Protocol of the Session on September 22, 2005

Dann bringen Sie ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs ins Spiel. Es dauert, bis der Erlass durch die Ministerialbürokratie gegangen ist. Er ist ja schon viel länger vorbereitet,und das Urteil kam erst danach.Wir kennen ja noch

nicht einmal die Urteilsgründe. Das kann auch kein Argument dafür sein, den Erlass zu rechtfertigen.

Herr Innenminister, Sie haben sich an dieser Stelle völlig verheddert,um das einmal sehr deutlich zu sagen.Sie wollen den letzten Gestaltungsspielraum vor Ort kaputtmachen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

2 % der freiwilligen Ausgaben können die Kommunen im Verwaltungshaushalt der Kreise noch leisten. Das wollen Sie alles kaputtmachen. Damit machen Sie übrigens auch viel ehrenamtliches Engagement kaputt. Wenn Leute nichts mehr zu entscheiden haben und irgendwo der Staatskommissar ist, dann können wir die Kommunalpolitik ad absurdum führen.

(Frank Gotthardt (CDU): Mit so Leuten wie Ihnen!)

Nein, wir fordern nur, dass Sie die richtigen inhaltlichen Schwerpunkte setzen. Wer so dazwischenruft, für den ist es besser, dass er nicht in Berlin, sondern in Wiesbaden bleiben muss,um das einmal deutlich zu sagen,Herr Gotthardt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Herr Innenminister, es war wirklich nicht Ihre Woche. Ich empfehle, heute die „Bild“-Zeitung zu lesen. Das, was Sie mit diesen beiden Erlassen in den letzten beiden Tagen gemacht haben, ist der Gipfel der Unverschämtheit. Herr Innenminister, wir wissen, dass Sie auf Argumente von SPD, GRÜNEN und FDP in der Sache nicht eingehen. Dann empfehle ich Ihnen einmal, hören Sie zu, wenn Ihre eigenen Parteifreunde etwas sagen, die Praktiker vor Ort. Ich darf zitieren – Kollege Schmitt, ich weiß nicht, welche Zeitung das ist.

(Norbert Schmitt (SPD): Der „Bergsträßer Anzeiger“!)

Der „Bergsträßer Anzeiger“.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Dass ein Nordhesse das überhaupt zur Kenntnis nimmt!)

Ganz einfach, er hat es mir in die Hand gedrückt.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dort richtet Landrat Wilkes, CDU, die Bitte an das Innenministerium, mehr dem pragmatischen politischen Sachverstand zu folgen, als solche Verfügungen zu erlassen. – Recht hat der Mann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Innenminister, man soll nie die Hoffnung aufgeben. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Bei Ihnen fällt es mir nach so einer Debatte und breiten öffentlichen Diskussion schwer.

(Helmut Peuser (CDU):Aber bei Ihnen auch!)

Sie verstehen es ja gar nicht. Sie verstehen es noch nicht einmal intellektuell. Lassen Sie das deswegen an der Stelle.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Na, na, na!)

Herr Rudolph, das war überzogen. Ich bitte Sie, das zu unterlassen.

Herr Präsident, das muss ich dann zur Kenntnis nehmen.

Meine Damen und Herren! Herr Innenminister, die einzig notwendige Konsequenz, die Sie aus der Debatte ziehen sollten: Erstens, hören Sie auf mit dieser kommunalfeindlichen Politik. Stellen Sie den Kommunen Geld zur Verfügung. Die 50 Millionen c Betriebskosten würden vielen Kommunen helfen.

Zweitens. Stopfen Sie diesen Erlass in den Reißwolf. Das wäre der wichtigste Beitrag zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Rudolph. – Herr Al-Wazir, Sie haben als Nächster das Wort und ebenfalls neun Minuten Redezeit zur Verfügung.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben am 17.Juni letzten Jahres eine Debatte geführt, die vielleicht sogar mit Auslöser der heutigen Debatte war, weil die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN damals beantragt hat,klarzustellen,ob Kommunen Geld aus dem Landesausgleichsstock erhalten können, die nicht auf die 33,33 % Elternbeiträge kommen. Ich zitiere einmal den Innenminister, 17. Juni 2004, Tagesordnungspunkt 89, 40. Sitzung. Da sagte der Innenminister Bouffier wortwörtlich:

Im Ergebnis darf ich dem Haus Folgendes mitteilen: Es gab und gibt keine kommunalaufsichtliche Festlegung, weder auf eine bestimmte Zahl noch auf eine bestimmte Verfahrensweise.Da es eine solche weder gab noch ich die Absicht habe, eine solche einzuführen, kann sich die Debatte diesbezüglich sehr kurz halten.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das war schon wieder gelogen!)

Herr Innenminister, wenn ich heute Ihren Erlass sehe, dann muss ich sagen: Sie haben uns damals schlicht angelogen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Zweite Feststellung.Wir haben damals über die Frage diskutiert: 33,33 % Elternbeiträge. Wenn man Ihren Erlass heute sieht, ist der sehr unmissverständlich – „Staatsanzeiger“, 22. August 2005, Leitlinien zur Konsolidierung der kommunalen Haushalte, Handhabung der kommunalen Finanzaufsicht, Punkt 4, Elternentgelte in Kinderbetreuungseinrichtungen –:

In Kommunen mit einem anhaltenden Haushaltsdefizit ist anzustreben, die auf andere Weise nicht gedeckten Kosten der Kinderbetreuungseinrichtung durch Elternentgelte zu finanzieren.

Das ist sehr eindeutig.

(Minister Volker Bouffier: Lesen Sie alles vor!)

Ich lese weiter:

Mindereinnahmen, die dadurch entstehen, dass Eltern aus sozialen Gründen ganz oder teilweise... von der Entgeltzahlung befreit sind, dürfen den tatsächlich erhobenen Entgelten zugerechnet werden. Bei völliger oder teilweiser Freistellung von Gebühren für Kinderbetreuungseinrichtungen hat die Kommune einen nachhaltigen Kompensationsplan zur anderweitigen Finanzierung zu beschließen und der Aufsichtsbehörde vorzulegen.

(Rudi Haselbach (CDU): Ach, guck einmal da! – Minister Volker Bouffier: Jetzt lesen Sie weiter vor!)

Dieser Kompensationsplan muss auch einen Regelungsvorschlag zur Gebührengestaltung der in der Gemeinde betriebenen Kinderbetreuungseinrichtungen freier Träger enthalten.

(Frank Gotthardt (CDU):Aha!)

Bei dem Punkt mit der völligen oder teilweisen Freistellung ist völlig klar,was Sie getrieben hat.Es ist das übliche CDU-Hessen-Problem. Die parteipolitische Brille wird aufgesetzt, die vernebelt alles. Das ist die „Lex Hilgen“ und nichts anderes. Herr Innenminister, aber das gilt für alle Kommunen. Ich sage Ihnen, es gibt auch Kommunen, die haben einen anhaltend defizitären Haushalt, und die planen überhaupt nicht, Elternbeiträge freizustellen, aber die haben die 33,33 % nicht. Meine Heimatstadt gehört dazu. Bei den meisten ist es so.

(Zuruf des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Geh nach Berlin, Frank. In meiner Heimatstadt ist es nicht so.

(Zuruf des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Eben nicht. Soll ich dir einmal sagen, was im Erlass steht? Darin steht sogar noch viel mehr als die 33,33 %. Wenn man den wortwörtlich nimmt, dann stehen darin 70 %, lieber Kollege Gotthardt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Darin steht: „alle anderweitig nicht gedeckten Kosten“. Weißt du, was das heißt? Das ist tausendmal mehr als die 33,33 %.

(Norbert Schmitt (SPD): Die 33 % nicht!)

Ich komme zurück zur Sache. In meiner Heimatstadt Offenbach haben wir einen anhaltend defizitären Haushalt. Wir haben sogar das Problem mit dem Stichwort Sozialstaffel, dass fast die Hälfte der Eltern in irgendeiner Form über die Jugendhilfe Zuschuss bekommt. Wenn wir den Erlass so anwenden würden, wie er da steht, dann würde das faktisch bedeuten,dass die wenigen Vollzahler,die wir haben, Elternbeiträge in astronomischen Höhen zu zahlen hätten. Wissen Sie, was das bedeuten würde? Das würde bedeuten, dass gerade die Kommunen mit den anhaltend defizitären Haushalten – beispielsweise die Großstädte –, gerade wegen ihrer Sozialstruktur dazu gezwungen wären, Maßnahmen zu ergreifen, die ihre Sozialstruktur weiter verschlechtern würden, weil bei uns die Eltern, die bezahlen, dann nach Obertshausen oder Heusenstamm ziehen. Das ist genau das Problem. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Zur Frage, die Sie auch mit Ihrem Versuch angesprochen haben, alles Mögliche hier abzulehnen, indem Sie gesagt haben, es gehe darum, dass es in der einen Kommune teurer und in der anderen Kommune nicht so teuer ist, haben wir in der Wahlperiode von 1991 bis 1995 die überörtliche Prüfung kommunaler Körperschaften eingeführt.Erst vor kurzem hat eine vergleichende Prüfung der Kinderbetreuungseinrichtungen in den Großstädten stattgefunden, die dazu geführt hat, dass manche Großstädte eingespart haben, indem sie es billiger organisiert haben. Aber es ist eine Frage, ob man darüber redet, wie man es billiger machen kann, oder ob man darüber redet, dass die Eltern einen Beitrag zahlen müssen, der am Ende dazu führt, dass sie ihre Kinder aus den Kindergärten abmelden müssen. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, werte Kolleginnen und Kollegen von der CDU.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)