Lang anhaltende Erwerbslosigkeit, Niedrigeinkommen, geringe Bildungschancen für einen Großteil der Bevölkerung, Kinderarmut, das erneute Steigen der Altersarmut, die Folgen des demografischen Wandels drohen insgesamt, die Spaltung unserer Gesellschaft zu verfestigen.
Auch in Hessen droht die Schere sich verfestigender Armut auf der einen und wachsenden Reichtums auf der anderen Seite immer weiter auseinanderzugehen. Eine auf den Prinzipien der Solidarität,der Teilhabe und der Chancengleichheit beruhende Landespolitik, die meine Fraktion immer vertreten hat, steht deshalb in der Verantwortung, auf diese sich verändernden sozialen Bedingungen zu reagieren.
Man kann unterschiedliche Konzepte dafür haben, wie man hier reagiert und mit welchen Mitteln man Armut bekämpfen will. Aber es müsste eigentlich unstreitig sein, dass die Informationsgrundlage über Ursachen und über die Wirksamkeit der dagegen vorgehenden Methoden zunächst einmal geschaffen und durch eine Berichterstattung veröffentlicht werden muss.
Genau aus diesem Grund fordern die hessischen Wohlfahrtsverbände und die Gewerkschaften seit Jahren auch für Hessen eine Armuts- und Reichtumsberichterstattung, wie es sie im Bund und in anderen Bundesländern längst gibt.
In der letzten Legislaturperiode hat meine Fraktion, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, mehrere Anläufe unternommen, um den sozialpolitischen Blindflug der CDURegierung zu beenden und eine verlässlichen Armutsund Reichtumsberichterstattung zu installieren.
Dabei wollen wir keine bunten Broschüren und Allgemeinplätze, sondern eine konkrete Landessozialberichterstattung und -planung zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung.
Wir sind der Überzeugung, der von uns geforderte Armuts- und Reichtumsbericht ist die Grundlage für eine nachhaltige Landessozialpolitik.
Armut entsteht durch das Fehlen finanzieller Mittel: bei zu geringem Einkommen oder zu geringen sozialen Transferleistungen – aber eben auch durch unzureichenden Zugang zur Bildung,zu Beratungen,zu Dienstleistungen und sonstigen Angeboten in kommunalen und anderen Bereichen wie bezahlbarem Wohnraum usw.
Deshalb darf sich auch eine wirksame Landessozialberichterstattung nicht auf die Darstellung finanzieller Aspekte – also Einkommen und soziale Transferleistungen – beschränken, sondern muss auch die sozialen Lebenslagen abbilden, beispielsweise die Bildung.
Deshalb ist es auch Gegenstand unseres Gesetzentwurfs, dass derartige Dinge wie Bildung, Erwerbsbeteiligung, Gesundheit, Wohnen, Migration und weitere soziale Lebenslagenaspekte der verschiedenen Bevölkerungsgruppen dargestellt und zur Diskussion gestellt werden.
Besondere Berücksichtigung in der Analyse und Darstellung sollen Kinder und Jugendliche finden. Die Kinderarmut nachhaltig zu bekämpfen, sehen wir als eine der ganz zentralen Herausforderungen in der Armutsbekämpfung insgesamt an.
Nach unserer Überzeugung greift der von der CDU vorgeschlagene Kinder- und Familienbericht zu kurz. Was ist dann mit der Altersarmut? Was ist mit den Folgen von Niedriglöhnen oder unzureichender sozialer Transferleistungen usw.? Das alles wäre dann nicht Gegenstand der Berichterstattung. Das finden wir unzureichend, und deswegen halten wir eine umfassende Armuts- und Reichtumsberichterstattung für sinnvoller.
Wir wollen aber auch keine Datenberge, die einmal pro Legislaturperiode in den Schubladen der Expertinnen und Experten verschwinden. Um tragfähige politische Entscheidungen herbeiführen zu können, ist eine qualitative Armuts- und Reichtumsberichterstattung in angemessenen Zeitabständen unabdingbar eine, die Auskunft über die sozialen Entwicklungen, über Veränderungen im gesellschaftlichen Zusammenleben, über geänderte Familienstrukturen, sich verändernde Erwerbsbiografien usw. gibt. Sie ist auch notwendig, um der Tabuisierung des Armutsproblems entgegenzutreten.
Qualitativ heißt aber eben auch, dass die regelmäßig erhobenen Daten zusammengefasst, über Zeitläufe verfolgt und interpretiert werden. Nach unserer Überzeugung reicht dafür ein zweijähriger Rhythmus aus.
Bedauerlicherweise hat sich die CDU-Landesregierung in der Vergangenheit beharrlich geweigert, eine Landes
sozialberichterstattung einzuführen – nicht zuletzt,um die Folgen der „Operation düstere Zukunft“ mit der Streichung von rund 30 Millionen c und die Beliebigkeit ihrer Sozialpolitik nicht offenkundig werden zu lassen.Wir wollen diesen sozialpolitischen Blindflug jetzt beenden.
Angesichts einer geschäftsführenden Landesregierung und der Verweigerungshaltung der CDU in der Vergangenheit sehen wir dies nur durch ein Gesetz gewährleistet, das wir heute einbringen.
Ehrlich gesagt, verstehe ich deswegen auch den Antrag der Linksfraktion nicht so ganz. Wenn es eine gesetzliche Grundlage gibt, verpflichtet diese die Landesregierung, eine solche Berichterstattung abzugeben. Dann ist es relativ wenig sinnvoll, in einem weiteren Antrag die Landesregierung dazu aufzufordern.
Wenn Sie inhaltlich erweiternde Vorschläge haben, dann wäre es sinnvoll, diese in einem Änderungsantrag zu unserem Gesetzentwurf zum Ausdruck zu bringen. Das böte dann die Möglichkeit, sich im Gesetzgebungsverfahren vernünftig darüber zu unterhalten. Ich glaube, das wäre sinnvoller als Ihr gegenwärtig gestellter Antrag. Denken Sie noch einmal darüber nach.
Wir werden im Ausschuss über die Einzelheiten diskutieren, und ich bitte um breite Zustimmung. – Vielen Dank.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema Armuts- und Reichtumsbericht wurde hier bereits vorgestellt.
Natürlich hat das Thema Armut und Reichtum die Gesellschaft schon immer beschäftigt. Schon die alten Griechen haben sich ihre Gedanken darüber gemacht und sich grundsätzlich mit dem Thema Armut und Reichtum auseinandergesetzt. Hier gilt es natürlich, zu differenzieren: Was bedeutet Armut, was bedeutet Reichtum?
Natürlich haben wir das in der EU ordentlich geregelt. Es wurde genau festgelegt, wie viel Prozent was bedeutet. Es wurden drei Kategorien gebildet: die einkommensstarke Schicht, die Mittelschicht und die armutsgefährdete Schicht, die nochmals in die Armen differenziert wird.
Wir haben das so festgelegt, dass wir das Nettoeinkommen genommen haben. Wir haben ein mittleres Einkommen gebildet. „Armutsgefährdete Schicht“ bedeutet in Deutschland: Mit einem nur 60-prozentigen Anteil am medialen Einkommen ist man „von Armut gefährdet“; mit einem 40-prozentigen Anteil gilt man als arm. So viel zur Festlegung – nur damit wir uns einmal klarmachen, was dies bedeutet. Anhand absoluter Zahlen kann man sich dies natürlich noch einmal anschauen.
Der Armuts- und Reichtumsbericht ist in Deutschland nichts Neues. Die Bundesregierung hat bereits zwei Berichte vorgelegt, und ein dritter müsste in diesem Jahr eigentlich irgendwann veröffentlicht werden, damit wir diese Zahlen auch akut haben. In diesen Berichten der
Bundesregierung werden natürlich auch Aussagen für die Bundesländer getroffen. Wir haben von den GRÜNEN bereits vorgetragen bekommen, dass man einige Zahlen ganz einfach abrufen kann, wenn man dies möchte. Daher glauben wir, dass ein identischer Bericht, wie ihn die Bundesregierung vorlegt, für uns in Hessen zu kurz greift. Wir müssen uns hinsetzen, und wir müssen uns überlegen – hierzu gibt es in Ihrem Entwurf gewisse Ansätze –, was wir mit einem solchen Armuts- und Reichtumsbericht erreichen wollen. An dieser Stelle wird es sich für meine Fraktion entscheiden, wie wir mit diesem Thema endgültig umgehen werden.
Ich habe mir die Zahlen des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung für die Jahre 2001 bis 2005 angeschaut, und ich habe festgestellt, dass die Entwicklung, gerade auch aus liberaler Sicht, beängstigend ist. In Deutschland nimmt die Mittelschicht ab. Sie nimmt rapide ab. Jetzt muss ich leider feststellen – wir haben hier immer einen einvernehmlichen Landtag –, dass diese Entwicklung natürlich ganz intensiv ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie regieren seit dem Jahre 1998.Aufgrund dieser Zahlen muss ich feststellen, dass Sie in diesem Zusammenhang eine gewisse Verantwortung tragen. Auch das bildet sich in diesem Armuts- und Reichtumsbericht ab. Ich bin mir sicher, dass, wenn wir, die FDP, in Berlin mitregieren würden, die Nettoeinkommensentwicklung in Deutschland anders aussehen würde als derart, wie man dies nun feststellen kann.
Von dieser Position werden Sie mich auch nicht abbringen können, denn ich muss mir nur die Zahlen anschauen. Sie wollen Zahlen haben, doch sprechen diese eine eindeutige Sprache. Seit dem Jahre 1998 ist diese Entwicklung in Deutschland festzustellen.
Daher ist natürlich dieser Armuts- und Reichtumsbericht, den die Bundesregierung vorlegt, ein Offenbarungseid ihrer politischen Arbeit in Berlin. In diesem Zusammenhang sind Sie leider nicht allein aktiv,sondern es sind auch noch andere gefragt, die dort Politik betreiben.Wir haben an dieser Stelle allerdings nicht das Interesse, eine politische Diskussion zu führen, sondern wir wollen mit diesem Armuts- und Reichtumsbericht – wie er am Ende auch immer heißen mag – in Hessen etwas erreichen.
In diesem Zusammenhang sind die Überlegungen, die hier vorgetragen wurden, nicht verkehrt. Wir müssen schauen, was regional los ist.Wir haben eine Kommunalisierung der sozialen Mittel in Hessen. Wir müssen schauen, wie eine zielgerichtete Steuerung dieser Mittel möglich ist. Dazu ist es richtig, eine Sozialberichterstattung sowie auf Kreisebene einen Sozialstrukturatlas zu haben. Das sind alles wichtige Instrumente, um herauszubekommen, wie wir diese Mittel zur Verminderung von Armut einsetzen können.
Es ist hier bereits angeklungen, dass es in Bezug auf die Frage, wie man Armut bekämpfen kann, verschiedene Grundüberzeugungen gibt.Wer sich mit der Literatur der Sozialforschung auseinandergesetzt hat, der wird festgestellt haben, dass es immens unterschiedliche Ansätze gibt.Eines ist aufgrund der Berichterstattung,die wir kennen, klar: Es ist kein Bericht zu erwarten, der uns die ab
solute Erkenntnis bringt, sondern es sind inzwischen viele Indikatoren bekannt. Ein wichtiger Indikator ist – das ist ganz klar – die Bildung. Es gibt in unserem Lande eine ganz deutliche Korrelation zwischen Bildung und Armut. Das ist etwas, dem wir uns zuwenden müssen. Darum glaube ich auch, dass die Bildungsdiskussion, die hier heute Morgen geführt worden ist, ganz intensiv etwas damit zu tun hat, wie viele Menschen aus der Armut herauskommen können oder dort verharren müssen.
Hierzu möchte ich nur eine Zahl nennen, und zwar haben im Jahre 1970 5 % der Menschen in Armut gelebt, und diese haben keine Berufsausbildung gehabt. Im Jahre 2004 sind es 20 bis 25 %,die in Armut leben und keine Berufsausbildung haben. Ich will für meine Fraktion klarstellen: Wir haben kein Interesse daran, eine Grundsatzdebatte zu führen und zu fragen, was diese Zahlen politisch aussagen. Dies würde, so glaube ich, für einige hier im Hause,die in Berlin mitregieren,nicht so gut ausgehen. Für uns ist es bei dieser Debatte wichtig, zu fragen: Wie können wir mit den Mitteln, die vorhanden sind, Menschen konstruktiv aus der Armut verhelfen? Für uns gibt es hierbei natürlich den einen Ansatz, dass wir Hilfe zur Selbsthilfe leisten wollen. Dies spielt für uns eine ganz zentrale Rolle.
Wir wollen hier weiterhin ansetzen. In diesem Zusammenhang wissen wir auch, dass sich die Hessische Landesregierung in der letzten Zeit nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert hat.
Daher sehen wir hier Handlungsbedarf. An dieser Stelle wollen wir als Liberale unseren Teil beitragen. Alles Weitere werden wir hierzu im Ausschuss sagen. Ich denke, dies wird eine konstruktive Debatte werden. Dieser Bericht muss verwertbare Zahlen bringen. – Danke.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, diejenigen, die die hessische Landespolitik ein bisschen länger als die vergangenen beiden Monate lang beobachtet haben,haben verstanden,warum ich eben laut gelacht habe, als Herr Kollege Rock gesagt hat: „Sie wissen, dass sich die Hessische Landesregierung hier nicht mit Ruhm bekleckert hat“. – Herr Kollege Rock, ich kann zumindest für mich sagen, dass ich noch immer von der Wendehalsigkeit Ihrer Partei begeistert bin. Ich bin auch wirklich fassungslos, da ich festgestellt habe, dass Sie nun plötzlich das erkennen, was wir in Hessen bereits seit neun Jahren vortragen. Seit neun Jahren tragen wir Ihnen vor, was Sie in der Sozialpolitik alles falsch machen. Seit neun Jahren hat dies niemand begriffen, doch die CDU hat nun nach der Wahl offensichtlich einiges begriffen.