Protocol of the Session on December 13, 2012

Überlegen Sie mal. Rechnen Sie es aus.

(Heiterkeit)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, ich finde, wir haben hier gerade so etwas wie eine Karikatur eines Ministerpräsidenten erlebt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Eine Frechheit! Göre! – Weitere Zurufe von der CDU)

Wenn ein Ministerpräsident den größten Teil seiner Rede zum Thema Mindestlohn damit verbringt, über das Klatschverhalten von Abgeordneten der SPD-Fraktion statt über die realen Lebensverhältnisse der Menschen zu reden, dann ist das für ihn wirklich ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – René Rock (FDP): Das hat eure Rednerin auch gemacht! – Lebhafte Zurufe von der CDU und der FDP)

Wir haben mittlerweile über 300.000 Menschen in Hessen, die zu Niedriglöhnen arbeiten. Herr Ministerpräsident, das denken nicht wir uns aus, sondern diese Zahlen werden durch eine Studie des Wirtschaftsministeriums belegt. Ich will Ihnen auch sagen, dass bundesweit mittlerweile knapp 50 % der Arbeitsplätze nicht mehr tarifgebunden sind und dass die Gewerkschaften schätzen, dass in Hessen 40 % der Arbeitsplätze nicht mehr tarifgebunden sind.

Der Fisch stinkt aber auch vom Kopf: Es ist doch ein Hohn, wenn Sie sagen, Tarifflucht sei in Hessen kein Problem, das Land aber selbst Tarifflucht begangen hat, als Sie im Jahr 2003 aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausgetreten sind.

(Beifall bei der LINKEN – Ministerpräsident Volker Bouffier: Wir haben doch einen eigenen Tarifver- trag!)

Ja, aber erst seit dem Jahr 2010.

(Ministerpräsident Volker Bouffier: Was reden Sie denn? Sie sind schlecht informiert! Hessen hat einen eigenen Tarifvertrag!)

Sie sind 2003 aus der Tarifgemeinschaft der deutschen Länder ausgetreten und haben erst im Jahr 2010 einen Tarifvertrag geschlossen, Herr Ministerpräsident. Das sind sieben Jahre – –

Frau Kollegin Wissler, Ihr Forum sitzt vor Ihnen. – Auch den Herrn Ministerpräsidenten darf ich freundschaftlich bitten, sich so zu verhalten, dass hier im Hause alles nach Recht und Gesetz zugeht. Ich bitte vor allen Dingen, dass es friedlich bleibt, wie ich es gerne habe, weil ich ja etwas über den Dingen stehe.

(Norbert Schmitt (SPD): Sitze! – Heiterkeit)

Frau Kollegin Wissler, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. Es ist gut, dass Sie den Herrn Ministerpräsidenten an die Einhaltung von Recht und Gesetz erinnern.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Frau Kollegin Wissler, es war nicht erforderlich, dass Sie die Worte des Präsidenten kommentieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Gut, Herr Präsident. – Die Landesregierung hat selbst Tarifflucht begangen. Wir hatten in Hessen sieben Jahre lang keinen Tarifvertrag für die Landesbeschäftigten. Herr Ministerpräsident, hier stinkt der Fisch vom Kopf her. Deswegen können Sie sich doch nicht achselzuckend hierhin stellen und sagen, die Tarifparteien sollen das selbst klären – angesichts der Tatsache, dass wir in so vielen Bereichen überhaupt keine Tarifverträge mehr haben.

Der Kollege Schäfer-Gümbel hat völlig recht, wenn er sagt, dass die Position der Gewerkschaften in den letzten Jahren ganz massiv schwächer geworden ist.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Genossen im Geiste!)

Er hat recht. Natürlich brauchen wir starke Gewerkschaften, die vernünftige Tarifverträge erkämpfen können. Der Mindestlohn ist hier eine Brücke, aber natürlich nicht die Lösung.

(Zurufe von der CDU)

Herr Schäfer-Gümbel, Sie haben leider nicht gesagt, warum die Verhandlungsposition der Gewerkschaften schwächer geworden ist. Wenn man den DGB fragt, dann erhält man die Antwort: Das hat etwas mit den Arbeitsmarktreformgesetzen zu tun, also mit den Gesetzen, die man unter der Bezeichnung Hartz I bis Hartz IV kennt.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist absurd!)

Sie wissen genauso gut wie ich, dass der DGB gesagt hat, dass Hartz IV ein Problem für die Tarifverträge ist. Das ist doch wohl völlig unbestritten.

(Widerspruch bei der SPD)

Der DGB hat große Demonstrationen gegen die Agenda 2010 organisiert. Dass wir heute einen gesetzlichen Mindestlohn brauchen, hat doch etwas damit zu tun, dass der Niedriglohnsektor in den letzten Jahren so explodiert ist

und dass die Reallöhne in den letzten Jahren abgesackt sind.

(Peter Seyffardt (CDU): Sie leben außerhalb der Realität, Frau Wissler!)

Herr Ministerpräsident, Sie können sich doch nicht einfach hierhin stellen und sagen, es gebe kein Problem, das man gesetzlich lösen müsste, sondern man solle das tariflich regeln.

Es geht hier um die Existenz von Menschen. Das sind Menschen, die Vollzeit arbeiten, aber nicht genug Geld verdienen, um davon leben zu können. Sie sind trotz ihrer Vollzeitarbeit gezwungen, aufzustocken, weil sie von diesen Gehältern einfach nicht leben können. Ich halte es für einen Skandal, dass es die Allgemeinheit tragen muss, wenn Unternehmen Dumpinglöhne zahlen, um Kosten zu sparen.

Hier geht es um die Existenz von Menschen. Deswegen brauchen wir selbstverständlich einen gesetzlichen Mindestlohn in Hessen. Wir brauchen einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn; denn das Grundgesetz verpflichtet uns dazu, dafür zu sorgen, dass die Lebensverhältnisse in den Ländern gleich sind. Dann kann man doch nicht ernsthaft derart große Unterschiede im Lohnniveau zwischen Ost und West, wie es sie derzeit gibt, beibehalten wollen. Deswegen sagen wir, dass wir einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn brauchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu dem Argument, die Krisen in Spanien und Griechenland seien entstanden, weil es dort einen Mindestlohn gibt: Herr Ministerpräsident, das glauben Sie doch selbst nicht. Es ist doch völlig absurd, dass der gesetzliche Mindestlohn schuld daran sein soll, dass sich Spanien und Griechenland in einer Krise befinden. Das hat ganz andere Ursachen. Der Grund dafür ist sicherlich nicht der gesetzliche Mindestlohn.

Den brauchen wir in Hessen, weil wir die Rutschbahn der Löhne endlich anhalten müssen und weil es nicht sein darf, dass Menschen von ihrer Arbeit nicht leben können.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Kollegin Wissler, herzlichen Dank. Sie haben „Karikatur eines Ministerpräsidenten“ formuliert. Das gefällt uns hier oben nicht; das darf ich an Sie weitergeben.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Eine Göre ist das!)

Auch der Zwischenruf „Eine Göre ist das!“ ist nicht in Ordnung. Der gefällt uns ebenfalls nicht.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Es ist doch wahr!)

Wir haben auch zwischendurch gehört, etwas sei gelogen oder eine Lüge. Wir können diese Zwischenrufe niemandem zuordnen. Sie wissen, dass das nicht parlamentarisch ist. Im Parlament wird nicht gelogen. Wenn überhaupt, wird die Unwahrheit gesagt.

(Allgemeine Heiterkeit)

Sie wissen ja, wie es mit der Formulierung ist. – Ich bitte die zukünftigen Redner, sich daran zu halten. Nun hat Kollege Wagner, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Was für ein Auftritt des amtierenden Ministerpräsidenten unseres Landes.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist immer wieder spannend, zu erleben, wozu Ministerpräsident Bouffier in diesem Hause schweigt und wozu er sich zu Wort meldet. Da versenkt seine Wissenschaftsministerin 23 Millionen € in der European Business School, und der Herr Ministerpräsident schweigt.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Meine Güte!)

Da beleidigt die Wissenschaftsministerin in bisher nicht bekannter Art und Weise den Hessischen Rechnungshof, und der Herr Ministerpräsident schweigt zu diesen Fragen. Aber dann macht eine Abgeordnete der LINKEN der SPD einen Vorwurf, und plötzlich wird der Herr Ministerpräsident munter. Was haben wir eigentlich für einen Regierungschef in diesem Land?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)