Protocol of the Session on December 16, 2004

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der SPD)

Das Wort hat die Sozialministerin, Frau Staatsministerin Lautenschläger.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube,in der Debatte ist durchaus deutlich geworden, dass es darum geht,eine Aufgabe aufgrund geänderter gesetzlicher Bestimmungen neu zu diskutieren.

Ich will hier für die Landesregierung noch einmal sagen – ich hoffe, es kommt auch bei der SPD-Fraktion im Landtag an –: Ich habe deutlich gemacht, dass ich bereit bin, den Prozess zu moderieren, und zwar ergebnisoffen. Das habe ich allen Fraktionen im LWV gesagt, und bisher liegen mir auch keine Informationen vor, dass z. B. die SPDFraktion im LWV inzwischen nicht mehr bereit sei,an diesem Prozess mitzuwirken.

Wir diskutieren heute noch über das SGB XII. Die Landesregierung hat festgeschrieben, dass wir dort keine Veränderungen vorwegnehmen wollen. Wir haben, mit durchaus komplizierten Vorschriften, den jetzigen Zustand verankert und beabsichtigen nicht, Änderungen mit Blick auf das Jahr 2007 vorzunehmen.Wir wollen nämlich mit den Kommunalen Spitzenverbänden und den Fraktionen im LWV in einen ergebnisoffenen Prozess eintreten, um den LWV fit für die Zukunft zu machen. Das bedeutet für uns auch, dass an vielen Stellen nach wie vor ein überörtlicher Träger gebraucht wird. Es muss aber darauf geschaut werden, wie das Zusammenspiel in der Behindertenhilfe für die Menschen vor Ort am sinnvollsten zu organisieren ist. Das ist die entscheidende Frage, die man sich stellen muss.

Ich bedauere sehr, wenn in den Einrichtungen der Psychiatrie und des Maßregelvollzugs Angst verbreitet wird.Dabei müssen wir über diese Einrichtungen gar nicht diskutieren, weil das die Aufgabe der kommunalen Familie ist, nicht aber die der Hessischen Landesregierung. Die Hessische Landesregierung baut zurzeit gemeinsam mit der kommunalen Familie Einrichtungen des Maßregelvollzugs in Haina und in Merxhausen. Erzählen Sie also dort niemandem, wir würden hier über die Arbeitsplätze diskutieren. Das ist schlichtweg nicht wahr. Wir vergrößern die dortigen Einrichtungen und sichern daher die Arbeitsplätze für die Zukunft. Das Gegenteil ist also der Fall.

(Beifall bei der CDU)

Ich glaube, es ist in der Debatte deutlich geworden, dass auf drei Seiten dieses Hauses ein ganz offener Diskussionsprozess vonstatten geht.Wie werden die Aufgaben in der Behindertenhilfe in Zukunft am besten wahrgenommen? Das soll in dem Prozess, den ich gerne moderieren will, erarbeitet werden. Wir alle haben ein Interesse daran, dass die Behindertenhilfe tatsächlich an erster Stelle steht. Aber ich will auch deutlich machen, dass mit einer hessischen SPD, die sich abseits stellt, kein Staat zu machen ist.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt keine weiteren Wortmeldungen zu dieser Aktuellen Stunde. Damit ist sie abgehalten.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 73 b auf:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (Keine Distanzierung vom Grundgesetz) – Drucks. 16/3362 –

Das Wort hat der Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, Herr Kollege Al-Wazir.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Damit wir alle wissen, worum es geht, möchte ich mit einem Zitat beginnen:

Der aufgeklärte Islam ist kein Integrationshindernis in der Bundesrepublik Deutschland. Islam und Islamismus dürfen nicht gleichgesetzt werden. Der Bau von Gotteshäusern und Begräbnisstätten ist entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zuzulassen.Auf der Basis des Grundgesetzes soll islamischer Religionsunterricht eingerichtet werden in

deutscher Sprache, mit in Deutschland ausgebildeten Lehrern und unter deutscher Schulaufsicht. Zu prüfen ist die Ausbildung von Lehrern und Geistlichen an eigenen theologischen Fakultäten in Deutschland.

Das ist nicht der Beschluss der Frankfurter GRÜNEN, sondern das ist der Beschluss des Bundesausschusses der CDU Deutschlands vom 7. Juni 2001, der mit der Stimme seines Mitglieds Dr. Franz Josef Jung gefasst wurde.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein anderes Zitat:

Religionsgemeinschaften, insbesondere der Islam, bedürfen der gleichberechtigten Anerkennung, der rechtlichen und gesellschaftlichen Integration in Deutschland. Die Ausbildung von Imamen und muslimischen Religionslehrerinnen und -lehrern an deutschen Universitäten und der islamische Religionsunterricht in der Unterrichtssprache Deutsch sind auf- und auszubauen. Der Bau von Moscheen darf nicht weiter mit vorgeschobenen Begründungen behindert werden.

Das ist der Beschluss der Frankfurter GRÜNEN. Fällt Ihnen etwas auf? Das ist genau dasselbe.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frank Gotthardt (CDU): Das ist nicht dasselbe! Das ist das Gleiche!)

Der Unterschied ist nur, dass der eine Beschluss mit der Stimme von Franz Josef Jung gefasst worden ist, während der andere Beschluss, nämlich der der Frankfurter GRÜNEN, zu einer Presseerklärung des Herrn Dr. Jung geführt hat, Überschrift: „Empörung über Frankfurter GRÜNEN-Vorstoß zur Gleichberechtigung des Islam“. Ich zitiere daraus:

Mit scharfer Kritik hat der Vorsitzende der CDUFraktion im Hessischen Landtag, Dr. Franz Josef Jung, auf die Forderung der Frankfurter GRÜNEN nach einer Anerkennung des Islams als gleichberechtigte Religion in Deutschland reagiert.

Jetzt kommt es:

Der CDU-Fraktionschef forderte vom GRÜNENFraktionsvorsitzenden Al-Wazir, sich umgehend vom Vorstoß der Frankfurter GRÜNEN zu distanzieren.

(Zurufe von der CDU)

Dazu zitiere ich Art. 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz:

Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Herr Dr. Jung, ich distanziere mich nicht von den Grundwerten unserer Verfassung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Hessen hat in den letzten Monaten das Misstrauen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern unterschiedlicher Nationalitäten zugenommen. Auch das Misstrauen zwischen den Anhängern verschiedener Religionen nimmt in Hessen zu. Wir haben in Hessen die Situation, dass sich viele Muslime unter einen Generalverdacht gestellt se

hen, so, als wären sie alle potenzielle Terroristen. Über Folgendes muss auch Herr Dr. Jung nachdenken.

Wenn sich die Frankfurter GRÜNEN Gedanken darüber machen, wie sich in diesem Lande das friedliche Zusammenleben auf der Basis der Grundwerte unserer Verfassung sicherstellen lässt,

(Frank Gotthardt (CDU): Dann muss man sich zu unserer Verfassung bekennen!)

ist das kein Grund, Herr Kollege Dr. Jung, in derselben Presseerklärung zu schreiben: „Die schlimmen Vorgänge in den Niederlanden dürften in diesem Zusammenhang nicht ignoriert werden.“ Nein, Herr Dr. Jung, Sie dürfen die Mehrheit der Muslime nicht unter einen Generalverdacht stellen. Genau das tun Sie aber.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Glauben Sie wirklich, dass 14 % der Bürgerinnen und Bürger unseres Bundeslandes, nämlich diejenigen, die keinen deutschen Pass haben, in Parallelgesellschaften leben? Glauben Sie wirklich, dass 3,2 Millionen Muslime in Deutschland in Parallelgesellschaften leben? Wir haben in bestimmten Vierteln unserer Großstädte Integrationsprobleme.Aber wir müssen sie lösen und sollten nicht den Fehler begehen, klassische Unterschichtprobleme mit religiöser Bedeutung aufzuladen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frank Gotthardt (CDU): Haben wir die Probleme nur in den Großstädten? Wo haben wir die Probleme?)

Es gibt Fundamentalisten im Islam. Es gibt Extremisten und sogar Gewaltbereite.

Herr Kollege Al-Wazir, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Das Bundesamt für Verfassungsschutz schätzt die Zahl der Gewaltbereiten auf 200 bis 300. Gegen diese müssen wir mit allen Mitteln des Rechtsstaats vorgehen. Aber wir müssen darauf achten, dass wir die überwältigende Mehrheit der Muslime, die sich an Recht und Gesetz hält und für die Religion nicht das ganze Leben bestimmt,zu unseren Verbündeten machen. Das ist unsere – auch Ihre – Aufgabe, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat der Kollege Dr. Jung, Fraktionsvorsitzender der CDU.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Al-Wazir, das, was Sie eben hier gemacht haben, bezeichne ich als „politische Rabulistik“. Sie haben nämlich Dinge miteinander verglichen, die nicht miteinander zu vergleichen sind. Die Forderung der Frankfurter GRÜNEN hat einen völlig anderen Inhalt, eine völlig andere Tendenz und eine völlig andere politische Zielrichtung.

Tatsache ist,dass es hier nicht um Art.4 Grundgesetz geht; das ist unbestritten. Tatsache ist auch, dass es hier nicht um Gotthold Ephraim Lessings Botschaft von der Toleranz zwischen den Religionen geht – Stichwort: Nathan der Weise. Tatsache ist, dass hier eine Gleichstellung des Islams mit der christlich-humanistischen Tradition des Grundgesetzes gefordert wird. Das ist etwas anderes, verehrter Herr Al-Wazir.

(Beifall bei der CDU)

Unser Wertefundament gründet auf einer christlich-humanistischen Tradition. Das Grundgesetz formuliert: in Verantwortung vor Gott und den Menschen. Hier ist von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes unstreitig der christliche Gott gemeint.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Muslime haben keinen Gott! – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Wo steht das?)

Das kann man doch nicht bestreiten.

Herr Kollege, gestatten Sie Zwischenfragen?