Dann gehen wir einmal weiter – ich zitiere Herrn Kollege Klose –: „Die einen rufen nach Gott, die anderen nach Ypsilanti.“ Mein Humor ist nicht sehr ausgeprägt. Das weiß jeder. Aber da hört er auf, denn wenn Sie in dieser Form den Gottesbegriff verhöhnen, frage ich mich: Wo nehmen Sie eigentlich Ihre Vorstellung von Toleranz gegenüber Andersdenkenden her?
Toleranz ist keine Einbahnstraße. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich toleriere es, wenn Herr Kollege Klose z. B. im Landtagshandbuch sagt, er sei konfessionslos und verpartnert. Dazu würde ich niemals etwas sagen. Das ist in dieser Gesellschaft sein gutes Recht. Wir sind ein säkularer Staat. Bitte, nur dann erwarte auch ich, dass mein Christentum,meine Liebe zu meiner Familie,meinen Kin
Dieses Freiheitsrecht gilt aber auch für andere. Wenn Sie anderen – wie Sie es mit Herrn Dr.Wagner getan haben –, die nicht Ihrer Auffassung sind und ein anderes Wertevorstellungskonzept haben, reaktionären Fundamentalismus vorwerfen, ist das gegenüber Andersdenkenden eben auch intolerant; und auch das ist nicht zu tolerieren.
Jegliche Form von Diskriminierung wird von uns abgelehnt. Ich sage eines ganz deutlich, und das kann niemandem, keinem Fraktionsvorsitzenden und keinem Hinterbänkler wie mir, abgesprochen werden:Toleranz bedeutet eben nicht Beliebigkeit und Wertelosigkeit. Deswegen geht jeder seinen Weg – aber bitte in der Achtung des anderen und nicht derart, dass man das eine positiv bewertet, wie Sie es heute wieder getan haben, und das andere als reaktionären Fundamentalismus diskriminiert. Das geht nicht; und das ist in der Tat intolerant.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Müller. – Das Wort hat Herr Abg. Dr.Wilken für die Fraktion DIE LINKE.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hoffe,es gelingt mir jetzt,diese Diskussion wieder aus dem theologischen Seminar herauszuholen
und den politischen Hintergrund der nun wirklich sehr bemerkenswerten Äußerungen des Fraktionsvorsitzenden der CDU, Herrn Wagner, von letzter Woche noch einmal zu beleuchten.
Herr Wagner und meine Damen und Herren von der CDU, nehmen Sie eigentlich zur Kenntnis, dass das Christentum nicht der monolithische Block ist, den vielleicht der amtierende Papst aus der Tradition der heiligen Inquisition vermitteln möchte?
Nehmen Sie eigentlich andere Traditionen des Christentums zur Kenntnis wie die Tradition der Christen für den Sozialismus, die in Chile deutlich machen wollten, dass sie für den Aufbau des Sozialismus in diesem Land sind?
Nehmen Sie eigentlich die Tradition des Christentums, die sich in der Theologie der Befreiung wiedergefunden hat, zur Kenntnis? Nehmen Sie eigentlich die Gruppe Homo
sexuelle und Kirche zur Kenntnis, die in beiden christlichen Kirchen für die Gleichberechtigung schwuler, lesbischer und anderer sexueller Lebensformen kämpfen? – Offensichtlich nicht.
Uns geht es darum, und so habe ich auch den Antrag der GRÜNEN auf diese Aktuelle Stunde verstanden, deutlich zu machen, dass es in unserer aufgeklärten Tradition selbstverständlich sein sollte, dass wir uns hierhin stellen und sagen: „Mach meinen schwulen Freund nicht an“, oder: „Mach meine lesbische Freundin nicht an“. Das sollte die Botschaft des heutigen Tages sein.
Meine Damen und Herren, das Christentum und seine Theoretiker, schlechthin meistens Theologen, sind von Ernst Bloch einmal so zusammengefasst worden. Er hat geschrieben:
Das Spannendste an der christlichen Kirche ist eigentlich, dass sie andauernd Ketzer hervorgebracht hat.
Vielleicht leben wir in unserem säkularen Staat jetzt auch wieder in einer Phase, wo es notwendig ist, dass gegen dieses Einvernehmen der CDU und des Christentums Ketzer öffentlich auftreten und sagen: Das ist nicht unser Christentum, da muss die CDU noch einmal nachdenken. – Oder bleibt es dabei, dass das CDU-Verständnis des Christentums sich in die Tradition des mittelalterlichen Ablasshandels stellt und darüber schwarze Kassen gerechtfertigt werden?
Eine letzte Bemerkung von mir: Meine Damen und Herren, insbesondere von den Regierungsfraktionen, glauben Sie eigentlich wirklich, wenn in unserer Gesellschaft soziale Gerechtigkeit ein so hohes Gut ist, dass auch unsere Partei wegen des Themas soziale Gerechtigkeit gewählt wird – darauf wird immer wieder bei den Umfragen hingewiesen –, dass das daran liegt, dass jetzt auf einmal alle Marx gelesen hätten?
Nein, das liegt am Christentum. Das liegt an der Bedeutung von sozialer Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft, die in dieser christlichen Gesellschaft wurzelt.Auch das ist Christentum, lieber Herr Wagner und meine Damen und Herren von der CDU. Ich finde, auch in dieser Tradition sollten wir uns in einem aufgeklärten Staat gegen eine Verengung des Begriffs des Christentums stellen.– Ich bedanke mich.
(Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nur Mut! – Zuruf von der SPD: Einfach wiederho- len, dann steht es im Protokoll!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich muss gestehen, dass ich die Debatte nicht verstehe. Ich verstehe die Debatte nicht, weil sie hier in einem Parlament läuft. Mir ist völlig unklar, was eine solche Debatte in einem Parlament zu suchen hat. Das gilt für alle Beteiligten.
Ich sage das deswegen so deutlich, weil man sich mit den Äußerungen von Herrn Wagner auseinandersetzen kann. Ja, aber ein Parlament ist jedenfalls nicht der Ort, an dem innerchristliche Auseinandersetzungen geführt werden können. Ich würde das eigentlich seit der Aufklärung für überholt halten.
Das führt allerdings in der Argumentation von Herrn Wagner auch zu einem Problem. Denn im Kern muss man sagen: Ja, natürlich kann jeder für sich seine eigenen Gründe finden, warum er etwas sagt oder tut. Aber Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der meine Diät beurteilt, so brauche ich mich nicht selbst zu bemühen. Ich sage: Es ist der Vorteil von Demokratie, dass im Geiste der Aufklärung wir selber denken müssen und es keinen gibt, der uns das Denken abnimmt, und keinen, der jedenfalls in der politischen Debatte herangezogen werden kann, jenseits des Arguments. Ich finde, im Hessischen Landtag muss im Geiste der Aufklärung das Argument die wesentliche Rolle spielen und nicht das persönliche Glaubensbekenntnis. Das gilt für alle Fragen – auch für die, um die es hier gerade geht.
Dann muss man damit leben, dass es manchmal für jemanden persönlich schwierig ist. Das ist so für Leute, die persönliche Überzeugungen haben. Das ist dann schwierig in politischen Debatten.Aber seit der Aufklärung gilt, dass auch der Spott über Religion und die Kritik an der Religion, wenn es um die Inhalte und ihren Umgang mit Menschen geht, Bestandteil der politischen Auseinandersetzung sind und dass das jeder ertragen muss. Das ist Toleranz. Diese Toleranz wird gerade von denen verletzt, die fordern, dass ihre Glaubensüberzeugung Maßstab für andere sein muss. Nein, das kann nur Maßstab für sie sein und für niemand anderen. Und das hat in der politischen Debatte ohne Argument nichts zu suchen. Ich möchte an dieser Stelle niemandem den Glauben absprechen, aber wir sollten bei der Regel bleiben,dass ohne Argument Politik nicht mehr Demokratie ist. Ohne Argument ist Politik nur noch Verkündung von Heilswahrheiten. Das geht nicht. Das ist das Gegenteil von Demokratie. Ich glaube, darüber sollten wir uns einig sein.
Deswegen, liebe GRÜNE, respektiere ich jeden dieser Sätze.Aber der Maßstab ist ein anderer. Der Maßstab für mich ist z. B. die allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Dieser Satz allein ist eine Grundlage, aufgestellt von Menschen, deren Aufgabe es war, zu formulieren, wie menschliches Zusammenleben funktionieren kann.Angesichts der Tatsache, dass es Milliarden von Menschen mit ganz unterschiedlichen Weltanschauungen gibt, gibt es nur ganz wenige sehr präzise beschreibbare Dinge, die universal sind. Diese Grundlage ist es, auf die sich ein Parlament in einer Demokratie berufen kann. Insofern denke ich:Ja,Herr Wagner kann für sich persönlich andere Dinge heranziehen, aber nein, das hat hier nichts zu suchen.
(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Er darf privat machen, was er will! Das macht er ja auch! Aber nicht als Politiker!)
Lassen Sie mich fertig reden. – Aber andersherum muss man, wenn es um die Frage der Sache geht, sich mit den Positionen auseinandersetzen, die er vertritt. Die Homophobie ist relativ klar in der Position ein Angriff auf die Erklärung der Menschenrechte. Das muss man in dieser Deutlichkeit sagen.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))
Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, verirrt man sich auch nicht in die Verästelungen unterschiedlicher Glaubensrichtungen des Christentums, sondern man bleibt bei dem, was Menschen, die Christen oder Muslime waren oder ganz anderen Religionen angehört haben, nach dem Zweiten Weltkrieg als Maßstab für alle Menschen gesetzt haben. Das sind die Maßstäbe für uns alle. Ich glaube, wenn wir das als Maßstab beherzigen, dann haben wir ein paar Probleme weniger, und ein paar Debatten laufen rationaler. – Danke schön.