Protocol of the Session on June 18, 2009

Stattdessen ist allerdings Folgendes geschehen: Der Eindruck von Kardinal Lehmann wurde unhinterfragt übernommen. Der Vertreter der Muslime wurde kurzerhand von der Liste gestrichen, ohne ihn für würdig zu befinden, ihn rechtzeitig und termingerecht darüber in Kenntnis zu setzen. Das i-Tüpfelchen ist, dass die Hessische Staatskanzlei nach der Aberkennung des Preises ein klärendes gemeinsames Gespräch der Vertreter der vier Religionsgemeinschaften vorschlägt. Das noch vorzuschlagen, ist doch wirklich das i-Tüpfelchen, nachdem Sie für jeden erkennbar und für jeden sichtbar Position bezogen hatten.

Die Form, in der Kermani der ihm verliehene Kulturpreis entzogen wurde, spottet nicht nur jeder Form der Höflichkeit. Es ist eine beispiellose politische Torheit. Integrationspolitisch gesehen ist das ein Desaster.

Wie verfuhr man bei Herrn Sezgin, als er darauf hinwies, dass er den Preis aufgrund seiner politischen Überzeugung und seines kulturellen Verständnisses nicht zusammen mit Herrn Korn annehmen konnte? Man hat das akzeptiert und den Vertreter der Muslime ausgewechselt.

Was hat man bei Kardinal Lehmann getan, der den Preis nicht zusammen mit Navid Kermani annehmen wollte? Man lud den Muslim aus und wollte dann auf einen Vertreter der Muslime ganz verzichten. Das ist keine Gleichbehandlung. Das ist ein fatales Zeichen an die hier lebenden Musliminnen und Muslime.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Wagner, ja, Navid Kermani hat recht, wenn er erklärt, dass es für einen säkularen Staat „nicht hinnehmbar [ist], dass ein Ministerpräsident auf Anweisung eines Kardinals so handelt“. Er hat auch recht, wenn er sagt, dass damit „Kochs Versuch, sich... von früheren ,schmutzigen Wahlkämpfen reinzuwaschen’, gründlich in die Hose gegangen“ ist. Damit hat Navid Kermani vollkommen recht. Wer auch immer auf dem Ehrenpodium erscheinen mag, die Landesregierung hat für sich schon unter Beweis gestellt, dass sie keine Ehrung für die Förderung des interreligiösen Dialogs verdient hat.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nun ist das Verhalten des Kardinals Lehmann und des Prof. Steinacker auch nicht wirklich akzeptabel für Menschen, die einen Preis für religiöse Toleranz bekommen sollten.Aber die Entscheidung über die Aberkennung des Preises und damit den Skandal, über den wir heute reden, verantworten allein der Ministerpräsident und das Kuratorium, dem der Ministerpräsident vorsitzt.

Die diesjährige Verleihung des Hessischen Kulturpreises ist ein Desaster. Für die drei möglicherweise verbleibenden Kandidaten ist es eine Peinlichkeit.

Einen Preis für interreligiöse Verständigung zu verleihen und dabei die Muslime auszusparen, das würde die ganze Veranstaltung ad absurdum führen. An die Musliminnen und Muslime, die seit dem 11. September 2001 vielerorts unter Generalverdacht stehen, die im Zuge vermeintlicher Terrorismusbekämpfung oftmals in die Rasterfahn

dung geraten und die verstärkten religiösen und rassistischen Vorurteilen ausgesetzt sind,muss ein anderes Signal als das verheerende Signal gesendet werden, das hier ausgesandt wurde.

(Beifall bei der LINKEN)

Durch kein anderes Bild könnte greifbarer dargestellt werden, wie schlecht es um den offenen und toleranten Dialog mit den Muslimen steht,als durch ein Foto,das den Hessischen Ministerpräsidenten mit den Vertretern der großen Religionsgemeinschaft bei der Verleihung eines Preises zeigt, jedoch ohne Anwesenheit eines Muslims. Das wäre wirklich für viele Menschen in Deutschland und auch in anderen Ländern ein Symbol der Ausgrenzung der Muslime. Deshalb sollte die Verleihung des Kulturpreises dieses Jahr am besten ganz abgesagt werden. Der Schaden ist nicht mehr zu reparieren.Auch die Mitglieder des hochkarätig besetzten Kuratoriums müssen sich fragen lassen, ob sie entweder völlig überfordert waren oder ob sie diese völlig falsche Entscheidung mitgetragen haben.

Das Preisgeld des Hessischen Kulturpreises wäre dieses Jahr sicher besser investiert,wenn man es in Basisprojekte zur Förderung der Toleranz investieren würde als in einen kaputten Leuchtturm.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Koch, Sie haben die Gelegenheit vertan, Ihrem Image einen neuen toleranten Anstrich zu verpassen. Die hessische CDU bleibt mit dem Kampf für die Leitkultur, ausländerfeindlichen Wahlkämpfen und dem Anheizen gefährlicher Stimmungen verbunden.

(Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Das ist eine Frechheit! Das ist eine Unverschämtheit!)

Deutschland und Hessen sind multikulturell und multireligiös. Sie täten gut daran, sich dieser Realität zu stellen und am offenen und toleranten Miteinander der Kulturen mitzuarbeiten, statt Ängste und Misstrauen zu schüren. Wenn er Toleranz und Offenheit in diesem Land voranbringen will, dann sollte der hessische Vorsitzende der CDU als Allererstes einmal die von Hans-Jürgen Irmer herausgegebene Hetzzeitschrift, den „Wetzlar Kurier“, endlich einstellen.

(Peter Beuth (CDU): Das ist unglaublich! Das ist unerhört!)

Diese Zeitung einzustellen wäre ein erster Schritt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN)

In dieser Zeitung kann man folgende Überschriften lesen – ich zitiere –:

Verschärfte Überwachung von Moscheen gefordert

Islamischer Religionsunterricht ist das Einfallstor für die Fundamentalisten

„Für Europa – gegen Eurabien“

„Die schleichende Islamisierung Deutschlands und Europas ist in vollem Gange“

„Islamisten erheben Weltherrschaftsanspruch“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts solcher Überschriften läuten doch alle Alarmglocken.Eine solche Zeitung geben Sie heraus.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt keine Ausgabe des „Wetzlar Kurier“ ohne Hetze über den Islam und Muslime. Es handelt sich hierbei, wohlgemerkt, um eine lokale Parteizeitung der CDU, nämlich eine im Lahn-Dill-Kreis. Sie wird an die Haushalte verteilt.

Sie schüren ganz bewusst Ängste und Vorurteile. Da helfen die schönsten Ehrungen und Preise nichts. Da helfen nur Taten.

Ihr Eintreten für den interreligiösen Dialog und für Toleranz ist unglaubwürdig, solange Sie einen Abgeordneten wie Hans-Jürgen Irmer in den Reihen der CDU-Fraktion haben.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

In diesem Fall ist es meiner Meinung nach zu spät für Taten.Der Streit um den Kulturpreis ist hochgradig peinlich.

(Peter Beuth (CDU):Was Sie hier vortragen, ist unerträglich!)

Das zeigt, wie man keinen Dialog führt.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Herr Bellino, das sind Ihre Leute und Ihre Vokabeln!)

Das Wort erhält nun Herr Abg. Grumbach für die SPDFraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich nach diesen vielen Debatten auf Nebenkriegsschauplätzen einmal versuchen, darüber zu argumentieren, worum es hier geht und worum es hier vielleicht auch nicht geht. Warum müssen wir uns eigentlich heute mit dem Hessischen Kulturpreis überhaupt beschäftigen? Wir müssen dies nicht wegen des Preises selbst, sondern weil er für eine Meinungsäußerung als Sanktion benutzt wurde. Die Tatsache, dass dieser Preis aberkannt wurde, weil jemand einen bestimmten Aufsatz geschrieben hat, ist Ursache für die Debatte, die wir heute führen.

Den Preis als Sanktion zu benutzen ist das, was diesen Preis beschädigt. Denn er ist sozusagen nicht mehr die Würdigung eines Werkes, sondern eine Waffe in einer Auseinandersetzung. Das allein wäre schon Grund genug für eine Debatte.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN)

Was sanktioniert wurde, darüber wurde genug berichtet. Es ist ein Artikel mit einer religiösen Reflexion über ein Bild sanktioniert worden.

Das Spannende daran ist:Warum kam es eigentlich zu dieser Sanktion? Warum führen wir eigentlich eine solche Auseinandersetzung im 21. Jahrhundert? Mir ist das, ehrlich gesagt, völlig unverständlich. Denn es handelt sich um eine Debatte, die innerhalb der christlichen Kirchen seit 1.700 Jahren geführt wird. Sie wird innerhalb der christlichen Kirchen geführt.

Ich will das einmal an ein paar Beispielen deutlich machen. Dass das Kreuz das Symbol der christlichen Kirche ist, ist nicht etwa eine Entscheidung der Kirchen selbst. Vielmehr handelt es sich um die staatliche Entscheidung eines römischen Kaisers. Jeder kennt das, das stammt aus dem Jahr 312:

In diesem Zeichen wirst du siegen.

Das war das Ergebnis einer historischen Entwicklung, die hoch umstritten war. Denn das Symbol mit dem Kreuz beinhaltet die Umdeutung einer früheren Interpretation des Geschehens. Nicht die Auferstehung, also Ostern, wurde in den Mittelpunkt gerückt, sondern der Opfertod am Kreuz.

Es ist in der evangelischen und in der katholischen Theologie eine der Streitfragen, ob das überhaupt eine zulässige Interpretation ist. Das ist in vielen Jahren sehr zugespitzt worden. Es ist z. B. von den protestantischen Reformern zugespitzt worden, die es in Großbritannien gab. John Knox hat gesagt: Es ist Idolatrie, Götzendienst, was mit dem Kreuz geschieht. – Es ist Gotteslästerung im jüdischen Kontext.

Das ist der Punkt, Herr Wagner, wo sozusagen Ihre Weltsicht zu eng ist: Die Kreuzigung Christi verletzt den Respekt des Islamischen vor den Gesandten Gottes. Auch dort ist es Gotteslästerung. Das heißt, Sie haben sich an der Stelle auf eine Position gestellt, von der ich glaube, an der Stelle müsste man ein bisschen reflektierter sein.

In Hessen zitiert man immer Goethe. „Willst du mir zum Gotte machen solch Jammerbild am Holze“ – ein Originalzitat von Goethe, der auch eher religiös war. Ich will deutlich machen, es hat in der deutschen Literatur, in der Kirchendebatte und in der Aufklärung lange Debatten gegeben. Aber was ist anders als diese Debatten? – Anders ist, hier hat ein Muslim geschrieben und nicht ein Jude oder Christ. Für Muslime ist der Kreuzestod nicht mit dem Respekt vor dem Abgesandten Gottes vereinbar.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Aber für uns als Christen!)

Das heißt, für ihn ist das Kreuz bereits eine Verletzung.