Protocol of the Session on November 22, 2012

(Holger Bellino (CDU): So ist es!)

Ihre pessimistischen Einlassungen zu diesem Vorhaben tragen zur Düsternis Ihres Antrags bei. Ich würde diesen Punkt aber gern so lange vertagen, bis wir uns mit dem Gesetzentwurf ganz regulär befassen. Das wird nicht lange dauern.

Viertens: hohes Engagement der Landesregierung. Der Quantensprung, der beim Ausbau der U-3-Betreuung in Hessen derzeit zu beobachten ist,

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Der Quantensprung ist die kleinste mögliche Bewegungseinheit!)

ist eine große Leistung der Kommunen, denen wir ausdrücklich Respekt und Anerkennung zollen. Unterstützt werden die Kommunen vom Bund – das ist angesprochen worden – und, im Gegensatz zu dem, was wir in der merzschen Märchenstunde gehört haben, signifikant auch vom Land: Verdreifachung der Betriebskostenförderung seit 2007 und ein Landesinvestitionsprogramm in Höhe von 55 Millionen €, das schon im laufenden Jahr wirksam wird.

Wie kommen Sie eigentlich darauf, den Beitrag als unangemessen zu bezeichnen? Wer für die frühkindliche Bildung im laufenden Jahr 355 Millionen € ausgibt – fast fünfmal so viel wie 2002 – und dafür im Doppelhaushalt insgesamt 868 Millionen € veranschlagt, nimmt dieses Thema überaus ernst. Das ist richtig und verdient Anerkennung.

(Beifall bei der CDU)

Der etwas kurvenreiche Weg zu diesem Ergebnis geht übrigens auf den ebenfalls anspruchsvollen haushaltspolitischen Kurs der Landesregierung zurück, den wir im Interesse eben der Kinder verfolgen, um deren Entwicklung und

verlässliche Bildung wir uns an dieser Stelle bemühen. Vielleicht sollten Sie einmal das Gespräch mit Ihren Haushaltspolitikern suchen, die morgens die Schulden beklagen, während Sie mittags das Ausgeben einfordern.

(Beifall bei der CDU)

Fünftens: flankierende Familienunterstützung. Wenn wir über die Verlässlichkeit für Familien sprechen, müssen wir sehen, dass es auch noch eine andere Seite der Medaille gibt. Die Familien brauchen auch eine verlässliche Unterstützung, wenn sie vor Schwierigkeiten stehen und überfordert sind. Die Anforderungen an die elterliche Erziehung sind nicht kleiner geworden. Je mehr Betreuung außerhalb der Familie stattfindet, desto mehr komplementäre Klugheit ist in der innerfamiliären Erziehung gefragt.

Deshalb sind Familien- und Elternbildung sowie frühe Hilfen gefragt, z. B. Familienhebammen und – Frau SchulzAsche hat es ebenfalls angesprochen – niederschwellige Beratungs- und Unterstützungsangebote. Deshalb ist uns die Gründung von Familienzentren ein ebenso wichtiges Anliegen wie die Schaffung der notwendigen Betreuungsinfrastruktur, und deshalb bauen wir das Netz von Familienzentren in diesem Land auch konsequent aus. „Das ist eine strukturelle und innovative Antwort auf veränderte Bedarfslagen von Familien in der heutigen Gesellschaft“, so würdigt es Frau Prof. Uta Meier-Gräwe von der JustusLiebig-Universität in Gießen.

Sechstens. Das Betreuungsgeld, mit dem die Wahlfreiheit für Familien gesichert werden soll, ist wiederum vielfach angesprochen worden. Herr Merz, in unserer letzten Debatte hierzu haben Sie sich auf die Frage der Prioritätensetzungen zurückgezogen. Dafür kann man ein gewisses Verständnis haben. Kein Verständnis habe ich aber für den Kulturkampf in den letzten Wochen.

Auch in Ihrem Antrag holen Sie wieder zu einem Rundumschlag aus. Liebe SPD, es gab Zeiten, als Ihre Spitzenleute in Berlin den vernünftigen Kompromiss aus Stärkung der Infrastruktur und Anerkennung der innerfamiliären Betreuung lobten. Vergesslichkeit ist übrigens auch eine Form von Schwachsinnigkeit.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Uiuiui!)

Ja. – Herr Merz, vergessen haben Sie offenbar auch Ihr Plädoyer für die Elternrolle und für die Elternrechte, das ich Ihren Bemerkungen oft – und zustimmend – entnommen habe. Stattdessen tragen Sie mit der Art und Weise, wie Sie diese Debatte führen – auch von hier aus –, dazu bei, dass Eltern als Dilettanten diffamiert werden, wenn sie für ihre Kinder die Betreuung in der eigenen Familie oder jedenfalls eine andere Betreuung als die in einer öffentlich geförderten Krippe oder in einer Tagesfamilie wählen.

(Holger Bellino (CDU): Sehr richtig!)

Ich fürchte, es wird gar nicht lange dauern, bis Sie denjenigen zustimmen, die finden, dass es, wenn der Rechtsanspruch erst einmal umgesetzt ist – woran wir alle intensiv arbeiten –, gar keinen Grund mehr gibt, den Eltern die Option auf eine Elternzeit jenseits des ersten Lebensjahres ihres Kindes einzuräumen. Die Formulierung zu Beginn Ihres Antrags lässt tief blicken. Frühkindliche Bildung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf „dienen somit der heimischen Wirtschaft“.

Ich bestreite den Zusammenhang nicht; dennoch haben wir ein anderes Verständnis davon. Die Familienpolitik hat für uns aus sich heraus Gewicht;

(Beifall bei der CDU)

denn jedes Kind hat einen Anspruch auf die bestmögliche persönliche Entfaltung, und jede Familie soll ungehindert entscheiden können, wie sie leben will. Das ist der Wert der Freiheit, der Vielfalt und des Respekts vor Unterschiedlichkeit.

Sie dagegen – das zeigt auch Ihr schulpolitisches Programm – missbrauchen den Bildungsgedanken, um Gleichmacherei zu betreiben: alle Kleinkinder raus aus der Familie und rein in die Einrichtungen; denn da wartet eine professionelle Bildung auf sie.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ei, ei, ei!)

Zu empfehlen ist übrigens ein Blick über den Tellerrand. In allen Familienmusterländern Europas, zu denen sonst gern hinübergeblickt wird – Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und auch Frankreich –, gibt es für Eltern, die die Erziehung ihres ein- oder zweijährigen Kleinkindes selbst organisieren, ein Betreuungsgeld zwischen 300 und 850 € pro Monat. Im Verbund mit Tagespflege, Krippen und Teilzeitregelungen erlauben die Leistungen in diesen Ländern den Eltern, einen individuellen Erziehungsweg einzuschlagen: von der häuslichen Kinderpflege im ersten Lebensjahr bis zum selbstverständlichen Kindergartenbesuch ab dem dritten Lebensjahr. So kann elterliche Zuwendung mit der gewünschten Betreuungsform und der Erwerbstätigkeit kombiniert werden.

Frau Kollegin Wiesmann, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Diesen Weg gehen wir auch in unserem Land. Die CDU steht dazu – die CDU Hessens allemal.

Ich fasse zusammen: Wir arbeiten auf allen Ebenen kraftvoll an der Erfüllung des Rechtsanspruchs zu Bedingungen, die in Ergänzung zum ersten und wichtigsten Bildungsort, nämlich der Familie, eine frühkindliche Bildung ermöglichen. An diesem Kurs halten wir fest. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wiesmann. – Herr Kollege Merz hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich hätte eigentlich gar keine Neigung gehabt, etwas zu sagen,

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Dann hätten Sie es doch gelassen!)

wenn ich nicht durch Bemerkungen dazu gezwungen worden wäre, die an dem, was ich in der Vergangenheit und auch heute ausgeführt habe, völlig vorbeigehen. Frau Kollegin Wiesmann, so geht das nicht. Sie haben heute erneut versucht, aus der Tatsache, dass ich nicht all das wiederholt habe, was ich in der Vergangenheit zu den Themen „Wahlfreiheit von Eltern“ und „Anerkennung der Betreuungsleistung von Eltern“ gesagt habe – ich habe heute überhaupt ganz viel nicht erwähnt; denn in zehn Minuten kann man, wie Sie genauso gut wissen wie ich, bedauerlicherweise nicht alles ansprechen –, einen Vorwurf zu konstruieren, der an uns aber abprallt. Sie haben angedeutet, dass die Kritik am Betreuungsgeld irgendetwas damit zu tun hat, dass in der Sozialdemokratischen Partei in ihrer Gänze, in der hessischen SPD insbesondere und vor allem in der SPD-Landtagsfraktion die Leistungen von Eltern nicht anerkannt würden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Nun hat, wenn man so will, unser Fraktionsvorsitzender gestern zu dieser Anerkennung in Form von 100 € etwas gesagt. Er hat nämlich erklärt, was das umgerechnet auf die reale Arbeit von Vätern und Müttern – davon verstehen Sie so viel wie ich – tatsächlich bedeutet. Aber darum geht es nicht, und das wissen Sie auch.

Sie haben jetzt zum wiederholten Mal versucht, die Kritik am Betreuungsgeld in eine Kulturkampfdebatte umzumünzen: in eine Debatte über die angebliche Absicht der SPD, die Kindheit zu verstaatlichen. Ich sage Ihnen deshalb zum wiederholten Mal – wenn Sie wieder darauf zu sprechen kommen, werde ich es noch einmal machen –: Es gibt solche Pläne nicht. Wir stehen dazu, dass sich der Staat, die Gesellschaft und die Eltern die Verantwortung für die Kinderbetreuung teilen müssen.

Deswegen steht – das ist der letzte Punkt – das Kind in unserem Antrag an erster Stelle. Es ist nicht so, dass der wirtschaftliche Aspekt an erster Stelle stünde, sondern der zweite Satz nach der allgemeinen Beschreibung des Themas lautet:

Den Kindern sichert das Angebot an frühkindlicher Bildung ihre Zukunftschancen.

Daran können Sie erkennen, dass bei uns das Kind an erster Stelle steht, und dabei bleibt es.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Frau Kollegin Wiesmann, Sie möchten darauf antworten. Bitte.

Lieber Kollege Merz, ich habe mich sehr bemüht, mich mit Bedacht auszudrücken.

Ich habe gesagt: Die Formulierung Ihrer Anträge und auch Ihre Begründungen tragen zu der Form der Debatte bei. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Richtig! – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Na ja!)

Zu Ihrem Antrag. Da steht tatsächlich – auch das habe ich genau gelesen –: Es geht um die Zukunft der Kinder. –

Daraus ziehen Sie Schlussfolgerungen, die sich auf den Dienst an der heimischen Wirtschaft beziehen.

(Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Dazwischen steht ein Punkt. Aber das ist trotzdem ein logischer Zusammenhang, der dort abgeleitet wird.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ei, ei, ei! – Gegenruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU): Aber selbstverständlich! Wer spricht denn von der Herdprämie? – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Sehr mühsam! – Weitere Zurufe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Die Schlussfolgerung, dass die frühkindliche Bildung und die Verfügbarkeit von Arbeits-, von Fachkräften der heimischen Wirtschaft dienen, ist aus dem Vorspann zu Ihrem Antrag eindeutig herauszulesen.

(Beifall des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU) – Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Herr Merz, ich will Sie wirklich nicht persönlich attackieren. Das ist nicht mein Anliegen. Deshalb habe ich auch gewürdigt, dass Sie sich am Ende über Prioritäten unterhalten. Das akzeptiere und respektiere ich.