Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Nachtflugverbot war von der Regierung Koch nie gewollt. CDU und FDP betreiben schon seit Jahren konsequent und rücksichtslos ausschließlich das Geschäft der Fluggesellschaften und der Fraport.
In ihrer „Zeitung für die Nachbarn des Frankfurter Flughafens“, die in der letzten Woche 100.000-fach den regionalen Tageszeitungen beigelegt wurde, wirbt Fraport unverhohlen für die Nachtflüge. Auch wenn das Nachtflugfoto auf der ersten Seite nicht den Flughafen Frankfurt, sondern den in Singapur zeigt, so wird auch gleich für das einzige Nachtrennen der Formel 1 völlig unkritisch mit geworben. Ich halte es für instinktlos, dieses strittige Thema gerade jetzt, mitten in der Auseinandersetzung um das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, so zu platzieren. Das ist eine klare Ansage zur guten Nachbarschaft mit den Anwohnern,die Fraport so gerne für sich in Anspruch nimmt.
In dieser Ausgabe stellt Fraport natürlich stolz die planmäßig verlaufenden Fortschritte bei den Bauarbeiten auf dem gerodeten Gelände des ehemaligen Kelsterbacher Waldes dar. Fraport berichtet hier auch über die Entwicklung der Verkehrszahlen im laufenden Jahr. Demnach hat im Jahr 2009 eine Reduzierung der Zahl der Passagiere um sage und schreibe 2,6 Millionen stattgefunden. Auch die Flugbewegungen reduzierten sich um rund 24.000. Das entspricht 5 %.
Doch die immer stärker in der Region und von Verkehrsexperten gestellte Frage nach der Notwendigkeit der Nordwestlandebahn überhaupt wird hier nicht gestellt. Das Gegenteil ist sogar der Fall.Es wird weiterhin auf Optimismus gemacht. Das liest sich dann so. Auf die Frage – ich zitiere –:
Die Luftverkehrsbranche bekommt die Wirtschaftskrise deutlich zu spüren, auch Fraport. Müssen Sie Ihre Wachstumsprognose bei Flugbewegungen und Arbeitsplatzentwicklung korrigieren?
Wir haben im Fracht- und Passagierbereich in der Tat Rückgänge hinnehmen müssen, in der Hochphase hatten wir allein bei der Fracht ein Minus von bis zu 30 %. Diese Entwicklung ist gestoppt, wir liegen jetzt wieder über den Vergleichsmonaten im Vorjahr.
Verschwiegen wird dabei, dass die Vorjahreszahlen aber auch schon unterdurchschnittlich waren. Es wird also weiterhin ohne das Vorliegen neuer gesicherter Daten hinsichtlich der Zukunft auf das Prinzip Hoffnung gesetzt. Das ist fast so wie bei der Bundesregierung aus CDU und FDP, die glaubt, durch die Steuersenkungen aufgrund des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes würde die Wirtschaft angekurbelt, obwohl doch jeder weiß, dass selbst in der Hotelbar nicht mehr viel los ist.
Es ist keine Rede davon, dass der Bau des geplanten Terminals 3 auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt wurde, weil Fraport nicht an ihre eigenen Zahlen und Prognosen glaubt und weil Fraport möglicherweise sogar das Geld für ihr 7-Milliarden-c-Großbauprojekteprogramm auszugehen droht. Keine Rede ist dabei auch von den sich stets verschlechternden Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Keine Rede ist also von dem Outsourcing bei Fraport und von dem mit tatkräftiger Unterstützung der Lufthansa den Gewerkschaften abgetrotzten neuen Tarifvertrag für die über 5.000 Beschäftigten der Bodenverkehrsdienste. Die künftig dort Beschäftigten werden 25 % weniger Lohn zu erwarten haben. Das ist es nämlich. Das ist die Ausbaugigantomanie im dicht besiedelten Rhein-Main-Gebiet, die von den Beschäftigten bezahlt werden muss.
Natürlich ist auch keine Rede von den Gesundheitsgefährdungen für die Menschen in den Anrainerstädten und -gemeinden.
das ist das Ergebnis der Studie, die der Bremer Mediziner Eberhard Greiser im Auftrag des Umweltbundesamtes durchgeführt hat. Er hat unter anderem untersucht, wie sich Fluglärm auf die Entstehung von Herzinfarkten und Schlaganfällen auswirkt. Dazu hat er im Großraum
des Flughafens Köln/Bonn die Krankenkassendaten von mehr als einer Million Menschen ausgewertet. Das Ergebnis war: Als besonders gefährlich gilt dabei der Fluglärm in der Nacht, der Stress erzeugt und die Menschen nicht zur Ruhe kommen lässt.
Das beginnt bereits bei 40 dB(A). Ein weiterer Ausbau des Frankfurter Flughafens hätte beispielsweise für die Mainzer Oberstadt einen Anstieg von heute 46 bis 50 dB(A) auf 55 bis 57 dB(A) zur Folge. Das wäre eine Verdoppelung des Fluglärms und der Belastung durch den Fluglärm.
In den anderen Städten wird die Lärmbelastung ebenso stark ansteigen. Der Mediziner ist davon überzeugt, dass seine Ergebnisse auch auf die Rhein-Main-Region übertragbar sind. Solche Fakten zeigen, dass eine Gesamtbelastungsstudie für das Rhein-Main-Gebiet dringend erforderlich ist. Oder lässt Sie das kalt, meine Damen und Herren aus der Regierung?
Auch ist keine Rede von der Einschränkung der Entwicklungsmöglichkeiten der umliegenden Städte und Gemeinden. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit seinem Urteil klargestellt, dass die im regionalen Entwicklungsplan Südhessen ausgewiesenen Siedlungsbeschränkungen gelten. Das betrifft die Gebiete, in denen wegen der hohen Lärmbelastung keine neuen Siedlungen genehmigt werden dürfen. Die betroffenen Kommunen sind also in ihrer Entwicklung zum Teil erheblich eingeschränkt. Sie können keine neuen Siedlungsgebiete ausweisen und müssen sich erheblich einschränken. Noch schwerwiegender ist aber, dass in diesen Gebieten mit Siedlungsbeschränkung schon jetzt Hunderttausende Menschen leben, deren Gesundheit auch ohne Ausbau geschädigt wird.
Das habe ich als Beispiel schon früher einmal angesprochen. Aber man kann diese Zahlen nicht oft genug wiederholen. Im Bericht des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main vom 19. Juni 2009 kann man das nachlesen.
Allein in Frankfurt am Main sind ca. 85.000 Menschen betroffen, darunter 5.260 Schulkinder, ca. 4.000 Kinder in Kindertagesstätten und 3.000 Menschen in Alters- und Pflegeheimen.Von der sozialen Infrastruktur in Frankfurt sind davon 57 Spielplätze, 47 Sportplätze, 21 Kleingartenanlagen und vier Freibäder betroffen. Bei allen diesen Einrichtungen können die Freiflächen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt genutzt werden. Neue Ansiedlungen und bauliche Veränderungen dürfen in diesen Bereichen wegen der hohen Lärmbelastung nicht mehr erfolgen.
Meine Damen und Herren der CDU, der FDP und der SPD, das zeigt die andere Seite des viel gelobten Flughafenausbaus. Das bedeutet: Wir müssen uns schon einmal auf eine Berechnung der Folgekosten des Ausbaus des Flughafens einstellen. Das wird Unsummen an öffentlichen Mitteln kosten, die natürlich nicht Fraport, sondern die Steuerzahler in Hessen, also wir alle mit Ausnahme der Familie Wolski, aufbringen müssen.
Kommen wir also zu den Nachtflügen. In einer Pressemitteilung der Kommission zur Abwehr des Fluglärms – Vorstandssprecher sind Thomas Jühe, Bürgermeister der
Stadt Raunheim, SPD, Wolfgang Reichel, Beigeordneter der Stadt Mainz, CDU, und Horst Gölzenleuchter, Bürgermeister der Gemeinde Büttelborn, SPD – war jüngst zu lesen:
[Uns]... liegt ein vertrauliches Protokoll der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) vom 22./23. März 2007 vor, in dem die Strategie zur Überwindung von Nachtschutzregelungen an Flughäfen preisgegeben wird:
„Herr Mäder (Flughafen Dresden) weist darauf hin, dass infolge jüngerer Urteile des BVerwG (...) ein generelles Nachtflugverbot für alle Flughäfen droht, die eine Planfeststellung anstreben und den Nachweis eines dringenden Bedarfs an Nachtflugverkehr nicht gerichtsfest führen können.
Genau diesen Nachweis konnte wohl laut Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs Fraport nicht erbringen. – Weiter aus dem Protokoll der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen:
Dies ist ein Paradigmenwechsel der Rechtsprechung, dem die ADV entgegenwirken muss. Dazu wären Anforderungen an einen qualifizierten Bedarfsnachweis für Nachtflüge festzulegen und auf eine Änderung bzw. Klarstellung des § 29b LuftVG hinzuwirken, auf den sich das BVerwG bei seinen Entscheidungen stützt...“
Meine Damen und Herren, hier ist also klar geworden, dass das Wissen um die juristische Problematik der Nachtflüge schon vor der Entscheidung über den Planfeststellungsbeschluss vorhanden war. Schließlich sitzen mit Herrn Minister Weimar als Vorsitzendem und Herrn Minister Hahn zwei Mitglieder der Regierungsfraktionen im Aufsichtsrat von Fraport, denen solche internen strategischen Überlegungen nicht verborgen geblieben sein können.
(Clemens Reif (CDU): Die Opposition ist auch im Aufsichtsrat! – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE):Wir nicht!)
Oder wollen Sie behaupten, die Herren Minister nähmen ihre Kontrollfunktion als Aufsichtsräte bei Fraport nicht umfassend wahr?
Angesichts der intensiven Debatte, die der Bau der Nordwestlandebahn und der Flughafenausbau insgesamt ausgelöst haben,glaube ich nicht,dass Sie behaupten können, von den Überlegungen der Fluggesellschaften und von Fraport zur Einschätzung der Rechtslage bis hin zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht gewusst zu haben. Das nehme ich Ihnen nicht ab.
Dennoch haben Sie dann im März 2007 im Planfeststellungsbeschluss die Genehmigung von 17 Nachtflügen damit begründet, dass ein Nachtflugverbot juristisch nicht durchsetzbar sei.
Meine Damen und Herren, nun hat der Herr Ministerpräsident am Samstag der „Frankfurter Neuen Presse“ ein bemerkenswertes Interview unter der ebenso bemerkenswerten Überschrift „Das Prinzip der Mediation ist erfüllt“ gegeben, in dem er sagt:
Natürlich ist es für mich und für alle anderen, die an der Entscheidung beteiligt sind, ärgerlich und schwierig, sagen zu müssen, dass sich durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Annahmen, die ich persönlich gehabt habe, als unhaltbar erwiesen haben. Schließlich war ich es ja, der die Fraport AG seinerzeit genötigt hatte, ein Nachtflugverbot für den Frankfurter Flughafen zu beantragen. Ohne mein Zutun wäre dieser Antrag nämlich so nie gestellt worden.
Mehrere Aussagen sind hierbei bemerkenswert. Erstens. Herr Ministerpräsident,Sie haben also als Vorkämpfer für ein absolutes Nachtflugverbot gewirkt und die Fraport genötigt, einen Antrag auf Nachtflugverbot zu stellen.
Zweitens. Herr Ministerpräsident, Sie haben sich also über die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geärgert, weil es die Nachtflüge in Urteilen zu Berlin und Leipzig bestätigt hat. Herr Ministerpräsident, wenn Sie aber ein so großer Vorkämpfer für die Nachtflugverbote sind, warum sind Sie mit dem Urteil des VGH nicht zufrieden? Da haben Sie doch Ihr Ziel erreicht. Oder wollen Sie zum Bundesverwaltungsgericht, um möglicherweise dort für eine geänderte höchstrichterliche Entscheidung, also für ein Nachtflugverbot in ganz Deutschland, zu kämpfen? – Nein, nein. Ich weiß schon, es geht Ihnen um die Rechtsklarheit. Ich darf aus dem Interview noch einmal zitieren:
Wir haben uns an eine Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehalten. Und es bringt uns leider nichts, wenn wir uns mit einer untergerichtlichen Entscheidungsinstanz glücklich und zufrieden zur Seite legen. Würde Wirtschaftsminister Dieter Posch jetzt ein Planergänzungsverfahren eröffnen, ginge auch dessen Ergebnis wieder durch die gerichtlichen Instanzen. Und es würde drei Jahre länger dauern, eine Entscheidung zu bekommen, ob die bisherige Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts gilt – der der VGH widersprochen hat – oder ob sich das Bundesverwaltungsgericht den Argumenten des VGH anschließt. Deshalb verstehe ich Dieter Posch, der schnellstmöglich Rechtsklarheit haben will.