Protocol of the Session on May 14, 2008

Es geht alles von Ihrer Zeit ab. Bleiben Sie gelassen und nüchtern. Insofern wiederhole ich das, was ich gestern gesagt habe.

Meine Damen und Herren, wenn man die Debatte so verfolgt hat, hat man den Eindruck, dass hier lauter Experten sitzen, die das bisher immer richtig gemacht haben, und ausschließlich einer hat das bisher immer alles falsch gesehen.

(Lachen des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist eine ganz andere. Kollege Hahn hat doch recht.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Schily 1 und 2, Stichwort: Rasterfahndung, hat Rot-Grün im Bundestag beschlossen. Ich habe das im Deutschen Bundesrat ausdrücklich unterstützt. Ich war auch der Überzeugung, dass das richtig ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, wo waren denn all die, die sich jetzt hier aufblasen und erklären, es wäre alles falsch gewesen? Das ist doch Unfug. Wir haben eine sehr ernste Materie. Ich will das sehr ernst sagen.

(Günter Rudolph (SPD): Das ist unglaublich! – Zurufe von der SPD)

Nach dem 11. September 2001 haben wir sehr ernste Debatten in diesem Land geführt. Es kann nicht sein – unabhängig von allen Parteifarben –, dass ein so ernstes Thema sozusagen für das Spiel der politischen Farben mit kleiner Münze verabreicht wird.

Das, was seinerzeit in der Bundesrepublik Deutschland ganz breit für notwendig gehalten wurde, ist unter der Federführung einer rot-grünen Bundesregierung angestoßen worden. Es ist im Bundesrat unter der Federführung der Union bestätigt worden. Dazu stehe ich noch heute. Manches von dem, was hier so leichtfertig erklärt wurde, ist erstens historisch falsch, und es ist zweitens ungerecht gegenüber denen, die seinerzeit die Arbeit geleistet haben. Ich bin der Letzte, der ihn hier verteidigen muss. Aber so simpel, wie das hier vorgetragen wird, wird es dem Thema nicht gerecht.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb erlaube ich mir, darauf hinzuweisen: Die Hessische Landesregierung ist von Ihnen vielfach in Prozesse gezwungen worden. Ich erinnere nur an die Verfahren vor dem hessischen Staatsgerichtshof. Wir haben nicht eines verloren. Wir haben ein einziges Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht verloren. Das war das Verfahren zum Kennzeichenlesegerät.

(Günter Rudolph (SPD): Das ist grandios?)

Das war nicht grandios. Aber, Herr Kollege Rudolph, Sie waren im Innenausschuss dabei. Der Hessische Datenschutzbeauftragte hat in seinen Ausführungen – diese sind dokumentiert – erklärt, er sei der Auffassung, dass überhaupt kein Eingriff in ein Grundrecht vorliege, aber dass die Regelung auf jeden Fall verfassungsgemäß sei. Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass das Bundesverfassungsgericht das für unsere Regelung – genauso wie für die Regelung in Schleswig-Holstein – nicht so gesehen hat.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Natürlich besteht hier Handlungsbedarf. Aber die Frage Rasterfahndung war kein hessisches Thema. Die Frage Lauschangriff war kein hessisches Thema.Das waren alles andere Dinge.Und die Onlinedurchsuchung hat eine ganz besondere Facette. Das war ein nordrhein-westfälisches Gesetz, das ich nicht zu verantworten habe.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

Deshalb bleiben wir dabei: Ich streite mit Ihnen nicht über Anpassungsbedarf. Aber ich lasse hier nicht stehen, dass diese Landesregierung und die sie lange Zeit mittragenden Fraktionen der FDP und der CDU leichtfertig oder ohne sorgfältige Prüfung hier ein Gesetz verabschiedet und durchgesetzt hätten.

Deshalb, damit das ganz klar ist: Die hessische Polizei handelt rechtmäßig, und sie handelt sehr erfolgreich. Die Grundlage dieses Handelns ist unser Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Das ist sozusagen das Grundgesetz polizeilicher Arbeit. Dieses Grundgesetz polizeilicher Arbeit ist ein sehr kluger Kompromiss in der Grundaufgabe, die wir so oft miteinander diskutieren: Freiheit und Sicherheit.

Wenn wir das miteinander sehen, dann bleibt kein Streit über Anpassungsbedarf übrig, wenn auch durchaus unter

schiedliche Meinungen bestehen, wie man diese Anpassungen vornimmt. Ich habe bereits im vergangenen Jahr dargelegt: Ich halte es für richtig, wenn wir die Gesetzgebung des Bundes zu diesen Themen abwarten, weil ich es nicht für klug halte, solche Grundentscheidungen von Land zu Land unterschiedlich zu treffen. Das habe ich in der vergangenen Legislaturperiode vorgetragen. Die, die damals dabei waren, vorneweg der Kollege Rudolph, wissen, warum ich so entschieden habe.

Wenn es um die Frage der Rasterfahndung geht, halte ich es für klug, dass wir wissen, wie der Deutsche Bundestag darüber denkt und ob die Einigung von SPD und CDU im Bundeskabinett nun Bestand hat oder nicht.

(Günter Rudolph (SPD): Nein!)

Sie sagen Nein,Herr Rudolph.Dann wissen Sie mehr als Frau Zypries. Es gibt jedenfalls eine Einigung der Bundesjustizministerin und des Bundesinnenministers, und das Kabinett wird dies so beschließen.

(Günter Rudolph (SPD): Gesetze gehen durch den Bundesrat! Dann sind sie entschieden!)

Lieber Herr Rudolph, ich habe bei der SPD gelernt, z. B. bei dem Thema Onlinedurchsuchung:Vor der Wahl, während der Wahl und nach der Wahl haben Sie als SPD alles vertreten: richtig, notwendig, gar nicht richtig.

(Günter Rudolph (SPD):Ganz netter Versuch,aber trotzdem falsch!)

Es gibt Anwesende, die sich dazu äußern können.

Dieses Thema kann man meines Erachtens nicht mit der billigen Keule fahren. Deshalb bleibe ich dabei: Die Frage, ob es eine Regelung gibt, die einerseits den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts entspricht, die aber andererseits auch noch praktikabel ist, ist eine Frage, die uns massiv zu interessieren hat – es sei denn, sie würden die These vertreten,man braucht das nicht.Das kenne ich bisher von niemandem aus dem gesamten Bereich,der dort Verantwortung trägt.

Genau in die gleiche Richtung geht für mich auch die Notwendigkeit der Onlinedurchsuchung. Ich nehme zur Kenntnis, dass die FDP hier die Position einnimmt, zu sagen: Das brauchen wir nicht. – Ich halte das für falsch. Ich kenne keinen einzigen Verantwortlichen im Sicherheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland, der diese Auffassung teilt, ob das der Präsident des Bundeskriminalamts ist, ob das der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz ist, ob es eine ganze Reihe anderer sind, die wir seit Jahren mit diesen Fragen löchern.Alle sagen uns: Wenn wir keine Chance haben, in rechtlich einwandfreier Weise zu erfahren, was im Bereich des Terrorismus läuft, dann werden wir unsere Hauptaufgabe in sehr kurzer Zeit nicht mehr erfüllen können.

Sie können das ignorieren. Ich kann es nicht ignorieren. Wenn ich einen Bericht nach dem anderen bekomme, in dem steht, dass die Kommunikation auf höchstem technischen Niveau ausschließlich über Internet läuft und wir keine Chance haben, mitzukriegen, was dort passiert, dann kann man die Position einnehmen, zu sagen: Wir brauchen das nicht. – Ich kann diese Position verantwortlich nicht einnehmen.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb: Ich habe mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, was die Bundesjustizministerin und der Bundesinnenminister mit ihren Ministerien vereinbart

haben, nicht als klassisches Mittel der Kriminalitätsbekämpfung,sondern unter vielen Bedingungen als Ausnahmefall.Ich kenne kein Argument,das mich bisher von dieser Überzeugung abgebracht hätte.

Ich habe es oft genug vorgetragen, und ich tue es auch heute,auch wenn es schon so spät ist,liebe Freunde,meine Damen und Herren: Es ist das Grundgesetz polizeilicher Arbeit. Hier geht es um viel. Und weil es um so viel geht, liegt mir überhaupt nichts daran, an einem zentralen Standort kleinlich entlang von Parteienfarben die Geschichte zu malen.

Sie haben mich zu Recht gefragt, wann ich es denn vorgelegt hätte. Im Herbst. Das Bundeskabinett hat angekündigt, im Juli zu beschließen. Dann haben wir einen Kabinettsbeschluss. Dann kann man einschätzen, wie der Deutsche Bundestag damit umgeht. Wir sind mit unseren Arbeiten weitgehend dabei. Dann hätten wir so, wie es auch verabredet war, dieses Gesetz an diesen und an anderen Stellen novellieren können.

Meine Damen und Herren, ich möchte eine abschließende Bemerkung machen, die mir sehr wichtig ist. Sie, Herr Kollege Greilich, haben mit dem Ruf geendet: „Im Zweifel für die Freiheit.“ Ein großes Wort,

(Beifall bei der FDP)

historisch vielfach belegt, historisch auch vielfach reklamiert. Solche Aussprüche werden gelegentlich für ganz Unterschiedliches gebraucht. Von Heinrich Heine bis zu Stalin haben das alle einmal gebraucht. Es nützt aber nichts; ich stimme Ihnen ausdrücklich zu.

Ich füge aber etwas hinzu: Mir ist besonders wichtig, dass die Debatte dort nicht stehen bleibt. Ich will etwas aufgreifen, was in der Debatte schon gesagt wurde: Wer ist denn gegen die Freiheit? Ich wende mich dagegen, dass Freiheit und Sicherheit als Gegensätze dargestellt werden. Freiheit und Sicherheit bedingen einander. Das eine ist ohne das andere nicht vollständig. Wenn das so ist, dann ist der Staat, dann ist die demokratisch legitimierte und kontrollierte Polizei nicht der Feind der Bürger. Wenn es um Bürgerrechte geht, dann müssen wir doch zurechtrücken, dass es nicht darum gehen kann, dass der Bürger von der Polizei bedroht wird.Der Bürger wird von Verbrechen bedroht. Der Bürger wird vom internationalen Terrorismus bedroht. Deshalb stelle ich diese Jubelarien, dass es, wenn die Polizei bestimmte Maßnahmen nicht durchführen kann, immer ein Gewinn für Bürgerfreiheit ist, sehr infrage.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb bleibt es dabei: Die wichtigste Aufgabe der Polizei ist ausdrücklich nicht die Strafverfolgung. Die wichtigste Aufgabe der Polizei ist die Gefahrenabwehr. Das ist auch der Grund, warum ich immer dagegen angetreten bin, die Regelungen der Strafprozessordnung 1 : 1 auf die Polizeigesetze zu übertragen. Ein Staat kann unter vielen Gesichtspunkten überlegen, ob er Straftaten verfolgt und wie er mit den Tätern umgeht. Die wichtigste Aufgabe, die wir haben, ist eine andere: die Gefahrenabwehr.

Man kann und muss über all diese Fragen engagiert streiten.Das ist juristisch nicht einfach,und die tatsächliche Sicherheitsgewährleistung ist immer eine große Herausforderung. Aber ich wäre schon froh, wenn wir uns wenigstens auf eines verständigen könnten: Die wichtigste Aufgabe der Polizei und des Staates ist es, die Bürgerinnen und Bürger in der Weise zu schützen, dass sie nicht unschuldig Opfer werden, und die Polizei in den Stand zu

setzen, diese Aufgabe zu erfüllen.Wer sich das klarmacht, der darf nicht nur irgendwann Opfer beklagen. Der muss vorher auch denen, die diese Aufgabe erfüllen sollen, ein Rüstzeug an die Hand geben, das sie in der Tat auch bei veränderten Herausforderungen – Stichwort:Terrorismus – handlungsfähig macht.

Deshalb bleibe ich dabei: Die hessische Polizei handelt rechtmäßig, sie handelt außerordentlich erfolgreich, und ich hoffe, dass es gelingt, trotz allen politischen Schlagabtauschs ein hessisches Polizei- und Sicherheitsgesetz zu schaffen oder zu novellieren,das die Voraussetzungen,die ich beschrieben habe, auch in Zukunft gewährleistet. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Al-Wazir.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß, alle wollen nach Hause. Ich versuche, es ganz kurz zu machen.

(Beifall der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Herr Innenminister, ich habe mich noch einmal gemeldet, weil ich finde, es wäre angebracht, dass Sie sich angesichts der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht eine der Gesetzesregelungen, die Sie für völlig unproblematisch gehalten haben,als grundgesetzwidrig erkannt hat,mit ein wenig mehr Demut hierhin gestellt hätten – um es einmal vorsichtig auszudrücken.