Herr Präsident, meine Damen und Herren! Manchmal besteht das Gute in einer Veränderung. Eine der Veränderungen, die ich positiv registrieren kann, ist die verbale Abrüstung.
Ich erinnere mich an die letzte Blockupy-Debatte. Die Selbstverständlichkeiten, das Demonstrationsrecht ohne Gewalt, sind, so glaube ich, in diesem Haus ziemlich unstrittig. Der spannende Punkt ist dann aber die Frage, warum wir diese Aktuelle Stunde machen. Im Prinzip werden die Fragen von allen Seiten zu schlicht beantwortet.
Ich will das an einem simplen Beispiel deutlich machen. Ich bin dem Kollegen Mick für seinen Beitrag sehr dankbar, weil er auf den Inhalt des Punktes eingegangen ist. Das Spannende, was er gesagt hat, war die freundliche Bemerkung: Na ja, alle diese Regierungen und Parlamente sind die Verpflichtungen freiwillig eingegangen. – Das ist, mit Verlaub, eine diskussionswürdige Position. Denn was kann eine Regierung oder ein Parlament machen, wenn sozusagen die Staatspleite ins Haus steht und die Einzigen, die helfen, ganz klare Bedingungen festlegen? Ob das dann so ganz freiwillig ist, ist fragwürdig. Der spannende Punkt, über den es sich lohnt, nachzudenken, ist folgender. Ich bin überhaupt noch nicht so weit, zu sagen, das sei richtig oder falsch. Man muss darüber nachdenken, was das den Menschen zumutet.
Ich will Ihnen das einmal an einem ganz simplen Beispiel deutlich machen. Das, was in Griechenland passiert, bedeutet Einsparungen im Staatshaushalt von 5 % des Bruttoinlandsproduktes. 5 % des Bruttoinlandsproduktes in Deutschland wären 120 Milliarden €. Das in einem deutschen Staatshaushalt einzusparen würde bedeuten, der Bundeshaushalt würde auf zwei Drittel reduziert. Ich will einfach einmal beschreiben, dass es manchmal vielleicht hilft, statt abstrakt große Worte zu schwingen, ein Stück herunterzugehen auf die Ebene der konkreten Auswirkungen und in einer differenzierten Argumentation ins Gleichgewicht zu bringen das, was nötig ist, um Staatsfinanzen zu stabilisieren, und das, was nötig ist, um Menschen noch Lebensumstände zu lassen, unter denen sie vernünftig leben können.
Das geht nicht mit den großen Worten. Das geht mit ziemlich präziser Kleinarbeit. Das geht mit der Frage, die wir hier mehrfach diskutiert haben. Wir brauchen auf der einen Seite ganz klar eine Begrenzung dessen, was zukünftige Generationen in Europa schultern können, auf der anderen Seite aber eine ebenso klare Investition in die Zukunft dieser Generationen. Wer die eine Seite betont und sagt, es gebe keine Alternative zum Sparen, ohne darüber zu reden, wie er dafür sorgt, dass die Hälfte der Jugendlichen, die heute in Südeuropa unbeschäftigt sind, Beschäftigung bekommt, der verfehlt das Thema.
Genau das ist der Grund, warum ich für die vielen Veranstaltungen in Frankfurt eher dankbar bin. Es geht nicht darum, ob ich irgendeine Meinung teile. Aber es geht darum, dass unter den Einheitsdebatten, die wir haben, neue Ansätze deutlich werden. Denn das, was in Europa vor uns liegt, ist ein Stück größer und differenzierter als das, was wir uns bisher an Antworten leisten. Die einfachen ideologischen Aussagen „Finanztransaktionssteuer nein“ oder „Finanztransaktionssteuer ja“ sind zu schlicht. Wir haben Gestaltungsaufgaben. Und wir haben die Situation, dass die gesamte Politik diesen Gestaltungsaufgaben nur teilweise gerecht geworden ist. Wenn wir nicht darüber nachdenken und wenn wir nicht schrittweise daran arbeiten,
wer dann sonst? – Also betrachten wir das Ganze bitte schön als Anregung. Betrachten wir das Ganze in Frankfurt als einen Debattenbeitrag, zu dem wir unsere eigenen Beiträge beisteuern müssen, und diese Beiträge dürfen dann etwas weniger schlicht sein als der eine oder andere, den ich hier gehört habe.
Dann ist der nächste Punkt, der, so glaube ich, noch einmal von uns allen zu Ende gedacht werden muss, die Frage nach dieser europäischen Politik. Denn wir Deutsche haben ja die bittere Erfahrung gemacht, was es heißt, wenn Arbeitslosenzahlen die 20- und 30-%-Marken erreichen. Wir haben die bittere Erfahrung gemacht, was es heißt, wenn der Anteil arbeitsloser Jugendlicher weit über 50 % liegt. Ich glaube schon, dass wir eine gemeinsame Verpflichtung haben, dafür zu sorgen, dass das nicht weiter um sich greift.
Ich sage das so deutlich, weil ich schon ein Stück weit den Eindruck habe, dass wir in dem ruhigen Fahrwasser, in dem sich Deutschland befindet, ein Stück weit außer Acht lassen, dass sich hier nicht, wie es in den freundlichen Träumen der Linkspartei ist, eine Entwicklung abzeichnet, die die Gesellschaft grundlegend in eine Richtung ändert, die ihnen gefällt. Es zeichnet sich durchaus etwas anderes ab: Es zeichnet sich eine neue Hoffnungslosigkeit ab, eine neue undemokratische Hoffnungslosigkeit.
Unser aller Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass es dafür keine Basis gibt. Das ist der Job. Darum reden wir darüber.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Überlegung und Kleinarbeit sind in diesem Zusammenhang politisch sicher nicht falsch. Ich bezweifle aber, dass das, was Herr Dr. Wilken hier vorgetragen hat, der richtige Weg ist – das sehen wir auch an dem Entschließungsantrag –, einen Neustart der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu fordern. Was dahintersteht, halte ich auch für falsch: Die soziale Marktwirtschaft über Bord zu werfen würde unser Land ins Verderben führen.
An dem genannten Wochenende geht es in Frankfurt um die Sicherstellung der Ausübung von Grundrechten, aber auch um die Sicherstellung der Durchführung des zivilen Lebens. Ich sage ganz offen: Aus meinem Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis habe ich erfahren, dass sich viele Familien Gedanken darüber machen, wo sie sich an diesem Wochenende treffen – vielleicht auch gerade nicht in Frankfurt. Das muss in dieser Diskussion auch berücksichtigt werden.
Prima. – In Hessen wird das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit hoch geschätzt und geschützt. Ich habe kein Problem damit, zu sagen, Hessen begrüßt friedliche – ich betone: friedliche – Demonstranten in Frankfurt. Was wir jedoch vehement ablehnen und konsequent bekämpfen werden, sind Protestformen, die mit Mitteln der Gewalt oftmals zum Schaden Unbeteiligter ausgelebt werden.
Solche Aktionstage heißt die Hessische Landesregierung ausdrücklich nicht willkommen. Sicherlich werden in der kommenden Woche viele friedliche Menschen aus Hessen und dem Bundesgebiet nach Frankfurt am Main kommen,
um ihren Protest auf die Straße zu tragen. Rechtlich ist das kein Problem, das haben wir hier gehört.
Daneben zeichnet sich jedoch seit Beginn der Mobilisierung für diese Blockupy-Aktionstage ab, dass Personen der linksextremistischen bzw. der linksautonomen Szene diesen legitimen bürgerlichen Protest erneut für ihre teils gewalttätigen und verfassungsfeindlichen Zwecke missbrauchen wollen.
Herr Bauer hat ein Zitat gebracht, das ich gern ergänzen würde: „Machen wir Frankfurt zum Wendland des Antikapitalismus!“, und: „Wir stellen unsere Aktion deshalb in eine Reihe mit Kämpfen in Frankfurt um das Recht auf Stadt“. – In der Sache selbst muss man sehen, wie sich das entwickelt. Allerdings stören mich und uns schon solche Begriffe wie „kämpfen“, „Wendland“ und „Kampfzone“.
Das Zitat mit der „Kampfzone“ stammt vom kommunistischen „umsGanze“-Bündnis. Dieses Bündnis hat bei M 31 eine bemerkenswert negative Rolle gespielt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sicherheitsbehörden sind sorgfältig darauf vorbereitet, werden dort sein und auch konsequent gegen Gewalttäter vorgehen. Sie werden die Ausübung von Grundrechten sicherstellen.
Ich weiß, dass die bisher zur Anmeldung gelangten Veranstaltungen nach heutigem Stand durchweg – wenn auch im Einzelfall mit Auflagen – genehmigt werden. Das lässt hoffen, dass das Ganze friedlich – ich will nicht sagen: über die Bühne geht – zu regeln ist.
Die Sicherstellung von Grundrechten ist Aufgabe und Pflicht unserer Polizeibeamtinnen und -beamten. Die hessische Polizei – das kann ich Ihnen versichern – will eine versammlungsfreundliche Verfahrensgestaltung mit den friedlichen bürgerlichen Protestparteien gewährleisten. Sie wird auf einen Dialog und auf Transparenz setzen.
Bedauerlicherweise – das haben wir hier schon gehört – haben sich die bürgerlichen Bündnisse in der Organisati
onsgemeinschaft der anstehenden Blockupy-Aktionstage wie schon im vergangenen Jahr nicht klar von diesem Spektrum distanziert. Das begreife ich nicht, und ich denke, Herr Dr. Wilken und Herr van Ooyen, dass es sicher auch eine Aufgabe für Sie ist, hier Verantwortung zu zeigen und möglichen Gewalttätigkeiten entgegenzuwirken.
Meine Damen und Herren, ich kann nicht verstehen, was erwachsene Menschen bewegt, gewalttätig durch Straßen zu laufen, aber in politischen Fragen einen hohen intellektuellen Ansatz für sich in Anspruch zu nehmen und die Frage nach den Grundrechten zu stellen.
Da müsste jeder ein Vorbild sein. Ich kann auch nichts damit anfangen, wenn Menschen sagen, die Gewalt sei deswegen eingetreten, weil die Polizei dort war. – Das zeugt nicht von Lebensklugheit und ist kein Vorbild. Ich kenne viele Polizisten, die solchen Argumenten fassungslos gegenüberstehen, sind sie doch gerade zum Schutz der Grundrechte im Einsatz.
Ich wünsche mir eine friedliche Ausrichtung der angekündigten Veranstaltungen. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen versichern, dass alles dafür getan werden wird, um Versammlungsfreiheit zu gewährleisten. Gewalttätigkeiten und Straftaten werden wir jedoch weiter konsequent unterbinden und verfolgen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Herr Koch, ich will es Ihnen sagen: Ich habe fast mein Fünfzigjähriges – seit meinem 16. Lebensjahr demonstriere ich friedlich, weil ich Waffen immer abgelehnt habe. Das ist ein Prinzip von mir, das ich natürlich auch bei den Blockupy-Aktionen beibehalten werde.
Es war aber so – das haben Sie ganz vergessen, Herr Koch –, dass die Festgenommenen im letzten Jahr jeweils 500 € von der Polizei bekommen, weil sie gegen Recht und Gesetz festgenommen wurden.