her –, dass eine andere Kandidatin, nämlich Frau Schwan, gesagt hat, der Begriff Unrechtsstaat sei diffus. Ich zitiere:

Er impliziert, dass alles unrecht war, was in diesem Staat geschehen ist. So weit würde ich im Hinblick auf die DDR nicht gehen.

Das sagte Frau Schwan vor etwa einem Jahr. Offensichtlich sind Frauen die besseren und intelligenteren Kandidatinnen für das Amt des Bundespräsidenten.

(Beifall der Abg. Willi van Ooyen und Marjana Schott (DIE LINKE))

Ich schließe meine Rede mit Folgendem: Offensichtlich müssen die Antragsteller eine weitere Ablenkungsstrategie verfolgen.

(Florian Rentsch (FDP): Lieber Herr Wilken, wenn Sie einmal zu Ihrer Vergangenheit stehen würden!)

Meine Herren von der FDP,auf Ihrem Parteitag ist durchgegangen, dass im Zusammenhang mit der Bürgschaft für Opel von einem inneren Reichsparteitag geredet wurde.

(Florian Rentsch (FDP): Ewiggestrige!)

Da muss ich mich doch wirklich fragen, mit welch nachlässiger Haltung in Ihrer Fraktion und in Ihrer Partei mit dem Holocaust umgegangen wird. Auch das gehört zur Geschichte unserer Republik. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Staatsminister Grüttner.