Protocol of the Session on May 6, 2003

Im Regierungsprogramm der Landesregierung ist das klare Ziel formuliert, dass der Ausbau von Betreuungsund freiwilligen Ganztagsangeboten in Kooperation mit den Kommunen als den Schul- und Jugendhilfeträgern und den freien Trägern schrittweise fortgesetzt wird. Ziel ist es – ich zitiere – „dass alle hessischen Schüler in dieser Legislaturperiode die Möglichkeit erhalten, in erreichbarer Nähe zum Wohnort ein Ganztagsangebot in Anspruch zu nehmen“.

Dies gilt natürlich auch für Grundschulen. Schulen, die ein Ganztagsangebot haben, handeln natürlich auch gesetzeskonform. Wir müssen also das Gesamtpaket sehen und dürfen nicht einen Teil herausstellen, um eine Gesetzesänderung vorzunehmen, wie jetzt von Ihnen im Bereich der Grundschule eingebracht.

Es ist sowieso etwas unverständlich, wie Sie den neuen Gesetzestext formulieren.In Ihrem Gesetzentwurf wollen Sie ein Betreuungsangebot nur auf Grundschulen begrenzen.Das 2002 geänderte Schulgesetz geht hier bereits weiter und schließt ausdrücklich die Schulen für Lernhilfe und die selbstständigen Sprachheilschulen mit ein. Hier, meine Damen und Herren von der SPD, wollen Sie einen Rückschritt.

In Hessen gibt es durch die zweite Ausbaustufe des Ganztagsschulprogramms ab dem Schuljahr 2003/2004 insgesamt 226 Schulen mit differenzierten ganztägigen Modellen – darunter sind auch fünf Ganztagsschulen –, genau wie 136 Schulen mit pädagogischer Mittagsbetreuung – darunter sind 19 Grundschulen.

Wir haben Schulen mit pädagogischer Mittagsbetreuung, Schulen mit Ganztagsangeboten in offener Konzeption und Ganztagsschulen. Dabei ist die Abstimmung mit den Trägern besonders wichtig. Hier gilt es eben, bedarfsorientiert zu planen. Ich sehe auch in meinem Kreis, wie sich die Schulen auf den Weg machen und wie positiv dieses Angebot angenommen wird.

Meine Damen und Herren, allein für die Betreuung und Förderung am Nachmittag stellt die Landesregierung Mittel in Höhe von zusätzlich 36 Millionen € zur Verfügung. Die stetige Weiterentwicklung der ganztägig arbeitenden Schulen – ich wiederhole – ist einfach eine Gemeinschaftsaufgabe mit Schulträgern, Kommunen und freien Trägern, so, wie wir mit der betreuenden Schule begonnen haben.

Inzwischen nehmen 900 von 1.173 Grundschulen dieses Angebot an. Wie wir den zweiten Schritt mit der verlässlichen Halbtagsgrundschule gemacht haben, werden wir die Ganztagsangebote auch für die weiterführenden Schulen Schritt für Schritt fortsetzen – wie gesagt: bedarfsorientiert und auf freiwilliger Basis.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, was Sie aber mit Ihrer Gesetzesänderung erreichen wollen, ist etwas ganz anderes. Sie wollen erneut in die Diskussion über die flächendeckende Ganztagsschule einsteigen. Das wollen wir eben nicht. Sie versuchen im Nachhinein, Ihr Wahlprogramm wieder aufzulegen.Wie war denn – Herr Irmer hat es dazwischengerufen – die Resonanz der Bevölkerung auf Ihr vollmundiges Angebot von 500 Ganztagsschulen? Von der Finanzierung haben Sie dabei überhaupt nie geredet.– Das war offensichtlich nicht so berauschend, sonst wären Ihnen die Bürger in Scharen gefolgt.

(Beifall bei der CDU)

Nein, meine Damen und Herren, wir müssen ja fragen, was Eltern und Schüler wollen. Sie wollen keine flächendeckende Ganztagsschule. Eltern wollen ein Angebot haben, um ihre persönliche Lebensplanung vornehmen zu können.

Wir haben bereits Ganztagsangebote in einer Vielfalt, wie sie dem jeweiligen Umfeld der Schulen und der Betroffenen entsprechen. Natürlich sind dabei die pädagogischen Elemente genauso wichtig wie die Betreuung und sinnvolle Freizeitgestaltung.

Sie sehen, der von der Landesregierung eingeschlagene Weg trägt dem Wunsch sowohl nach Verlässlichkeit als auch nach Flexibilität Rechnung.Damit hat die Landesregierung Rahmenbedingungen gesetzt, um auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren.

Meine Damen und Herren, wir wollen und müssen aber immer wieder auf Folgendes hinweisen:Wir dürfen die Eltern nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.

(Beifall des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

In erster Linie sind sie für die Erziehung zuständig. Nach wie vor beginnen die Erziehung und die Charakterbildung zu Hause. Auch die Ganztagsschule ist kein Ersatz für das Elternhaus. Unterricht über den ganzen Tag verteilt führt nicht automatisch zu einer besseren Pädagogik.

Unstrittig ist, dass es eine Weiterentwicklung der Ganztagsschulen bei den Sonderschulen oder, wie es demnächst sein wird, bei den Förderschulen geben wird.Auch dies steht natürlich unter dem finanziellen Vorbehalt. Aber die Situation, die die Schwächsten in unserer Gesellschaft haben, macht dies erforderlich. Außerdem werden die Eltern damit bei ihrer schwierigen Aufgabe entlastet.

Die CDU reagiert auf die sich verändernde Gesellschaft aber nicht erst mit Beginn dieser Legislaturperiode. Wir werden das vor vier Jahren zusammen mit der FDP eingeleitete Beschreiten dieses Weges erfolgreich fortsetzen. Es wird eine Schulpolitik geben, in der alle Verantwortung tragen: Eltern, Lehrer und Schüler.

Bezeichnend ist übrigens, dass Sie zur Finanzierung Ihres Gesetzesvorhabens überhaupt keine Vorschläge machen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Letztendlich müssen wir insbesondere in der gegenwärtigen Situation, an der die SPD nicht ganz unschuldig ist – immerhin fehlen uns rund 4 Milliarden € an Körperschaftsteuer –, jeden Schritt unter einen Finanzierungsvorbehalt stellen. Die Kommission „Ganztagsangebote nach Maß“ hat Vorschläge für ein neues Konzept für die ganztägig arbeitenden Schulen in Hessen gemacht. Dieses dürfte Ihnen bekannt sein. Es ist veröffentlicht worden. Diese Richtlinien für Ganztagsschulen werden zurzeit in den zuständigen Gremien beraten.Wir werden den Beratungen nicht vorgreifen und zu gegebener Zeit in den Landtag eine Novellierung des Hessischen Schulgesetzes mit dem Ziel einer Neuregelung für ganztägig arbeitende Schulen einbringen.

Zu Ihrem Gesetzentwurf sehen wir zurzeit keine Handlungsalternative. Dies ist nicht zuletzt auch aus Respekt vor all denen so, die jetzt gerade den Entwurf beraten.

(Beifall bei der CDU – Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn Sie keine Handlungsalternative sehen, müssen Sie zustimmen!)

Frau Kollegin Kölsch, vielen Dank. – Das Wort hat Frau Abg. Hinz für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kölsch, Sie hatten eben einen netten Versprecher.Wenn es zu dem Gesetzentwurf keine Handlungsalternative gäbe, müssten Sie ihm zustimmen.Dann würden Sie endlich das machen, was dringend notwendig ist. Das Hessische Schulgesetz würde dann so geändert,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

dass sich die Schulen tatsächlich ihrem Bedarf entsprechend entwickeln könnten.

Frau Wolff, in Ihrer Pressemeldung vom 19. März 2003 haben Sie sozusagen mitgeteilt, dass die zweite Ausbaustufe des Ganztagsprogramms gezündet worden sei. In der Pressemitteilung steht, dass Sie kraftvoll in die zweite Ausbaustufe eines Ganztagsschulprogramms starten. Herr Irmer – da sitzt er –, eigentlich hätten Sie diese Aussage Ihrer eigenen Kultusministerin sofort dementieren müssen. Denn Sie sagten immer: Ganztagsschulen wollen wir nicht. – Damit wollen Sie dann auch kein Programm für Ganztagsschulen.

(Mark Weinmeister (CDU): Wir wollen keine Zwangsganztagsschule!)

Das haben Sie hier immer verkündet. Sie haben uns immer mit heftigen Differenzierungen zwischen Ganztagsschule und Ganztagsangeboten gequält. Sie wollten nie die Ganztagsschulen, Sie wollten die Ganztagsangebote. Jetzt müssten Sie eigentlich Ihrer eigenen Ministerin sagen, was Sie wollen. Sie wollen nämlich keine Ganztagsschulen.

Aber das geht nicht nur mit Begriffsverwirrungen weiter. Vielmehr geht es vor allen Dingen mit falschen Versprechungen weiter. Im März 2003 haben Sie in der Pressemitteilung verkündet, es würden „81 zusätzliche Lehrerstellen für den Auf- oder Ausbau von Ganztagsangeboten zur Verfügung gestellt“. Das entspricht schlicht und einfach nicht den Tatsachen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

In der Hauptsache haben Sie keine Genehmigungen für Schulen mit Ganztagsangeboten ausgesprochen, sondern für Schulen mit pädagogischer Mittagsbetreuung. Das ist inhaltlich, qualitativ und finanziell etwas völlig anderes.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Michael Siebel (SPD))

Das Einzige,was für diese Schulen gleichermaßen zutrifft, ist, dass die Schulträger mit in die Verantwortung genommen werden. Die Schulträger sollen dies mitfinanzieren. Dies alles soll auf freiwilliger Basis geschehen. In diesen Punkten teilen wir Ihre Meinung. Was aber nicht sein kann, ist, dass Sie hier etwas verkünden, was Sie dann nicht einhalten. In Ihrer Pressemitteilung behaupten Sie, die Schulen würden nach ihrem tatsächlichen Bedarf gefördert.

Als Clou kommt noch hinzu, dass Sie behaupten, besonderen Wert auf die Zusammenarbeit mit den Kommunen

zu legen. Das entspricht schlicht und einfach nicht der Wahrheit. Es entspricht nicht den Tatsachen. Ich kann Ihnen dazu ein Beispiel nennen.Das kennt auch Herr Irmer. Es betrifft den Lahn-Dill-Kreis. Damit dort ein eigenständiges Mittelstufengymnasium entstehen konnte, hat er eine Teilfortschreibung seines Schulentwicklungsplanes für den Altkreis Wetzlar durchgeführt und dabei zusätzlich etliche integrierte Gesamtschulen in kooperative Gesamtschulen umgewandelt.An drei Gesamtschulen wurde zusätzlich ein Beschluss zur Schulorganisation gefasst, der besagte, dass Schulen mit Ganztagsangeboten eingerichtet werden sollten. Damit sollte erreicht werden, dass sie nach dem, wie es jetzt so schön heißt, Ganztagsschulprogramm des Kultusministeriums gefördert werden. Die Kultusministerin hat den Plan genehmigt. Was ist danach passiert? Die Schulen haben ihr Konzept vorgelegt. Der Schulträger hat Geld in seinen Wirtschaftsplan eingestellt. Was haben die Schulen genehmigt bekommen? Im letzten Schuljahr bekamen sie pädagogische Mittagsbetreuung genehmigt. Die Schulen wussten gar nicht, wie ihnen geschieht. Denn nach der Änderung der Schulorganisation sind sie fest davon ausgegangen, dass sie Schulen mit Ganztagsangeboten werden könnten.

Die Schulen haben bis heute die zweite Rate der Mittel für dieses Schuljahr nicht gesehen. Sie haben wiederum mit Unterstützung des Schulträgers und mit Unterstützung des Staatlichen Schulamtes einen Antrag gestellt, dass sie wenigstens in diesem Jahr zu Schulen mit Ganztagsangeboten werden können. Sie wurden in das neue Programm für Ganztagsschulen für das kommende Schuljahr nicht aufgenommen. Frau Ministerin, denn Sie machen eines. Sie wollen mit wenig Geld möglichst viele Schulen beglücken,um dann eine möglichst umfangreiche Liste nach dem Motto veröffentlichen zu können: Wir starten kraftvoll nach der ersten die zweite und vielleicht auch noch die Ausbaustufe zweieinhalb für das Ganztagsschulprogramm.– Dieses Vorgehen ist aber weder redlich, noch hat es etwas mit vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Kommunen zu tun, noch nutzt es den Schulen auf Dauer. Denn die wollen etwas anderes entwickeln. Sie haben Bedarf nach etwas anderem. Sie haben Bedarf nach einem qualitativ echt guten Programm für Ganztagsangebote an fünf Nachmittagen pro Woche.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Michael Siebel (SPD))

Ihre Ankündigungen entsprechen weder der Realität noch den Möglichkeiten, die das Gesetz bietet. Auch der Entwurf der Richtlinie, den Sie bereits auf der Homepage veröffentlicht haben und zu dem Sie zu Stellungnahmen bis Ende Januar oder Ende Februar – das habe ich jetzt nicht genau im Kopf – aufgefordert haben, entspricht nicht den rechtlichen und gesetzlichen Realitäten. Laut Gesetz dürfen Grundschulen keine Ganztagsangebote haben. Sie können pädagogische Mittagsbetreuung haben. In dieses Programm sind auch einige Schulen neu aufgenommen. Aber sie dürfen keine Ganztagsangebote entwickeln. Dies gilt unabhängig davon, ob sie es aus sozialen Gründen bräuchten, ob sie es aus Gründen der Bildung bräuchten oder ob sie schlicht und einfach danach ihr Schulprofil und ihr Schulprogramm entsprechend ausrichten wollten. Alle Sekundarstufen und Grundschulen dürfen zwar nach Ihren Richtlinien gebundene Ganztagsschulen werden, nach dem Gesetz dürften sie es aber nicht.

Es ist eine Tatsache, dass Sie Ihre Richtlinien ändern werden.Wenn man sich diese Richtlinien einmal ansieht,stellt man fest, dass sie gar nicht so schlecht sind.Wenn Sie aber

diese Richtlinien irgendwann wirklich einmal in Kraft treten lassen wollen, werden Sie das Hessische Schulgesetz ändern müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Frau Kölsch, es ist daher folgerichtig, dass dieser Gesetzentwurf heute auf dem Tisch liegt.

Wir alle wissen doch: Es gibt Schulen, die mit einer pädagogischen Mittagsbetreuung zunächst einmal zufrieden sind. Sie richten ihr Konzept darauf aus. Es gibt aber auch Schulen, die weit mehr wollen. Sie wollen dies nicht nur, weil die Eltern die Last der Erziehung auf die Schule abschieben wollen. Frau Kölsch, das sind doch olle Kamellen, die Sie hier immer wieder vorbringen. Damit holen Sie überhaupt niemanden mehr hinter dem Ofen hervor.

Wir wissen doch inzwischen, dass Schulen mit Ganztagsangeboten ein echtes Bildungsprogramm auf den Weg bringen wollen, damit wir eine bessere Förderung von Kindern bekommen, damit wir sie individuell stärken können, damit Begabte besser gefördert werden können,

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Zuerst einmal die Unterrichtsversorgung!)

damit schwächere und sozial benachteiligte Kinder ein entsprechendes Angebot bekommen. Das wollen die Schulen, und da müssen wir sie mit Kräften unterstützen, auch mit entsprechenden gesetzlichen Rahmenvorgaben, die Sie bislang verweigern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe der Abg. Brigitte Kölsch und Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Herr Irmer, Sie können schreien, wie Sie wollen. Das nützt Ihnen gar nichts, weil ich immer noch am Mikrofon bin. Sie können sich gerne hinterher melden.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Aber nicht mehr lange!)