Protocol of the Session on March 4, 2009

Natürlich geben sie diese Fremdheit, mit der sie hierher geschickt werden und hier leben, den ihnen anvertrauten Kindern weiter. Das heißt, sie arbeiten – absichtlich oder ungewollt – gegen jede Integration dieser Kinder. Unser Staat hat keinen Einfluss auf die Inhalte des Unterrichts und ihre Auslegung, und er kann sie nicht einmal kontrollieren. Ich habe größte Bedenken, ob die Religionsvermittlung dort immer im Geiste der Aufklärung und nach

europäischen Werten geschieht. Da dies aber der einzige Ort ist, wo diese Kinder ihre Religion kennenlernen, glauben sie natürlich alles, was man ihnen da erklärt; sie können es ja nicht kritisch hinterfragen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Dies wollen wir versuchen zu ändern. Wir wollen diese Schülerinnen und Schüler nicht den unkontrollierten Hinterhof-Koranschulen überlassen. Ich weiß sehr wohl, dass der Staat keine Koranschule einfach schließen kann, solange er nicht beweisen kann, dass sie gegen die Verfassung verstößt. Dennoch bin ich der festen Meinung, dass die Kinder, die in unseren Schule ein aufgeklärtes, modernes, verbindendes Religionsverständnis des Islam kennenlernen, der Lehre der trennenden Religionsgrundsätze mancher Koranschulen sehr viel kritischer und selbstbewusster gegenübertreten können.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Jawohl!)

Ein ordentliches Unterrichtsfach für die Kinder muslimischen Glaubens ist somit ein außerordentlich wichtiger Schritt zur Integration in die deutsche Gesellschaft und in die deutsche Kultur.

(Beifall bei der CDU,der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Unterrichtsfach sollen Toleranz und Offenheit gefördert und auch bestimmte Themen angesprochen werden, die in Koranschulen tabu sind, wie z. B. das Dogma der Familienehre und daraus folgend die Zwangsverheiratung junger Frauen, die es auch in Deutschland immer noch gibt.

Das Grundgesetz und die Verfassung des Landes Hessen tragen diesem Anliegen Rechnung. Nach ihrem Willen ist der Religionsunterricht eine garantierte, damit selbstverständliche Aufgabe des Staates und seiner Schulen.Weder das Grundgesetz noch die Verfassung des Landes Hessen lässt zu, dass der Staat Unterscheidungen zwischen den Religionsgemeinschaften trifft und einige von ihnen bei der Einrichtung von Religionsunterricht bevorzugt oder andere ausschließt.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

Wir sollten uns auch einmal die Realität an Hessens Schulen ansehen. In unserem Land und in unseren Schulen wird bereits adventistischer, alt-katholischer, freireligiöser, griechisch-orthodoxer, jüdischer, syrisch-orthodoxer und unitarischer Religionsunterricht erteilt. Ein Antrag der Aleviten auf Erteilung eigenen Religionsunterrichts liegt vor. Er ist auch geprüft, und nach allen rechtlichen Prüfungen ist er zu bewilligen.Wir haben also bereits sehr vielfältigen und auch muslimischen Religionsunterricht an unseren Schulen.

Der Koalitionsvertrag spricht nun von der Prüfung der Möglichkeit eines übergreifenden islamischen Religionsunterrichts für alle Kinder. Genau diesen Auftrag möchte ich umsetzen.

(Beifall bei der CDU,der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist natürlich nicht das Wichtigste all der Themen in der Schulpolitik. Aber es ist ein Thema aus der Koalitionsvereinbarung.Die Reaktionen der Menschen in Hessen belegen das Interesse an diesem Thema. Das belegt auch dessen Aktualität. Das belegt auch die Bedeutung dieses Themas für unsere Gesellschaft.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich sage jetzt als Mutter von Kindern und Katholikin ganz persönlich: Das Thema Religionsunterricht liegt mir sehr am Herzen. – Ich meine:Alle Menschen haben das Recht, an einen Gott zu glauben. Er heißt in den verschiedenen Weltreligionen anders. Trotz allem handelt es sich um einen Gott.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Besonders Kinder benötigen diesen Glauben. Sie benötigen das Vertrauen in ein höheres, mächtiges Wesen, mit dem man immer sprechen kann, das immer zuhört, das wirklich immer Zeit hat und zu dem man auch kleinste Probleme tragen kann. Allein der Glaube und das Gebet an einen Gott, unabhängig davon, welchen Namen er hat, spenden Kindern Trost. Das gilt für Kinder jeder Herkunft. Deshalb haben sie ein Recht auf Religion, ein Recht auf Glauben und ein Recht darauf, darin unterwiesen zu werden.

Für Kinder und Jugendliche ist daher ein persönliches, in den Wurzeln ihrer Herkunft verankertes, Glaubensbekenntnis zur Entwicklung einer selbstbewussten und starken Persönlichkeit unheimlich wichtig. Wir legen viele Programme auf, bei denen es darum geht, wie wir die Kinder stark machen. Da aber verweigern wir ihnen die Hilfe.

Um diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen, plant das Kultusministerium in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Integration, allen muslimischen Religionsgemeinschaften das Angebot zu unterbreiten, an einem runden Tisch teilzunehmen, um zu besprechen, welche Gemeinsamkeiten es gibt und was es an Trennendem gibt. Hier sollen die Grundlagen der Übereinstimmung in den verschiedenen muslimischen Glaubensrichtungen geklärt und die Möglichkeiten eines gemeinsamen Lehrplans erörtert werden.

Daraus folgt dann die Frage, wie eine qualifizierte universitäre Aus- und Weiterbildung für Lehrkräfte an einer hessischen Universität erfolgen kann.Voraussetzung dafür ist selbstverständlich, dass ein islamischer Religionsunterricht in deutscher Sprache, unter deutscher Schulaufsicht und mit deutschem Lehrplan stattfindet und dass die Ausbildung der Lehrkräfte von deutschen Behörden überprüft wird.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich bin mir sehr wohl darüber im Klaren, dass es schwierig werden wird,einen oder mehrere Ansprechpartner auf der Seite des muslimischen Glaubens zu finden. Sie sind sehr unterschiedlich. Sie sind sich auch nicht immer gut gesonnen.

Trotzdem halte ich es für den einzigen gangbaren Weg, Vertreter aller islamischen Religionsgemeinschaften an einen Tisch zu holen und mit ihnen in einen intensiven Dialog über die Einführung eines islamischen Religionsunterrichtes zu treten. Nur auf diese Weise können wir dem in dieser Koalitionsvereinbarung festgeschriebenen Prüfauftrag gerecht werden. Wir werden an diesem runden Tisch in einen ergebnisoffenen Dialog eintreten, der zur Bedingung hat, dass alle Gesprächspartner aufeinander zugehen und sie für das Land ein verlässlicher Ansprechpartner werden.

Ob aus diesem offenen Dialog ein Modellversuch wird oder ob es uns vielleicht tatsächlich gelingt, einen legiti

mierten Ansprechpartner zu finden, ist offen. Auf jeden Fall werden wir nicht die Hessische Verfassung brechen, indem wir mit irgendwem Religionsunterricht vereinbaren, der kein legitimierter Ansprechpartner ist.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Andere Bundesländer sind uns bei diesem Religionsunterricht sehr weit voraus. Es wurden schon etliche Beispiele genannt. Das reicht über Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz, Schleswig-Holstein bis hin zu Thüringen und natürlich Niedersachsen. Dort wurden verschiedene Wege eingeschlagen. Es gibt dort verschiedene Versuche, die wir uns natürlich alle ansehen werden.

Ich hoffe sehr und bin zuversichtlich, dass wir in Hessen ebenfalls ein angemessenes Angebot für muslimische Schülerinnen und Schüler auf den Weg bringen können. Unterstützung für die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts kommt von beiden christlichen Kirchen. Sie haben beide gesagt, das sei eine Forderung, die sie seit Langem erhöben.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns bitte in Zeiten wie diesen ein Grundrecht aller Kinder und Jugendlichen dieses Landes,nämlich den Anspruch auf Unterricht in ihrer jeweils eigenen Religion in unseren Schulen unter unserer Aufsicht und in unserer Sprache, nicht zum Spielball ideologischer Grundeinstellungen machen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Ministerin, ich darf Sie darauf hinweisen, dass die für die Fraktionen vorgesehene Redezeit abgelaufen ist.

Wir sollten alle zusammen einen großen Schritt in Richtung Verständnis für den Glauben anderer Menschen tun. Vielleicht entdecken wir dabei viel mehr Gemeinsames, als wir heute noch meinen.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Einige wenige Sätze möchte ich noch zu dem Schulbesuch der Kinder ohne legalen Aufenthaltsstatus sagen. Wir haben dazu in der letzten Legislaturperiode einen Antrag verabschiedet, der einen Auftrag an die Regierung enthielt.

Wir werden jetzt kurzfristig eine Arbeitsgruppe mit dem Innenministerium und dem Justizministerium einrichten, um einen Weg zu finden,wie man das angesichts des Spannungsverhältnisses zwischen dem Recht der Kinder auf Bildung und dem Gesetz, wonach es sich um einen illegalen Aufenthalt handelt, austarieren kann. Wir wollen sehen, wie man das machen kann. Alle Kinder haben ein Recht auf Bildung, auch wenn sie hier keinen legalen Aufenthaltsstatus haben. Sie sind nicht daran schuld, dass ihre Eltern keinen legalen Aufenthaltsstatus haben.

(Beifall bei der FDP, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich bin mir sicher, dass wir in Hessen in beiden Fragen, nämlich der Beschulung illegal hier lebender Kinder und

der religiösen Unterweisung muslimischer Schülerinnen und Schüler, Lösungen zugunsten dieser jungen Menschen finden können. Hessen wird diesen Aufgaben als weltoffenes und tolerantes Land – das sind wir, und darauf bin ich auch stolz – gerecht werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Staatsministerin Henzler, vielen Dank. – Die Aussprache darf jetzt weitergehen. Herr Merz, Sie haben sich für die SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Sie haben fünf Minuten Redezeit.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben vollkommen recht. Die Frage nach der Einführung des islamischen Religionsunterrichtes sollte nicht zum Spielball ideologischer Auseinandersetzungen gemacht werden. Ich hatte aber in den Wortbeiträgen der Kollegin Öztürk und von mir auch keinen Funken einer ideologischen Auseinandersetzung bemerkt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf)

Herr Kollege Greilich,ich habe auch keinen Versuch bemerkt, irgendwo einen Keil dazwischenzutreiben. Herr Kollege Greilich, der Einzige, der in dieser Debatte, insbesondere durch seine Tonlage,versucht hat,Keile zu treiben, waren Sie.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben das mit der mittlerweile sattsam bekannten Art gemacht, mit der Sie hier immer auftreten.

Über weite Strecken bestand Konsens. Es bestand z. B. hinsichtlich der Frage der Suche nach einem Ansprechpartner Konsens. Ich habe ausdrücklich gesagt, dass es sinnvoll und nützlich ist und dass jeder Versuch gemacht werden soll und gemacht werden muss, kontinuierliche, verlässliche und landesweite Partnerinnen und Partner für die dauerhafte Einführung eines islamischen Religionsunterrichts zu finden. Das muss zumindest das mittel- und langfristige Ziel sein und bleiben. Das habe ich gesagt. Da gibt es auch nicht zurückzunehmen. Daran kann auch niemand herumdeuten.

Aber hinsichtlich der Frage,wie man dahin kommt,zeigen uns doch die anderen Länder, nämlich Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz, dass man unterschiedliche Wege gehen kann. Deswegen ist doch die Frage, ob man einen Modellversuch einführt, nicht eine, die am Ende der Prüfung stehen muss.Vielmehr kann das durchaus am Anfang stehen.

Die in diesen Ländern gemachten Erfahrungen, insbesondere in Bayern und Baden-Württemberg, meiner Kenntnis nach aber auch in Rheinland-Pfalz, zeigen, dass man bei gleicher verfassungsrechtlicher Ausgangslage sehr unkonventionell sehr unterschiedliche Lösungen auch für örtlich begrenzte Modelle finden kann. Das ist so.

Es ist die Frage,warum ausgerechnet wir in Hessen diesen Weg, der woanders, übrigens auch in von der CDU oder der CSU regierten Ländern – Gott sei es geklagt –, gegangen wird, nicht gehen können. Ich sagte es bereits: Das gilt bei gleicher Ausgangslage.

Ich möchte eine weitere Bemerkung machen, Frau Ministerin, denn auch das haben Sie angesprochen. Ich glaube, dass das die falsche Perspektive ist. Ich will das wiederholen und auch als Replik auf den Kollegen Bauer sagen, weil er die Pressemeldung des geschätzten Exkollegen Turgut Yüksel – für mich ist er immer noch ein Kollege – angesprochen hat. Turgut Yüksel und ich sind in dieser Frage unterschiedlicher Auffassung, weil wir unterschiedliche Perspektiven einnehmen. Das haben wir ausgetragen. Das werden wir auch weiterhin ganz ruhig und ganz solidarisch tun. Auch wir sind bei diesen Fragen in der Lage, Mehrheiten zu bilden und Entscheidungen zu fällen.