Protocol of the Session on November 5, 2003

(Widerspruch bei der SPD)

Ich akzeptiere, dass Sie das in Streit stellen, aber man muss im Gegenzug sagen: Sie sind offensichtlich bei über 90 % der Maßnahmen, die wir für das nächste Jahr vorsehen, der Meinung, dass sie des Streitens nicht wert sind. Das will ich an diesem Punkt ebenfalls bewerten.

(Beifall bei der CDU)

Ich finde es zum Beispiel interessant, wie wenig über die Frage von 42 Wochenarbeitsstunden hier und heute diskutiert worden ist. Das ist Ihnen bestenfalls zwei bis drei Pflichtsätze wert gewesen.

(Zurufe von der SPD)

Warum? Weil Sie inzwischen festgestellt haben, dass in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland binnen weniger Monate ein Common Sense darüber entstanden ist, dass wir die Probleme dieses Landes mit mehr Arbeit lösen müssen und anders nicht lösen können. Das setzen wir hier um.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Sie wissen, dass diese Diskussionen auch in Ihren eigenen politischen Reihen angekommen sind. Wenn ich mir betrachte, wie die Gewerkschaften, z. B. unsere Verhandlungspartnerin, die Gewerkschaft ver.di, in der Demonstrationsrhetorik gelegentlich mit uns umgehen, und gleichzeitig lese, wie diese Gewerkschaft mit ihren Mitarbeitern verhandelt – da wird z. B. eine Bildungseinrichtung, bei der 2.000 Menschen beschäftigt sind, geschlossen, und allen dort Ausbildenden wird anschließend angeboten,sie könnten in Zukunft als freie Mitarbeiter die bisherige Dienstleistung erbringen –, dann würde ich gerne einmal sehen, wie es aussähe, wenn wir diese Diskussion auf der Ebene eines Bundeslandes führten.

(Beifall bei der CDU)

Ich will auch gar nicht wissen, was Sie mit uns machen würden, wenn ich, wie ver.di, alle Mitarbeiter der Verwaltung auffordern würde, dass sie bitte in den nächsten Wochen Gespräche führen, ob sie nicht bereit sind, auf 50 % ihres Arbeitsplatzes zu verzichten, und androhen würde, wenn sie das nicht tun, müssten alle mit einer 10-prozentigen Lohnkürzung rechnen. – Ich werfe das der Gewerkschaft ver.di nicht einmal vor, denn auch sie hat das Problem, bei sinkenden Mitgliederzahlen den Haushalt ausgleichen zu müssen und nicht von Schulden leben zu können. Aber ich werfe Ihnen vor, dass wir immer noch eine fast heuchlerische Debatte führen,in der jeder auf den anderen mit dem Finger zeigt, obwohl wir alle inzwischen wissen, dass wir in einer gesamtgesellschaftlichen, sehr stark ökonomisch bestimmten Krise sind. Das wird so nicht funktionieren. Das ist doch längst klar.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe Respekt vor den Diskussionen, die jede einzelne Gruppe über die Frage führt: Trifft uns das in einer besonderen Weise, und wie ist das mit den anderen? Ich glaube in der Tat, dass die Art und die Vielzahl der Demonstrationen dafür spricht, dass das Ziel der Landesregierung, am Ende keine Gruppe von den Belastungen vollständig auszunehmen, erreicht worden ist.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf der anderen Seite wurden bei jeder Gruppe Prioritäten gesetzt. Diesen Streit gehen wir bewusst ein. Es ist in keiner Haushaltsposition – nicht einmal bei den Verwaltungsausgaben – so gekürzt worden, dass wir einfach bei jeder Position den gleichen Betrag eingesetzt haben. Nein, wir haben uns in der Landespolitik bei Zuschüssen, bei Projekten und bei der Verwaltungssteuerung – bis hin zum Personal – die Freiheit genommen, zu sagen: Dieser Bereich ist wichtig,den müssen wir herausnehmen,und da dürfen wir nicht zu stark kürzen. – Meine Damen und Herren, darum verlange ich auch von meinen Kollegen im Kabinett, von denen, die in der Verwaltung Verantwortung tragen, und von uns hier im Parlament, dass wir dafür sorgen, dass das Sparen nicht bedeutet, das es keine Prioritäten mehr gibt. Wir müssen darüber diskutieren, wo die Prioritäten liegen.

Herr Ministerpräsident, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Nein.

(Norbert Schmitt (SPD): Er war auch schon einmal souveräner! – Michael Siebel (SPD): Er ist nervös!)

Deshalb lautet die Fragestellung, wie man zu den Ergebnissen kommt. Sie haben dann in der Tat nur eine Chance, die Diskussion wirklich sinnvoll zu bestreiten, wenn Sie bereit sind, das Gesamtkonzept zu diskutieren. Im Gesamtkonzept haben wir ein paar Schwierigkeiten, die wir miteinander erörtern müssen.

Eine Schwierigkeit ist – ich glaube, das sollte man auch offen sagen –: Eine mittelfristige Finanzplanung ist unter den derzeitigen wirtschaftlichen Annahmen extrem schwierig;denn,wenn die wirtschaftliche Entwicklung mit einem Wachstumspotenzial, das uns der Währungsfonds im Augenblick mit 1,5 % angibt, fortgeschrieben wird, dann können Sie auch den Wohlstand, der im Jahr 2004 noch verbleibt, der schon weniger ist als der des Jahres 2003, nicht halten. Es ist für sehr viele einzelne Menschen und für viele, die in öffentlichen Institutionen arbeiten oder von öffentlichen Dienstleistungen abhängig sind, weniger im Portemonnaie als 2003.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Das muss nicht so sein. Wenn man eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung hat, wenn man wieder wirtschaftliches Wachstum generiert, dann können wir die Entwicklung auch so stoppen, dass wir in den nächsten Jahren zwar keine großen Zuwächse haben, aber dass wir nicht weiter abbauen müssen.Aber jeder Mensch – deshalb bin ich Herrn von Hunnius dankbar, dass er diese Zahlen nennt – muss wissen, wenn es nicht endlich eine verantwortliche politische Wende in der Frage gibt, ob wir in Deutschland mehr Wachstum haben werden, dann ist die jetzige Einsparoperation nicht ausreichend, um zu konsolidieren. Wenn wir uns vernünftig bewegen, dann gibt es eine Chance, dass man damit die Probleme im vor uns liegenden Jahrzehnt lösen kann. Das ist die Verantwortung, die eine Bundesregierung hat.Was haben Sie denn in den letzten zwölf Monaten getan? Was sind die Beschlüsse der letzten zwölf Monate,mit denen Sie irgendetwas dazu beigetragen hätten, auf nationaler Ebene etwas zu erreichen?

(Beifall bei der CDU – Norbert Schmitt (SPD):Das haben Sie alles blockiert! – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie machen Blockade! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, lassen Sie die Empörung über das Blockieren.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt ist es ein bisschen viel, Sie werden am Freitag alles ablehnen! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin doch dabei gewesen. Wir wollen jetzt einmal festhalten, dass seit der Übernahme der Geschäfte durch die neue Bundesregierung kein einziges Gesetz, das die Bundesregierung eingebracht hat, im Vermittlungsausschuss des Bundesrats gescheitert ist.

(Horst Klee (CDU):So sieht das aus,bleiben Sie bei der Wahrheit! – Gegenrufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kein einziges Gesetz. Wir haben natürlich miteinander gerungen, wir haben Kompromisse gemacht, auch schwierige Kompromisse. Nehmen Sie einmal Hartz I und Hartz II. Wir haben die Einführung von so genannten Jobfloatern, die aus Sicht der Union ein grober Unfug waren, und die Personal-Service-Agenturen, die nicht funktionieren und nicht funktionieren können, durchgelassen. Wir haben gesagt, gut, wenn die Bundesregierung sie will, soll sie sie haben.Als Gegenleistung haben wir durchgesetzt – das ist das Einzige, was zurzeit funktioniert – dass es wieder legale Minijobs gibt, die niemandem Arbeit wegnehmen.

(Beifall bei der CDU)

Sie hätten doch von Ihrem Subventionsabbaugesetz nichts durchbekommen,wenn ich mich nicht mit Kollegen Steinbrück hingesetzt hätte – so viel auch zur Frage meiner Blockade – und in einem Korb 1 dafür gesorgt hätte, dass Herr Eichel wenigsten einen Teil dieser Einnahmen politisch bekommt.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Wenn jetzt ein Korb 2 diskutiert wird, der ein erheblicher Teil dieser 390 Millionen c brutto ist, die wir einnehmen, dann ist es das Ergebnis von Kompromissen im Bundesrat.

(Zurufe der Abg. Norbert Schmitt und Hildegard Pfaff (SPD))

Wie bei den Gesetzen, die jetzt im Vermittlungsausschuss landen, hätte man sich einmal die Frage stellen müssen, warum sie nicht vor einem Jahr eingebracht worden sind. Sie regieren doch nicht erst seit einem Jahr, Sie regieren seit fünf Jahren. Das Gesetz, das wir jetzt am Freitag im Bundesrat haben und in den Vermittlungsausschuss geben, hätten wir vor einmal halben Jahr auch behandeln können. – Wir haben es keinen Tag früher verhandeln können, weil die Bundesregierung Monate gebraucht hat, um sich intern einigermaßen zusammenzuraufen, und bis heute nicht klar ist, ob Sie in Ihren eigenen Reihen eine Durchsetzungsmehrheit hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Mathias Wag- ner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist bei Ihnen völlig anders!)

So werden wir das – das kündige ich ausdrücklich an – natürlich auch in den anderen Fragen machen. Es wird eine

sehr intensive Debatte über die Frage des Arbeitsmarkts geben.

(Norbert Schmitt (SPD):Wie wollen Sie die 93 Millionen c belegen?)

Diese Frage halte ich eindeutig für die zentrale Frage. Die ökonomische Entwicklung hängt in Deutschland von nichts mehr als der Frage ab, ob wir es schaffen,Veränderungen am Arbeitsmarkt herbeizuführen.

(Norbert Schmitt (SPD): Sie blockieren die Reform!)

Die Veränderungen am Arbeitsmarkt hängen nicht davon ab, ob man drei Vermittler mehr hat – diese Frage ist am Ende auch wichtig, aber sie verändert nicht den Arbeitsmarkt –, sondern der Arbeitsmarkt wird dadurch verändert, dass man mehr Gestaltungsfreiheit gibt.

(Norbert Schmitt (SPD):Ach du lieber Gott!)

Menschen müssen bereit sein, zusätzlich – auch wenn sie nicht wissen, ob sie für zehn Jahre diese Jobs brauchen, und sie glauben, sie brauchten sie nur für ein oder zwei Jahre – diese Jobs endlich wieder in Deutschland anzubieten und nicht an der Grenze zu Polen,zu Frankreich,zu den Niederlanden oder Österreich, wie wir das im Augenblick jeden Tag erleben.

Die Frage liegt darin, ob Sie die Kraft haben – dabei nehme ich die GRÜNEN aus, denn es ist ein sozialdemokratisches Problem –, zu sagen: Ja, im 21. Jahrhundert brauchen wir mehr Flexibilität als am Ende des 20. Jahrhunderts. Wir sind bereit, den Arbeitnehmern zu vertrauen, dass sie das mit den Arbeitgebern zusammen verhandeln können.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Norbert Schmitt (SPD): Das ist nichts zur Sache!)

Es wird eine entscheidende Frage an Sie sein, ob Sie Ihrem alten Dogma anhängen, dass es unter einem bestimmten Betrag überhaupt nicht erlaubt ist, zu arbeiten, oder ob man nicht – –

(Norbert Schmitt (SPD): Entsprechende Untersuchungen zeigen, dass es keine Rolle spielt! Ihre Mentalität ist „hire and fire”!)

Es ist nicht „hire and fire“, aber es bedeutet, dass Ihr alter Traum vom festen Arbeitsplatz dazu führt, dass die Menschen dauerhaft arbeitslos sind. Ich will lieber flexiblere Verhältnisse, als dauerhaft keine Arbeit zu haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das gilt genauso – da kommt jetzt die nächste Kiste der hochintelligenten schmittschen Diffamierungskampagne –

(Norbert Schmitt (SPD): Sie wissen es ja besser!)

für die Frage, was mit geringen Einkünften ist.