Protocol of the Session on November 24, 2005

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Bocklet für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die FDP scheint vor allem für eines zu stehen, wenn ich auf Ihren Redebeitrag eingehen darf, Herr Kollege Rentsch, nämlich dafür, dass sie relativ beratungsresistent über die Situation in einem Land wie Hessen bezüglich Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen urteilen.Das ist absolut beratungsresistent. Ich komme noch einmal gern auf die Zahlen und die Vergleiche bezüglich Optierer und ARGEn zurück.

(Michael Denzin (FDP): Dann muss man sich einmal umgucken! Dann sieht man,dass er Recht hat!)

Wir haben ja auch ein paar Minuten Zeit.Aber lassen Sie mich noch einmal in einer Vorbemerkung konstatieren, worum es eigentlich ging. Dann wird man auch merken, wo Ihr Strickfehler liegt, Herr Kollege Rentsch.

Es ist doch so gewesen, dass wir vor der Hartz-IV-Reform festgestellt haben, dass wir zwei nebeneinander existierende Systeme haben, nämlich das der Sozialhilfe und das der Arbeitslosenhilfe. Es war doch, so dachte ich, gesellschaftlicher Konsens, dass dies völliger Quark war und dass es an der Zeit war,dass es mit einer Fusionierung dieser beiden Systeme endlich dazu kommt,dass erwerbslose Sozialhilfeempfänger, Langzeitarbeitslose, endlich die Chance haben, wieder in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Das war doch einer der entscheidenden Erfolge von Hartz IV.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man das will, dann muss man die beiden Systeme auch zusammenbringen – egal, ob einem das gefällt oder nicht. Es ist natürlich richtig, dass die Arbeitsgemeinschaften den schwierigen Weg gegangen sind und gesagt haben:Wir als Sozialämter mit dem Know-how für die Sozialhilfeempfänger und die lokalen Bundesagenturen mit dem Know-how für die Zugänge zum Arbeitsmarkt und für die Instrumente des Arbeitsmarktes kommen zusammen, um den Langzeitarbeitslosen zu helfen. Das ist und bleibt doch der richtige Schritt, Herr Kollege Rentsch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Michael Denzin (FDP))

Jetzt geht es doch nicht darum, darüber akademisch zu diskutieren. Das ist der Irrweg Ihres Antrages und Ihrer Politik genauso wie der Irrweg der Ministerin Lautenschläger und des Ministerpräsidenten Koch.Sie ziehen die Debatte über Organisationsformen derartig in die Länge, dass einem der Blick für das Wesentliche verstellt bleibt, nämlich die Förderung von Langzeitarbeitslosen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt kriegen wir die Zahlen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging.Vielleicht sagen Sie dazu noch einmal etwas.

(Florian Rentsch (FDP): Gerne!)

Es haut einen doch vom Stuhl, wenn man mitbekommt, dass über die Hälfte der Mittel für Eingliederungshilfen nicht ausgegeben wird. Das sind die Gelder, die dafür gedacht waren, dass den Langzeitarbeitslosen geholfen wird, dass der allein erziehenden Mutter wieder die Möglichkeit zu einer Fortbildung gegeben wird, dass Langzeitarbeitslosen geholfen wird, die eben keine Weiterqualifizierung mehr haben konnten, dass all diesen betroffenen Langzeitarbeitslosen Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit sie wieder fit werden für den ersten Arbeitsmarkt. All das ist doch immens wichtig. Was stellen wir heute fest? – Über die Hälfte der Mittel wird nicht ausgegeben. Das ist der eigentliche Skandal.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Das mögen Sie offensichtlich nicht hören. Sie führen in der Bundesrepublik eine Diskussion, die da lautet: Langzeitarbeitslose Menschen sind im Prinzip Abzocker, sie betrügen und erschleichen sich Sozialleistungen, und sie erhöhen den Druck im Sozialbudget. – Sie tun diesen Menschen Unrecht. Andererseits stellen Sie aber nicht fest, was Realität ist, dass nämlich diesen Menschen überhaupt noch nicht geholfen wird. Das ist doch der entscheidende Punkt dabei, was es aussagt, dass die Eingliederungshilfen nicht ausgeschöpft werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Schlimmer noch: Jetzt haben wir doch viele Errungenschaften in der Hartz-IV-Gesetzgebung gehabt. Was passiert jetzt in der schwarz-roten Bundesregierung? – Ich sage es Ihnen. Bevor diese Eingliederungshilfen greifen, bevor wir es schaffen, die 280.000 ALG-II-Empfänger in Hessen zu qualifizieren, wieder fit zu kriegen, bevor das passiert, mäht man schon einmal richtig mit der Leistungssense.

Schon jetzt sagen Sie, dass bei den Rentnern die Beiträge von 78 c auf 40 c gekürzt werden.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Nicht Sie, Entschuldigung. Natürlich die Bundesregierung. Ich gucke nur in Ihre Richtung. Sie können sich an den rechten Rand setzen, wenn Ihnen das nicht passt.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Bei den Jugendlichen ohne Berufsausbildung unter 25 Jahren haben wir doch jahrelang dafür gekämpft, dass ihre Selbstständigkeit gefördert wird.Was macht jetzt die Bundesregierung in Ihrem Koalitionsvertrag?

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist ja wohl der Hammer! Das ist nicht zu glauben!)

Sie streicht die Zuschüsse für diese Jugendlichen. Das führt dazu, dass Kinder wieder zu einem Armutsrisiko werden. Das ist genau das Problem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Dritter Punkt. Wenn Sie sich Frankreich anschauen, Herr Kollege Boddenberg, werden Sie feststellen, dass ein Teil der sozialen Konflikte eine Folge davon ist, dass die Integration von Ausländern bzw. von Franzosen oder Deutschen mit Migrationshintergrund nicht funktioniert hat. Die Menschen in Frankreich – sie waren Franzosen, hatten aber einen Migrationshintergrund – sind nicht integriert worden, weil sie unter anderem auch nicht von dem

System und den Fördersystemen erfasst worden sind. Jetzt lautet der vierte Punkt in Ihrem Bundesprogramm: EU-Ausländer dürfen zukünftig nicht mehr gefördert werden.

(Michael Boddenberg (CDU):Das stimmt doch gar nicht!)

Was glauben Sie denn? – Das steht genau so drin.Ich kann es Ihnen auch zitieren. Ich weiß sogar fast die Seite auswendig. Wenn langzeitarbeitslose EU-Ausländer nicht mehr die Möglichkeit haben, mit den Instrumenten des Arbeitsmarktes gefördert zu werden, dann haben Sie genau das Problem, dass Sie eine weitere Segregation in der Gesellschaft haben werden,die dann natürlich auch zu sozialen Konflikten führen wird. Deswegen müssen auch EU-Ausländer weiterhin das Recht haben, gefördert zu werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber es hat in der Tat eine bundespolitische Dramatik. Wir haben das angedeutet. Auf Hessen heruntergebrochen haben wir doch eigentlich ein ganz anderes Problem. Warum läuft eigentlich die Sozialministerin durch die Lande und erklärt, die Optionskommunen seien nach wie vor das bessere Modell? Sie haben das vorhin zitiert. Ich sage das noch einmal. Herr Kollege Rentsch hat gesagt: Dort, wo die Kommunen jetzt schon die Vermittlung in eigene Hände nehmen, sind die Erfolge größer als dort, wo die Bundesagentur und die Arbeitsgemeinschaften tätig sind.

(Beifall des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Herr Rentsch klatscht. Das ist sozusagen die vorzeitige Freude.

Sie haben doch einen Dringlichen Berichtsantrag gestellt. Jetzt versuchen wir, uns noch ein bisschen intellektuell zu konzentrieren, denn das hat etwas mit Zahlen zu tun.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Es war nämlich so, dass wir gesagt haben: Wir lassen uns eines Besseren belehren.Wir GRÜNE sind im Gegensatz zu Ihnen von der FDP lernfähig. – Wir haben gesagt: Jetzt sagen Sie uns doch einmal die Zahlen, die belegen, wo das besser war. Wo waren denn jetzt die besseren Resultate der Optionskommunen? Zeigen Sie uns das doch einmal. – Nach dem Motto „Mach nicht jeden Fehler selbst, sondern gib auch anderen einmal eine Chance“ kam in Vertretung von Frau Lautenschläger der Herr Staatssekretär in den Sozialpolitischen Ausschuss und hat Folgendes gesagt.

(Florian Rentsch (FDP): Wir mögen den Staatssekretär!)

Damit jeder hier im Raum, der nicht im Sozialpolitischen Ausschuss war,das versteht,sage ich noch einmal,dass wir gefragt haben, wie hoch denn die Vermittlungsquoten in der Arbeitsgemeinschaft und wie hoch sie in den Optionskommunen waren. Wir haben gefragt: Wie hoch waren die Vermittlungen in den ersten Arbeitsmarkt, in die Arbeitsgelegenheiten und in die Weiterqualifizierung? Diese Fragen haben wir gestellt.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Sie waren dabei. Wir haben tief gebeugt und in den Bart nuschelnd eine Antwort bekommen, die da lautete: Präzise Zahlen haben wir jetzt aber noch nicht. – Sie erinnern sich vielleicht.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Ich habe hier das Protokoll. Das macht es auch so schick, wenn ich das einmal zitieren darf.

(Michael Boddenberg (CDU): Lesen Sie aber alles vor! – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Die erste und einzige Zahl, die er genannt hat, war folgende – wir haben einen Taschenrechner, vielleicht auch Sie zu Hause –: In den Arbeitsgemeinschaften waren 180.000 ALG-Empfänger gemeldet. Davon wurden insgesamt 14,7 % in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt. Dann kommen die Optionskommunen. Da waren 113.000 gemeldet, und davon wurden 8,8 % in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt.

Herr Rentsch, auch ich habe zwar nur ein hessisches Abitur, aber ich sage Ihnen: 8 % bei den Optierern und 14 % bei den Arbeitsgemeinschaften – das sind vorläufige Zahlen. Aber ich mache mich auch nicht zum Zahlenpapst und behaupte, die einen oder die anderen könnten es besser. Das tun Sie.Aber wenn man feststellt, dass die Optierer nur 8 % Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt haben, die Arbeitsgemeinschaften aber 14 %, wie kann man dann behaupten, dass die Optierer erfolgreicher sind? Das kann doch nicht wahr sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann ging das ganz witzig hin und her. Dann sagte der Staatssekretär: Ich muss aber noch einmal den Hinweis auf die Erfolge der Optionskommunen geben. Das ist auch richtig.Ich bestätige ausdrücklich,was die Ministerin sagt. – Dann hat der Abg. Bocklet nach den genauen Zahlen gefragt. Darauf sagt der Staatssekretär: Ich gebe ja zu, dass wir noch keine präzisen Zahlen haben. Es gibt immer noch nur erste Hinweise. Und außerdem haben wir vereinzelt Probleme mit der Datenübermittlung sowie Umstellungs- und Auswertungsprobleme.

Da denkt man: Na gut, das kann ja einmal passieren. – Dann wird weiter nachgefragt: Aber die Ministerin hat doch gesagt, sie seien erfolgreicher gewesen. – Da sagt er: Nein, sie waren sehr erfolgreich. – Der Vergleich schubbert dann irgendwie weg.Dann fragt der Abg.Bocklet:Sie wollen also sagen, dass die Optionskommunen nicht unbedingt erfolgreicher waren? Sie haben ja keine genauen Zahlen.Sie waren nur so erfolgreich.– Doch,doch,sie waren erfolgreich. – Sagen Sie doch jetzt noch einmal die Zahlen.– Dann sagt der Staatssekretär:Ja,so genaue Zahlen haben wir nicht. Die letzten vier Fragen können wir nämlich nicht beantworten.Aber wir waren erfolgreicher.

Es gibt ein gutes Sprichwort, das da lautet:Wenn du in einem Loch steckst, grabe nicht mehr weiter. – Diesen Rat möchte ich Ihnen geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg.Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das erinnert mich an die kleine Anekdote von dem Disput zwischen Fidel Castro und Ronald Reagan. Herr Castro fragte:Herr Präsident,warum regen Sie sich so auf und machen da so eine Zahlenhuberei? – Da sagte Ronald Reagan: Im Januar hatten Sie gesagt, Sie hätten nur 200 kubanische Militärberater in Nicaragua. Jetzt im Mai begrüßen Sie die ersten 1.000 von den 200 Militärberatern, die wieder zurückgekehrt sind.