Protocol of the Session on January 27, 2010

Er unterschrieb einen Vertrag bei einer Leiharbeitsfirma, die ihn in die Verwaltung eines Großunternehmens schickte. „Ich hab da zwar nur 9 c brutto die Stunde bekommen, halb so viel wie meine Kollegen. Aber ich war trotzdem begeistert. Ich hab mich reingehängt. Überstunden gemacht, mich von der allerbesten Seite gezeigt. Mein Vorgesetzter war zufrieden mit mir... Die Leute bei der Leiharbeitsfirma waren zufrieden.“ Alle hätten ihm signalisiert, dass er bald auf eine feste, regulär bezahlte Stelle übernommen werden könnte. „Dann, nach fast drei Monaten, an einem Freitagmittag, hat mich der Chef zu sich geholt“... „Sie brauchen am Montag nicht mehr zu kommen, wir benötigen Sie nicht mehr“... „Es war wie ein Schlag in den Ma

gen. Ich hatte wirklich geglaubt, dass sie mich übernehmen wollen.“ Er habe sich dann umgehört, mit vielen Kollegen gesprochen und erfahren, dass das immer so laufe. „Die bestellen immer Leiharbeiter für zwei, drei Monate, melden sie dann wieder ab, und dann kommt der nächste. Und ich hatte wirklich geglaubt, dass ich mich nur bewähren muss und dann eine echte Chance habe.“ Am Montag sei er gleich zu seiner Leiharbeitsfirma gegangen... Schließlich hatte er dort einen unbefristeten Vertrag unterschrieben. „Die haben mir aber sofort gekündigt. In dem Vertrag war eine Klausel, die besagt, dass sie mich nur beschäftigen, solange das große Unternehmen mich anfragt.“

So sehen also die Erfahrungen eines Betroffenen aus. Ich habe das hier deshalb zitieren, damit in dieser Debatte auch ein Leiharbeiter zu Wort kommt. So viel zu den viel beschworenen Klebeeffekten, wonach Menschen durch Leiharbeit irgendwann in einem Betrieb eine reguläre Beschäftigung finden.

Die Leiharbeit erfüllt für die Unternehmen durchaus einen Zweck, wie ein Firmenchef nur einige Seiten weiter im Buch sehr offen ausführt. Ich darf zitieren:

„Erst einmal können wir die Leiharbeiter testen, und zwar monatelang. Wer uns nicht gefällt, den können wir zurückgeben. Und wenn mal einer krank wird, Urlaub hat oder sonst wie ausfällt, brauchen wir ihn nicht zu bezahlen. Ist natürlich ein schöner Vorteil unsererseits.“

Meine Damen und Herren, warum sollen denn Leiharbeiter in reguläre Beschäftigung übernommen werden, wenn man gerade Teile der Stammbelegschaft in die Leiharbeit ausgliedert, um genau diese Vorteile zu bekommen? Der einzige Klebeeffekt, der sich im Bereich der Zeitarbeit einstellt, ist der Profit, der bei den Zeitarbeitsfirmen in dem Zusammenhang kleben bleibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie die Landesregierung in der Antwort richtigerweise schreibt, sind es die Leiharbeiter, die im Zuge der Krise als Erste gefeuert werden. So erklärt sich auch der statistische Rückgang der Zahl der Leiharbeiter in den letzten Monaten. Jahrelang wurde vom „atmenden Arbeitsmarkt“ gesprochen. In der Krise hat sich gezeigt, wie das tiefe Ausschnaufen eines deregulierten Arbeitsmarktes Tausenden Menschen die Existenz raubt.

Auch wenn die Leiharbeit in Hessen, wie wir der Antwort auf die Große Anfrage entnehmen können, nur knapp 2 % der Erwerbstätigen betrifft, sind das immerhin 60.000 Menschen und ihre Familien. Jeder Achte von ihnen ist zusätzlich auf Hartz IV angewiesen.

Frau Kollegin Wissler, Sie müssten langsam zum Schluss kommen.

Herr Präsident, ich dachte, ich hätte noch drei Minuten Redezeit.

(Petra Fuhrmann (SPD): Er hat uns allen die Redezeit gekürzt, auch mir!)

Frau Kollegen Wissler, wir hatten vereinbart, dass wir alle in bisschen zugeben,weil wir die Sitzung um 16:55 Uhr beenden wollen.

Wenn SPD und GRÜNE die Auswüchse der Leiharbeit und von Niedriglöhnen beklagen, möchte ich darauf hinweisen, dass es eine rot-grüne Regierung war, die die Hartz-Gesetzgebung – nicht nur Hartz IV, sondern auch schon Hartz I – in Gang gesetzt hat, die die Ausbreitung der Leiharbeit und der Zeitarbeit in Deutschland sehr beschleunigt hat. Der DGB hat das so zusammengefasst: Zeitarbeit wird in Deutschland systematisch zum Lohndumping missbraucht. – Ich freue mich, wenn die SPD in der Opposition jetzt dafür ist, die Regulierung der Zeitarbeit voranzubringen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will noch darauf hinweisen, dass es der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement war,ein besonderer Freund der Hessen-SPD, der direkt nach der Niederlegung seines Regierungsamts in eine Zeitarbeitsfirma gewechselt ist.

DIE LINKE tritt für ein gesetzliches Verbot der Leiharbeit ein. Leiharbeit war in Deutschland lange Zeit gesetzlich verboten.Wir brauchen Regelungen, dass es gleichen Lohn für gleiche Arbeit gibt, dass es eine Begrenzung der Überlassungshöchstdauer gibt, dass es ein Verbot von Leiharbeit für bestreikte Betriebe gibt, damit Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter nicht als Streikbrecher – –

Frau Kollegin Wissler, machen Sie es mir bitte nicht so schwer.

Diese Vorschläge hat DIE LINKE auch in den Deutschen Bundestag eingebracht. Dort haben leider alle anderen Fraktionen gegen diese Vorschläge gestimmt. Ich hoffe, dass wir in Zukunft eine andere Mehrheit im Bundestag bekommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Lenders das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin eigentlich recht froh, dass die SPD-Fraktion diese Große Anfrage in den Landtag eingebracht hat; denn das gab der Landesregierung die Möglichkeit, mit vielen Vorurteilen und Unterstellungen beim Thema Zeitarbeit aufzuräumen. Die Kollegin Fuhrmann und auch Frau Wissler haben sich davon allerdings überhaupt nicht irritieren lassen und haben hier wieder ihren Standpunkt dargelegt.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Sie sind dabei auf die Antworten,die die Landesregierung gegeben hat, überhaupt nicht eingegangen.

Meine Damen und Herren, wir haben eine wichtige Gedenkfeier vor uns. In Anbetracht dieser Tatsache möchte ich den Rest meiner Rede gern zu Protokoll geben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – siehe Anlage)

Vielen Dank, Herr Kollege Lenders. Das war lieb. – Das Wort hat der Kollege Bocklet, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Ich achte auf die Uhr, Herr Präsident. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir wissen, dass der Arbeitsmarkt von den Beschäftigten heute mehr denn je Risikobereitschaft, Mobilität und Flexibilität verlangt. Zu dem Gesamtkomplex gehört auch die Zeitarbeit. Sie wurde lange Zeit als ein wirkungsvolles Instrument zum Abbau der Arbeitslosigkeit angesehen. Mittlerweile häufen sich aber die Probleme. Zeitarbeitnehmer sind Arbeitnehmer zweiter Klasse. Sie verdienen oft deutlich weniger als die Stammbelegschaft, und sie werden bei der Weiterbildung kaum berücksichtigt. Außerdem haben sie ein viel höheres individuelles Risiko.

Wir GRÜNEN haben die Antwort auf die Große Anfrage zur Kenntnis genommen. Ich glaube, sie gibt politisch eigentlich nur wenig her.Auf Seite 6 findet sich die Antwort auf eine der beiden entscheidenden Fragen: „Ist die Landesregierung der Ansicht, dass die maximale Verleihzeit an einen Betrieb begrenzt werden sollte …?“ Dazu sagt die Landesregierung: Nein. – Hier besteht ein politischer Dissens zwischen SPD und GRÜNEN auf der einen Seite und CDU und FDP auf der anderen Seite. Wir glauben, dass man die Dauer der Leiharbeit auf drei Monate begrenzen sollte. Danach sollten alle Rechte, die der Belegschaft zustehen, auch dem Zeitarbeitnehmer zustehen.

Die zweite spannende Frage bezog sich auf den begrenzten Bedarf. Wie lange und wie oft darf ein Arbeitnehmer ausgeliehen werden? Hier sehen wir GRÜNEN einen massiven Regulierungsbedarf. Es kann nicht sein, wie die Kolleginnen und Kollegen vom linken Flügel schon bekräftigt haben, dass das Instrument der Leiharbeit ausgenutzt wird, um die Stammbelegschaft abzubauen, dass die Flexibilität dazu benutzt wird, eine Belegschaft zweiter Klasse zu schaffen.

Es gibt verschiedene Vorschläge, auch der Bundestagsfraktion der GRÜNEN, das zu ändern. Es gibt z. B. ein Konzept, wie Zeitarbeit und Leiharbeit sozial abgefedert werden und trotzdem als flexible Instrumente in Spitzenzeiten der Wirtschaft oder in der Wirtschaftskrise erhalten bleiben könnten. Richtig ist aber, dass wir die bisherige Praxis beenden müssen. Herr Minister, wenn wir ehrlich evaluieren,dann kommen wir zu dem Ergebnis,dass es so, wie es bisher praktiziert wird, nicht weitergehen kann. Es schadet nämlich auch dem Sozialsystem, da die Zahlungen in die öffentlichen Kassen immer geringer werden.

Wir wünschen uns eine Revision der Zeit- und der Leiharbeit in der Bundesrepublik. Wir danken für die Antwort, aber uns bleibt noch viel zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Das Wort hat der Abg. Burghardt, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich werde versuchen, mich kurz zu fassen, und ein bisschen weniger sagen, als ich eigentlich sagen wollte. Zwei oder drei Punkte möchte ich aber ansprechen, die hier gesagt werden müssen.

Frau Fuhrmann, Sie haben natürlich wieder nur die Zahlen herausgegriffen, die zu Ihrer Argumentation passen. Ich bin sehr dankbar, dass Sie Fragen an die Landesregierung gestellt haben. Ich bin auch sehr dankbar, dass die Fragen sehr umfangreich beantwortet worden sind.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Die Zahlen sind doch von der Regierung!)

Ja, aber ich nenne Ihnen vielleicht gleich Zahlen, die eine andere Seite widerspiegeln. – Ich bin auf jeden Fall sehr dankbar, dass diese Fragen gestellt worden sind, und ich bin sehr dankbar für die umfangreiche Beantwortung.

Frau Fuhrmann, Sie haben verschwiegen, dass 64 % der Arbeitnehmer im Zeitarbeitsgewerbe zuvor arbeitslos waren und dass 9 % vorher sogar noch nie beschäftigt waren. Sie haben auch nicht erwähnt, dass 10 % der Zeitarbeitnehmer länger als zwölf Monate ohne Beschäftigung waren.Deshalb sage ich ganz klar,dass die Zeitarbeit sehr wohl eine Art von Brücke in den ersten Arbeitsmarkt, in das Arbeitsleben ist – wohlgemerkt in versicherungspflichtige Arbeitsplätze und nicht in andere Bereiche des Arbeitsmarktes. Auch das muss hier einmal gesagt werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Interessant ist durchaus auch die Staffelung der einzelnen Altersgruppen. Es wurde nicht erwähnt, dass 18,4 % der Betroffenen unter 25 Jahre alt sind, d. h. sich in gewisser Weise in einer Orientierungsphase befinden, welcher Beruf künftig gewählt werden soll. Ein Indikator ist aber auch, dass viele Leiharbeiter gar keine Berufsausbildung haben. 23,7 % der Leiharbeiter haben gar keine Berufsausbildung.Was machen wir mit denen? Zeitarbeit ist also durchaus eine Möglichkeit, um in einen Beruf hineinzukommen. Nur 4,5 % der Zeitarbeitnehmer haben einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss.

Das sind Zahlen, die man einfach einmal erwähnen sollte. Auch sollte man erwähnen, dass es eine Möglichkeit für die älteren Arbeitnehmer, für die über 40- und die über 50-Jährigen, ist, in den Arbeitsmarkt zu kommen. 35,3 % sind über 40 Jahre alt.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ältere Arbeitnehmer jede Woche in eine andere Stadt!)

Frau Fuhrmann, auf eines haben Sie nicht hingewiesen. Das möchte hier noch einmal ganz kurz erwähnen, auch wenn es schon gesagt wurde. Aber ich möchte hier etwas zitieren.All die Probleme, die wir mit Schlecker und auch in anderen Bereichen haben, gehen nämlich auf die Hartz-IV-Reformen zurück. Ich möchte aus dem „Spiegel“ zitieren:Ausgabe 3/2010, Seite 64. Da geht es um das Thema Schlecker und teilweise auch um die Probleme in anderen Branchen. Da heißt es:

Möglich wurde das Auslagern von Stammbelegschaften in Zeitarbeitsfirmen nur, weil die damalige rot-grüne Bundesregierung den Sektor 2004 nahezu komplett von allen Regularien befreite. Fortan durften Leiharbeiter unbefristet angeheuert werden.

Ich bin gespannt, ob auch zu diesem Thema einer Ihrer Hartz-IV-Kahlschläge aus den Klausurtagungen kommen wird, die Sie durchgeführt haben. Ich bin gespannt, was da noch alles kommen wird.

Wir lehnen es – völlig zu Recht – ab, die Verleihzeit zu begrenzen. Ich denke, das ist der Situation, die wir jetzt haben, angemessen. Viele Firmen reagieren mit der Einführung von Zeitarbeit, und nicht alle sind schwarze Schafe. Die Antwort der Landesregierung hat ebenfalls belegt, dass nicht alle,wie es manchmal dargestellt wird,schwarze Schafe sind, sondern dass es auch Firmen gibt – das kann ich aus eigener Erfahrung sagen –, die einen Kunden dazugewinnen. Das kann eine kleine Spedition sein. Bei uns war das z. B. der Fall:Wir haben einen Großkunden dazubekommen und mussten auf Zeitarbeit zurückgreifen, um schnell reagieren zu können. Wir haben einen Kollegen eingestellt, weil wir den Kunden dauerhaft gebunden haben

(Janine Wissler (DIE LINKE): Man kann auch befristet einstellen!)

Frau Wissler –, und konnten diesem Kollegen dann die Möglichkeit geben, auf dem ersten Arbeitsmarkt wieder als Speditionskaufmann tätig zu werden, so, wie er ausgebildet worden ist.

All das sind Daten und Fakten, die einmal genannt werden müssen. Eines möchte ich auch noch erwähnen – das stand heute in der „FAZ“ –: Der DGB – von wegen Mindestlohn usw.; wir haben immer noch Tarifautonomie – hat sich mit einem neuen Tarifvertrag über 2,5 % Lohnerhöhung in diesem und im nächsten Jahr einverstanden erklärt.

Aus meiner Sicht ist das der richtige Schritt. Ein Mindestlohn ist hier fehl am Platz. Das nutzt genauso wenig wie in anderen Bereichen des Arbeitsmarktes. – Vielen herzlichen Dank.