Protocol of the Session on December 22, 2009

Wir haben schon öfter aus seinem Munde geradezu schwärmerisch vorgetragene Abstrusitäten über konkurrierende Vorgaben im Planungsrecht und ihre rechtliche Bewältigung gehört, sodass dieser Revisionsantrag, Herr Minister Posch, offensichtlich eine ausgesprochene Herzensangelegenheit von Ihnen ist: Alle Planungen überregionaler Dimension würden durch den sogenannten Paradigmenwechsel des VGH in die Willkür der Landesplanung gestellt, und das dürfe nicht sein, weil es die Planungsbehörde in ihrer Abwägungsfreiheit beschneide.

Meine Damen und Herren, warum dies so schlimm sein soll, verrät uns Posch nicht. Immerhin hatte doch seinerzeit die Landesregierung die Festschreibung des Areals für die Flughafenerweiterung der Abwägung der Regionalplanung entzogen und über eine Änderung des LEP genau deshalb vorgenommen, weil sie die Spielräume der anderen Planungsträger zu null machen wollte. Einerseits will Posch in Einsamkeit und Freiheit alles selbst entscheiden können, andererseits – und darauf kommen wir jetzt – will er die Verantwortung am liebsten teilen, noch besser abschieben.

Herr Minister, darum zeigen Sie sich nicht gerade mutig; ja, ich vermute sogar, es ist Vorsatz. Als personifizierte Planfeststellungsbehörde haben Sie in Ihren beiden Pressemitteilungen vom letzten Donnerstag unbeabsichtigt demonstriert, dass Sie bei Ihrem Parteifreund im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Herr Jan Mücke, eine Weisung bestellt haben, die allerdings zu spät gekommen ist. Deshalb mussten Sie zunächst in der Presseerklärung davon sprechen, dass die Bundesregierung eine grundsätzliche Klärung durch Revision zum Bundesverwaltungsgericht anstrebe. Binnen 47 Minuten wurde aber die veränderte Presseerklärung nachgeschoben, dass die Bundesregierung diesen Gang zum Bundesverwaltungsgericht für zwingend erforderlich halte.

Meine Damen und Herren, es ist doch allen klar, was dahintersteckt: Ab sofort soll für Dieter Posch die absolute Unschuldsvermutung gelten. Der Ramsauer Peter wars jetzt; denn gegen eine bundesaufsichtliche Weisung ist lei

der – oder, Herr Posch, müsste ich doch lieber sagen: „Gott sei Dank“? – kein Kraut gewachsen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die gibt es aber nicht!)

Meine Damen und Herren, von diesem absurden Theater sollten wir uns nicht beirren lassen.Wir sollten stattdessen einige wichtige Punkte des Urteils des VGH etwas näher betrachten.

So stellen wir als Erstes fest, dass entgegen vielfach wiederholter Darstellung diverser Exegeten – auch Herr Dr. Wagner und Herr Minister Posch gehören dazu – der Verwaltungsgerichtshof sowohl in seinem Beschluss vom 15. Januar als auch in der Begründung seines Urteils vom 21. August die Aufhebung der Nachtflugregelung des Planfeststellungsbeschlusses nicht zentral mit der Vorgabe des Landesentwicklungsplans, sondern direkt mit § 29b Abs. 1 Satz 2 des Luftverkehrsgesetzes und der dazugehörigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts begründet hat. Mit dem im Landesentwicklungsplan verankerten Grundsatz – den übrigens die Landesregierung mit Zustimmung der Fraktionen der CDU und der FDP und damit auch mit Zustimmung von Minister Posch im Mai 2007 selbst hineingeschrieben hat – wird diese Vorschrift nur als abwägungsleitende Vorgabe verstärkt, aber nicht als solche begründet. Das möchte ich den Damen und Herren Juristen einmal ins Stammbuch schreiben.

Insoweit ist der formulierte Konflikt zwischen dem landesplanerischen Grundsatz und der postulierten Abwägungsfreiheit der Planfeststellungsbehörde höchst künstlich erzeugt. Die Planfeststellungsbehörde ist bei ihrer Abwägung immer an die Gesetze und die dazugehörige höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden.

Nach der Auslegung der Vorschrift im Luftverkehrsgesetz, die ich eben angesprochen habe, wäre ein Nachtflugbetrieb nur zulässig, wenn ein über das allgemeine Verkehrsbedürfnis hinausgehender besonderer, also zu dem nächtlichen Zeitpunkt zwingend erforderlicher – Stichwort: Expressfracht – und obendrein standortspezifischer Nachtflugbedarf – anderswo geht es nicht – nachgewiesen werden kann. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht bereits 2006 geurteilt:

Deshalb bedeutet jeder zusätzliche Flug eine zusätzliche Belastung und jeder Flug, der unterbleibt, eine Entlastung.

Der VGH kommt in Übereinstimmung auch mit der aktuellsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu der Feststellung – ich zitiere –:

Einem Verbot planmäßiger Flüge in der Kernnacht stehen keine abwägungsresistenten Belange der Nutzer des Flughafens Frankfurt... entgegen.

Hier wird deutlich: Wer weiterhin mit Rechtsmitteln herumwedelt, der will das Nachtflugverbot verhindern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, die Entscheidung, aus der ich eben zitiert habe – sie betrifft den Flughafen Leipzig/Halle – stammt vom 24. Juli 2008. Sie ist damit die einzige Entscheidung, die die Fraport zum Zeitpunkt der letztmaligen Beantragung,über die ich eben schon sprach, noch nicht kannte. Aber sie gibt für eine Revisionsbegründung nun gar nichts her.

Insofern hat der VGH völlig recht, wenn er in seinem Urteil alle Einwände, dass ein Nachtflugverbot nicht mit den betrieblichen Erfordernissen des Flughafenbetreibers vereinbar sei, mit der ebenso lapidaren wie richtigen Feststellung zurückweist, Fraport habe in Kenntnis aller Umstände genau diese nächtliche Flugbeschränkung – das Nachtflugverbot – beantragt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, somit stellen wir fest: Die Fraport hat das Nachtflugverbot ausweislich des eigenen Antrags haben wollen. Deswegen kann man sich im Augenblick allerhöchstens Gedanken darüber machen, warum der Flughafenbetreiber dies aktuell öffentlich nicht mehr so engagiert vertritt.

Ich komme auf die im Zusammenhang mit dem Nachtflugverbot entscheidende Vorschrift des Luftverkehrsgesetzes in § 29b Abs. 1 Satz 2 zurück: „Auf die Nachtruhe der Bevölkerung ist in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen.“ Nachdem diese schon relativ alte Gesetzesformulierung lange Zeit wenig Beachtung gefunden hatte, ist sie im Zusammenhang mit den diversen jüngeren Flughafenausbauverfahren und den dazu ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und anderer Gerichte – zu München II, zu Berlin Brandenburg International, zu Leipzig/Halle und auch zu Frankfurt – mehr in den Blickpunkt gerückt.

Meine Damen und Herren, das muss man sich jetzt auf der Zunge zergehen lassen: Kaum beginnt diese gesetzliche Vorgabe, durch die Rechtsprechung vor allem des Bundesverwaltungsgerichts beflügelt, ein wenig tatsächliche Schutzwirkung gegen den Fluglärm zu entfalten, wird sie von der Luftverkehrswirtschaft und dem hessischen Verkehrsminister massiv bekämpft.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ist es!)

Zunächst trat die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen auf den Plan und forderte in einem Positionspapier eine sogenannte Klarstellung der Vorgaben in § 29b Abs. 1 Satz 2. Es sollen die Worte „bei der Durchführung von Betrieb von Luftfahrzeugen in der Luft und am Boden“ eingefügt werden. Das klingt für den Laien zunächst völlig harmlos und tatsächlich wie eine Präzisierung.

Weit gefehlt, sage ich Ihnen. Es ist in Wahrheit eine weitgehende Aushebelung der geltenden Schutzvorschriften. Die Ergänzung würde nämlich bedeuten, dass nur noch ein passiver Schallschutz durchsetzbar wäre und Einschränkungen des nächtlichen Flug- und Bodenbetriebs – dazu gehören unter anderem auch die Triebwerksprobeläufe, von denen Sie schon gehört haben – von Gesetzes wegen ausgehebelt würden.

Um die Sache rund zu machen, wurde in Kenntnis genau dieser Debatten und Forderungen Dieter Posch, zwischenzeitlich wieder hessischer Minister, aktiv und wirkte in der Fachverhandlungsgruppe von Schwarz-Gelb in Berlin mit, damit am Ende folgende Formulierung in den Koalitionsvertrag geschrieben werden konnte:

Neben einer Kapazitätsentwicklung der Flughäfen werden wir insbesondere international wettbewerbsfähige Betriebszeiten sicherstellen. Die dazu erforderliche Präzisierung im Luftverkehrsgesetz

hört, hört, sage ich –

soll eine gleichberechtigte und konsequente Nachhaltigkeitsabwägung von wirtschaftlichen, betrieblichen und dem Lärmschutz geschuldeten Erfordernissen auch bei Nachtflügen sicherstellen.

Das ist nicht sehr verwirrend, sondern sehr klar: Wir wollen einen Ausbau ohne Nachtflugverbot.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann hat Minister Posch noch eins draufgesetzt, indem er uns öffentlich – wahrheitswidrig – weiszumachen versuchte, dass all das, was dort formuliert sei, mit dem Ausbau des Frankfurter Flughafens überhaupt nichts zu tun habe. Da kann man nur sagen: pfui Teufel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erst macht man permanent das Gegenteil von dem, was man versprochen hat, und behauptet dessen ungeachtet immer wieder, es erreichen zu wollen, und dann gibt es auch noch ein peinliches Leugnen, wenn man bei diesem Politbetrug erwischt wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich persönlich halte einen solchen Mann auf dem Ministersessel für untragbar.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP)

Herr Kollege Blum, er wird nur deshalb dort sitzen bleiben, weil es die Koalitionsräson verlangt und der Ministerpräsident ihm zu großem Dank verpflichtet ist. Somit bleibt er als Chef der blau-gelben Agentur im Landeshaus. Das passt doch wie angegossen; denn Blau und Gelb sind nicht nur, wie Sie alle wissen, die Markenfarben der FDP, sondern auch die der Deutschen Lufthansa.

Damit bin ich bei der politischen Würdigung der Vorgänge, die man gewiss nicht nur als Posse bezeichnen kann. Dafür sind ihre Auswirkungen auf die Menschen, die rund um den Flughafen leben und dort auch schlafen wollen, zu gravierend. Sie sind sowohl für das Ansehen der Politik in der Demokratie allgemein als auch für die Glaubwürdigkeit von Politikern extrem schädlich. Das haben wir heute schon sehr deutlich erlebt. Davon sind letztendlich alle betroffen,nicht nur die Wortbrecher,sondern auch die Wahrhaftigen.

Das Nachtflugverbot war und ist nämlich weit mehr als eine politische Bemühenszusage. Es war und ist eine Grundbedingung, um überhaupt an einen weiteren Flughafenausbau zu denken. „Kein Ausbau ohne Nachtflugverbot“ ist ein schlichter und verständlicher Satz. Wenn ein Nachtflugverbot nicht möglich ist, kann demzufolge auch der Ausbau nicht stattfinden.

Der Versuch,sich beim Planfeststellungsbeschluss mit den vorgeblichen rechtlichen Zwängen herauszumogeln, ist vor dem Verwaltungsgerichtshof kläglich gescheitert. Jetzt steht also das Versprechen in seiner ursprünglichen klaren und einfachen Form wieder auf der Tagesordnung: kein Ausbau ohne Nachtflugverbot.

Die Landesregierung sucht eine Begründung dafür,dieses Versprechen zu brechen, anstatt es zu erfüllen, wie es der VGH verlangt. Das politische Ziel, das die Landesregierung mit dem Revisionsantrag verfolgt, ist eindeutig. Sie wollen deutlich mehr Nachtflüge, als es Ihnen der Verwaltungsgerichtshof erlaubt. Sie wollen kein Nachtflugverbot, von dem es möglicherweise einzelne Ausnahmen geben könnte,

(Dr.Walter Arnold (CDU):Aha!)

sondern Sie wollen einen erlaubten Nachtflugbetrieb, der allenfalls gewisse Einschränkungen für den Luftverkehr mit sich bringt, aber keinesfalls für die ökonomischen Interessen der Airlines. Die darf er nicht behindern.

Meine Damen und Herren, damit machen Sie deutlich, dass das Versprechen, das Nachtflugverbot sei die Kompensation für den wachsenden Fluglärm am Tage, von Ihnen nie ernst gemeint wurde,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

sondern immer nur ein gigantisches Betrugsmanöver war. Alle vermeintlichen rechtlichen Zwänge für ein Nachtflugverbot sind vom Tisch. Sie – damit meine ich die Regierung und die sie tragende Mehrheit – stehen ohne Argumente dar.

Meine Damen und Herren, auch wenn es sehr spät wäre, Sie könnten heute doch noch Ihren Fehler korrigieren. Allerdings ist das heute wohl auch die letzte Chance.

Meine Damen und Herren,wenn Sie sich über das,was ich Ihnen vorgetragen habe, empören sollten, dann kann ich nur sagen:Sie haben es ganz leicht,mich Lügen zu strafen. – Stimmen Sie unserem Dringlichen Entschließungsantrag, dem gemeinsamen mit der Fraktion der SPD, Drucks. 18/1739, zu, und weisen Sie damit Ihren klagewütigen Planungsminister in die Schranken. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Thorsten Schäfer-Güm- bel und Günter Rudolph (SPD) – Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Willi van Ooyen und Hermann Schaus (DIE LINKE))

Herr Kollege Kaufmann, vielen Dank. – Als Nächstem darf ich Herrn Kollegen Schaus für die Fraktion DIE LINKE das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Nachtflugverbot war von der Regierung Koch nie gewollt. CDU und FDP betreiben schon seit Jahren konsequent und rücksichtslos ausschließlich das Geschäft der Fluggesellschaften und der Fraport.