Protocol of the Session on June 18, 2009

Das heißt, für ihn ist das Kreuz bereits eine Verletzung.

Die Frage ist jetzt aber, was denn der Auslöser ist. Zwei kirchliche Preisträger haben angedeutet, den Preis nicht annehmen zu wollen.Das habe ich überhaupt nicht zu kritisieren. Es ist ihre Entscheidung, es ist ihr Glaube. Darüber habe ich im Landtag überhaupt nicht zu debattieren. Ich weigere mich auch, darüber zu reden.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Aber es ist kein Preis der Kirchen. Es ist der Preis des Landes Hessen.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Nach meinen Informationen war es die Landesregierung, die angeregt hat, diesen Preis wieder abzuerkennen. Das Spannende ist, in einem Land wie der Türkei, über das wir häufiger diskutiert haben, wäre diese Landesregierung dafür vor den Verfassungsrat zitiert worden,weil sie es gewagt hat, eine religiöse Frage zur Frage der Politik zu machen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ich sage das so deutlich, weil man den Unterschied deutlich machen muss. Das heißt, Religionen haben immer ei

nen Wahrheitsanspruch. Das gehört zu ihrem Wesensbestandteil. Nur, Aufgabe des Staates ist es nicht, über den Wahrheitsanspruch verschiedener Religionen zu entscheiden, sondern Aufgabe des Staates ist es, die unterschiedlichen Wahrheitsansprüche im Rahmen der Verfassung zur friedlichen Austragung zu bringen. An dieser Aufgabe ist die Hessische Landesregierung gescheitert.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Die Kulturpreisaberkennung ist aber auch eine Absage an die Toleranz. „Religiöse Gefühle nicht verletzen“, haben Sie gesagt, Herr Kollege Wagner. Aber das heißt, dann kann die Kontroverse nicht besprochen werden, weil der spannende Punkt ist: Toleranz heißt eben nicht, nur über das zu reden, was gemeinsam ist. Das ist einfach.Toleranz beginnt dort, wo das Einverständnis aufhört. Das ist übrigens ein Satz aus der Aufklärung. Der ist schon ein bisschen älter als das 21. Jahrhundert.

Sie ist nicht die Gleichzeitigkeit, sondern die respektvolle Anerkennung der Widersprüche. Zur Toleranz gehört es eben, dass es für den einen Gotteslästerung ist, das Kreuz zu nutzen, und für den anderen Gotteslästerung, das Kreuz zu dementieren. Das muss ausgetragen werden, aber bitte schön nicht über Preisverleihung, über politische Entscheidungen über Kulturpreise. Das ist der falsche Ort, die falsche Entscheidung.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ich kann mir den Traum eines Pressesprechers gut vorstellen – „Nathan der Weise“, die Ringparabel, zu inszenieren, indem man diese Preisträger zusammen auf die Bühne stellt. Aber „Nathan der Weise“ ist kein Stück, in dem die Personenkonstellation die Entscheidende ist, sondern die Lehre der Toleranz. Wer an dieser Stelle die Regeln der Toleranz – das Miteinander sehr unterschiedlicher, in die Tiefe gehender Differenzen sozusagen gemeinsam tragen zu können – nicht aushalten kann, der sollte solche Inszenierungen vermeiden.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Diese Kulturpreisaberkennung ist auch eine Absage an die Gleichbehandlung. Das ist gesagt worden. Erste Runde, Fuat Sezgin sagt: Nein, ich kann wegen Korn dort nicht teilnehmen. – Was passiert? Er verzichtet auf seinen Preis. Das wird hingenommen. Ein neuer Preisträger wird gesucht.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Richtigerweise!)

Ihm passiert – völlig korrekt.Jeder sagt:Ich kann mir auch Preise vorstellen, die ich nicht gerne hätte.

Zweite Variante. Zwei Preisträger sagen: Wir würden auf unsere Preise verzichten. – Sie haben nicht gefordert – das sagen beide –, jemand anders den Preis abzuerkennen. Sie haben es nicht gefordert, sondern gesagt:Wir würden aus unserer Betroffenheit auf diesen Preis verzichten. – Das ist ihr gutes Recht. Niemand nimmt ihnen das. So, wie Salomon Korn sozusagen die Existenzfrage zu Recht zu seiner persönlichen Frage gemacht hat, so können die eine solche Frage sehr viel stärker zu ihrer persönlichen Frage machen, weil es noch religiöser ist.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Aber es wird nicht darüber debattiert, ob man mit den beiden Preisträgern darüber reden soll, ob sie etwas missverstanden haben – nein.Es wird per Telefonkonferenz einem Preisträger der Preis wieder aberkannt. Das ist der Unterschied, wo die Gleichheit aufhört. Ich wäre schon auf die FDP gespannt, weil Gleichheit vor dem Gesetz die Mindestanforderung einer bürgerlichen Gesellschaft ist – die Gleichheit vor Preisrichtlinien, bitte schön, auch.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Das Schlimme ist, es ist gleichzeitig Ausgrenzung statt Integration, weil dort einem gläubigen Muslimen ein zentraler Glaubensbestandteil zum Vorwurf gemacht wird. Damit wird allen gläubigen Muslimen ihr Glaube zum Vorwurf gemacht. Das ist ein Fehler, der so nicht geht, sondern man muss an dieser Stelle genauso akzeptieren, dass unterschiedliche zentrale Glaubensaussagen in Konflikt miteinander stehen. Das ist das Problem, vor dem wir stehen – nicht die vielen Gemeinsamkeiten.

Neuer Punkt. Es ist die Herabsetzung von Navid Kermani. Das finde ich besonders stark. Der Kulturpreis wird „in Anerkennung besonderer Leistungen zur Förderung von Kultur und Wissenschaft“ verliehen. Meinungen werden nicht gewertet.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Was heißt denn die Aberkennung? Die Aberkennung lautet: Er hat diesen Preis nicht verdient. – Das ist eine Diskriminierung eines anerkannten Literaten und Wissenschaftlers. Dafür hat sich die Landesregierung bei Herrn Kermani zu entschuldigen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Alles in allem: Wenn die Informationen stimmen, die durch die Feuilletons und durch die persönlichen Gespräche sickern,dass die Landesregierung angeregt hat,diesen Preis abzuerkennen, dann ist es Zeit, dass die Landesregierung die Verantwortung dafür übernimmt und sie nicht auf das Kuratorium ablädt, sondern Sie persönlich – Herr Koch – auch die Verantwortung übernehmen. Deswegen debattieren wir es heute.

Lassen Sie mich zum Schluss ein Zitat aus dem Kommentar einer Zeitung sagen. Dort stand: Wenn Kermani den Nobelpreis hat, wird diese Debatte höchstens eine Fußnote sein. – Ich glaube, das entspricht auch der Haltung dieser Landesregierung – eine Fußnote in einem Lebenswerk.

(Anhaltender Beifall bei der SPD,dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Das Wort hat der Abg. Rentsch für die Fraktion der FDP.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gebe zu, dass ich nicht gedacht hätte, dass im Jahre 2009 einmal ein Religionsstreit den Hessischen Landtag in der Weise auflädt.Aber das ist das Zeichen dafür, dass eben nicht nur religiöse Dialoge in extremer Form überall auf der Welt geführt werden, sondern anscheinend auch noch in Deutschland.

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass die Debatte um den Kulturpreis auf jeden Fall für die Beteiligten, aber auch für mich die Gelegenheit gegeben hat, sich mit dieser Frage noch einmal sehr intensiv auseinanderzusetzen. Ich habe in den letzten Wochen sehr viel von dem, was Herr Kermani, aber auch Herr Steinacker und Herr Lehmann publiziert haben, auch im Umfeld zu diesem Thema über die Bedeutung des Kreuzes für die Religionen gelesen. Ich gebe zu, es hat mich sehr interessiert, weil es natürlich auch zeigt, welche Historien diese Religionen vertreten, aber auf der anderen Seite darstellt, welche Probleme immer noch zwischen den großen Religionen in einem unglaublichen Maß bestehen.

Meine Damen und Herren, was Navid Kermani geschrieben hat, ist für mich – das muss ich wirklich sagen – unproblematisch; nein, es ist nicht nur unproblematisch, sondern es ist auf eine andere Weise – wenn man den gesamten Artikel und auch sonstige Äußerungen von ihm liest – ein Artikel, der letztendlich seine Probleme als Muslim mit dem Kreuz darstellt. Die hat der Islam genauso wie das Judentum. Er leitet dann fast schon Begeisterung dafür ab und sagt zum Schluss, in Ansehung des Bildes: Ich könnte sogar an ein Kreuz glauben.

Ich gebe zu, für mich ist diese Aussage eher revolutionär,

(Lothar Quanz (SPD): Richtig!)

wenn man überlegt, was Kermani als sehr strenggläubiger Muslim dort gesagt hat.

(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ich will aber auch sagen, der Preis ist für einen interreligiösen Dialog vorgesehen, und deswegen hat man vier Vertreter ausgewählt. Sie alle sind große Vertreter, das sollte man hier einfach feststellen. Das nehme ich auch für uns in Anspruch. Ich kenne Herrn Steinacker und auch Herrn Lehmann, wie viele hier aus dem Haus, persönlich. Ich gebe zu, die Gespräche, die ich mit beiden geführt habe, waren für mich immer extrem beeindruckend. Für mich ist Kardinal Lehmann eine Persönlichkeit, die in einer unglaublichen Weise ein sehr tolerantes Christenbild verkörpert. Ich gebe zu: Das, was dann als Folge dieses Artikels herausgekommen ist, verwundert mich.

Es verwundert mich deshalb, weil ich Herrn Lehmann und Herrn Steinacker anders kennengelernt habe. Es hat mich auch deshalb verwundert, weil ich persönlich nicht verstehen kann, warum beide diesen Artikel als so etwas Außergewöhnliches im negativen Sinne darstellen.

(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wichtig ist aber die Geschäftsgrundlage dieses Preises. Dieser Preis sollte und soll – ich hoffe, er wird irgendwann auch in diesem Sinne verliehen werden – gerade diesen interreligiösen Dialog auszeichnen: diese vier Persönlichkeiten, die diese drei großen Weltreligionen vertreten.

Was ist dann passiert? Seitens des Kuratoriums hat man Herrn Kermani gebeten, seine Sätze zu erläutern. Das hat er nicht getan.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu Recht – wenn man es gelesen hat!)

Das weiß ich nicht so recht. Ich gebe zu, ich habe es so interpretiert. Herr Kollege Al-Wazir, hier im Landtag ist es aber häufig so: Eine Person sagt etwas, und eine andere versteht es nicht – und trotzdem treten wir noch einmal

zusammen und erläutern es in einem persönlichen Gespräch.

Ich glaube, es wäre richtig gewesen, wenn man diese Runde gesucht hätte. Ich glaube, dabei hätte sich keiner etwas vergeben, zumal ich mir nicht vorstellen kann, dass sich gerade in einem persönlichen Gespräch Kardinal Lehmann und Herr Steinacker den Argumenten von Herrn Kermani, die in diesem Artikel aus meiner Sicht sehr deutlich waren, hätten verschließen können.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das ist das Wesen des Dialogs!)

Ich glaube, das wäre notwendig gewesen. Jetzt lautet die Frage:Wie geht man mit diesem Thema um?

Ich wundere mich, dass Herr Grumbach so heftig auf die Landesregierung verweist. Ich weiß, das Kuratorium hat diese Entscheidung so getroffen. Dafür hat es sicherlich seine Beweggründe gehabt.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir hören aber nichts davon!)