Protocol of the Session on March 8, 2012

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt bring es bitte einmal fertig, dass es keinen Ältestenrat gibt! – Gegenruf des Abg. Florian Rentsch (FDP) – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), zu Florian Rentsch (FDP) gewandt: Ach Florian, das ist nicht einmal ein Frosch, das ist eine Kaulquappe!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Einzige, bei dem ich dem Einbringer dieses Themas in der Aktuellen Stunde zustimmen kann, ist, dass wir uns im Hause einig sind, dass wir alle weniger Gewalt und weniger Kriminalität wollen. Aber dann hört es ganz schnell auf. Es ist schon Tradition, dass schwarz-gelbe Law-and-Order-Politiker alljährlich in die Mottenkiste der Kriminalpolitik greifen. Da haben Sie dieses Mal den Warnschussarrest für Jugendliche gefunden. Meine Herren von der FDP, sich in Bürgerrechtsfragen aber noch rechts von der hessischen CDU aufzustellen, ist wirklich ein Kunststück. Das ist Ihnen heute Morgen gelungen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Bisher war ein Nebeneinander von Bewährungsstrafe und Arrest nur in begrenzten Fällen im Jugendstrafrecht möglich. Das war auch sinnvoll. Arrest war eben keine Bewährungsauflage. Nun eröffnen Sie die Möglichkeit, ne

ben der ausgesetzten Jugendstrafe gleichwohl den Entzug der Freiheit anzuordnen. Die Möglichkeit, schon einmal gesiebte Luft zu schnuppern, soll nach Ihren Worten die Jugendlichen abschrecken. Alle Erkenntnisse der letzten Jahre und Jahrzehnte widersprechen dem ganz eindeutig.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Heike Hof- mann (SPD))

Das, was Sie hier fordern, ist ein Sieg des Stammtisches über die Bürgerrechte und den Rechtsstaat.

(Beifall bei der LINKEN – Florian Rentsch (FDP): Ach du großer Gott!)

Das ist kontraproduktiv, verleugnet alle wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Wirkungen von Knast und stellt vor allem den Gedanken des Jugendstrafrechts auf den Kopf. Abschreckung, zumal die Abschreckung Dritter – das sollte eine vornehmlich aus Juristen bestehende Fraktion wie die FDP wissen –, entspricht ausdrücklich nicht den Grundprinzipien des Jugendstrafrechts. Anders als das Erwachsenenstrafrecht, das auch generalpräventive Ziele verfolgt, zielt es ausschließlich auf das Individuum. Sanktionen sind einzig und allein an pädagogischen und erzieherischen Zwecken auszurichten.

Darüber hinaus beruht dieses Konzept – das ist bei einer Mittelschichtpartei wie der FDP nicht weiter verwunderlich – auf einem typischen Mittelschichtskonzept, nämlich dem Konzept der Besinnung. Warum gerade viele Arbeiterkinder inhaftiert sind, kann ich hier nicht weiter ausführen. Aber gerade diese Jugendlichen haben kaum gelernt, sich zu besinnen. Untersuchungen haben gezeigt, dass gerade Jugendliche aus solchen Verhältnissen den Nutzen des Arrests als besonders gering schätzen. Der Jugendarrest will mit Leere, einem alltäglichen Einerlei von monotoner Arbeit, Lesen, Schlafen und geradezu dem Fehlen von pädagogischen Herausforderungen Besinnung erzwingen. Die meisten Jugendlichen nehmen das mit einer ebenso passiven Haltung hin wie die Tatsache, dass nach der Entlassung alle Probleme geblieben sind, wie sie waren. Meine Damen und Herren, so wird eher eine Anpassung an das Gefängnisleben erzeugt, als eine Furcht davor kultiviert.

Jugendliche – auch das zeigen alle Studien der letzten Jahrzehnte – werden durch den Arrest weniger offen, ihre Aggressivität nimmt zu. Viele Jugendliche erleben den Arrestvollzug als Erziehung zu Hass und Angst. Einsperren macht Jugendliche nicht besser – im Gegenteil. Wenn im Arrest, was selten genug der Fall ist, erzieherische Maßnahmen durchgeführt werden, so liegt deren Wert allenfalls darin, dass sie die negativen Auswirkungen des Arrests abschwächen oder neutralisieren.

Wer das Einsperren für eine sinnvolle Maßnahme hält, will nicht wahrhaben, dass Gefängnisse das Problem, das sie lösen sollen, häufig nur vergrößern. Jugenddelinquenz hat fast immer etwas mit fehlenden Perspektiven, mit abgebrochener Schulausbildung und mit beschämenden sozialen Verhältnissen zu tun. Weitaus sinnvoller als solche populistischen Maßnahmen, als gesetzgeberischer Unsinn wäre eine kluge Politik, die soziale Gerechtigkeit schafft und statt in Gefängnisse in Schulen investiert. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Wilken. – Das Wort hat Herr Abg. Hartmut Honka, CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auf meinen Vorredner kann man gar nicht eingehen. Von daher möchte ich gleich zur Sache kommen.

Ich glaube, Herr Kollege Rentsch hat den Sachverhalt, über den wir reden, sehr klug und richtig dargestellt. Das war auch gut so, damit man überhaupt weiß, worüber wir hier reden. Denn gerade bei der Vorrednerin und dem Vorredner der SPD- und der GRÜNEN-Fraktion waren die Zusammenhänge ein bisschen verrutscht.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, es ist bereits mehrfach angeklungen – das waren die wenigen wichtigen und klugen Sätze aus den Reihen der Opposition –, dass das Jugendstrafrecht ein sehr flexibler und vielseitiger Baukasten ist, der dem Jugendstaatsanwalt und vor allem dem Jugendrichter verschiedene sinnvolle Reaktionsmöglichkeiten auf Jugendkriminalität zur Verfügung stellt. Es überrascht Sie nicht: Es ist schon mehrfach angeklungen, was ich angeblich sagen wollte. Jetzt kann ich es auch sagen: Auch wir als CDU halten den Warnschussarrest als einen weiteren Baustein dieses Baukastens für richtig.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Florian Rentsch (FDP): Darum geht es!)

Ein weiteres Problem ist zwar kurz angeklungen. Aber ich glaube, dass es inzwischen schon wieder etwas verflacht ist. Deswegen will ich noch einmal ganz kurz darauf eingehen. Nehmen wir den Fall, dass wir mehrere Täter haben. Der Haupttäter bekommt eine Jugendstrafe und geht mit Bewährung nach Hause. Der Mitläufer – so will ich ihn rechtsuntechnisch nennen – bekommt einen Arrest und darf den absitzen. Führen Sie sich das Signal vor Augen, das davon gerade für den Mitläufer ausgeht. Das Signal ist: Hätte ich ein zweites Mal zugeschlagen, hätte ich jetzt auch nur eine Bewährungsstrafe. – Das ist ein fatales Signal. Das ist falsch. Das darf es nicht geben. Daher ist der Warnschussarrest neben der zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe ein weiterer richtiger Baustein.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich möchte noch ganz kurz einen weiteren Faktor nennen. Es geht auch nicht darum, dass ein beliebig langer Jugendarrest ausgesprochen wird, sondern es geht z. B. auch um den Zeitpunkt dieses Jugendarrests. Es kann sehr sinnvoll sein, dass man denjenigen, der einen solchen Warnschussarrest bekommt, dadurch für ein oder zwei Wochenenden von seiner Clique fernhält, damit er nicht weiter in dieser Spirale bleibt. Er wird an diesen Wochen enden aus seinem gewohnten Umfeld der Kriminalität herausgerissen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe der Abg. Heike Hofmann und Nancy Faeser (SPD))

Hessen ist auf diesem Feld sehr gut aufgestellt. Bei dem, was Sie zu der Jugendarrestanstalt in Friedberg ausgeführt haben, vergessen Sie, dass der damalige Staatsminister Jürgen Banzer diese Maßnahme im Jahr 2008 durchgeführt hat, um sehr zügig weitere Jugendarrestplätze zur Verfügung zu stellen. Zum Zeitpunkt dieser Entscheidung war bereits bekannt, dass es sich nur um eine zeit

weise Einrichtung handelt, die nicht von Dauer wird sein können. Denn jeder, der den baulichen Zustand in Friedberg kennt, weiß, dass man diese Anstalt mit 600.000 € nicht auf Dauer hätte erhalten können. Es ist bereits damals bekannt gewesen, dass wir die Anstalt in Gelnhausen für 2,5 Millionen € ausbauen, erweitern und ertüchtigen werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die Arbeiten in Gelnhausen werden in absehbarer Zeit abgeschlossen sein. Da wir dort dann deutlich mehr Plätze haben werden, ist es nur folgerichtig, dass wir uns auf den Standort Gelnhausen konzentrieren und die Jugendarrestanstalt in Friedberg aufgeben.

Es ist ein weiterer Punkt angesprochen worden, nämlich zügiger und schneller zu verfahren. Ja, wir hatten, wie Sie sich erinnern, im Jahr 2008 eine denkwürdige Anhörung im Rechtsausschuss zum Thema Häuser des Jugendrechts. Ich bezeichne sie als denkwürdig, weil alle Anzuhörenden, die wir aus dem schönen Hessenland bei uns zu Gast hatten, die damals noch keine praktische Erfahrung mit diesen Häusern des Jugendrechts hatten, uns erklärt haben, warum das des Teufels Zeug sei. Die Praktiker aus den anderen Bundesländern, die schon praktische Erfahrung damit hatten, haben erklärt, warum es bei ihnen funktioniert, und vor allem, warum es auch Vorteile bringt, nämlich weil es zur Beschleunigung der Verfahren und dazu führt, dass die Jugendlichen schneller eine Reaktion auf ihre Tat zu spüren bekommen.

Wo stehen wir heute? In Wiesbaden und in Frankfurt haben wir Häuser des Jugendrechts. Aus der Stadtpolitik in Frankfurt bekommen wir das Signal: Wir wollen ein zweites Haus des Jugendrechts. – Das heißt, auch in der hessischen Praxis ist das Signal angekommen. Auch das ist ein positiver Baustein. Von daher sind wir vonseiten des Landes sehr erfreut, dass wir hoffentlich in absehbarer Zeit in Frankfurt ein zweites Haus des Jugendrechts einrichten können.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Lassen Sie es mich abschließend, da die Redezeit gleich abgelaufen ist, noch einmal kurz zusammenfassen. Der Warnschussarrest ist ein Baustein im großen Baukasten des Jugendstrafrechts. Niemand will den Erziehungscharakter, der dort verankert ist, bestreiten. Es ist bei uns allen unbestritten, dass bei Jugendlichen nicht nur der Staat einzugreifen hat, sondern dass auch die Eltern, die Familien, die gesamte Gesellschaft gefordert sind, damit die Jugendlichen nicht dauerhaft in die Kriminalität abgleiten.

Aber wir wollen den Jugendstaatsanwälten und Jugendrichtern ein weiteres effektives Werkzeug geben. Deswegen setzen wir uns für den Warnschussarrest ein und sind sehr froh und dankbar, dass der Koalitionsausschuss in Berlin in der letzten Woche diese kluge Entscheidung getroffen hat. Wir glauben, dass dort das Gesetzgebungsverfahren jetzt zügig angestoßen und dann auch abgeschlossen werden kann. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Honka. – Das Wort hat der Staatsminister Hahn.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bedauere es schon sehr, dass sich die drei Vertreter der Opposition der rechtspolitischen Diskussion schlicht entzogen haben und sich nicht dafür interessieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD)

Ich nehme mit Bedauern zur Kenntnis, dass sich der rechtspolitische Sprecher der Fraktion der GRÜNEN sogar in einer Presseerklärung nicht mit diesem Thema beschäftigt, sondern sich darin mit anderen Dingen auseinandersetzt. Das macht ganz offensichtlich deutlich, dass Sie keinerlei Alternativen zur Rechtspolitik in diesem Lande – damit meine ich sowohl Hessen wie auch die Bundesrepublik Deutschland – haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Lachen des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Es macht deutlich, dass Sie sich aus einer Rechtsstaatspolitik vollkommen verabschiedet haben und meinen, hier nur noch mit ganz, ganz kleinem parteipolitischen Karo arbeiten zu müssen.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Ich erinnere an den Schlusssatz des rechtspolitischen Sprechers der GRÜNEN hier im Plenum: Das ist schade für Deutschland. – Aber mindestens ebenso schade für die GRÜNEN, sehr geehrter Herr Kollege Dr. Jürgens.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Man kann nicht immer nur mit Polemik durch die Landschaft ziehen, sondern man muss sich auch das eine oder andere Mal mit den Themen und der Geschichte auseinandersetzen. Ich darf Sie daran erinnern, weil Sie eben etwas von Mobbing gesagt haben und auch Bäume dafür bemühen, entsprechende Pressemeldungen darauf abzudrucken.

(Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es kann wohl kein Mobbing sein, wenn die Koalitionsrunde – sie wurde auf FDP-Seite von Frau LeutheusserSchnarrenberger und auf Unionsseite von Herrn Schäuble geleitet – im Koalitionsvertrag am 26. Oktober 2009 genau das festgeschrieben hat, was jetzt präzise beantragt und in den Geschäftsgang des Bundestages eingebracht wurde. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es war das Ergebnis der Verhandlungen. Der damalige Innenminister und heutige Ministerpräsident Volker Bouffier und ich waren auch persönlich bei den Gesprächen zwischen Union und FDP für diese Legislaturperiode anwesend. Was soll daran Mobbing sein? Oder haben Sie nur eine so kurze Erinnerungsspanne, Herr Kollege Dr. Jürgens, dass Sie Dinge von vor zwei Jahren schon wieder vergessen haben?

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe hier von der Kollegin der Sozialdemokraten gehört, dass das bestehende Recht völlig ausreichen würde. Frau Kollegin, im Gegensatz zu Ihnen gebe ich mich mit den Ergebnissen, die wir derzeit haben, nicht zufrieden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich finde es nicht erschöpfend gut, dass wir eine Vielzahl von Jugendlichen und jungen Menschen haben, die – Herr

Kollege Rentsch hat eben beschrieben, wie er bei der Staatsanwaltschaft sein Referendariat absolviert hat – grinsend aus Gerichtsverhandlungen herausgehen, nach dem Motto: Wir haben es den anderen gezeigt, der Staat es uns aber nicht. – Meine Damen und Herren, das halte ich für pädagogisch falsch.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf von der SPD)