Protocol of the Session on September 23, 2008

Wir können durchaus sehr stolz darauf sein, dass wir – nicht nur in Hessen, sondern bundesweit – ganz an der Spitze liegen, wenn es darum geht, Jugendlichen mit Migrationshintergrund eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben. Mit einem Anteil von lediglich 10,3 % ausländischer Schulabgänger, die keinen Abschluss aufweisen, hat Hessen bundesweit die niedrigste Quote erreicht. Das sind Maßnahmen der Landesregierung, die sich ebenfalls auszahlen: die Investition in Sprache, ein klares Miteinander. Es geht aber auch darum, die Erfolge gegenüber den anderen Bundesländern zu sehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Frau Kollegin Fuhrmann hat hier häufig darauf hingewiesen, dass es für alle sozusagen immer schlechter geworden sei. Das versuchen Sie heute wiederum mit einem Antrag deutlich zu machen. Ich rate Ihnen, sich die Zahlen genau anzuschauen und sich zu überlegen: Wie können wir tatsächlich weiteren Menschen helfen? Was kann man dort tun? Was haben wir in den vergangenen Jahren getan?

Mit dem gesunkenen Risiko, arbeitslos oder gar langzeitarbeitslos zu werden, ist in Deutschland auch das Risiko gesunken, sich zu verschulden. Im Jahre 2002 gab es bundesweit noch über 3 Millionen Haushalte, die verschuldet waren. Im Jahre 2006 war es noch immer eine große Anzahl, und zwar 1,6 Millionen Haushalte. Dennoch wird deutlich,dass sich dort etwas verändert hat.Der Aufschwung am Arbeitsmarkt ist natürlich auch dadurch zu spüren, dass nicht noch mehr Menschen in die Schul

denfalle laufen. Die Maßnahmen wirken, und es wird nicht, so wie Sie dies immer beschrieben haben, über Sozialabbau gesprochen, sondern die Agenda hat mit all ihren Schwierigkeiten bei ihrer Durchsetzung, hierzu haben wir immer gestanden, dazu beigetragen, das Armutsrisiko in Deutschland tatsächlich zu vermindern.Das ist ein ganz klarer Erfolg.

(Beifall bei der CDU)

Ich will daher den designierten Kanzlerkandidaten der SPD zitieren. Dieser sagt – es ist verwunderlich, dass sich hier so wenige Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion für dieses Thema zu interessieren scheinen; man könnte vielleicht auch sagen, dass man sich hierüber nicht zu wundern braucht –:

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Wir haben in einer wirtschaftlich verzweifelten Situation Auswege formuliert, um die Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Das ist in großem Umfang gelungen. 1,6 Millionen Arbeitslose weniger, das sind 1,6 Millionen Menschen mit neuer Zuversicht. Das sind Familien, die wieder eine Zukunftsperspektive haben. Es ist noch immer möglich, dass wir bis zum Jahresende die Zahl von 3 Millionen Arbeitslosen unterschreiten.

Das sagte Herr Steinmeier in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 13.09.2008. – Ich kann dem nur hinzufügen: Damit hat er tatsächlich recht. Das sind Dinge, die wir in den letzten Jahren in einer Großen Koalition weiter fortgeführt haben. Auch im Hessischen Landtag haben wir uns immer wieder in Diskussionen mit dem Widerstand der SPD-Fraktion auseinandergesetzt;und wir haben es in der Tat geschafft, vielen Menschen eine neue Zukunftsperspektive zu bieten, um sie aus der Armut zu holen.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass es in Hessen weniger bedürftige Kinder gibt – gerade im nordhessischen Raum. Dort gibt es den gravierendsten Rückgang, und zwar in einem Umfang von 5,9 %. Die Regionaldirektion Hessen hat kürzlich wiederum deutlich gemacht, dass dies, gerade was die Kinder betrifft, ein ganz wichtiger Schritt ist. Wir haben auf der einen Seite unser „Paket“ zur Verfügung gestellt, indem wir sagen: Bedürftigen Kindern wird in der Schule geholfen. Sie bekommen über einen Nothilfefonds ein Mittagessen. Auf der anderen Seite haben wir den Ausbau der Kinderbetreuung forciert, damit Eltern arbeiten können und damit die Chance erhalten, dass die Betreuung sichergestellt ist.

In diesem Zusammenhang ist auch festzustellen, dass in Nordhessen, verglichen mit ganz Hessen, der größte Fortschritt erzielt wurde.Wir wollen an diesem anknüpfen.Ich sage aber auch ganz klar und deutlich: Wir werden unser Ziel nicht aufgeben. Wir werden gerade im Rhein-MainGebiet, wo es zum Teil lange Sozialhilfekarrieren gibt – man kann schon von „vererbten Karrieren“ sprechen –, nicht aufhören, die Fallmanager immer wieder neu dazu zu motivieren, weiterzumachen, damit auch dort weitere Zukunftsperspektiven für Familien und Kinder entstehen.

Ich kann mir vorstellen, dass nun auf der einen Seite wieder einige sagen werden: Wenn wir die Arbeitslosenquoten vergleichen, dann sind wir noch immer nicht zufrieden. Auf der anderen Seite werden manche sagen – das haben wir hier im Hause schon häufiger von linker Seite gehört –, dass es prekäre Beschäftigungsverhältnisse

seien. Hierauf antworte ich ganz deutlich: Im Juli des Jahres 2008 haben wir, was die nordhessische Region betrifft, mit einer Quote von 7,1 % eine lediglich geringfügig höhere Quote, als dies mit einem Schnitt von 6,7 % für ganz Hessen der Fall ist. Nordhessen hat sich aber inzwischen von den umliegenden Regionen abgesetzt. Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen weisen eine Quote von 7,7 bzw. 8,6 % auf. Dort hat sich etwas getan.

Wenn wir uns den gesamtdeutschen Schnitt anschauen, können wir ganz klar feststellen, dass die Sockelarbeitslosigkeit während fast aller Phasen,die konjunkturell besser waren, nicht abgebaut wurde. Zum ersten Mal haben wir nun den Fall, dass die Sockelarbeitslosigkeit gerade dort, wo Männer und Frauen langzeitarbeitslos gewesen sind, um 300.000 Personen gesunken ist, und zwar während des aktuellen Aufschwungs. Das ist eine Situation, die in der Tat eine Trendwende und ein großer Erfolg ist.

Nun gehe ich noch einmal auf die prekären Beschäftigungsverhältnisse ein, denn diese werden hier im Hause häufig erwähnt. Wenn wir uns die Daten genau anschauen, dann ist es richtig, festzustellen, dass wir – laut Statistischem Bundesamt – in den letzten Jahren eine Zunahme der atypischen Beschäftigungsverhältnisse haben. Der Begriff der „atypischen Beschäftigungsverhältnisse“ umfasst gemäß der Definition des Statistischen Bundesamtes Teilzeitarbeit, geringfügige und befristete Beschäftigung sowie die Zeitarbeit. Wir können auch feststellen, dass die Teilzeitarbeit etwas ist, worauf wir in vielen Fällen setzen, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Das ist der eine Anstieg.

(Beifall bei der CDU)

Nun zum zweiten Anstieg. Es ist festzustellen, dass die atypischen Beschäftigungsverhältnisse unter den gering Qualifizierten besonders stark zugenommen haben. Jemandem, der über keinerlei Abschluss verfügt, der über Jahre langzeitarbeitslos ist, der keine Chance hat, am Arbeitsleben teilzunehmen, und nicht integriert ist, müssen wir natürlich eine Chance geben. Daher ist es ein ganz großer Erfolg, wenn dieser über solche Beschäftigungsverhältnisse wieder in Arbeit kommt, ein Sprungbrett erhält und über Zeit- bzw. Leiharbeit im Ausleihunternehmen tatsächlich einen Klebeeffekt verspürt oder in einem anderen Unternehmen integriert wird.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben große Erfolge erzielt, und wir verfolgen das folgende Ziel:Wir wollen Menschen, die mit ihren gesamten Familien jahrelang keinerlei Zukunftsperspektiven hatten, neue Zukunftsperspektiven geben – doch seitens der Fraktion DIE LINKE bekamen wir in diesem Hause lediglich den Ruf zu hören, man müsse nun die Regelleistungen überall anheben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihre Forderungen beruhen nicht auf Datenerhebungen, Warenkörben oder Ähnlichem. Sie sagen einfach: Der Regelsatz muss auf 420 c monatlich erhöht werden. – Dazu kann ich nur sagen: Das kostet in Anbetracht der Anzahl der Leistungsempfänger zusätzlich 10 Milliarden c. Eine höhere Grundsicherung würde zudem das Arbeitsangebot für ca. 200.000 Personen mindern. Dies führte also nicht zu einer zusätzlichen Beschäftigung, sondern zu einer zusätzlichen Abhängigkeit von Menschen.

Das haben wir nicht unter „Fördern und Fordern“ verstanden. Wir wollen die Integration der Menschen in den ersten Arbeitsmarkt. Das wollen wir weiterhin verfolgen,

indem auf der einen Seite ganz klar gefördert wird. Auf der anderen Seite muss jemand natürlich auch mitmachen. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, der in den Reformen angelegt ist. Das hat aber auch dazu geführt, dass das Armutsrisiko in Deutschland inzwischen abnimmt. Man kann erstmals wieder sagen: Seit den Neunzigerjahren haben wir einen Rückgang des Armutsrisikos. Das heißt, wir haben erstmals einen Rückgang der Ungleichheit der Markteinkommen. Genau das, was wir über Jahre kritisiert haben, ist durch diese Anstrengungen geschafft worden. Menschen haben wieder Perspektiven, werden besser vermittelt und erwirtschaften ein eigenes Einkommen.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie mich noch zwei Anmerkungen zur aktuellen Debatte zur Arbeitsmarktreform machen, die momentan ansteht. Wir haben die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der es darum geht, wie die Optionskommunen und die Arbeitsgemeinschaften künftig organisiert bleiben.Wir, alle Länder gemeinsam, haben in großer Einigkeit beschlossen, dass wir die Arbeitsgemeinschaften im Grundgesetz verankern und sie erhalten wollen, genauso wie die Optionskommunen. Wir haben einen gemeinsamen Weg vorgegeben, weil wir gerade nicht wieder zum kooperativen Jobcenter zurück wollten und damit zu einer Bundesbehörde, die weit weg ist von den Menschen und den Einzelfall vor Ort nicht gestalten kann.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Aber ich sage auch sehr deutlich:Wir sind dort noch nicht am Ziel angekommen.Wir haben auch dazu als Land Hessen einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, weil wir zeigen wollen, dass das, was alle Arbeits- und Sozialminister beschlossen haben, tatsächlich geht. Es ist nicht so, dass man sich darum herumdrücken kann, sondern wir müssen die Strukturen erhalten, die wir heute haben, damit sie den Menschen dienen. Ich denke, auch hier im Hause hatten wir zu diesem Thema eine große Einigkeit.

Frau Ministerin, die Redezeit der Fraktionen ist erschöpft.

Es liegt uns dazu noch nichts aus dem Hause des Kollegen Scholz vor, das diesen Ansatz auch nur weiterverfolgt und nicht wieder alles auseinanderreißt. Aber dazu kommt noch, dass man momentan überlegt: Wie kann man die Möglichkeiten, am Arbeitsmarkt Vermittlungen sicherzustellen, wieder beschränken – bundeseinheitlich vorgegeben von einer Stelle? Das macht schon heute Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen Schwierigkeiten und führt dazu, dass hessische Förderprogramme nicht mehr angenommen werden, weil der Bund die Generalklausel des § 16 Abs. 2 streichen will. Wer so über Einzelschicksale nachdenkt, indem er nur wieder auf solche zentralen Dinge hinweist und anderes nicht mehr möglich macht, der wird dem Einzelfall nicht gerecht.

Ich kann Ihnen viele Einzelfälle in Hessen nennen. Im Main-Kinzig-Kreis haben wir gerade wieder Altenpflegerinnen zusammen mit der AQA vor Ort ausgebildet. Dabei war eine 51-jährige Frau, die nie in Arbeit war, die aufgrund dieser Regelungen eine Ausbildung machen konnte und nun mit einer Ausbildung dasteht und erstmals eine eigenständige Zukunftsperspektive hat. Das gilt auch für

das Thema Nachmachen des Hauptschulabschlusses oder den Besuch eines Integrations- oder Sprachkurses. Sie können von Wiesbaden über Kassel, Marburg-Biedenkopf bis nach Fulda gehen: Alle sind sich einig, dass die Änderungen, die der Bund vorschlägt, so nicht kommen dürfen, weil sie den Einzelschicksalen nicht gerecht werden. Allein uns im Land Hessen würde es 1.300 Ausbildungsplätze kosten, die wir über unsere Qualifizierungsmaßnahmen sicherstellen.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist ein Weg, den wir nicht einschlagen wollen. Wir wollen dabei bleiben, dass die Verantwortung vor Ort ist, dass wir nicht wieder eine Art Bundessozialverwaltung bekommen, wo nicht die Schicksale im Vordergrund stehen. Wir wollen vielmehr auf den Strukturen aufbauen, die zwar die einzelnen Fallmanager viel Kraft und Zeit gekostet haben, die inzwischen jedoch erste Früchte zeigen. Deswegen kann man hier heute nur feststellen:Warum sollte ich eine richtige Politik korrigieren? Die Agenda ist hoch erfolgreich. Wenn man eine Dividende für seine Politik haben will, muss man aber auch bereit sein, zu sagen, dass einem die Aktien gehören. Ich habe Franz Müntefering zitiert,

(Zurufe von der CDU: Oh! – Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

der diese Agenda mit vorangetrieben hat. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ich kann mich dem Zitat von Franz Müntefering nur ausdrücklich anschließen: „Agenda wirkt: mehr Arbeit, mehr Chancen. Glück auf!“

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Damit ist die Regierungserklärung abgegeben. – Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile Frau Abg. Fuhrmann für die Fraktion der SPD das Wort.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren! Manchmal ist es hier schon zum Lachen, heute zum Beispiel. Insofern kann ich sagen: Frau Lautenschläger, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem runden Geburtstag. Sie haben es auf den allerletzten Metern doch noch geschafft. Ich muss ganz ehrlich zugeben: Ich habe schon nicht mehr daran geglaubt, dass die Sozialministerin irgendwann einmal etwas erklären darf.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Mi- nisterin Silke Lautenschläger)

Nur zur Statistik. Der Ministerpräsident hatte in der letzten Legislaturperiode acht, der Justizminister hatte vier, der Umweltminister drei, usw.

(Florian Rentsch (FDP): Und Sie keine, Frau Fuhrmann!)

Allein Frau Lautenschläger hatte in den letzten fünf Jahren null Regierungserklärungen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das holen wir in den nächsten Jahren auf!)

Insofern erleben wir heute eine Premiere, ein letztes Aufbäumen einer Sozialministerin, die eher nicht dadurch aufgefallen ist, dass sie sich besonders engagiert für die Lösung der sozialen Probleme des Landes Hessen eingesetzt hätte.

(Beifall bei der SPD)

Frau Lautenschläger hat in der letzten Legislaturperiode fünf Jahre lang zu den Themen geschwiegen.Was hätte sie auch erklären sollen? Sie hat willfährig den Sozialabbau in Hessen fortgesetzt. Eine Landessozialpolitik gibt es faktisch nicht mehr. Jetzt, zum Schluss, kommt noch eine Regierungserklärung. Es geht aber nicht etwa um die Sozialpolitik des Landes Hessen in Gänze, sondern es wird ein durchsichtiger Versuch gestartet, in irgendeiner Form Keilchen zwischen andere Mehrheiten in diesem Landtag zu treiben. Ich sage Ihnen: Das ist ein hilfloser Versuch.

Selbstverständlich gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen Parteien. Das Thema, das Sie hier benannt haben, gehört augenscheinlich dazu. Das ist die Existenzberechtigung von verschiedenen Parteien. Dann muss es Kompromisse geben. Das wird auf Landesebene genauso sein wie auf Bundesebene,wo wir leider in einer Koalition sind, die manchmal Gutes und manchmal nicht so Gutes macht.

(Ministerin Silke Lautenschläger: Ich freue mich mittlerweile sogar über den Kollegen Lauterbach!)

Das ist schön, wenn Sie sich freuen, Frau Lautenschläger. Darüber freue ich mich.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))