Protocol of the Session on May 10, 2012

Dringlicher Antrag der Abg. Dr. Spies, Merz, Decker, Müller (Schwalmstadt), Roth (SPD) und Fraktion betreffend für Bildung ist es nie zu früh – Land muss Kommunen und freie Träger beim Ausbau der Kinderbetreuung angemessen unterstützen – Drucks. 18/5648 –

Die Redezeit beträgt zehn Minuten. Als erster Redner hat sich Herr Kollege Rock von der FDP-Fraktion gemeldet. Herr Kollege Rock, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich hoffe, dass sich die Einigkeit, die wir eben in der Aktuellen Stunde über die Ukraine und das Fußballturnier hatten, bei diesem Thema fortsetzen kann, zumindest im Grundsatz – alle Facetten wären eine Überforderung des Hauses. Das ist mir schon klar.

Ich habe die Hoffnung, dass wir uns beim Thema frühkindliche Bildung auf einen gemeinsamen Weg begeben können. Ich bin froh und sehr zufrieden, dass wir heute an dieser Stelle besprechen können, wie es weitergeht. Ich werde einige Punkte darstellen, bei denen ich glaube, dass es gut vorangeht.

Das Ziel, frühkindliche Bildung zu verbessern, ist etwas, was uns verbindet. Wie kann man dieses Ziel voranbringen? Wir glauben, dass man dieses Ziel mit qualifizierter Schulvorbereitung voranbringen kann. Das ist ein Begriff, der zunächst im Raum steht und mit Inhalten gefüllt werden muss. Deswegen will ich erklären, was hinter diesem Begriff steht.

Unser Ziel ist es, dass alle Kinder in Hessen über optimale Startchancen ins Leben verfügen. Das ist eine liberale Überzeugung, das ist unser Ziel, das ist unsere Forderung, daran wollen wir uns messen lassen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Mir ist es wichtig, dass wir uns von den reinen defizit orientierten Ansätzen, die oft verfolgt werden, wegkommen und uns weiterentwickeln. Wir sagen zwar, wir wollen Schwächen schwächen, wir wollen aber auch Stärken stärken. Das muss ein Ziel moderner frühkindlicher Bildung sein. Das muss das Ziel unserer Politik in Hessen sein.

Wie erreicht man das? Wir glauben, dass man sich in der qualifizierten Schulvorbereitung vor allem in drei Aspekten weiterentwickeln muss:

Erstens. Wir müssen die Kinder möglichst früh entsprechend ihrer Begabung fördern. Wir müssen die Fähigkeiten und Begabungen fördern, die jedes Kind mitbringt. Wir müssen bei jedem einzelnen Kind genau hinschauen, was zu leisten ist.

Zweitens. Wir müssen auch weiter, das ist nicht zu vernachlässigen, einen Blick auf die Defizite haben. Wir müssen die Defizite sehr früh erkennen und uns dafür einsetzen, diese Defizite zu vermindern.

Drittens. Der Übergang von der Kindertagesstätte in die Schule ist nicht zu unterschätzen. Das ist eine Herausforderung für die Kinder, aber auch für die Familien, für die das eine völlig neue Situation ist. Die Erfolge, die in der Kindertagesstätte erzielt worden sind, müssen an die Grundschulen übergeben werden. Dabei müssen alle Bereiche mitgenommen werden: Kindertagesstätte, Schule und vor allem die Familien mit Kindern. Das muss eine ganz zentrale Aufgabe in der qualifizierten Schulvorbereitung sein. Hier muss eine Nahtstelle geschlossen werden, um den Übergang hervorragend zu organisieren.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Hessische Landesregierung, der Hessische Landtag und alle Politiker, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, haben schon einiges vorzuweisen. Viele Dinge zu diesem Thema sind von diesem Plenum einstimmig verabschiedet worden und von der Landesregierung umgesetzt worden.

Was muss die inhaltliche Grundlage für die frühkindliche Bildung sein? Der Bildungs- und Erziehungsplan muss die inhaltliche Klammer der frühkindlichen Bildung sein. An dieser Klammer müssen wir uns weiterentwickeln. Der Bildungs- und Erziehungsplan ist ein Resultat langer Beratungen, und er ist vorbildlich. Darauf können der Hessische Landtag und die Hessische Landesregierung sehr stolz sein.

Im Vorfeld habe ich schon das eine oder andere Gespräch geführt. Oft wird gesagt: Ja, da kommt ihr jetzt mit diesem Thema. – Es ist nicht einfach nur ein Thema, das aufgesetzt ist. Es handelt sich um eine kontinuierliche Fortentwicklung einer Politik, die in Hessen unter vielen Regierungen vorangetrieben worden ist. Es ist eine logische Fortsetzung unter dem Motto: Wie kann die Qualität der frühkindlichen Bildung vorangebracht werden?

Dabei weise ich auf die Mindestverordnung hin, die Standards verbessert. Man kann über die Finanzierung sprechen, darüber gibt es Streit, das wissen wir. Niemand in diesem Haus wird sagen, dass die Standardverbesserung ein Fehler war. Sie war richtig, und sie war gut.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Hessen hat als erstes Bundesland mit einem Landesprogramm zur Sprachförderung im Kindergarten ein Zeichen gesetzt. Seit 2002 sind wir aktiv in Hessen, es gibt Fördermittel für Fortbildung, Fördermittel für Erstausstattung und pädagogisches Sprachmaterial. Seit Beginn sind bereits 96.000 Kinder gefördert worden. 23.000 Erzieherinnen und Erzieher sind fortgebildet worden. Das Land Hessen hat 26 Millionen € eigene Mittel dafür eingesetzt. Auch im Haushaltsansatz haben wir wieder 3,5 Millio nen € dafür bereitgestellt. Das ist ein wichtiges Thema, und auch hier ist Hessen Vorbild. Das möchte ich in diesem Zusammenhang einmal erwähnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich möchte auch auf anderes hinweisen: kostenlose freiwillige Vorlaufkurse, Unterstützung von Kitas mit einem hohen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund, das letzte kostenlose Kindergartenjahr, zumindest für die fünf Betreuungsstunden. Das sind ganz viele familienpolitische Initiativen, die in Kontinuität stehen. Die qualifizierte Schulvorbereitung wird nun ein weiterer zentraler Baustein sein, um die Qualität in Einrichtungen zu verbessern.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir in Hessen für dieses Thema viel Geld in die Hand nehmen. Wir haben 5 Millionen € im Haushalt stehen für die Umsetzung eines Modellprojekts. Es handelt sich um ein sehr großes Modellprojekt. Wir werden auch weiterhin in Lehrerstellen in nicht unerheblicher Zahl investieren. Vor dem Hintergrund der Schuldenbremse ist das eine ziemlich große Leistung. Es zeigt: Der Hessische Landtag und die Hessische Landesregierung setzen auf Kontinuität. Das ist richtig so. Wir setzen die richtigen Schwerpunkte für die Zukunft der Menschen und für die Möglichkeit junger Menschen, sich in unserem Land hervorragend zu entwickeln.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich möchte noch einmal ganz kurz einen Ausflug zu der Frage machen, was das Modellprojekt bedeutet. In dem SPD-Antrag ist zu Recht darauf hingewiesen worden, Modellprojekte seien nicht die endgültige Lösung. Da haben Sie recht, da haben Sie meine Unterstützung. Das ist absolut richtig so.

Bevor so etwas flächendeckend umgesetzt wird, müssen Erfahrungen gesammelt werden. Darum ist es klug, mit 30 Modellstandorten in ein Pilotprojekt zu gehen. Dabei werden 1.200 Kinder betroffen sein, die eine besondere Förderung erhalten.

In den letzten beiden Kindergartenjahren wird eine Förderung stattfinden. Der Übergang wird die zentrale Auf

gabe sein. Das wird zwei Jahre lang beobachtet. Das Rahmenkonzept ist vom Staatsinstitut für Frühpädagogik, das einen hervorragenden Ruf hat, entwickelt worden und wird von diesem begleitet. Die Fortbildung der Erzieher wird vom Institut gestaltet, aber wir müssen evaluieren. Ich möchte nicht, dass man einfach ein Konzept überstülpt, sondern wir müssen uns weiterentwickeln. Ich bin auch der Meinung – das sage ich hier ganz offen –, wenn wir nach zwei Jahren noch nicht sicher sind und sagen, wir brauchen für das Modellprojekt noch ein drittes Jahr, dann ist das okay. Nach drei Jahren sollten wir aber in die Umsetzung gehen. Wir können aber nicht einfach sagen, wir nehmen etwas aus der Schublade, stülpen es über Hessen, sondern wir müssen zusehen, dass wir das auch angemessen machen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wir werden das alles natürlich wissenschaftlich begleiten und evaluieren lassen. Ich möchte an dieser Stelle dafür werden. Wir haben ja viele Themen, die wir gemeinsam bearbeiten. Ich möchte die Themen Bildungs- und Erziehungsplan und Familienzentren nennen, bei denen wir im Grundsatz einig sind. Wir streiten zwar immer wieder einmal über das Geld, aber wir sagen übereinstimmend: Da sind wir auf dem richtigen Weg.

Wenn ich mir den SPD-Antrag ansehe und die Anwürfe gegen die Landesregierung wegradiere, stelle ich fest, es gibt einen großen Konsens, den ich den sozialdemokratischen Sozialpolitikern gar nicht zugetraut hätte. Ich muss sagen, Sie sind weiter, als ich das je gedacht hätte. An der Stelle muss ich Sie einmal loben. Sie haben das Mantra der Gleichheit endlich beiseitegeschoben und haben sich einer liberalen Idee zugewandt. Das finde ich gut.

(Beifall bei der FDP)

Sie haben sich einer liberalen Idee zugewandt. Sie sagen, genau wie wir – das sage ich jetzt nicht, um Sie auf die Schippe zu nehmen, sondern meine das wirklich –: Wir wollen eine optimale Förderung für jedes einzelne Kind. – Es ist hervorragend, dass Sie sich von Ihrer bisherigen Auffassung lösen.

(Beifall bei der FDP)

Sie fordern nicht mehr Chancengleichheit, sondern – wie wir Liberale – Chancengerechtigkeit. Das ist hervorragend. Ich glaube, damit ist die SPD auf einem guten Weg. Darum glaube ich auch, dass wir – die Union, die FDP und auch die SPD – hier gemeinsam an etwas Vernünftigem arbeiten können, dass wir jetzt zwei Jahre lang konsequent an die Frage herangehen, wo wir besser werden können, um dann für alle Kindertagesstätten in Hessen ein Konzept zu haben, das der frühkindlichen Bildung den Stellenwert gibt, den sie verdient. Ich glaube, da sind wir gar nicht weit auseinander. Da kommen wir zusammen, gerade weil Sie unsere Überlegungen respektieren und auch angenommen haben.

Ich glaube, Hessen wird auch hier Vorbild sein. Wir werden an der Stelle erfolgreich etwas zu Ende bringen, was wir uns auch im Wahlkampf immer auf die Fahne geschrieben haben. Ich muss Folgendes festhalten. Die Politik, die hier in Kontinuität vorgetragen und durchgeführt wird, von Herrn Grüttner in seinem Ministerium vorbereitet wird, ist hervorragend und verdient Lob. Das bekommen Sie jetzt von mir. Ich denke, wir werden erfolgreich zum Ziel kommen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Als nächster Redner hat sich der Kollege Merz von der SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Merz, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Im „Datterich“ von Ernst Elias Niebergall gibt es eine Stelle, da sagt der Geselle zum Drehermeister: „Machen Sie mich nicht schamrötig!“ Ich wusste schon gar nicht mehr, wo ich bei der Rede des Kollegen Rock hinschauen sollte, so sehr hat er uns gelobt. Ich nehme das zur Kenntnis, aber schon vor der Lobeshymne auf die angeblichen Lernzuwächse der SPD-Fraktion haben wir vom einzelnen Kind und seiner optimalen Förderung gesprochen. Wir reden davon seit der Vorstellung unseres „Hauses der Bildung“, also schon seit ein paar Jahren. Das ist Ihrer geschätzten Aufmerksamkeit offensichtlich entgangen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Ich war also schon vorher bereit, die Altersdiskriminierung von gestern zu vergessen

(Heiterkeit bei der SPD und einen konsensorientierten Einstieg zu versuchen. Ich beginne deshalb mit einem ausdrücklichen Wort der Anerkennung an die antragstellenden Fraktionen und mit einem ausdrücklichen Dank an die Landesregierung – Anerkennung dafür, dass die Regierungsfraktionen mit bewundernswerter Hartnäckigkeit versuchen, aus dem bisschen, das sie haben, einen familienpolitischen Setz- punkt zu machen, und Anerkennung vor allem für den Mut der Kollegen von der FDP-Fraktion, aus der QSV, der qualifizierten Schulvorbereitung – dahinter steckt ja die ehemalige abstruse Idee der FDP von der Kinder- schule, (Bettina Wiesmann (CDU): Das ist völlig falsch!)

eine krachende fachpolitische Niederlage der FDP-Landtagsfraktion –, einen Setzpunkt zu machen. Dass Sie diese Niederlage eingesteckt haben, ist Anlass für Dank an zwei Minister der Hessischen Landesregierung, nämlich an den Kollegen Banzer, den ehemaligen Familienminister, und an den jetzigen Sozialminister Grüttner, die in dieser Frage Gott sei Dank standhaft geblieben sind und darauf beharrt haben, dass die frühkindliche Bildung nicht einfach eine Art vorgezogene Schule, sondern ein Bildungsbereich eigener Art mit eigenen rechtlichen und sachlichen Voraussetzungen und eigenen pädagogischen Linien ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich will in diesem Zusammenhang kurz auf die Debatte von gestern rekurrieren. Die Vorstellung der FDP – wie ich sie verstanden habe, ich glaube aber, nicht nur ich – wäre doch nur unter der Bedingung einer Vorverlagerung der Schulpflicht, also unter der Bedingung der Verschulung des Bereichs frühkindliche Bildung, oder unter der Bedingung der Einführung einer Kindergartenpflicht zu haben gewesen. Dann hätte ich aber gerne einmal erlebt, wie Sie von der FDP, die Sie alle die Gralshüter des Wahlrechts der Eltern sind, des Rechts der Eltern, ihre Kinder

zu erziehen, sich hierhin gestellt und das begründet hätten. Wir als SPD-Landtagsfraktion haben sehr starke Zweifel an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Kindergartenpflicht, und wir halten sie auch für nicht mit den Prinzipien der Jugendhilfe vereinbar, in deren Kontext die frühkindliche Bildung steht und aus unserer Sicht auch bleiben soll.

Zum Projekt QSV. Die inhaltliche Konzeption des Modellversuchs – jetzt komme ich zu dem etwas stärker konsensorientierten Teil zurück – ist im Großen und Ganzen nicht zu kritisieren. Das haben wir auch nicht getan. Das ist alles sehr ordentlich begründet, und der pädagogische Ansatz ist meiner Überzeugung nach in Ordnung. Es handelt sich im Wesentlichen und erklärtermaßen darum, die Grundelemente des Bildungs- und Erziehungsplans – Sprache, Literacy, Bewegung, Motorik usw. –, also all die Dinge, die zu den Kernpunkten des Bildungs- und Erziehungsplans gehören, konzentriert umzusetzen. All das ist gut, richtig und nicht zu bestreiten.

Problematisch ist aus meiner Sicht die Verpflichtung der Teilnehmer dieses Modellversuchs, im Rahmen der Sprachförderung das KiSS-Modell anzuwenden. Nicht nur ich stehe dem Ansatz der Sprachstandserhebung zu einem fixen Zeitpunkt skeptisch gegenüber. Ich bin nicht sicher, ob KiSS vom Standpunkt der Sprachwissenschaft und der Sprachpädagogik aus betrachtet der Weisheit letzter Schluss ist, und ich bin sehr skeptisch, ob KiSS in der konkreten Umsetzung richtig angewandt wird. Diese Skepsis, die bei den Trägern teilweise bis zur Ablehnung führt – schauen und hören Sie sich in den Einrichtungen um –, begegnet einem immer wieder, und nicht nur in den Einrichtungen, sondern auch beim Rest der Fachwelt. Dem Landesjugendhilfeausschuss liegt eine Stellungnahme vor, die diese Skepsis deutlich bekräftigt. Es wäre deshalb gut, wenn darüber noch einmal vertieft gesprochen werden könnte. Einstweilen empfehle ich Ihnen allen die Lektüre des Protokolls der einschlägigen Anhörung der Enquetekommission. Da ist zu der Frage der Sprachförderung und der Sprachstandserhebung, welche Modelle erfolgversprechend sind und welche eher nicht, vieles Nachdenkenswertes gesagt worden.

Unser wesentlicher Einwand im Hinblick auf den Modellversuch QSV ist folgender. Warum brauchen wir Jahre nach Verabschiedung des Bildungs- und Erziehungsplans einen Modellversuch zur Umsetzung des Bildungs- und Erziehungsplans?

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Warum brauchen wir Jahre, nachdem die Landesregierung heilige Eide geschworen und immer wieder beteuert hat, auf einem wie guten Weg sie bei der Umsetzung, der flächendeckenden Implementierung des Bildungs- und Erziehungsplans ist, einen Modellversuch? Was wir hingegen brauchen, ist eine konzentrierte, organisierte, fachlich unangreifbare Umsetzung des Bildungs- und Erziehungsplans.