Protocol of the Session on April 29, 2010

Letzter Punkt. Im Zusammenhang mit dem Islamismus vermisse ich eine geschlossene Präventionsstrategie und auch ein Konzept. Es sind jetzt neun Jahre nach dem 11. September 2001 vergangen, und wir stellen fest, dass Leute in diesem Bereich anfällig sind, die damals vielleicht zehn Jahre alt waren. Offensichtlich sind wir in den letzten zehn Jahren in diesem Bereich nicht so erfolgreich gewesen, was den Kampf um die Köpfe angeht – um diesen Spruch einmal andersherum zu wenden, Herr Innenminister –, wie wir es eigentlich hätten sein müssen.

Insofern hoffe ich, dass man sich nicht nur für echte oder vermeintliche Erfolge abfeiern lässt, sondern dass man – letzter Satz –

Herr Al-Wazir, Sie müssen den letzten Satz jetzt wirklich beenden.

in allen Bereichen des Extremismus wirklich präventiv wirkt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Kollege Schaus, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bellino, dass Sie Ihre Aktuelle Stunde versenkt haben, ist wohl klar.Aber ich habe durchaus Verständnis dafür, dass Sie nach dem gestrigen Tag mit gebremstem Schaum in diese Debatte gehen.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das ist Ihre Sicht!)

Meine Damen und Herren, stellen Sie sich doch einmal vor, nicht Sie, sondern meine Herren von der FDP, wir – – Entschuldigung, ich fange noch einmal an.

(Heiterkeit)

Stellen Sie sich einmal vor, nicht Sie, meine Herren von der FDP, regierten mit der CDU

(Zurufe von der CDU)

auf den Anfang kommt es an –, sondern DIE LINKE regierte, so wie Sie, in Bund und Land mit einem Koalitionspartner.

(Leif Blum (FDP): Das ist eine dermaßen absurde Vorstellung!)

Ich weiß, es fällt Ihnen schwer, sich das vorzustellen. Aber wir müssen schließlich auch Ihre Regierung ertragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Stellen Sie sich vor, wir würden mit den Geheimdiensten dann so verfahren, wie Sie es jetzt machen.

(Wolfgang Greilich (FDP): Das ist der Unterschied!)

Millionen von Menschen, die ihre Hoffnung in Sie setzen, Sie unterstützen und wählen, würden, obwohl sie Demokratie, Frieden und Freiheit bejahen – wenn auch zweifellos mit anderen politischen Zielen –, konsequent ausgegrenzt, diskreditiert, kriminalisiert und geheimdienstlich überwacht. Würden Sie eine solche Regierung für lupenrein demokratisch halten?

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das ist der Unterschied zu den anderen Fraktionen!)

Vielleicht wird Ihnen durch diesen gedanklichen Rollentausch klar, wie bedenklich es ist, wenn die Regierung Teile der Opposition zu Staatsfeinden erklärt.Wenn auch Sie etwas aus der deutschen Geschichte gelernt haben,

dann doch hoffentlich dies, dass sich eine Regierung, was die Innenpolitik betrifft, nicht der Geheimdienste bedient, um missliebige politische Meinungen kleinzuhalten. Unsere Partei teilt diese Überzeugung, die schwarzgelbe Landesregierung offenbar nicht.

Sie sind aber in der Minderheit; denn lediglich in Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und eben in Hessen – also nur in fünf von 16 Bundesländern – findet eine Überwachung unserer Partei statt. Aber wie kann das sein, wenn wir doch so gefährlich sind? Vielleicht sind wir nur in diesen fünf Bundesländern gefährlich.Wir gefährden die schwarz-gelben Mehrheiten in diesen Ländern. Die Antwort ist ganz einfach: Es geht Ihnen nicht um Aufklärung oder um einen Schutz vor radikalem Denken. Dann müssten Sie wohl eher in Ihren eigenen Reihen etwas unternehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht Ihnen lediglich um Hetze und um eine gezielte Stigmatisierung unserer Partei, die von Millionen von Menschen unterstützt und gewählt wird.

Der Verfassungsschutz ist Teil des Inlandsgeheimdienstes. Als Behörde ist er dem Innenminister direkt unterstellt und wird von diesem politisch geführt. Man darf deshalb von einer großen politisch-inhaltlichen Nähe des Verfassungsschutzes zur hessischen CDU/FDP-Regierung ausgehen. So muss man den Verfassungsschutzbericht eben auch lesen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das sind Ihre Stasivorstellungen! – Axel Wintermeyer (CDU): Unglaublich!)

Herr Wagner, dies erklärt, warum wir in Hessen überwacht werden.Aber wie sieht diese Überwachung eigentlich aus? Der Verfassungsschutz betont stets, dass er nur öffentlich zugängliche Materialien, also Flugblätter, Schriften und Internetseiten, auswertet. Die Ergebnisse – mit nahezu unveränderten Texten – finden wir jährlich im Verfassungsschutzbericht wieder. Dort können wir nachlesen, dass zwar nicht alle LINKEN per se als Linksextremisten einzustufen seien, aber diejenigen von uns, die in drei von 24 Arbeitsgemeinschaften mitarbeiten, und dass wegen unserer stetig steigenden Mitgliederzahl die Zahl der Linksextremisten in Hessen auf 4.600 angestiegen sei.

2007 ist die Zahl der angeblichen Linksextremisten laut Bericht sogar sprunghaft um 1.500 angestiegen. Der Grund war, dass die eine Quellpartei der LINKEN, die WASG, nicht beobachtet worden ist. Aber am Tag nach dem Zusammenschluss unserer Parteien waren nach dem Verfassungsschutzbericht alle Linksextremisten. Sie sind es sozusagen über Nacht geworden. Das ist völlig absurd; es ist alles konstruiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Um dies zu belegen, werden unsere Texte aus dem Zusammenhang gerissen, politisch gefärbt, uminterpretiert und mit anderen Texten auf zehn Seiten neu zusammengebaut.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Unglaublich!)

Herr Minister, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, eines dürfen Sie mir als Insider unserer Partei glauben: Das, was Sie da konstruiert haben,ist so etwas von daneben, dass mir angst und bange wird, wenn ich nur daran denke, dass dies auch auf andere Teile des Berichts zutreffen könnte.

Herr Kollege Schaus, Sie müssen zum Schluss kommen.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Mit Ausnahme des Verfassungsschutzberichts Berlin und des Verfassungsschutzberichts Brandenburg sind alle in den letzten vier Jahren von Bund und Ländern publizierten Verfassungsschutzberichte verfassungswidrig. Dies ist nicht allein meine Erkenntnis.Dies ist das Ergebnis einer vom Institut für Öffentliches Recht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg vorgenommenen Untersuchung, die jüngst im „Jahrbuch Informationsfreiheit und Informationsrecht“ veröffentlicht wurde.

Wir jedenfalls werden nicht aufhören, weiterhin für eine soziale, freie, friedliche, ökologische, gerechte, demokratische, sozialistische Gesellschaft zu streiten.

(Beifall bei der LINKEN – Axel Wintermeyer (CDU): Umstürzler!)

Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, darf ich Sie zwischendurch etwas fragen? Eingegangen und verteilt auf Ihren Plätzen ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP, Drucks. 18/2294.

(Günter Rudolph (SPD): In der Debatte machen wir das jetzt?)

Herr Kollege Rudolph, darf ich zwischendurch eine Frage stellen? Dann können Sie mich beschimpfen. – Die Dringlichkeit wird offensichtlich von allen bejaht. Hier heißt es, der Dringliche Antrag werde Tagesordnungspunkt 75.Wenn dem nicht widersprochen werde, könne er nach Tagesordnungspunkt 50 aufgerufen und ohne Aussprache abgestimmt werden.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Machen wir das am Ende! – Weitere Zurufe)

Es wird widersprochen. Dann lassen wir erst den Kollegen Greilich sprechen und die Debatte beenden. Ich wollte es nur einmal hören.Vielleicht hätten wir uns friedlich einigen können.

Wir beenden also zuerst die Debatte. Der Kollege Greilich und der Herr Minister werden noch das Wort erhalten. Anschließend können wir mit der Geschäftsordnung anfangen. – Herr Greilich, bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Anlass, nicht Gegenstand für diese Aktuelle Stunde war die Vorlage des Verfassungsschutzberichts. Anlass war es insofern, als wir sehen müssen, welche wesentlichen neuen Erkenntnisse sich aus diesem Verfassungsschutzbericht ergeben.

Dabei gewinnen wir am Rande die Erkenntnis – das will ich hier noch einmal bestätigen –, dass wir nach wie vor Probleme mit rechter Gewalt haben. Darüber haben wir oft genug diskutiert. Im Ausschuss werden wir sicherlich noch weiter darüber diskutieren.Wir haben da noch einiges zu tun. Aber eines ist, glaube ich, unbestritten: Die

Landesregierung und die Mehrheit in diesem Haus sind alles andere als auf dem rechten Auge blind.

(Beifall bei der FDP)

Eine Anmerkung am Rande sei mir gestattet – das wurde schon von anderen Rednern hervorgehoben –: In der Tat hat die NPD an Einfluss verloren. Es wird dadurch schwieriger, die rechte Szene zu beobachten und unter Kontrolle zu halten. Ich erinnere daran, dass Sie ein NPDVerbot gefordert haben. Das ist ein sinnloses Instrument.

Heute geht es aber darum: Wir sind auch auf dem linken Auge nicht blind. – Da ist eines festzuhalten. Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis aus diesem Verfassungsschutzbericht. Wir haben in Hessen jetzt eine linksradikale Szene mit insgesamt ca.4.900 Extremisten.Zum Vergleich darf ich bemerken, dass es 2.100 Rechtsextremisten gibt. Das ändert nichts an dem Problem des Rechtsextremismus.Aber darauf sollte man ein Augenmerk werfen.

Herr Al-Wazir, auch Sie sollten das zur Kenntnis nehmen: Wir haben auf der linken Seite eine Entwicklung in diesem Land, die schlichtweg besorgniserregend ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU)