Protocol of the Session on April 28, 2010

Es ist eben ein fundamentaler Unterschied zwischen uns im Verständnis des Verhältnisses von Bürger und Staat. Herr Kollege Schäfer-Gümbel, Ihr Staats- und Gesellschaftsverständnis und damit eben auch Ihr Politikverständnis sind geprägt von tiefem Misstrauen des Staates gegenüber dem Bürger. Es ist für Sie einfach nicht einsehbar, dass wir in die Bereitschaft, in den Willen und in die Fähigkeit des Einzelnen Vertrauen setzen können und sollen, für sich, sein Umfeld und seinen Nächsten in eigener Verantwortung selbst Sorge zu tragen, wenn wir ihm dazu nur den Handlungsspielraum lassen. Das ist offensichtlich für Sie nicht verständlich.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Sie propagieren den starken Staat, was Sie aber wirklich meinen, ist: der bevormundende, der entmündigende Staat. Dieser Botschaft werden wir an jeder Stelle und deswegen auch heute wieder gern entgegentreten.

(Beifall bei der FDP – Petra Fuhrmann (SPD): Soll das eine Finanzdebatte sein?)

Wir vertrauen auf die Verantwortungs- und Gestaltungskraft des Einzelnen.Wir setzen darauf, dass die Menschen selbst in der Lage sind, ihr Leben zu gestalten und ihr Schicksal in die Hand zu nehmen, wenn wir es als Staat nur zulassen. Das ist eben der fundamentale Unterschied, der auch in der Steuerdebatte immer wieder deutlich wird.

Die Notwendigkeit einer großen Steuerreform, sowohl was die Frage eines einfachen als auch eines niedrigeren Steuerrechts angeht, ist doch eigentlich unbestritten. Dieser Steuerstaat lenkt den Bürger in einem Maße, wie es nicht mehr vertretbar ist.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Oje! – Petra Fuhrmann (SPD): Das ist peinlich!)

Wir steuern die Entscheidungen des Einzelnen durch vielfältige Formen von Privilegierungen in unserem Steuerrecht, ohne dass es dafür eigentlich eine Notwendigkeit gibt.Wir privilegieren Investitionen in Film- oder Schiffsfonds; wir bringen Menschen dazu, sich an Gesellschaften zu beteiligen, ohne dass sie ein Interesse daran haben, welches Produkt diese Gesellschaft überhaupt vertreibt, wer die Mitgesellschafter sind, oder dass sie sich überhaupt für die Produktionsstätten dieses Unternehmens interessieren – einfach nur, weil sie glauben, durch einen steuerlichen Verlust, daraus einen Vorteil ziehen zu können.

(Beifall bei der FDP)

Wir entscheiden mit unserem Steuerstaat darüber, ob die kaputte Waschmaschine zu Hause im Keller oder beim Handwerksmeister in der Fachwerkstatt repariert wird, weil das eine steuerlich absetzbar ist und das andere nicht. Diese Allgegenwart des Staates, auch im deutschen Steuerrecht, wollen wir nicht haben. Deswegen brauchen wir eine große Steuerreform, die nicht nur das Steuerrecht einfacher, sondern eben auch die Steuersätze niedriger macht. Das unterscheidet uns fundamental von Ihnen.

(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Petra Fuhr- mann (SPD))

Wenn wir nicht schon genug Belege dafür hätten, dass unser Steuerrecht zu kompliziert ist, so darf an der Stelle der

Hinweis auf einen jüngst ergangenen und öffentlich gewordenen Steuerbescheid nicht fehlen. Ich darf aus den Erläuterungen der Finanzbehörde kurz zitieren:

Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung wird dazu geraten, Einspruch gegen diesen Bescheid einzulegen und gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung zu beantragen.

Und, so fügt das Finanzamt hinzu:

Bitte fügen Sie dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eine Ermittlung der auszusetzenden Beträge bei, da vonseiten des Finanzamts zurzeit auch insoweit noch keine Berechnungsmöglichkeit besteht.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So ein Parlamentskrakeeler, den wir hier haben!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Steuerrecht, das nicht einmal mehr von der Finanzverwaltung administrabel und administrierbar ist, hat seine Legitimation und Autorität verloren. Deswegen brauchen wir eine Steuerreform.

(Beifall bei der FDP – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): War das jetzt ein Hinweis auf den Fall Wolski?)

Aber es geht eben nicht nur – insoweit sind wir für die Vorschläge des Finanzministers Karlheinz Weimar sehr dankbar und haben diese auch gern unterstützt – um eine Steuervereinfachung, sondern es geht auch um eine steuerliche Entlastung. Es geht auch um die Entlastung derjenigen, die den Karren ziehen, die jeden Morgen aufstehen und zur Arbeit gehen, weil wir wollen, dass sich Leistung lohnt.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ach ja, wie ist es jetzt mit dem Mindestlohn?)

Ihre Reaktion zeigt, dass das für Sie offensichtlich nicht akzeptabel ist. Ich sage: Leistung muss sich lohnen, und das muss in diesem Land auch noch einmal gesagt sein dürfen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zuruf von der SPD: Und alles andere ist Sozia- lismus!)

Wir brauchen diese Steuerentlastung nicht trotz der Wirtschaftskrise, sondern gerade wegen der Wirtschaftskrise. Wie wollen wir denn von dem Einzelnen die Leistung abverlangen, die notwendig ist, um diese Volkswirtschaft wieder auf Kurs zu bringen, wenn von jeder Überstunde und von jeder Gehaltserhöhung schon im mittleren Einkommensbereich 52 Cent eines jeden Euros an den Staat abgeführt werden müssen? So kriegen wir dieses Problem nicht in den Griff.Deswegen brauchen wir an dieser Stelle eine Entlastung.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So ein Stuss! – Wortmeldung der Abg. Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Nein, Frau Kollegin Erfurth, ich gestatte keine Zwischenfrage. Frau Kollegin Erfurth, ich diskutiere hier gerade mit dem Oppositionsführer. Da spielen Sie bedauerlicherweise keine Rolle. Wenn ich mich mit dem gewissenspolitischen Arbeitskreis der Opposition auseinandersetzen will, dann wende ich mich an die GRÜNEN. Heute diskutieren wir gemeinsam mit der SPD ein durchaus ernst zu nehmendes Thema.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wir brauchen, auch um an dieser Stelle wieder zu vernünftigen volkswirtschaftlichen Ergebnissen zu kommen, für die Menschen in der Mitte der Gesellschaft diese Entlastung dringend, weil wir es nicht zulassen können, dass diejenigen,die arbeiten und das erwirtschaften,was wir an anderer Stelle ausgeben, und die wir für die Aufrechterhaltung der Struktur unserer sozialen Sicherungssysteme brauchen, immer mehr belastet werden.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Herr Blum, Mindestlöhne!)

Ja, es ist richtig, starke Schultern können mehr tragen als schwache. Dem entspricht auch das Stufenkonzept der FDP.

(Beifall bei der FDP)

Aber wenn Sie die Schultern, die die Last zu tragen haben, immer weiter belasten, dann werden irgendwann auch diese Schultern zusammenbrechen. Damit ist weder diesem Staat noch denen, die zu Recht einen Anspruch auf die solidarische Hilfe der Gemeinschaft haben, geholfen.

Deswegen brauchen wir eine Steuerreform.Wir brauchen sie niedrig, wir brauchen sie einfach, und wir brauchen sie gerecht,weil das der richtige Ansatz ist,um dieses Land zu erneuern und aus seiner Krise herauszuführen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Danke sehr, Herr Blum. – Jetzt liegen zwei Meldungen zu einer Kurzintervention vor, zunächst Herr Kaufmann für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, anschließend Herr Kollege Kahl für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Blum, im Arroganzwettbewerb erreichen Sie immer noch nur den zweiten Platz hinter Ihrem Fraktionsvorsitzenden, auch wenn Sie sich noch so viel Mühe geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sollten aber durchaus genauer auf das schauen, was Sie hier gesagt haben, Herr Kollege. Sie haben eingangs das Schröder-Zitat von 1999 gebracht. Darf ich Sie darauf hinweisen, dass die Kollegin Erfurth Ihnen vorhin sehr deutlich gesagt hat, dass die rot-grüne Koalition den Eingangssteuersatz von 22,9 auf 15 % gesenkt hat? Das heißt, der Ankündigung folgten Taten,

(Zuruf des Abg.Wolfgang Greilich (FDP))

während die Ankündigungen der FDP bekanntermaßen vom Gegenteil von Taten oder von Taten in die falsche Richtung begleitet sind.

Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben seit Einführung der Mehrwertsteuer in diesem Land sieben Mehrwertsteuererhöhungen gehabt. Davon war bei sechs Steuererhöhungen die FDP dabei. Nur beim letzten Mal war sie nicht dabei, und da hat sie sich entsprechend auf

geplustert.Aber das lag schlicht daran,dass die Große Koalition das so beschlossen hat.

Meine Damen und Herren, verehrter Herr Blum, auch nicht zu vergessen ist, dass der hohe Eingangssteuersatz von 22,9 % unter der Regierungsverantwortung der FDP entstanden war.Von daher ist ganz deutlich,Sie reden von Steuerentlastungen, haben aber bisher immer das Gegenteil gemacht.

Wenn Sie hier das Hohelied der geringeren Kompliziertheit, der Vereinfachung singen, dann kommen wir einfach auf das Mövenpick-Beispiel zu sprechen. Ein besseres Beispiel der zusätzlichen Verkomplizierung kann man eigentlich nicht mehr geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das lag bekanntlich an Ihnen, dass erst alles auseinandergenommen wird, nur damit die Hoteliers – eine so vernachlässigte und förderungswürdige Gruppe in unserer Gesellschaft – jetzt mehr Geld einstecken können. Denn mir ist nicht bekannt geworden,

(Zuruf des Abg.Wolfgang Greilich (FDP))

dass die Übernachtungskosten in den Hotels auf breiter Front verringert wurden – nur der Steuersatz, und das haben Sie veranlasst. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Das Wort hat Herr Abg. Kahl.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Jetzt habe ich schon eine Reihe von Debatten von Ihrer Seite zur Frage der Steuerreform und Finanzpolitik gehört. Es kommt nichts Neues. Das Einzige, was neu war, war Ihre Auslassung zur Sonnenbrille. Mehr Neues war nicht dabei.