Protocol of the Session on March 28, 2012

Bisher gibt es auch offensichtlich noch keine endgültigen Abstimmungen mit den Ländern und den Kommunalen Spitzenverbänden. Deswegen frage ich Sie: Was feiern Sie hier eigentlich?

Auch der Landeswohlfahrtsverband hat sich gemeldet und gesagt, für ihn sei auch noch nicht klar, wie das Verhältnis zwischen den Städten, Gemeinden und den Landkreisen und dem Landeswohlfahrtsverband geregelt werden soll. Das sind Ihre Hausaufgaben, und die haben Sie bisher nicht erledigt und wollen sich hier hochloben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wofür feiern Sie sich eigentlich? – Nichts ist entschieden. Das Misstrauen der hessischen Kommunen gegenüber der Landesregierung ist groß. Jedes Backenaufblasen führt am Ende dazu, dass weniger Geld in den Kassen der Kommunen zu finden ist. Das ist genau das, worüber wir reden.

Erinnern wir uns, wenn wir über die Grundsicherung reden: Die CDU war nie ein Vorkämpfer der Grundsicherung. Im Gegenteil, im Jahr 2001 hat sie nicht nur gegen die rot-grüne Rentenreform gestimmt, sondern auch die grüne Idee der Grundsicherung mit besonderer Vehemenz bekämpft. Die damalige Sozialministerin – der jetzige Sozialminister ist bei dieser Debatte noch nicht einmal im Haus, aber die Fluktuation an der Spitze des Sozialministeriums zeigt, wie wenig Kompetenz Sie da haben –

(Judith Lannert (CDU): Ist das jetzt eine Märchenstunde?)

hat damals die Grundsicherung als leistungsfeindlich bezeichnet. Jetzt stellen Sie sich hierher und versuchen, sich zu feiern. Was damals Teufelszeug war, ist heute Anlass für Ihre Jubelanträge. Kein Wunder, dass die Kommunen – und nicht nur diese – kein Vertrauen mehr in diese Landesregierung haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Für uns GRÜNE war die Einführung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Jahr 2003 ein wichtiger Meilenstein in der Sozialpolitik. Damals stellten

viele Armutsexperten zunehmend fest, dass es eine verschämte Altersarmut gibt.

Vor allem scheuten ältere arme Menschen den Weg zum Sozialamt, weil sie Angst hatten und verhindern wollten, dass ihre Kinder zur Kasse gebeten werden, wenn sie die ihnen zustehende Sozialhilfe in Anspruch nehmen würden. Durch eine Grundsicherung und durch den Verzicht auf den Unterhaltsrückgriff auf die Kinder sollte gerade armen älteren Menschen ein Leben in Würde ermöglicht werden.

Dass die Grundsicherung eine richtige und gute Idee war, zeigt sich nicht nur daran, wie wichtig sie zur Verhinderung extremer Armut im Alter geworden ist, sondern auch daran, dass Sie heute versuchen, sich mit diesem Thema zu feiern. Wir würden uns allerdings freuen, wenn diese Lernprozesse auch in anderen Fällen erfolgen würden, z. B. bei der Verweigerung eines gesetzlichen Mindestlohns, bei Kürzungen der Renten von Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern, bei den Minijobs und der ungenügenden Alterssicherung von Menschen, die nur geringfügige Einkommen haben. Das wäre tatsächlich eine Prävention gegen extreme Armut im Alter, vor allem von Frauen. Da sind Sie aber noch weit von all dem entfernt, was man Sozialpolitik nennen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir begrüßen es, dass der Bund ab 2014 die Gesamtkosten für die Grundsicherung übernehmen will; denn auch in Hessen – wie in anderen Bundesländern – steigt die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger. Es sind inzwischen rund 66.200 Personen. Völlig inakzeptabel bleibt aber, dass die Gegenfinanzierung durch die Streichung des Bundeszuschusses für die Arbeitsagenturen in gleicher Höhe erfolgen soll; denn auch hier sind die Folgen wieder völlig unabsehbar, die das für die Kommunen haben wird. Deshalb teilen wir die großen Bedenken gegenüber Ihrem Vorgehen in Bezug auf die kommunalen Finanzen.

Richtig ist, dass seit 2005 der Sozialhilfeaufwand auch in Hessen steigt und die Grundsicherung dabei die höchste Steigerungsrate aufweist. Richtig ist aber auch, dass die Landesregierung zu der unzureichenden Finanzausstattung der Kommunen erheblich beigetragen hat. Allein durch die Mitwirkung an den Steuergeschenken der schwarz-gelben Bundesregierung ist sie dafür verantwortlich, dass den hessischen Kommunen pro Jahr rund 200 Millionen € fehlen. Hinzu kommt Ihr unsystematischer Eingriff in den Kommunalen Finanzausgleich, mit dem Sie den Kreisen, Städten und Gemeinden jährlich über 340 Millionen € entziehen und damit die ohnehin schwierige Finanzlage der Kommunen weiter verschärfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wer so mit den Kommunen umgeht, der braucht sich über Widerstand nicht zu wundern.

(Zurufe von der CDU)

Wir GRÜNE wollen keine Sozialpolitik nach Gutsherrenart oder nach Kassenlage mehr. Wir wollen eine aktive Sozialpolitik mit klaren Vereinbarungen. Wir wollen gemeinsam mit den Kommunen eine Politik gestalten, die zum Ziel hat, Menschen in Notlagen zu helfen und sie zu selbstbestimmtem Leben zu befähigen. Gerade deswegen und wegen der ab 2020 umzusetzenden Schuldenbremse brauchen wir klare Regeln – wie die, die wir GRÜNE in

unserem Sozialbudget formuliert haben. Wir brauchen einen Schutzschirm für die Sozialpolitik, um gerade die Sozialpolitik auf kommunaler Ebene sicherzustellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen eine an den Menschen orientierte Sozialpolitik, die das friedliche Zusammenleben vor Ort gestaltet, und zwar unabhängig von Generation, Geschlecht, Behinderung und kulturellem Hintergrund. Das wollen wir erreichen, indem wir die Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags durch vielfältige Angebote guter Qualität unterstützen. Dabei sind die Kommunen für uns wichtige Partner.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das erfordert in der Finanzpolitik einen ehrlichen Umgang mit den Kommunen. Ihr Antrag beweist, SchwarzGelb hat in Hessen nichts erreicht und nichts mehr vor. Es wird Zeit für einen Neustart, gerade auch in der Sozialpolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Schulz-Asche. – Die nächste Wortmeldung, die mir vorliegt, ist die von Herrn Dr. Spies für die SPD-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn Haushälter anfangen, über die Sozialpolitik zu reden, wird es kritisch. Ich komme gleich darauf zurück.

Lassen Sie mich vorneweg eine Bemerkung aus der Rede von Frau Schulz-Asche aufgreifen. Meine Damen und Herren, wer so wie Sie durch Entscheidungen der Landesregierung im Bundesrat und durch Handeln in diesem Haushalt die Kommunen trockengelegt hat und jetzt mit der Nachricht wedelnd durch die Gegend läuft, dass ein gewisser finanzieller Anteil zurückkommt, der erinnert mich an jemanden, der ein Kalb geklaut hat, anschließend Gehacktes zurückbringt und sagt: Damit ist alles ausgeglichen. Meine Damen und Herren, damit ist es bei Weitem nicht getan.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Frau Schulz-Asche hat darauf verwiesen, mit welcher Vehemenz Sie sich gegen die Grundsicherung im Alter gewehrt haben, also gegen genau das, dessen Sie sich jetzt rühmen wollen. Viel spannender finde ich aber die Formulierungskünste von CDU und FDP, was die Formulierung dieses Antrags angeht. Es ist beeindruckend, welchen Bedeutungsgehalt Sie der Wendung „von Beginn an konstruktiv... beteiligt“ geben können. Die Erstattung der Kosten der Grundsicherung im Alter durch den Bund an die Kommunen war am Anfang nicht vorgesehen, und dem Gesetzentwurf der Bundesregierung hatten die unionsgeführten Länder schon zugestimmt. Lediglich die Tatsache, dass die nicht unionsgeführten Länder den Entwurf zur Änderung der Regelungen im Bereich von Sozialhilfe, Hartz IV und dem Bildungspaket auf der Grundlage der Verfassungsgerichtsentscheidung gestoppt ha

ben, hat überhaupt die Möglichkeit eröffnet, an dieser Stelle andere Regelungen zu treffen.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Wenn man etwas am Anfang einfach durchlaufen lässt und dann, wenn sich die Gelegenheit ergibt, erklärt, man habe sich ja konstruktiv beteiligt, dann ist das eine interessante Interpretation. Das wollen wir Ihnen aber noch zugestehen, denn es ist ja schön, dass die Kommunen das Geld bekommen – jedenfalls 2012 und 2013; 2014 ist ungesichert, und für 2015 weiß noch keiner so genau, ob es klappt. Wir wollen aber die Hoffnung nicht aufgeben, dass an dieser Stelle eine Erkenntnis entstanden ist.

(Beifall bei der SPD)

Das eigentliche Problem an der Grundsicherung ist, dass sie überhaupt erforderlich ist. Das eigentliche Problem an der Grundsicherung ist, dass es Altersarmut gibt. Das eigentliche Problem sind die abstrusen Vorstellungen, die Frau von der Leyen gestern wieder bekanntgegeben hat, wo sie Leuten, die kein Geld haben, die sich keine eigene private Altersvorsorge leisten können, gesagt hat: Dann bekommt ihr auch keine weitere Unterstützung, sondern müsst genau in der Altersarmut sitzen bleiben, aus der euch nur die Grundsicherung – eine Erfindung von RotGrün – herausholt.

Jetzt komme ich – das finde ich, ehrlich gesagt, viel spannender – zu Ihrer Begeisterung betreffend die Frage der kommunalen Finanzierung. Herr Milde, Ihr Beitrag, aber auch weite Teile des Gutachtens, an dem die Landesregierung offensichtlich beteiligt war, erinnern mich sehr an jemanden, der sagt: „Vier Reifen, ein bisschen Blech, das ist ein Auto; das muss immer das Gleiche kosten, ob da vorne ein Stern in einem Kringel darauf ist oder ein Blitz in einem Kringel, das ist eine irrelevante Frage.“ Ihr einziger Blickwinkel in der Frage sozialer Leistungen ist der Vergleich von Kosten – ohne jede Berücksichtigung dessen, worin die Leistung eigentlich besteht, mit der absurden Unterstellung, das sei in allen Bundesländern vollständig gleich. Selbst das Gutachten widerlegt das, indem es erklärt, darauf könne es nicht eingehen.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, das ist eine recht skurrile Vermengung von kameralem Denken und betriebswirtschaftlichen Denkansätzen, die am Ende nur eines zustande bringt: dass Sie nämlich die Frage der Leistungen völlig ausblenden und die sozialen Leistungen ausschließlich darauf reduzieren, was sie kosten, ohne die Frage zu stellen, was man eigentlich bekommt.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Gibt es die gleiche gesetzliche Grundlage in ganz Deutschland?)

Ich will das an ein paar Beispielen erläutern. Bei der Eingliederungshilfe ist nicht die Frage relevant, was das kostet, sondern wie viel Teilhabe man für wie viel Geld bekommt. Es ist außerordentlich schwierig, das in sinnvollen Parametern zu erfassen. Deshalb lässt das Gutachten das einfach und sagt: Die Teilhabe wird überall die gleiche sein, deshalb unterscheiden wir nur danach, wie teuer dieses postuliert Identische zu bekommen ist.

Moniert wird, dass in Hessen die Eingliederungsleistungen zu Hause teurer sind und dass Eingliederungsleistungen in stationären Einrichtungen nur durchschnittlich viel kosten, aber zu einem geringeren Teil erbracht werden. Meine Damen und Herren, das ist doch gut so. Bei der Eingliederungshilfe kommt es darauf an, möglichst viele Leistungen zur Teilhabe ambulant zu erbringen, damit die

Leute zu Hause in ihrer Wohnung bleiben. Leider ist es nicht gelungen, an der Stelle eine Einigung über die Aufteilung der Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erreichen. Vor wenigen Tagen sind die Gespräche darüber gescheitert, die der Sozialminister so vollmundig angekündigt und moderiert hat.

Wenn das etwas teurer ist als woanders, aber dafür erfolgreicher arbeitet, ist das eine große und gute Leistung. Das wird in dem Gutachten, das uns nur erklärt, die Eingliederungshilfe in Hessen sei zu teuer, und man müsse sich anschauen, wo man etwas sparen könne, überhaupt nicht in Betracht gezogen.

Ich kann das auch an anderen Beispielen belegen. In Bezug auf die Kinderbetreuung wird festgestellt, dass sich die höheren Kosten in Hessen durch die höhere Dichte bei Ganztags- und Hortplätzen erklären lassen. Das ist auch gut so. Politisch sind wir alle uns darin einig.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Petra Fuhr- mann (SPD))

Das haben wir jedenfalls gedacht, bis wir den Entwurf der Empfehlungen der Landesregierung für konsolidierungsbedürftige Gemeinden entdeckt haben. Was steht darin? Wo soll man konsolidieren? Die Öffnungszeiten der Kindergärten sollen reduziert werden, die Kindergartengebühren sollen erhöht werden, es sollen Sondergebühren für längere Öffnungszeiten genommen werden, und die Öffnungszeiten sollen auf das Notwendigste beschränkt werden. Das sind die Vorstellungen der Landesregierung; denn genau an dieser Stelle spielt in ihrem Denken nichts anderes als die Frage eine Rolle: Wie bekommt man den Billigheimer hin?

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn Haushaltspolitiker anfangen, im Sozialen herumzuwerkeln, ohne sich mit der Materie zu befassen, wird es gefährlich, wie man an den Regelungen in Bezug auf die Kinderbetreuung erkennen kann.

(Gerhard Merz (SPD): Das kommt auf den Haushaltspolitiker an!)

Das dahintersteckende Problem ist, dass im Denken der Mitglieder von CDU und FDP in diesem Landtag und auch in dem der Mitglieder dieser Landesregierung eine Best Practice unterstellt wird, die mit der Practice überhaupt nichts zu tun hat, und dass die Frage, worin die guten Leistungen wirklich bestehen, überhaupt nicht berücksichtigt wird.

Wenn Sie über die Kosten von Jugendhilfemaßnahmen nachdenken – der Finanzminister schlägt durchaus Maßnahmen vor, wie die Kosten für die Jugendsozialarbeit sowie für die Jugend- und Drogenberatung reduziert werden sollen, um eine Konsolidierung der Haushalte zu erreichen –, wird Ihnen klar: Präventive Sozialpolitik – davon reden alle – geht ganz bestimmt nicht, indem wir bei den besonders betroffenen Jugendlichen Einschränkungen machen. Der Erfolg von Jugendhilfemaßnahmen bemisst sich an erfolgreichem Großwerden, nicht an Preisen. Sie haben an der Stelle überhaupt keine Vorstellungen dazu entwickelt, wie erfolgreiches Großwerden in Relation zu dem steht, was dafür ausgegeben werden kann.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Sagen Sie: Ist das notwendig oder nicht?)