Protocol of the Session on December 14, 2004

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, Sie bleiben die Antwort auf die Frage schuldig, wie Sie ohne die Hereinnahme privaten Kapitals und privaten Know-hows gerade das Klinikum in Gießen modernisieren, neu strukturieren und zukunftsfähig neu aufstellen wollen. Sehr geehrter Herr Kollege Spies, das halte ich für Mittelhessen für schädlich. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP – Zurufe der Abg. Dr.Thomas Spies und Michael Siebel (SPD))

Danke schön, Frau Beer. – Als Nächster darf ich Frau Sorge das Wort erteilen für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN.

Vielen Dank,Herr Präsident.– Herr Präsident,meine Damen und Herren! Bei diesem Auftritt des Ministerpräsidenten hier kann man nur sagen: Die Arroganz der Macht hat wieder einmal zugeschlagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum einen – das hier nur am Rande – scheint neben den Negativschlagzeilen zum Studienguthabengesetz und zum Hessischen Hochschulgesetz der Wissenschaftsminister für die Wissenschaftspolitik dieses Landes überhaupt nicht mehr zuständig zu sein, auch nicht für die Kunstpolitik; in den letzten Wochen erleben wir nur noch Roland Koch in diesem Metier. Ich frage mich immer mehr, wofür dieser Wissenschaftsminister eigentlich noch da sitzt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, zum anderen finde ich es einen ziemlichen Hammer, in welcher Weise sich der Ministerpräsident hierhin stellt und die Chuzpe besitzt, sich in diesem Punkt als Macher zu verkaufen.Dabei war es doch die Landesregierung, die mit ihrer „Operation düstere Zukunft“ und mit der Verunsicherung der Region eigentlich die ganze Zeit Öl ins Feuer gegossen hat, statt zu beruhigen und Lösungskonzepte für Gießen und Marburg vorzuschlagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

Meine Damen und Herren, der Sanierungsstau in der Universitätsklinik Gießen beläuft sich momentan auf etwa 200 Millionen c. Dieser Sanierungsstau hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten aufgebaut.Ich will gar nicht behaupten, nur diese Landesregierung habe das verschuldet.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Roland Koch)

Aber gerade wegen der Situation aller Universitätsklinika ist die Herausforderung jetzt, damit umzugehen. Und da muss ich sagen: Das von Ihnen vorgelegte Sanierungskonzept, wonach Sie 21 Millionen c für die Universitätsklinken in Mittelhessen zur Verfügung stellen, davon 6 Millionen c in diesem Jahr, ist haargenau die Summe, die Sie investieren müssen, damit die Operationssäle dort nicht geschlossen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

Ich finde, bei dieser Diskussion lohnt es doch sehr, den Blick noch einmal zurückzuwerfen. Seit September 2003,

das sind inzwischen fast eineinhalb Jahre, haben Sie nur Unklarheiten in die Region geblasen, nur Unklarheiten von sich gegeben, in welche Richtung Sie überhaupt gehen wollen. Bei der Sondersitzung des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst, als das Thema der Privatisierung in den Schlagzeilen war, haben Sie sich auf die Fusion der Universitätskliniken Gießen und Marburg felsenfest gelegt.

(Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP))

Damit haben Sie eine Lösung dieses Problems vorgegaukelt.

Das Problem aber ist,dass wir hier einen Investitions- und Sanierungsstau in Höhe von 200 Millionen c haben und dass wir zusätzlich ein immer höheres, steigendes Defizit im operativen Geschäft haben, das sich momentan auf 10 Millionen c summiert hat.Hinzu kommt noch,dass die Umstellung auf DRGs und neue Abrechnungssysteme den Universitätskliniken noch höhere Defizite bescheren werden,wenn es nicht zu Umstrukturierungen kommt.Sie haben die ganze Zeit vorgegaukelt, mit einer Fusion der beiden Universitätsklinika in Mittelhessen könne diese Umstrukturierung geleistet und der Investitionsstau aufgehoben werden. Meine Damen und Herren, ich finde, das war fahrlässig und hat in der Diskussion der letzten eineinhalb Jahre extrem geschadet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schauen wir uns die Region doch einmal an. Dort haben wir nicht nur den Sanierungsstau an den Universitätsklinika, sondern insbesondere die Arbeitsplatzsituation ist davon abhängig, ebenso die Gesundheitsversorgung. Gerade dann aber, wenn wir über derart empfindliche Themen reden, ist es wichtig, Aufklärung zu betreiben und klar zu zeigen, welche Richtungen man prüft und welches Pro und Kontra für die einzelnen Alternativen besteht,sowie der Region klar zu sagen:Wir sind auf eurer Seite, wir wollen eure Arbeitsplätze sichern, wir wollen uns für den Erhalt der Gesundheitsversorgung einsetzen. – All das aber ist in den letzten eineinhalb Jahren nicht geschehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hinzu kommt – das hat die Uni Gießen immer wieder moniert –, dass die Situation für Berufungsverhandlungen und auch für Bleibeverhandlungen durch diese ganze Unsicherheit extrem erschwert wurde.Zu diesem Konglomerat kommt hinzu, dass Ängste geschürt wurden, dass die Uni Gießen heimlich ausgeblutet werden sollte.Auch hier hat die Landesregierung kein glückliches Händchen gezeigt.

Schauen wir einmal auf die Sondersitzung des Ausschusses, die sich mit den Gerüchten um die Privatisierungspläne beschäftigt hat. Der Wissenschaftsminister hat darüber Auskunft gegeben, dass in diesem Land voller Freiheiten jeder mit jedem verhandeln könne, wie er wolle, und jeder mit jedem Sondierungs- oder was weiß ich für Gespräche führen könne, wie er wolle, dass er als Wissenschaftsminister mit der Frage eines Betreibermodells oder mit diesen Investoren, die an irgendwelche Türen klopften, aber überhaupt nichts zu tun hätte. Dass es wieder Verunsicherung über diese Privatisierung gegeben hat und dass der Wissenschaftsminister – wie immer – schulterzuckend und lächelnd dasitzt und nichts tut, das kreide ich Ihnen an, Herr Corts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt zu dem, was Herr Koch vorgetragen hat. Herr Koch hat vorgetragen, dass die Kliniken fusionieren und dann gemeinsam privatisiert werden sollen. Er hat auf die ganzen Fragen, die dadurch im Raum stehen, überhaupt keine Antworten gegeben. Wir GRÜNE halten im Gegensatz zur SPD – da kann ich den Angriff von Frau Beer auf die SPD schon verstehen – ein absolutes „Nein“ zur Privatisierung, ohne das Pro und Kontra und das Wenn und Aber geprüft zu haben, nicht für richtig, weil wir das Beste für die Region Mittelhessen und die beiden Universitätskliniken wollen.

Wir stehen einer Betreiberprivatisierung nicht extrem negativ gegenüber, aber haben doch noch ein paar Bedingungen.Es gibt ein paar Gefahren,die berücksichtigt werden müssen. Meine Damen und Herren, dass Herr Koch die mit keinem Wort anspricht, zeigt, dass sich mit Sicherheit nicht alle Gedanken gemacht wurden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der erste Punkt, der zu bedenken ist und auf den Herr Koch nur mit einem einzigen Satz eingegangen ist, ist, wie die Freiheit von Forschung und Lehre gewahrt werden kann, wie das überhaupt miteinander gehen kann, dass es sozusagen einen privaten Chef und daneben freie Professoren gibt, die sich der Lehre und Forschung verschrieben haben, und dass es Gewissenskonflikte geben kann. Auf diese Frage ist Herr Koch, wie gesagt, nur mit einem Nebensatz eingegangen, indem er gesagt hat, die wissenschaftliche Verantwortung für die Verwendung der Gelder für Forschung und Lehre würde selbstverständlich bei den einzelnen Professorinnen und Professoren bleiben.

Herr Koch, aber darum geht es hier überhaupt nicht. Es geht hier um ganz andere Fragen. Es geht um Fragen, inwieweit ein privater Investor, inwieweit ein privater Betreiber ein Interesse daran haben kann, bestimmte Forschungsbereiche auszubauen oder bestimmte Forschungsbereiche gerade nicht auszubauen, und wie groß der Einfluss eines privaten Betreibers überhaupt ist. All diese Fragen haben Sie überhaupt nicht bedacht oder hier zumindest nicht angesprochen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

Kommen wir zu einer weiteren spannenden Frage. Lohnt sich dieses Ganze überhaupt für einen privaten Investor, wo wir wissen, wie hoch der Investitionsstau – 200 Millionen c sind kein Pappenstiel – ist? Da kann man nur verstehen, warum die Ängste in der Region so groß sind. Es ist vollkommen klar, dass private Betreiber Erfahrungen gesammelt haben, dass es mit Sicherheit Unternehmen gibt, die viel größere Erfahrungen im Gesundheitsmanagement haben, und allein über Umgestaltung sehr viel zu erreichen ist.Aber eine Summe, die diese Investitionen wettmacht und die noch das strukturelle Defizit, das zusätzlich zu erwarten ist, auffängt, ist allein mit einer Verbesserung der Managementstruktur nicht zu erreichen.

Deswegen ist die Angst in der Region ganz klar die des Arbeitsplatzabbaus. Herr Koch, auch hierzu müssen Sie Antworten finden. Gilt beispielsweise die Garantie noch, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen bis zum 31.12.2010 gibt?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Alle diese Fragen – die Frage der Freiheit von Forschung und Lehre, die Frage des Umgangs mit dem Personal – sind von Ihnen nicht geklärt. All das muss für uns GRÜNE dringend geklärt werden, bevor wir über diesen

Vorschlag eines Betreibermodells weiter diskutieren können. Denn an diesen Fragen – an den Arbeitsplätzen und an dem Umgang mit dem Personal – macht sich für uns fest,ob die Ängste der SPD,die wir zurzeit für zu drastisch halten, berechtigt sind oder ob sie nicht berechtigt sind. Ich fordere Sie auf, sich mindestens für diese Zusage „keine betriebsbedingten Kündigungen bis 2010“ noch einmal ans Rednerpult zu stellen und zu sagen, ob diese Zusage noch gilt.

(Ministerpräsident Roland Koch: Das habe ich doch gesagt! Die steht im Manuskript! – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Frau Kollegin, vielleicht doch etwas falsch vorbereitet!)

Dann kommt weiter – Frau Beer hat das angesprochen – die Frage: Wenn Sie das ausgeschrieben haben und mit diesen ganzen Bedingungen, die Sie genannt haben, keinen Investor finden,was passiert dann? Ich frage Sie:Gibt es noch einen Plan B oder vielleicht einen Plan C in der Schublade für den Fall, dass sich diese Investoren nicht finden, oder für den Fall, wie es Herr Spies angesprochen hat, dass wir zwar Investoren finden, es aber zu einer Unrentabilität kommt und wir sozusagen die Aufgabe der Versorgung wieder zurücknehmen müssen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren,auf all das gibt es von der Landesregierung bislang keine Antwort. Wir stehen dem Betreibermodell nicht absolut negativ gegenüber. Wir können das, wenn diese Fragen geklärt sind, neu bewerten. Für einen Billigausverkauf unserer mittelhessischen Universitätskliniken sind wir allerdings nicht zu haben. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächste hat Frau Oppermann für die CDU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Sorge, ich finde es erfreulich, dass die GRÜNEN prinzipiell dem Betreibermodell, wie Sie sagen, nicht im Wege stehen. Sicherlich sind noch viele Fragen zu klären. Das hat der Ministerpräsident heute Morgen schon gesagt. Aber Sie haben an einer Stelle wirklich nicht zugehört. Was die Beschäftigungsgarantie angeht, hat er klipp und klar gesagt: „Die Beschäftigungsgarantie gilt bis 2010.“ – Ich danke dem Ministerpräsidenten ausdrücklich für seine klaren Worte zur Zukunftsfähigkeit der mittelhessischen Universitätskliniken und zur Zukunft der Hochschulmedizin.

Herr Kollege Spies, nebenbei finde ich es schon beachtlich, was Sie von Kreiskrankenhäusern halten. Herr Kollege Spies, wenn Sie mir nur eine halbe Minute zuhören – die Beschäftigungsgarantie als Lachnummer zu bezeichnen, das werde ich an anderer Stelle noch einmal aufarbeiten.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich finde es außerordentlich bedauerlich, dass Sie von der SPD unseren gemeinsamen Weg,den Konsens,den wir mit dem interfraktionellen Antrag vom 16. Juni dieses Jahres beschlossen haben, verlassen.

Frau Oppermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Spies?

(Anne Oppermann (CDU): Gerne doch!)

Frau Oppermann, würden Sie mir zustimmen, dass an Universitätsklinika – wie Ihnen aus Ihrer eigenen Erfahrung heraus sicherlich bekannt ist – der Wechsel von Beschäftigten ganz erheblich ist und dass binnen weniger Jahre durch diese Fluktuation erhebliche Teile des Personals auch bei einer Beschäftigungsgarantie trotzdem nicht mehr beim Klinikum beschäftigt sein müssen, sondern z. B. untertariflich beschäftigt werden können, wie es in Lich bereits der Fall ist?

(Beifall bei der SPD)

Ich kenne die Diskussion, die im Vorfeld der Umstrukturierung zur Anstalt des öffentlichen Rechts geführt wurde, die zum 01.01.2001 in Kraft getreten ist.All dieses ist damals nicht eingetreten.

Meine Damen und Herren, um eines gleich vorweg zu sagen:An allen drei hessischen Universitätsklinika wird exzellente Krankenversorgung betrieben. Es wird exzellente Wissenschaft betrieben. Und es wird eine exzellente Lehre und Forschung betrieben.Dies soll auch in Zukunft so sein. Das sollte unser aller, unser gemeinsamer Wille sein. – Da ist Ihr Antrag von der SPD, über den wir uns heute noch unterhalten werden, genauso wenig hilfreich wie der Antrag vom August dieses Jahres.