Bildungs- und Betreuungsangebote, vor allem auch frühkindliche Betreuungsangebote, sind der Schlüssel zu lebenslangem Lernerfolg. Dabei geht es um gleiche Chancen für alle Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem sozialen Umfeld.
Wir wissen aus sehr vielen Studien, dass qualitativ hochwertige und gerade auch individuelle Förderung von Kindern, besonders aber derjenigen Kinder, die sehr schlechte Startbedingungen haben, dazu führt, dass diese Kinder besonders davon profitieren. Politik hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, diesem Anliegen Rechnung zu tragen, damit alle Kinder beste Chancen für ein gutes Aufwachsen erhalten.
Ich will nicht überheblich klingen, aber natürlich ist aus grüner Sicht festzustellen, dass viele unserer Positionen und Forderungen, für die wir jahrelang gescholten wurden, mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Das gilt für den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab dem ersten Geburtstag, das ist auch gut so. Das gilt auch für viele andere Themen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tangieren.
Ich freue mich, und ich will auch ausdrücklich das Umdenken loben, das sich in den letzten Jahren in der HessenCDU vollzogen hat. Das möchte ich durchaus anerkennen und würdigen, wenn es auch nicht ganz reicht. Aber hier ist von einem Wandel zu reden.
Ich freue mich, dass in Hessen die Weichen jetzt anders gestellt sind. Durch das Kinderförderungsgesetz des Bundes ist endlich Bewegung auch in die Betreuungslandschaft in Hessen gekommen. Aber, das kann ich Ihnen nicht ersparen, der Titel des Antrags der SPD hat völlig recht: Sie haben den notwendigen Ausbau der frühkindlichen Bildungsangebote verschlafen. – Durch Ihr zögerliches Verhalten ist wertvolle Zeit verloren gegangen. Hessens Ausbaurate lag in der Vergangenheit zwischen 2 und 3 %. Im bundesweiten Ranking liegen wir nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts auf Platz 10 bei der Betreuungsquote für die unter Dreijährigen, auch das seit ein paar Jahren.
Hessen ist das Bundesland, in dem die Differenz zwischen der tatsächlichen Betreuung und dem Betreuungsbedarf, der von den Eltern angemeldet wird, am drittschlechtesten ist. Schlechter sind nur noch Bremen und Nordrhein-Westfalen. Das ist ein Zeichen dafür, wie dringend der Handlungsbedarf ist. Auch das wird im Antrag der SPD gut formuliert.
Sie haben durch Ihr zögerliches und unwilliges Handeln ein strukturelles Problem in der Kinderbetreuungslandschaft zu verantworten, das sich nicht nur daran bemisst, dass bis zur Umsetzung des Rechtsanspruchs je nach Statistik 10.000 oder 13.000 Betreuungsplätze fehlen. Wir haben einen eklatanten Fachkräftemangel, den wir Ihnen seit Jahren schon vorausgesagt haben und der jetzt auch tatsächlich eingetreten ist.
Ob es tatsächlich funktionieren kann, mit fachfremdem Personal zu agieren, da habe ich wirklich meine Zweifel. Es geht nicht nur um quantitativen Ausbau. Wir brauchen Erzieherinnen und Erzieher, die gut ausgebildet sind, die Zeit für die Kinder haben. Sie müssen verlässliche, freund
liche und den Kindern zugewandte Beziehungspersonen sein. Kinder müssen sich so gut entwickeln können, dass die Eltern, die Mütter und Väter, ihre Kinder ohne Bedenken und mit dem Wissen, dass sich gut um sie gekümmert wird, in Einrichtungen geben können.
Das von Roland Koch propagierte Land der Tagesmütter sind wir nicht geworden. Wir haben hier einen leichten Anstieg. Wir sind nicht das Familienland Nummer eins geworden, wie Roland Koch es versprochen hat. Im Ranking für die Betreuung befinden wir uns im Mittelmaß, und zwar für alle Altersgruppen, mehr nicht.
In Hessen haben Alleinerziehende mit 29 % und Familien mit drei oder mehr Kindern mit 22 % ein sehr hohes Armutsrisiko. Meine Damen und Herren, Hessen kann man wirklich nicht als Familienland Nummer eins bezeichnen. Im Gegenteil, hier ist ein ganz großer Handlungsbedarf gegeben – und die Betreuung gehört dazu.
Nach unserem Gerechtigkeits- und Staatsverständnis hat die Politik niemandem vorzuschreiben, wie er oder sie zu leben hat. Das bezieht sich selbstverständlich auch auf die Familien und darauf, wie sie leben: ob die Partner verheiratet sind oder nicht, ob sie ein Kind oder mehrere Kinder haben, in der Stadt oder auf dem Land leben, ob sie Elternzeiten in Anspruch nehmen oder nicht, ob sie ihre Kinder betreuen lassen wollen oder nicht, wie sie die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie regeln, usw. Politik hat aber die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen vorhanden sind bzw. geschaffen werden, dass sich Eltern wirklich frei entscheiden können, ob und wie sie Erwerbstätigkeit und Familie vereinbaren und wie sie ihre Kinder erziehen. Dazu gehören Beratungs- und Unterstützungsangebote, z. B. Familienzentren, Familienbildungsstätten und dergleichen mehr. Dazu gehört ein ganzes Netz von Maßnahmen, die familienfreundliche Strukturen bereithalten. Dazu gehören auch das Elterngeld, die Elternzeit und frühkindliche Bildungs- und Betreuungsangebote, die endlich – als Rechtsanspruch – nicht nur für Kindergartenkinder, sondern auch für kleinere Kinder zur Verfügung stehen – wohlgemerkt: als Angebot, nicht als Pflicht, einen Betreuungsplatz in Anspruch zu nehmen.
Deswegen wirkt das Betreuungsgeld, wie es auf der Bundesebene gerade beschlossen wurde, unglaublich kontraproduktiv. Es schafft zusätzliche bildungspolitische Ungerechtigkeiten. Wir kennen Studien und die Erfahrungen anderer Länder, z. B. skandinavischer Länder, die belegen, dass schon früh mit Gleichaltrigen spielende Kinder sehr viel mehr lernen und bessere Bildungschancen haben. Das verhindern Sie mit diesem Betreuungsgeld. Es trifft gerade die Kinder, die in besonderem Maß einer individuellen Förderung bedürfen und die in besonderem Maß Kontakt zu anderen Kindern brauchen, auch zu Kindern aus anderen sozialen Schichten. Das gilt übrigens für Kinder aus höheren wie aus unteren Schichten. Ich glaube, dass das Zusammenleben mit anderen Kindern, das Erfahren anderer Kindern, das gemeinsame und spielerische Lernen ganz, ganz wesentliche Faktoren sind, damit Kinder wirklich alle Chancen für ein gutes Leben haben.
Das Betreuungsgeld verhindert, dass man sich mehr Gedanken darüber macht, wie die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie in Zukunft sehr viel besser gestaltet werden kann, als es heute tatsächlich der Fall ist. Man macht sich sozusagen vom Acker, anstatt sich dieses Problems anzunehmen, mit dem sehr viele Familien, gerade junge Familien, zurzeit zu kämpfen haben. Das Betreuungsgeld schafft auch keine echte Wahlfreiheit, sondern es ist ein Manöver zur Ablenkung davon, dass es einen Mangel an Betreuungsplätzen für unter Dreijährige geben wird. Es ist scheinheilig, zu argumentieren, dass damit die Erziehungsleistung von Eltern gewürdigt werde, die ihre Kinder zu Hause betreuen. 100 € sind ein Witz, wenn man bedenkt, welch einen Aufwand es für die Eltern wirklich bedeutet, ihre Kinder zu Hause zu erziehen, sie mit anderen Kindern in Kontakt zu bringen, sie bei Vereinen anzumelden. Da sind 100 € einfach ein Witz. Sie versuchen, davon abzulenken, dass Sie es nicht schaffen, die Betreuung der unter Dreijährigen tatsächlich auszubauen, weil Sie sich nicht genug angestrengt haben.
Lassen Sie mich auf ein weiteres Problem hinweisen, das der Kollege Merz schon angesprochen hat. Wir müssen auch die Kinder zwischen drei und sechs Jahren im Blick behalten, was bedarfsgerechte und qualitätsvolle Angebote angeht. Wir müssen konstatieren, dass diese Landesregierung keine Konzepte für die Betreuung der Kinder hat, die in die Grundschule kommen. Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sichern, brauchen wir eine hochwertige Betreuung auch dieser Kinder. Hierfür kann ich kein Konzept der Landesregierung erkennen, und deshalb sehe ich auch hier einen großen, großen Handlungsbedarf.
Mein Fazit: Ich erkenne an, dass sich die hessische CDU ein bisschen bewegt hat. Sie ist aber weit davon entfernt, die Probleme, die wir in der Kinderbetreuung in Hessen haben, tatsächlich zu lösen. Deshalb werden wir dem Antrag der SPD-Fraktion zustimmen.
Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann es gleich vorwegnehmen: Wir werden dem Antrag der SPD-Fraktion nicht zustimmen.
Er verfährt nämlich nach der Methode: Baue ein Wolkenkuckucksheim, und wenn dann der Wind weht, beklage dich, dass es zieht.
Ihre expliziten und impliziten Forderungen lauten: Rundumversorgung der Kinder, spätestens ab dem ersten Geburtstag, gesamtgesellschaftliche Finanzierung – das bedeutet für Sie vor allem Finanzierung durch das Land – von vorne bis hinten, alle verfügbaren Mittel in die Infrastruktur. Daraus folgern Sie, es sei doch klar, dass ein Kurswechsel her müsse, damit die Kinderbetreuung in diesem düsteren, düsteren Hessenland endlich einmal als Aufgabe erkannt werde. – All das hat mit der Realität wenig zu tun.
Bei Frau Schulz-Asche ist manches angeklungen, das mit der Realität etwas mehr zu tun hat. Das will ich hier ausdrücklich anerkennen.
Wir haben in Hessen beeindruckende Fortschritte in der Familienpolitik erzielt. Wir sind aber noch nicht am Ziel. Das will ich Ihnen in einigen Stichworten darlegen.
Erstes Stichwort: Vollversorgung im Kindergarten. Kinder zwischen drei und sechs Jahren gehören in aller Regel in den Kindergarten. Deshalb ist es für uns selbstverständlich, dass in Hessen für alle diese Kinder Kindergartenplätze bereitstehen.
Zweitens: Quantensprung in der U-3-Betreuung. Wir stehen zum Rechtsanspruch als Ziel, und wir stehen zum Rechtsanspruch als Mittel; denn er erfüllt sehr effektiv die Funktion, für ein bedarfsgerechtes Angebot an Krippenoder Tagespflegeplätzen zu sorgen: 24.211 zusätzliche Plätze in Hessen seit 2007, seit Juni dieses Jahres sind 2.554 Plätze dazugekommen. Das ist eine deutliche Sprache. Das bedeutet zwar nicht die Erreichung des Ziels, aber es ist ein gewaltiger Sprung. Die Versorgungsquote – 2007 11,5 %, aktuell 31,7 % – ist sehr wohl ein Indikator für diesen Fortschritt.
Herr Merz, Ihr Vergleich hinkt, denn Hessen rangiert an zweiter Stelle unter den Ländern, mit denen ein Vergleich sinnvoll ist, nämlich den westdeutschen Flächenländern. Wir können nichts dafür, dass im Osten Deutschlands andere Voraussetzungen bestanden, und in den Stadtstaaten sind die Gegebenheiten anders als in den Flächenländern.
Fast 60 % dieser Betreuungsplätze sind Zweidrittel- oder Ganztagsplätze, obwohl der Rechtsanspruch dies gar nicht erzwingt. Das heißt, hier wird tatsächlich am Bedarf entlang verbessert und nicht nur Formelpolitik betrieben. Erkennen Sie bitte auch an, dass sich die Landesregierung bereits auf die Bedarfszahlen des Deutschen Jugendinstituts von im Schnitt 39 % einstellt. Verschleiern Sie aber auch nicht, dass die konkrete Bedarfserhebung und -planung richtigerweise den Kommunen vor Ort obliegt. Es besteht hier Verbesserungsbedarf, wie Leerstände in einigen neu geschaffenen Betreuungseinrichtungen zeigen. Es gibt insbesondere im ländlichen Raum Diskrepanzen zwi
schen dem Versorgungsgrad und der Betreuungsquote. Aber wo sind die kritischen Stimmen der SPD hierzu? Gesamtgesellschaftlich gesehen, kann diese Aufgabe nur gelöst werden, wenn alle ihren Beitrag erfolgreich leisten.
Drittes Stichwort: frühkindliche Bildung. Wir wollen nicht „irgendeine“ Kinderbetreuung. Wir wollen keine Form der Kinderverwahrung, schon gar nicht im Zeichen des Rechtsanspruchs. CDU und FDP sorgen seit vielen Jahren – die CDU ganz besonders – für einen neuen, einen hohen Qualitätsanspruch in der Kinderbetreuung. Der Hessische Bildungs- und Erziehungsplan und die intensiven Bemühungen um Sprachförderung und Schulvorbereitung belegen dies. Ich weiß auch, dass Sie das in der Sache anerkennen. Vor allem aber hat die MVO im Ergebnis für höhere Qualitätsstandards gesorgt und tut es noch. Das ist eine große Errungenschaft.
Ich darf Sie beruhigen: Wir werden diesen Anspruch mit unserem KiföG noch besser erfüllen. Darin werden wir alle Fördertatbestände bündeln, systematisieren und weiterentwickeln. Es wird die Qualität besonders fördern und hessenweit stärken. Der Hessische Städtetag hat für heute eine Pressekonferenz zu der Einigung in Sachen MVO und Konnexitätsausgleich sowie zum KiföG angekündigt.
Wir werden unseren Gesetzentwurf bei nächster Gelegenheit in den Landtag einbringen. Herr Merz, selbstverständlich haben Sie dann im Rahmen der üblichen parlamentarischen Anhörungen die Gelegenheit zur Stellungnahme, die Sie einfordern.