Protocol of the Session on November 22, 2012

Es geht darum, zu erkennen, dass der dringend notwendige Ausbau des Angebots und die ebenso dringend notwendige Steigerung der Qualität der pädagogischen Arbeit nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, dass der Weg zum

Ausbau nicht über die Absenkung der Standards führen darf. Eltern erwarten immer beides, und zwar zu Recht.

(Beifall bei der SPD – Unruhe – Günter Rudolph (SPD): Herr Präsident!)

Herr Kollege Merz, einen Moment noch einmal. – Ich bitte herzlich darum, wenn ich doch eine freundschaftliche Bitte formuliere, dass die Verhandlungen – auch über die Tagesordnung; es ist ja sehr vernünftig, dass man sie kürzt – hier bitte nicht im Raum geführt werden. Das ist für den Redner schlecht. Ich bitte, das zu akzeptieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es geht darum, dass nicht der Ausbau des einen Bereichs zulasten des anderen betrieben wird. Mit dem Ausbau des U-3-Bereichs ist nicht viel gewonnen, wenn nicht auch im Kindergarten und vor allem im Schulkindalter die Betreuungskette sichergestellt ist.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche und Frank- Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Vor allem bei den Schulkindern ist da noch viel zu tun. Es geht darum, zu erkennen, dass vielen – wahrscheinlich den meisten – Eltern mit einem Halbtagsangebot zu standardisierten Zeiten nicht gedient ist, sondern dass der Betreuungsplatz der Zukunft immer mehr ein Ganztagsplatz sein wird und dass Betreuung, Erziehung und Bildung zukünftig auch immer mehr zu Zeiten stattfinden werden, die sich an der Lebens- und Arbeitssituation von Eltern heute – und nicht an den überkommenden Leitbildern von gestern – orientieren müssen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Es geht darum, dass die veränderten, die wachsenden Anforderungen an Erziehungs- und Bildungsprozesse in den Kindertagesstätten – ich will Ihnen nur die Stichworte nennen: Entwicklung zu Familienzentren, Sprachförderung, bessere Gestaltung der Übergänge, Ausgestaltung und Umsetzung des Bildungs- und Erziehungsplans – eine Steigerung und eine inhaltliche Diversifizierung der Qualifikation der Fachkräfte erfordern und dass sich Debatten über eine Absenkung des Niveaus und über den verstärkten Einsatz von pädagogisch nicht oder nur eingeschränkt qualifiziertem Personal ebenso verbieten wie die Absenkung der Qualifikationsstandards für das pädagogische Personal selbst. Das gilt insbesondere für die Pläne der Landesregierung zur Verkürzung der Ausbildung durch Halbieren des praktischen Teils der Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher.

An dieser Stelle will ich hinzufügen: Von den vielen dummen Sachen, die man in diesem Zusammenhang machen kann, ist das die allerdümmste.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, was ist der Stand der Dinge? Nach Angaben der Landesregierung hat Hessen eine Versorgungsquote von 31,7 % – Stand 1. November. Hessen gehört zu den Ländern, die den angestrebten Versorgungs

grad von 35 % erreichen können; dazu fehlen noch 3.200 Plätze.

Anders wird es

(Minister Stefan Grüttner nimmt seinen Platz ein.)

guten Tag, Herr Minister –,

(Minister Stefan Grüttner: Nein, nein, ich war schon da!)

wenn man ein Ausbauziel von 39 % anstrebt. Das haben Sie, Herr Minister, bereits angedeutet. Dieses Ziel ist für Hessen sicher nicht unrealistisch oder utopisch. Wenn man dieses Ziel anstrebt, dann fehlen uns noch 9.200 Plätze.

Wie dem auch immer sei. Wir alle wissen, die Karten werden erst am 1. August nächsten Jahres auf den Tisch gelegt. Wir wissen, dann wird sich niemand mehr auf die erreichten Versorgungsgrade herausreden können.

Meine Damen und Herren, wir alle wissen auch, dass bei allen Fortschritten landauf, landab Eltern nach wie vor verzweifelt nach einem adäquaten, wohnortnahen und bezahlbaren Betreuungsplatz suchen. Offensichtlich sagt uns also die Versorgungsquote nicht die ganze Wahrheit über die Lage, sondern vielleicht tatsächlich eher die dauerhaft deutlich darunter liegende Betreuungsquote, also die Quote, die die Zahl der tatsächlich betreuten Kinder angibt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die lag in Hessen im März dieses Jahres bei lediglich 23,7 %. Damit war sie nur geringfügig höher als zum selben Zeitpunkt des Vorjahres.

Diese Diskrepanz weist nach meiner Überzeugung darauf hin, dass das ausgewiesene Platzangebot und die realen Betreuungsbedürfnisse der Eltern nicht oder zumindest nicht immer übereinstimmen.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

In jedem Fall aber wird man konstatieren müssen, dass Hessen weder in dem einen noch in dem anderen Fall an der Spitze liegt, sondern im unteren Mittelfeld.

Deshalb besteht gar kein Grund, sich entspannt zurückzulehnen, sondern es besteht viel Grund, nach wie vor alle Kräfte anzuspannen, um das Ziel der Bereitstellung eines den realen Bedürfnissen entsprechenden Betreuungsplatzangebots für alle Eltern, die das wünschen, zum 01.08. zu erreichen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE), Kordula Schulz-Asche und Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, der inhaltlichen Herausforderung entspricht die finanzielle. Am vergangenen Freitag hat das Statistische Landesamt die Gesamtkosten für den Bereich der Kindertagesstätten in Hessen mit ca. 1,6 Milliarden € beziffert. Das entspricht 61 % der Gesamtkosten der Jugendhilfe; 59 % sind für die Einrichtung, 2 % für die Tagespflege.

Die Eltern tragen übrigens via Kita-Gebühr 167 Millionen € zu den Kosten bei, das sind gut 11 %. Nun kann man durchaus – wie der Ministerpräsident gestern gesagt hat – der Auffassung sein, dass die vollständige Gebührenfreiheit keine erste Priorität hat, solange man noch massive

Probleme beim Ausbau und bei der Qualitätsverbesserung hat. Sie sind der Meinung, das kann man sein.

Aber Tatsache ist – vielleicht sagen Sie es dem Ministerpräsidenten weiter –, dass wir nicht nur keine Fortschritte in Richtung Gebührenbefreiung machen, sondern dass das Land im Moment dabei ist, insbesondere den Kommunen unter dem Schutzschirm eine massive Erhöhung der KitaGebühren abzuverlangen bzw. aufzudrücken. Das ist eine Bewegung in die genau entgegengesetzte Richtung. Das ist eine Bewegung, die weder die Kommunen wollen noch die Eltern tragen können.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

In diesem Zusammenhang wird erneut deutlich, wie schief die Argumente für das Betreuungsgeld sind. Die einen müssen den Kita-Platz händeringend suchen, finden häufig keinen, und wenn sie ihn finden, müssen sie ihn zunehmend teuer bezahlen. Den anderen schenkt man 100 € pro Monat. Meine Damen und Herren, echte Wahlfreiheit sieht anders aus. Das Betreuungsgeld ist und bleibt eine gigantische Fehlsteuerung von Mitteln und ein sozial- und bildungspolitischer Kardinalfehler.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Wenn man die Mittel für das Betreuungsgeld zur besseren Finanzierung des Kita-Ausbaus auf die Länder verteilen würde, dann entfielen auf Hessen, je nachdem, wie man rechnet, zwischen 125 bis 135 Millionen €. Das wäre dann fast schon so viel, wie derzeit die Eltern selbst zur Finanzierung beitragen. Es wäre in jedem Fall deutlich mehr, als das Land derzeit aus eigenen Mitteln zu den 1,6 Milliarden € Gesamtkosten beiträgt.

Damit bin ich bei der Frage, was das Land derzeit beiträgt. Wenn man sich die Investitionskosten ansieht, dann stellt man fest, in den Jahren 2008 bis 2013 werden von Bund und Land gemeinsam 265 Millionen € für die Investitionskostenförderung für die U-3-Betreuung ausgegeben. Davon wird das Land gerade einmal 55 Millionen € beigetragen haben, das sind 20 % – diese 20 % auch für 2013 mit einem schnell zusammengeschusterten Landesinvestitionsprogramm, das nur deswegen eine halbwegs erträgliche Höhe erreicht hat, weil der Bund selbst mit 45 Millionen € von 100 Millionen € dabei ist. Damit es nicht ganz so kärglich aussieht, hat das Land 25 Millionen € aus Haushaltsausgaberesten zusammengekratzt.

Herr Minister, immerhin können Sie sich jetzt brüsten – das haben Sie bereits zweimal erklärt, und das finde ich eine interessante Bemerkung –, dass das Land den Löwenanteil der Kosten an einem Landesinvestitionsprogramm trägt. Man bedenke: Das Land finanziert tatsächlich überwiegend ein Landesinvestitionsprogramm. Das muss man in diesem Land offensichtlich extra betonen.

(Beifall bei der SPD – Torsten Warnecke (SPD): Warum klatscht die CDU nicht?)

Herr Minister, jetzt hätte ich gerne noch etwas zu dem Thema Drittelfinanzierung gesagt. Das ist unser Lieblingsthema. Wir sind erstens in dieser Sache von dem Thema weit entfernt. Zweitens bestreiten Sie aus genau dem Grund, weil wir so weit davon entfernt sind, immer wieder energisch und mit einer gewissen bewundernswerten Hartnäckigkeit, dass es das überhaupt jemals gegeben hat. Ich frage mich langsam, wenn ich mir ansehe, was andere maßgebliche Familienpolitiker zu diesem Thema beitra

gen, ob Sie eigentlich der Einzige waren, der dabei war, als die Drittelfinanzierung verabredet worden ist. Man könnte diesen Eindruck haben.

Herr Kollege Merz, Sie müssen zum Schluss kommen.

Herr Präsident, wenn ich darf, möchte ich Ihnen noch etwas von Rheinland-Pfalz mitgeben, weil so oft die Rede von Rheinland-Pfalz ist. Die rheinland-pfälzische CDULandtagsfraktion hat soeben die rheinland-pfälzische Landesregierung aufgefordert, sich ihrer Verantwortung im Zusammenhang mit der Drittelfinanzierung des Kita-Ausbaus zu stellen. Sie fordern also genau das, was Sie immer bestreiten, dass es das überhaupt gibt.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich muss Sie jetzt vor die Verantwortung Ihrer Redezeit stellen.

Die rheinland-pfälzische CDU fordert etwas von ihrer Landesregierung, was die Rheinland-Pfälzer nur mit unserem Geld machen können. Rheinland-Pfalz macht ja alles nur von unserem Geld. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Kollegin Schulz-Asche, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eine gute Kinderpolitik und im besonderen Maße qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte Bildungs- und Betreuungsangebote sind heute das wesentliche Anliegen von Eltern von kleinen und größeren Kindern.

Sie wollen ein gutes Bildungs- und Betreuungsangebot, sie wollen Familie und Beruf miteinander vereinbaren, manchmal, weil es notwendig ist, um den Familienunterhalt erarbeiten zu können, oder weil es der Wunsch, die freie Wahl dieser Familie ist. Deswegen ist es richtig, das Thema Kinderbetreuung hier so oft wie möglich und so gründlich wie möglich zu diskutieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)