Protocol of the Session on March 4, 2009

Wenn wir uns anschauen, wie sich die Einkommensverhältnisse in Deutschland in den letzten Jahren entwickelt haben, dann sieht man, dass der Durchschnittsverdienst kontinuierlich sinkt. Besonders erschreckend ist: Armut trotz Arbeit nimmt zu. Die Zahl der Erwerbstätigen mit Niedriglohn wächst in Deutschland wie in keinem anderen Land. Fast 2 Millionen Menschen bekommen weniger als 5 c die Stunde. Aber finden Sie einmal in den etwas besseren Stadtvierteln einen Babysitter für solche Beträge. Da wird klar, über was für einen absurden Zustand wir reden. Ein Mindestlohn ist nötiger denn je.

(Beifall des Abg.Torsten Warnecke (SPD) – Janine Wissler (DIE LINKE): Warum machen Sie ihn nicht? Sie sind doch in der Bundesregierung!)

Wir haben keinen ausreichenden Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit. Auch da gibt es noch eine Menge zu tun. Wenn wir uns das in Hessen angucken, dann wird deutlich, warum ein solcher regionaler Bericht notwendig ist. Der Einkommensunterschied zwischen Kommunen in Hessen beträgt bis zum Vierfachen zwischen Heringen und Königstein im Taunus.Auch das ist etwas, was man in der regionalen Aufteilung in Hessen sehr genau wissen möchte.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Parallelgesellschaft!)

Natürlich ist Armut nicht nur Einkommensarmut. Armut ist vor allem auch ein Problem der Teilhabe und der Lebenschancen. Armut macht krank. Arme Menschen sterben früher. Armut verhindert Lebenschancen und erschwert soziale Integration. Sie nimmt Bildungschancen und erschwert jede Form der gesellschaftlichen Partizipation. Die Erfahrung, nicht an den Gütern und am Wohlstand der Gesellschaft beteiligt zu sein,hat lähmende Wirkung. Die Ungewissheit über die eigene Zukunft, der Verlust eines Mindestmaßes an Hoffnung führen zu Demoralisierung und Demotivation, die es erst recht unmöglich machen, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen.

Meine Damen und Herren, deshalb ist das eine dringende Aufgabe. Lassen Sie mich die Armutsdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zitieren:

Weit mehr als in ärmeren Gesellschaften kann es keine Entschuldigung geben für politische Zögerlichkeit oder eine mangelnde Bereitstellung von

Ressourcen und Bildung zur Vermeidung von Armut und zur Stärkung von Solidarität.

Meine Damen und Herren, da haben die evangelischen Kirchen in Deutschland recht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wer allerdings über Armut redet, der darf über Reichtum nicht schweigen. Denn auch wenn Armut mehr ist als nur Armut an Einkommen, so gibt es gegen Armut dennoch zunächst einmal ein probates Mittel. Man nennt es Geld. Man nimmt es von dort, wo zu viel davon ist, und gibt es denen, die zu wenig haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie mich noch einmal zitieren:

Nicht nur Armut, auch Reichtum muss ein Thema der politischen Debatte sein. Umverteilung ist gegenwärtig häufig Umverteilung des Mangels,weil der Überfluss auf der anderen Seite geschont wird.

Das ist das Gemeinsame Wort „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ des Rates der Evangelischen Kirche und der Deutschen Bischofskonferenz. Meine Damen und Herren, ja, die Kirchen haben an dieser Stelle recht.

Während die untersten 50 % der Haushalte gerade einmal 4 % des Immobilien- und Geldvermögens besitzen, gehören den obersten 20 % zwei Drittel davon. 1,4 % der Haushalte besitzen 80 % der Unternehmen.Die reichsten 5 % der Selbstständigen haben, man höre und staune, das 283-Fache des Einkommensanteils der ärmsten 5 % der Selbstständigen.

Lassen Sie mich noch ein Zitat bringen. Daran wird deutlich,dass wir ein bisschen weiter gehen müssen,als wir das tun.

Der Landanteil jedes Bürgers muss so groß sein, dass es einem bescheidenen Haushalt eben genügt, und die Gesamtzahl der Teile muss so groß sein, dass deren Besitzer miteinander ein genügend starkes Heer bilden können, um jeden Angriff abzuweisen …

Die Grenze des Reichtums für die oberste Klasse, welche nicht überschritten werden darf, soll der vierfache Wert des Landanteils eines Bürgers sein; die Grenze der Armut nach unten bildet eben dessen Wert selbst, der ja nicht verringert werden darf. Wer auf irgendwelche Weise mehr erwirbt, als innerhalb der bezeichneten Grenze liegt, hat den Überschuss dem Staat zu übergeben.

Das ist nicht Fidel Castro oder Hugo Chávez,

(Janine Wissler (DIE LINKE):Aber auch nicht die SPD!)

das ist Plato. Manchmal hilft der Blick in die klassische Antike sogar bei der Frage der Managergehälter.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir sehen den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf im Ausschuss mit Interesse entgegen, auch wenn – die Bemerkung sei zum Schluss gestattet – wir nicht unbedingt ein Gesetz für einen Armuts- und Reichtumsbericht brauchen. Wir brauchen vor allem den Bericht, und worauf es ankommt, ist, dass wir in Hessen erfolgreich Armut beseitigen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Spies. – Herr Rock, Sie haben jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Armuts- und Reichtumsbericht zum Zweiten, zumindest für mich. Ich habe gehört, andere diskutieren das hier schon länger. Wir haben vor fast einem Jahr, am 14. Mai 2008, diese Debatte in diesem Hause schon einmal geführt.Wir haben die Argumente ausgetauscht.Es haben fast die gleichen Leute zum Thema gesprochen. Ich glaube, daher ist nicht wirklich viel hinzuzufügen. Dieselben Leute, dasselbe Thema, dasselbe Problem, dieselben Argumente.

(Petra Fuhrmann (SPD): Es gab eine Anhörung!)

Einen Unterschied gibt es aber: dass die Fraktion der LINKEN einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht hat, einen eigenständigen Gesetzentwurf zu diesem Thema. Die GRÜNEN waren ein bisschen schneller wie bei vielen Ihrer Themen.Aber bei Ihrem Gesetzentwurf möchte ich gerne einen oder zwei Punkte herausheben.

Sie bezeichnen die „öffentliche Armut“ als Berichtsthema.Das ist ein Themenkomplex,der mir bei allem,was ich zur Armuts- und Reichtumsberichterstattung schon gehört habe, noch nicht untergekommen ist.

(Zuruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Das ist bei diesem Thema auch nicht zielgerichtet.Mit diesem Thema gehen Sie völlig an dem vorbei, was wir zur Bekämpfung der Armut brauchen.

(Zuruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Mit „öffentlicher Armut“ meinen Sie die Armut der öffentlichen Hand, die Leere in den öffentlichen Kassen. Die Kassen speisen sich aus den Zahlungen der Bürgerinnen und Bürger. Diese Debatte zu führen, halten wir Liberale für eine einzige Katastrophe. Da sind Sie auf dem falschen Weg.

(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Janine Wiss- ler (DIE LINKE))

Wenn die Rednerin Ihrer Fraktion hier vorne sagt, gute Sozialpolitik sei erst mit einer Armuts- und Reichtumsberichterstattung möglich, dann möchte ich wissen, was die Sozialpolitiker in diesem Lande 40 Jahre ohne diese Sozialberichterstattung gemacht haben. Sie sind auf dem völlig falschen Weg. 1998 wurde diese Form der Berichterstattung initiiert. Das ist ein Weg, den man geht, um die Wirkgenauigkeit der Sozialpolitik zu verbessern, aber es hat sehr wohl schon früher gute Sozialpolitik in diesem Lande gegeben. Auch das muss an dieser Stelle gesagt werden.

(Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD – Willi van Ooyen (DIE LINKE): 1992 ist der erste Armutsbericht in Frankfurt vorgelegt worden!)

Eines kann ich an der Stelle schon erklären, nämlich warum die SPD keinen eigenen Gesetzentwurf zu diesem Thema eingebracht hat. Der dritte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung offenbart nämlich die Fehler und Schwächen der letzten zehn Jahre sozialdemokratischer Politik in Berlin.

(Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD)

Ihr ununterbrochener Kampf gegen die Mittelschicht in Deutschland und damit gegen diejenigen, die Staat und Gesellschaft tragen, hat Wirkung gezeigt. Der Armutsund Reichtumsbericht macht eines deutlich: Die Mittelschicht in Deutschland schrumpft. Das ist in den zehn Jahren passiert, in denen Sie in Berlin Verantwortung trugen. Das müssen Sie sich klar sagen lassen.

(Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD)

Die Mittelschicht schrumpft. Das ist nun einmal so. Viele Menschen, die der Mittelschicht angehören, haben Angst vor einem sozialen Abstieg.

Herr Rock, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. – Es ist nicht nur Auffassung der FDP, dass Sie die Verantwortung dafür tragen. Liebe Kollegen von der SPD, Sie können auch an den Wahlergebnissen sehr deutlich ablesen, dass Sie in der Sozialpolitik in den letzten zehn Jahren nachhaltig versagt haben.

(Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD)

Liebe Kollegen der SPD,wenn Sie hier die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt anprangern, dann muss ich Ihnen sagen:Sie haben mit den sogenannten Hartz-Gesetzen genau das gewollt und haben das umgesetzt, was Sie heute hier bekämpfen. Sie sind der Verursacher dieser Situation und tun jetzt so, als hätten Sie damit nichts zu tun.

(Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD)

Die Bürgerinnen und Bürger haben erkannt, wer die Verantwortung trägt. Das können Sie tagtäglich feststellen.

(Dr.Thomas Spies (SPD): Richtig, wir haben in den letzten Jahren für einen massiven Abbau der Arbeitslosigkeit gesorgt! – Weitere Zurufe von der SPD)

Das haben Sie hier nicht gesagt. – In der Antike waren Armut und Reichtum klassische Themen für Diskussionen unter Philosophen. Die haben darüber Hunderte von Seiten geschrieben. Im 21. Jahrhundert sind Armut und Reichtum vor allem Themen der EU. Die kommt natürlich ganz leicht auf ein paar Tausend Seiten – natürlich streng wissenschaftlich und immer gut vergleichbar.

(Heiterkeit bei der FDP)