Protocol of the Session on May 6, 2003

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Aber nicht mehr lange!)

Das stimmt: leider nicht mehr lange. Aber, wie Sie wissen, können wir uns alle noch einmal melden, wenn die Ministerin gesprochen hat.

Sie wissen, das ist eines meiner Themen, bei denen ich mich immer gerne auch ein bisschen

(Clemens Reif (CDU): Echauffiere! – Gegenruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Engagiere!)

nein, überhaupt nicht – ins Detail vertiefe und Ihnen gerne nachweise, dass Sie zwar viele Worthülsen von sich geben, die aber der Realität überhaupt nicht standhalten.

Meine Damen und Herren, wir brauchen gesetzliche Grundlagen, die den Schulen unabhängig von ihrer Schulform die Möglichkeiten geben, die sie brauchen, echte Ganztagsangebote zu machen, und zwar da, wo sie es wollen, und auf freiwilliger Basis, d. h. auf der Grundlage von Beschlüssen der Schulkonferenz, an der die Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer beteiligt sind, mit einem entsprechenden pädagogischen Konzept, sich auch zu gebundenen Ganztagsschulen zu entwickeln.

Auch dies ist möglich, und auch dies braucht eine gesetzliche Änderung. Frau Kölsch, daran kommen Sie überhaupt nicht vorbei. Ich habe aber den leisen Verdacht, dass Sie kein Interesse haben, diese Richtlinien, die so wunderschön im Internet zu betrachten sind, möglichst schnell in Kraft zu setzen; denn erstens müssten Sie das

Gesetz dafür ändern, und zweitens käme dann eine Flut von Anträgen auf Sie zu, die Sie irgendwie finanzieren müssten. Aus diesem Grunde ist mir Ihre Taktik völlig klar: Sie schieben die Richtlinien möglichst weit vor sich her,damit sie in diesem Jahr möglichst nicht mehr in Kraft treten und sich die Schulen im Lande und die Schulträger wieder nicht auf das verlassen können, was im nächsten Jahr, zum Schuljahr 2004/2005 passieren soll. So können Sie mögliche Wünsche und Forderungen finanzieller Art abwehren.

Ich sage Ihnen, das ist nicht der richtige Weg, um hier fortschrittliche Bildungspolitik zu machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wie definieren Sie „fortschrittlich“?)

Frau Kollegin, darf ich Sie bitten, zum Ende zu kommen?

Ich komme jetzt gleich zum Schluss. – Einen anderen Punkt möchte ich noch ganz am Schluss erwähnen. Solange Sie in Ihre Richtlinien nicht einarbeiten – das halte ich für ein großes Manko –, wie die Bundesmittel in Anspruch genommen werden sollen, können sich die Schulträger auch darauf nicht einstellen – Zusammenarbeit von Kommunen ist hier wieder das Stichwort –, können sich auch die Schulen nicht darauf einstellen.Auch hier haben Sie bis heute Ihre Hausaufgaben nicht gemacht, Frau Kultusministerin.

Aus diesem Grund ist es notwendig, dass es diesen Gesetzentwurf gibt. Wir werden im Ausschuss noch einmal heftig darüber streiten, welche gesetzlichen Grundlagen notwendig sind. Wir werden Ihnen auch gerne zum dritten,vierten oder fünften Mal erzählen,dass Sie Ihr Gesetz ändern müssen, damit wir zu einer guten, fortschrittlichen Bildungslandschaft in Hessen kommen. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Brigitte Kölsch (CDU): Zu gegebener Zeit!)

Ich erteile Frau Kollegin Henzler von der FDP-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zum Anfang ein ganz positives Wort: Ich finde es sehr schön, dass der Hessische Landtag mit seinem ersten Arbeitstagesordnungspunkt, mit seinem ersten Gesetzentwurf sich wieder dem Thema Schule und Bildung annimmt. Das zeigt, wie wichtig es ist,

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Priorität Nummer eins!)

dass die Priorität Nummer eins der letzten Legislaturperiode hier weitergetragen wird. Selbstverständlich geht es in der gleichen Manier weiter, mit sehr deutlich gegensätzlichen Meinungen. Hochinteressant ist natürlich, dass die SPD mit dem Thema Ganztagsschule in Form eines Gesetzentwurfs anfängt. Dieses Thema haben Sie seit drei

Jahren – ich glaube, vor drei Jahren hat Herr Bökel es entdeckt – wie eine Monstranz durch Hessen getragen. In sämtlichen Wahlveranstaltungen konnte man Themen ansprechen, wie man wollte, z. B. die Finanzen, die SPD landete immer beim Thema Ganztagsschulen.

(Dr.Thomas Spies (SPD): Das ist ja auch gut!)

Damit waren Sie am 2. Februar auch unheimlich erfolgreich.Die dezimierte Schar Ihrer Sitze zeigt es sehr genau. Deshalb verstehe ich gar nicht, warum Sie dieses Thema nun auch wieder anbringen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Lassen Sie mich mit zwei formalen Kritikpunkten an Ihrer Vorlage anfangen.

(Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD))

Sehr nett finde ich, dass bei den finanziellen Auswirkungen steht: „Unmittelbar keine.“ – Das heißt wohl, Sie wollen gar nicht richtig anfangen. Denn wenn Sie anfangen wollen und das Gesetz Wirkung zeigen soll, dann haben Sie sofort und unmittelbar finanzielle Auswirkungen, und nicht gerade in geringer Höhe. Da ersetzt das Geld aus dem Bund überhaupt nichts, wobei wir nach wie vor der Meinung sind, der Bund sollte sich unser Betreuungsmodell anschauen und das Geld lieber pauschal an die Schulträger geben, damit sie damit vernünftige Dinge machen können.

(Heike Habermann (SPD): Das hätten Sie gern!)

Dass das Erfolg hat, haben wir sehr deutlich bewiesen. Man sollte von Berlin nicht genau sagen,es werde das und das und das gebraucht, und nicht alles bis ins kleinste Detail vorschreiben.

Zweitens muss ich etwas kritisieren, was ich sehr merkwürdig finde. Man merkt, dass Frau Fleuren nicht mehr in Ihrer Fraktion ist. Seit zwei Jahren steht im Vorblatt jedes Gesetzes die Formulierung: „Auswirkungen auf Menschen mit Behinderungen“. Das haben Sie in den letzten Jahren wohl überhaupt nicht bemerkt; denn auf Ihrem Gesetzentwurf steht es nicht. Das finde ich ziemlich beschämend.

(Beifall des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Jetzt kommen wir zum Inhaltlichen. Die erste Forderung, die Sie aufstellen, ist eine Teilnahme auch von Grundschulen am Ganztagsangebot.Dazu muss ich Ihnen sagen: Das ist eine vernünftige Sache. Das wird sich in Zukunft auch so ergeben. Das war aber, als wir mit den Ganztagsangeboten begonnen haben, nicht das dringlichste Problem. Das Problem der Betreuung und der Ausdehnung der Grundschulen in den Nachmittag hinein hat die ehemalige Koalition aus CDU und FDP in vier Jahren sehr gut mit dem Konzept zur betreuenden Grundschule gelöst.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

An fast allen hessischen Grundschulen gibt es Betreuungsangebote, die zum Teil sehr weit in den Nachmittag hineinreichen. Also ist das Bedürfnis der Eltern, eine Betreuung zu organisieren und die Kinder sicher in der Schule zu wissen, nicht so dringend gewesen. Das war bei den Sekundarstufe-I-Schulen erheblich dringender.

Wenn eine Grundschule jetzt von dem reinen Betreuungskonzept auf ein Schulangebot mit Nachmittagsange

boten umstellen will, so wird das zukünftig möglich sein. Dann wird sie in das weitergeführte Konzept aufgenommen werden. Das halten wir für sehr richtig und sinnvoll. Deshalb ist diese Forderung, die Sie in den Gesetzestext schreiben,zu unterstützen.Deshalb müssen wir aber nicht unbedingt das Schulgesetz ändern.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Doch!)

Zweitens stellen Sie die Forderung auf, dass die Ganztagsschulen auf die Sekundarstufe I und die Grundschulen ausgedehnt werden. Jetzt sage ich Ihnen einmal, was dort steht: Ganztagsschulen, wie sie in § 15 Abs. 3 Schulgesetz vorgesehen sind,implizieren,dass die Teilnahme an den Angeboten „teilweise oder vollständig verpflichtend“ ist. Eine Ausweitung der Regelung auf alle Schulformen wäre demzufolge formal ein erster Schritt – das hat heute noch keiner gesagt – in Richtung Zwangsganztagsschule. Dazu sage ich Ihnen klipp und klar: Das lehnen wir nach wie vor strikt ab.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wir haben in den letzten vier Jahren auf der Grundlage eines Konzepts, das die FDP in die Koalition eingebracht hat und das die Koalition gemeinsam ausgearbeitet und umgesetzt hat, ein hervorragendes Konzept für Ganztagsangebote an den Schulen.Sie sind freiwillig.Die FDP wird auch nicht davon abrücken, dass sie freiwillig bleiben. Sie werden von unten nach oben organisiert, also nach dem Bedarf vor Ort,nach dem Willen der Eltern und den Wünschen der Schülerinnen und Schüler und der Schule. Wir wollen nach wie vor die Einbindung aller, und zwar auch die Einbindung der Schulträger; denn immerhin ist die Betreuung von Jugendlichen nach wie vor Aufgabe der Kreise und des Kinder- und Jugendhilfeträgers.

Wir wollen, dass das Ganztagsangebot am Nachmittag genau in das jeweilige Programm der einzelnen Schule eingepasst wird. Ich habe schon oft gesagt: Es gibt in Hessen hervorragende Modelle. Die Schulen arbeiten extrem gut mit. Es hat sich gezeigt, dass es in den letzten zwei Jahren 100 neue Angebote gegeben hat. Die FDP setzt sich deshalb für eine konsequente Weiterführung dieses Konzepts ein. Je nach Finanzlage wird man in dieses Konzept der freiwilligen Ganztagsangebote mehr Mittel und mehr Stellen stecken.

Bei der SPD ist immer noch nicht ganz deutlich, ob es eigentlich verpflichtend sein soll, ob es ein Angebot oder eine freiwillige Verpflichtung sein soll. Ich muss Ihnen auch eines sagen: Sie leben wieder einmal völlig am Meinungsbild der Menschen vorbei.Von wegen breit getragener Wille der Bevölkerung – Frau Habermann, da liegen Sie völlig daneben. Es gibt eine Umfrage aus der „Perspektive-Deutschland“. Danach sehen 70 % der Menschen einen sehr dringenden Reformbedarf an den öffentlichen Schulen. Es gibt aber eine Wertung, wie viel Prozent was für wichtig halten.

Die meisten halten es für wichtig, dass die Lehrer besser aus- und fortgebildet werden. Das ist eine Forderung, die wir in den letzten Jahren aufgegriffen haben. Wir haben ein Konzept zur Reform der Grundschullehrerausbildung vorgelegt. Eine Kommission aus Vertretern des Wissenschaftsministeriums und des Kultusministeriums hat ebenfalls ein Konzept erarbeitet. Dieses wird in den nächsten Jahren Stück für Stück an den hessischen Universitäten umzusetzen sein. Wir haben auch Etliches für die Weiterbildung der Lehrer getan. Das Klippert-Kon

zept ist im Schneeballsystem über ganz Hessen verbreitet worden. Auch hier haben wir sehr viel in das investiert, was die Eltern und die Bevölkerung in Deutschland als vordringlich ansehen.

Der zweite Wunsch auf der Prioritätenliste der Menschen in Deutschland heißt, dass die Schulen besser ausgestattet werden sollen. Das ist ein Appell an die Schulträger, die in den letzten Jahren relativ stark geschludert haben. Unter Rot-Grün war ja acht Jahre lang Bildung in Hessen nicht viel wert. Dieses Denken haben die Schulträger natürlich übernommen. Wenn Sie sich aber die Kreise anschauen, wo die FDP mit der CDU in einer Koalition ist, wie z. B. im Hochtaunuskreis und im Main-Taunus-Kreis, dann sehen Sie, dass sehr viel in die Ausstattung der Schulen investiert wird.

Die dritte Priorität ist ein leistungsorientierter Unterricht. Man höre und staune, die Eltern in Deutschland wollen einen leistungsorientierten Unterricht. Auch hier haben wir eine Menge getan. Wir haben mehr Leistung gefordert. Wir haben versucht, Leistungstests schreiben zu lassen. Die FDP sagt nach wie vor: Um in den Schulen noch mehr in der Förderung der Schwachen und der Starken leisten zu können, ist es wichtig, dass wir Schulassistenten an die Schulen bringen.

Jetzt kommt die Frage, wie viele Menschen in Deutschland eigentlich Ganztagsschulen haben wollen. Ich kann Ihnen sagen: Es sind genau 23 %. – Sie sind hinsichtlich der Prozentzahl auf dem Weg zu einem solchen Wahlergebnis in Hessen. Sie sind mittlerweile bei 29 % angelangt. Das deckt sich ungefähr mit dem, was die Umfrage aussagt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, die FDP setzt sich klar und deutlich für mehr guten Unterricht am Vormittag ein. Das ist sehr viel wichtiger als den ganzen Tag über Mittelmaß.

(Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Deshalb werden wir ganz klar die Priorität auf die Unterrichtsqualität, die Aus- und Weiterbildung der Lehrer und die Verbesserung des Unterrichts an den Schulen legen. Dieses Konzept werden wir weiterverfolgen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Das Wort hat Frau Kultusministerin Wolff.