Protocol of the Session on May 10, 2012

Meine Damen und Herren, eine gute Fankultur könnte übrigens auch in Polen einiges ändern. Zum Beispiel ist die dortige diskriminierende Homophobie im Fußball ein unerträglicher Anachronismus. Den sollten wir zu ändern versuchen.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Tarek Al- Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Lassen Sie mich das zum Schluss sagen: Ich möchte an dieser Stelle die großen Veranstalter und die Sportverbände wie auch deren Fans weltweit auffordern, einmal über die Kriterien für Austragungsstätten nachzudenken. Wem nützt der Grand Prix in Baku mehr als dem dortigen brutalen Regime? Warum muss eine Fußballweltmeisterschaft unbedingt unter Umständen massiver Korruption an einen Wüstenstaat verschachert werden? All das sind Fragen, denen wir uns in diesem Zusammenhang stellen sollten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Abg. Schaus. – Als nächster Redner hat sich Herr Kollege Rudolph von der SPD-Fraktion gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Menschenrechtsverletzungen und Willkürjustiz in der Ukraine dürfen nicht einfach hingenommen werden, sondern alle Demokraten sind aufgefordert, sich mit allen Mitteln für eine demokratische Ukraine einzusetzen.

Das ist die Botschaft, die von diesem Landtag hier und heute ausgehen muss. Das ist uns auch gelungen – bis auf die letzten Minuten mit einem Scharmützel zweier Kolleginnen und Kollegen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei einem solch wichtigen Thema hat Parteipolitik nichts zu suchen.

Alle Hinweise aller Kollegen sind berechtigt.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Aber wenn wir das ernst meinen, dann sind wir alle in unseren Parteien gefordert, darauf einzuwirken. Diejenigen, die die Möglichkeit haben, in Gesprächen darauf hinzuweisen, dass in der Ukraine Grundrechte nicht eingehalten werden, sind aufgefordert, das öffentlich und deutlich zu machen.

Ich will aber auch einen kritischen Satz sagen. Auch unter der Verantwortung von Frau Timoschenko wurden nicht alle Standards so eingehalten, wie wir das wünschen. Aber – auch das will ich genauso deutlich sagen – es muss unabhängige Gerichte geben, die das ahnden können. Das alles aber ist derzeit in der Ukraine kein Standard: fehlende Unabhängigkeit der Justiz, Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, des Presserechts, die Oppositionsausübung wird beschränkt – um nur einige markante Fälle der international anerkannten Menschenrechtsstandards zu benennen.

Deswegen darf die Politik zu alldem auch nicht schweigen.

Das ist die einzige kritische Anmerkung von mir. Herr Bouffier hat neulich gesagt, er fährt nicht hin. Das ist ein Signal eines Politikers, das auch andere gegeben haben. Ich glaube, das ist auch das Instrument der Politiker, das wir in der Hand haben.

An der einen Stelle aber will ich ihm auch deutlich widersprechen: Das ist nicht nur eine reine Sportveranstaltung in der Ukraine, sondern es ist mehr. Deswegen brauchen wir ein deutliches Signal von vielen, die sagen, so geht es nicht.

(Beifall bei der SPD)

Auch die Sportorganisationen müssen deutlich machen: Sicherlich begeistert Fußball viele. Ob die Deutschen am Schluss so erfolgreich sind, wird der sportliche Wettbewerb zeigen. Da bin ich ganz gelassen. Aber Fußball übt auf viele eine Faszination aus und reizt sie. Wenn der DFB-Präsident Niersbach zu Recht in einem Interview sagt, der DFB stehe für die Einhaltung der Menschenrechte, die Unabhängigkeit der Justiz und die Meinungsund Pressefreiheit, dann hat er natürlich recht. Ich finde, das kann man dann auch sagen, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Ukraine. Das erwarte ich von Repräsentanten der großen Sportorganisationen, allen voran der UEFA. Ich finde es gut, wenn das Beispiel von Philipp Lahm Schule macht und Sportler, die gut Fußball spielen, sich klar bekennen und positionieren. Auch das ist ein wichtiges Signal.

(Allgemeiner Beifall)

Deswegen glaube ich, wir sind uns in diesem Hause einig. Ein Boykott eines so großen Ereignisses wäre wahrscheinlich nicht der richtige Weg. Aber leider gibt es die Ukraine noch öfter auf dieser Welt. Deswegen brauchen wir klare Bekenntnisse. Menschenrechte, Grundrechte sind nicht teilbar. Man sollte es sich auch nicht aussuchen, welche politischen Präferenzen man hat. Die gelten für uns alle.

Der Entschließungsantrag der GRÜNEN sagt das klar und deutlich, und alle Fraktionen sagen, sie werden ihm zustimmen. Das ist ein gutes Signal aus dieser Debatte.

Fußball gehört zu einer Sportart, die viele begeistert und von der viele fasziniert sind. Fußball und die Freude daran sind auch Teil unserer Gesellschaft. Deswegen auch aus Sicht der SPD ein klares Bekenntnis zur Ausübung des Sports.

Wir erinnern uns noch gemeinsam an 2006. Wir haben Jahrzehnte dafür gebraucht, um so etwas in Deutschland zu vollbringen und ein solches Image zu erwerben. „Zu Gast bei Freunden“ hat wahrlich gepasst. Deutschland war ein Gastgeber, wie er vorbildlicher nicht sein konnte.

Aber zur Europameisterschaft gehört auch ein klares Bekenntnis zu Menschenrechten. Menschenrechtsverletzungen sind nicht hinnehmbar und auch nicht akzeptabel. Auch die Sportler müssen ein klares Signal dagegen senden.

Deswegen war diese Debatte, wie ich finde, ein klares Signal, sich dafür einzusetzen. Ich finde, das zeigt: Es geht auch im Hessischen Landtag anders. – Vielen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Herr Kollege Rudolph. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen – –

(Wortmeldung des Ministers Boris Rhein)

Oh, Herr Staatsminister Rhein, entschuldigen Sie bitte. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Europameisterschaft in wenigen Wochen wird ein besonderes Ereignis sein. Sie wird es vor allem in

sportlicher Hinsicht sein, denn es wird das eintreten, was Rolf Müller schon heute prognostiziert hat: dass wir in Charkow spielen werden.

Das gilt ganz besonders deswegen, weil wir ein junges, ein innovatives Team haben werden. Wir werden eine Elf haben, die jedenfalls entschlossen ist, die vorhandene Chance wahrzunehmen – obwohl wir in einer wirklich herausfordernden und besonderen Gruppe spielen.

Deswegen glaube ich, wir werden noch viel Anlass haben, wo auch immer – Herr Schaus hat darauf hingewiesen: Public Viewings, es gibt die verschiedensten Möglichkeiten – zu feiern.

Aber trotz all dieser Freude, die wir haben werden, sind wir alle – Fans, Zuschauer, aber auch Aktive, wie das sehr positive Beispiel Philipp Lahm zeigt – besorgt über die politischen Entwicklungen in der Ukraine. Die Verhaftungen, die Verurteilungen und schließlich ganz besonders die Behandlung von Frau Timoschenko in der Haft müssen uns in der Tat Sorgen machen. Denn es geht hier um Frau Timoschenko, aber es geht auch um viel mehr als um Frau Timoschenko – weil das ein Beispiel für ein Fehlverhalten, für ein gesamtes Problem ist.

In diesem Fall ist es im Zusammenhang mit sportlichen Veranstaltungen auf alle Fälle mehr als legitim, die Frage nach der Einhaltung und der Gewährleistung von Grundund Menschenrechten zu stellen, auch und vor allem in der Ukraine – so, wie das, ich darf es wiederholen, Philipp Lahm getan hat. Denn das zeigt, dass wir mündige und insbesondere verantwortungsvolle Sportlerinnen und Sportler haben.

Auch die Politik hat sich dazu eindeutig und klar zu äußern. Auch das ist meine feste Überzeugung.

Das haben wir getan. Das hat die Hessische Landesregierung getan: in Person des stellvertretenden Ministerpräsidenten, in Person des Ministerpräsidenten. Wir haben eine klare Position zu den Vorgängen dort. Denn die Menschenrechte sind – und das prägt uns alle – Grundlage eines jeden politischen Systems. Dazu gehört das, was wir hier auch immer wieder diskutieren: das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf Versammlungsfreiheit, die Unverletzlichkeit der Menschenwürde usw. Das sind Rechte, für die es in aller Welt lohnt, sich einzusetzen.

Gerade der Sport steht exakt für diese Wertevermittlung, für Toleranz, Fair Play, Respekt, Rücksichtnahme und insbesondere auch für die Anerkennung des Gegners – egal, welche Hautfarbe er hat oder von welcher Herkunft er ist, welche Wurzeln er hat.

Meine Damen und Herren, deswegen bieten der Sport und auch jetzt diese Europameisterschaft – schon bevor sie begonnen hat – die große Chance, diese Werte über alle politischen und Systemgrenzen hinweg zu vermitteln und insbesondere auch zu betonen.

Deswegen hat sich die Europameisterschaft – ich sage das in Anführungszeichen – schon heute „ausgezahlt“, denn ich bezweifle, dass wir diese intensive Debatte und Befassung mit diesem Thema geführt hätten, wenn die EM nicht in wenigen Wochen dort stattfinden würde.

Das ist dann wiederum exakt der Grund, warum ich von Boykottaufrufen gegenüber sportlichen Veranstaltungen nichts, aber auch gar nichts halte. Denn immer dann, wenn Boykotte stattgefunden haben – Rolf Müller hat darauf hingewiesen, dass viele die Entscheidung bereuen, die sie

damals getroffen haben –, hat sich die Politik des Sports bemächtigt.

Die Politik hat sich des Sports nicht zu bemächtigen, um andere Ziele zu erreichen, weil das insbesondere den Menschen nichts bringt. Das bringt auch der Sache nichts. Es gilt das, was unser Ministerpräsident gesagt hat: Der Sport kann nicht das lösen, was Staatengemeinschaften auch nicht können.

Dennoch hat der Fußball das geschafft, was die Politik bis heute nicht geschafft hat. Das kann man an einer solchen Stelle hervorheben. Er hat nämlich ein Schlaglicht auf die Behandlung von Frau Timoschenko geworfen. Er hat ein Schlaglicht auf die politischen Verhältnisse in der Ukraine geworfen. Die Befassung mit dem Sport hat sehr klar gemacht, dass sich die Verhältnisse dort ändern müssen.

Für die Hessische Landesregierung kann ich sagen, dass wir Ja zu diesem Antrag der GRÜNEN sagen – Nein zum Boykott und Ja zum Sport. – Herzlichen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Herr Staatsminister Rhein. – Damit ist die Aktuelle Stunde der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (Fußball-EM in der Ukraine: Hessen sagt Ja zum Sport und Nein zu Men- schenrechtsverletzungen), Drucks. 18/5630, abgehalten worden.

Ich lasse nun über den Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Fußball-EM in der Ukraine: Hessen sagt Ja zum Sport und Nein zu Menschenrechtsverletzungen, Drucks. 18/5636, abstimmen. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, der hebe bitte die Hand. – Wie ich sehe, ist es das gesamte Haus. Ich danke Ihnen und freue mich, dass wir in dieser Frage einer Meinung sind. Vielen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf:

Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend frühkindliche Bildung stärken – Übergang von Kindergarten zu Schule wird weiter verbessert – Drucks. 18/5565 –

Das ist der Setzpunkt der FDP-Fraktion. Dieser Antrag wird zusammen aufgerufen mit Tagesordnungspunkt 79:

Dringlicher Antrag der Abg. Dr. Spies, Merz, Decker, Müller (Schwalmstadt), Roth (SPD) und Fraktion betreffend für Bildung ist es nie zu früh – Land muss Kommunen und freie Träger beim Ausbau der Kinderbetreuung angemessen unterstützen – Drucks. 18/5648 –