Protocol of the Session on December 14, 2016

Konsensliste Mitteilung des Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft vom 12. Dezember 2016

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Konsensliste seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich nun um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Gibt es Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt der Konsensliste zu.

(Einstimmig)

Ärztliche Versorgung in den Quartieren besser steuern! Antrag der Fraktionen der CDU und DIE LINKE vom 2. November 2016 (Neufassung der Drucksache 19/686 vom 16. August 2016) (Drucksache 19/814) Wir verbinden hiermit: Ärztliche Versorgung besser steuern – soziale Lage in Quartieren berücksichtigen Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/ Die Grünen vom 1. November 2016 (Drucksache 19/812) sowie Ärztliche Versorgung in Bremen-Lüssum sicherstellen – Sozialindikatoren müssen zukünftig Teil einer kleinräumigen Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigung sein Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 11. November 2016 (Drucksache 19/832)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Professor Dr. Quante-Brandt und ihr beigeordnet Staatsrat Kück.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet. Als Erster hat das Wort der Abgeordnete Bensch.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn die gesundheitlichen Lebenschancen von immer mehr Menschen aus Bremerhaven und Bremen sozial ungleich verteilt sind und wenn immer mehr Rufe aus den Stadtteilen kommen: „Hilfe, uns laufen die Hausärzte weg!“, dann ist das nicht ein Problem, das die Kassenärztliche Vereinigung im Rahmen der Selbstverwaltung zu erledigen hat. Nein, dann sind auch wir als Politik gefordert, meine Damen und Herren, und deshalb dieser Antrag von CDU und LINKE: „Ärztliche Versorgung in den Quartieren besser steuern“!

(Beifall CDU, DIE LINKE)

Wir als CDU haben bereits im August einen solchen Einzelantrag eingereicht, und seitdem ist auch viel los in der Stadt. Wir waren auch mit mehreren Abgeordneten zum Beispiel in Blumenthal bei einer Sitzung des Gesundheitsausschusses – ich schaue auf die Kollegin Dehne und den Kollegen Erlanson –, und wir haben dort gehört, was los ist. Die Menschen haben nicht Angst, weil sie glauben, die Welt geht unter, sondern es ist für sie existenziell wichtig. Wenn gerade Hausärzte dort weggehen, wo ohnehin schon längst soziale Armut vorherrscht und wo die Wege auch in den nächsten Stadtteil manchmal schon zu weit sind, dann müssen wir reagieren und können uns nicht damit zufrieden geben, dass die Kassenärztliche Vereinigung sagt: Wieso? Der Sicherstellungsauftrag ist erfüllt, in unserer Stadt gibt es genügend Haus- und Fachärzte. – Buch zuschlagen: Wir sehen keinen Handlungsbedarf bedarf. Nein, meine Damen und Herren, das ist keine verantwortungsvolle Haltung. Wir sagen: Die Politik muss hier mit ins Boot springen und einen Teil dazu beitragen, dass es den Menschen in diesen Quartieren besser geht.

Es gibt eine Möglichkeit: Es gibt die Möglichkeit, ein sogenanntes Landesgremium nach Paragraf 90 a des Sozialgesetzbuches V einzuberufen. Das tagt auch. Dieses Gremium hat den Auftrag, versorgungsübergreifend, sektorenübergreifend Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, und ich weiß auch, dass die Senatorin durchaus das Gespräch sucht. SPD und Bündnis 90/Die Grünen schreiben in ihrem Antrag ja auch: Bisher sind die Gespräche fehlgeschlagen. – SPD und Bündnis 90/Die Grünen sagen ja auch schon im Koalitionsvertrag: Wir wollen eine kleinräumigere Betrachtung.

Auch das ist alles gut, aber diese netten Runden und diese netten Stunden reichen einfach nicht aus. Wir müssen ein gewisses Maß an Verpflichtung hi

neinbringen, und genau dort ist der Unterschied: CDU und LINKE wollen etwas Verpflichtenderes in diesem Gremium, während SPD und Grüne etwas Niedrigschwelligeres wollen – ich will nicht sagen, „im Rahmen einer Teestunde“, aber sehr viel darüber hinaus geht Ihr Vorschlag nicht, meine Damen und Herren! Deshalb werbe ich dafür: Stimmen Sie dem Antrag von CDU und LINKE zu!

(Beifall CDU, DIE LINKE)

Noch einmal zur Kassenärztlichen Vereinigung: Ja, es stimmt. Es gibt letztendlich unterm Strich ausreichend und mehr als ausreichend Haus- und Fachärzte im Gebiet der Stadtgemeinde Bremen und auch im anderen Planungsbezirk, im Gebiet der Seestadt Bremerhaven. Ja, das gibt es. Aber wo sind sie genau verteilt? Da habe ich als Politiker einen anderen Anspruch und sage: Nein, die Kassenärztliche Vereinigung hat zwar recht und erfüllt ihren Auftrag auch insgesamt, aber wir haben im Gegensatz zur Kassenärztlichen Vereinigung nicht die Interessen von 1 800 niedergelassenen Ärzten zu vertreten, sondern wir haben die Interessen von mehreren hunderttausend Bürgerinnen und Bürgern und letztendlich auch Patientinnen und Patienten zu vertreten.

(Beifall CDU, DIE LINKE)

Ich freue mich, zumindest, was den Antrag von SPD und Grünen und auch den Ergänzungsantrag der Linken betrifft, dass wir uns alle in der Zielrichtung einig sind. Es muss gesteuert werden, es muss etwas passieren. So kann es nicht weitergehen.

Ich möchte, um Ihnen einmal aufzuzeigen, dass nicht nur wir alleine vonseiten der Politik den Handlungsbedarf sehen, zitieren, was der Chefredakteur einer hiesigen Zeitung zu diesem ganzen System, das wir haben, sagt. Michael Brandt von der „Norddeutschen“ schreibt:

„Es ist ein Systemfehler, dass für eine Arztniederlassung ganz Bremen als Standort zur Auswahl steht. Das Problem wird sich weiter verschärfen, wenn das Raster nicht kleinteiliger über die Stadt gelegt wird. Es ist Aufgabe der Politik, die Kassenärztliche Vereinigung und ihre Mitglieder dazu zu verpflichten, sonst ist keine Heilung in Sicht.“

Wir als CDU sagen: Recht hat er, und deswegen unser Antrag. Wir wollen eine bessere Steuerung der ärztlichen Versorgung, gerade auch in den Armutsquartieren. Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie dem Antrag von der CDU und der Fraktion DIE LINKE zu! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall CDU, DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Erlanson.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Titel lautet: „Ärztliche Versorgung verbessern und die soziale Lage in den Quartieren berücksichtigen!“ – Ich will zu Anfang einmal daran erinnern: Wir haben vor einigen Tagen in der Sozialdeputation lernen müssen, nachdem es erstmals eine große Reihenuntersuchung von Erstklässlern gegeben hat, die zu dem Ergebnis geführt hat, dass es um die Zahngesundheit und die Mundgesundheit – –

(Abg. Frau Dr. Kappert-Gonther [Bündnis 90/Die Grünen]: In der Gesundheitsdeputation, nicht So- zialdeputation!)

Ja, ja, Gesundheit, finde ich schon. – Das Ergebnis war, dass es um die Gesundheit der Erstklässler auf der einen Seite besser bestellt ist als bei der letzten Reihenuntersuchung, die eine ganze Zeit her gewesen ist, dass man aber auf der anderen Seite auch sehr gut erkannt hat, dass die Mundgesundheit je nach der sozialen Lage in den Quartieren entsprechend schlechter oder besser ist. Das heißt, die Mundgesundheit in Schwachhausen ist besser als die in Lüssum oder wo auch immer.

(Dr. Buhlert [FDP]: Lüssum, kurzes „ü“!)

Lüssum! Entschuldigung!

(Heiterkeit)

Das bedeutet, dass die soziale Lage auch wesentlich für die Gesundheit zuständig ist. Das haben wir zwar schon gewusst, aber bei der Zahngesundheit ist es gerade wieder neu aufgeploppt, wenn man so sagen will, und wir haben jetzt auch festgestellt, dass im Grunde genommen auch die ärztliche Versorgung durch die Sozialindikatoren bestimmt ist und in bestimmten Stadtteilen – genannt wurde Gröpelingen, der gesamte Bremer Westen, Lüssum gehört auch wieder dazu – auch die ärztliche Versorgung entsprechend der sozialen Lage ist, nämlich schlecht. Das hat eine einfache Folge: Wir als LINKE reden immer von der sozialen Spaltung der Stadt, wir reden immer vom Profitprinzip, und auch das findet man in dieser ärztlichen Versorgung, da junge Ärzte und Ärztinnen natürlich gern in die Bereiche oder die Stadtteile gehen, wo viel Geld ist, wo man viel privat liquidieren kann, wo man Extraleistungen abrechnen kann; und in anderen Bereichen kann man das nicht. Also gehen die Ärzte nicht dorthin. Das ist die Art von Fehlsteuerung, auf die mein Kollege Bensch in seiner Rede die ganze Zeit hingedeutet hat. Wir glauben allerdings auch, dass wir irgendwie versuchen müssen, einen grundsätzlichen Dreh hereinzubekommen, denn natürlich ist es so, dass die Kassenärztliche Vereinigung, also eine Art Selbstor

ganisation der Ärzte, die die Arztsitze – man möchte sagen – unter sich verteilt, natürlich auch Rechte hat. Die Ärzte nehmen für sich in Anspruch, zu sagen: Wir haben die freie Berufswahl, wir haben die Niederlassungsfreiheit, und ihr könnt uns nicht einfach vorschreiben, wo wer seine Praxis zu eröffnen hat. – Das ist sicher richtig. Das ist, sage ich einmal, ein Recht, das zu schützen ist.

Auf der anderen Seite ist es aber auch so – deshalb haben wir zu dem Antrag der CDU noch einen eigenen mit dem besonderen Schwerpunkt auf Lüssum vorgelegt –; Herr Bensch hat es erwähnt: Wir waren alle Drei – Frau Dehne als gesundheitspolitische Sprecherin, Herr Bensch und ich – dort, und dort ist die Situation klar: Zwei Allgemeinpraxen gehen aufgrund des Alters weg. Sie können offensichtlich trotz der Bemühungen, trotz Ausschreibung nicht wieder besetzt werden, und es hat dann noch den kleinen Rattenschwanz, der das auch noch einmal deutlich macht: Gleichzeitig schließt dann auch noch die Apotheke, weil sie für sich gesagt hat: Wenn wir nicht die Verschreibungen der Ärzte haben, geht es nicht. Die normalen Apothekenprodukte können wir in diesem Stadtteil nicht verkaufen, weil die Leute schlicht und ergreifend nicht das Geld dazu haben. – Angesichts dessen, dass die Ärzte dort nicht mehr verschreiben, hat die Apotheke jetzt angekündigt, dass sie auch dichtmacht. Ich finde, das ist ein Zustand, den wir einfach nicht zulassen dürfen. Dazu müssen wir uns als Parlament zu Wort melden. Dort müssen wir eingreifen und sagen: Ja, es gibt Rechte, es gibt Rechte für Ärzte, aber es gibt auch, ganz grob gesehen, den schönen Spruch, der im Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet! – Von daher gibt es einen Punkt, wo wir sagen: Da müssen wir eingreifen.

(Beifall DIE LINKE)

Wir müssen allerdings auch ehrlicherweise sagen: Wir können als Bürgerschaft – das haben wir natürlich auch überlegt – nicht irgendeine Rechtsverordnung oder irgendein Gesetz schaffen, das dies regelt. Das funktioniert leider nicht. Da sind wir in der Tat momentan leider in einer etwas machtlosen Situation. Die Möglichkeit, die es gibt: Zumindest auf der Verordnungsebene könnte man einen Ausschuss bilden – nach Paragraf 90 und so weiter – wir haben das alle in den Anträgen beschrieben – und damit versuchen, mit der Kassenärztlichen Vereinigung eine Vereinbarung zu treffen – eine Vereinbarung allerdings, die nur mit deren Zugeständnis geht. Bisher – das muss man klar sagen und das hat Kollege Bensch auch schon gesagt – stellt sich die Kassenärztliche Vereinigung ziemlich stur und sagt: Die Versorgung ist gewährleistet, die Versorgung ist insgesamt gewährleistet, wir sehen da keinen Grund, einzugreifen.

(Glocke)

Dort müssen wir ansetzen, und dazu komme ich dann in der zweiten Runde noch einmal. – Danke sehr!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Kappert-Gonther.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Worüber reden wir? Das Entscheidende ist, dass wir uns alle zunächst vergegenwärtigen, dass Armut krank macht und Krankheit arm macht. Das ist ein Zustand, den man einfach nicht hinnehmen darf. Dagegen müssen wir politisch etwas tun.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Dieser Zusammenhang ist so deutlich, dass inzwischen viele Menschen, aber auch viele Ärztinnen und Ärzte – im Übrigen weltweit – fordern: Macht eine gute Sozialpolitik, sorgt für mehr soziale Gerechtigkeit! Die beste Gesundheitsprävention ist Armutsbekämpfung.

(Beifall DIE LINKE – Abg. Imhoff [CDU]: Und warum macht ihr das nicht?)

Wenn wir uns dann noch vor Augen halten, dass es ein weltweites Phänomen, nämlich das, was man „Inversive Care Law“ nennt, auch in Bremen gibt, dann wissen wir, dass sich etwas tun muss. Was bedeutet dieser Begriff „Inversive Care Law“? Er bedeutet, dass gesündere Menschen mit einer höheren Lebenserwartung generell einen besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung haben als Menschen, die kränker sind und eine geringere Lebenserwartung haben. Das ist weltweit so, das ist auch in Bremen so. Worum geht es im Kern? Generell haben wir eine gute ärztliche Versorgung in Bremen und Bremerhaven, ganz anders als teilweise in den Flächenländern. In den Flächenländern sieht es so aus, dass viele Menschen eine halbe Stunde oder noch länger fahren müssen, um überhaupt zu Ärztinnen und Ärzten zu kommen. Das ist glücklicherweise in Bremen nicht der Fall, aber wir haben auch hier die Situation, dass insbesondere die Verteilung von Haus- und Kinderärztinnen und -ärzten ungleich verteilt ist, und darum geht es uns. Es geht nicht darum, ob man für einen Facharztbesuch längere Wege in Kauf nehmen kann. Ich denke, darin sind wir uns alle einig. Das kann man tun. Aber wenn jemand ein fieberndes Kind hat, dann muss man rasch zu einem Arzt um die Ecke gehen können. Das Gleiche gilt für erwachsene alte Menschen, die geschwächt sind, die Schmerzen haben, die akut oder auch durch ihre chronische Krankheit so schwach sind, dass sie schlecht lange Wege in Kauf nehmen können.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Was kann man also tun, um die hausärztliche und kinderärztliche Versorgung zu verbessern? Es bräuchte – Kollege Bensch und Herr Erlanson haben es gesagt – ein Gremium, das zusammengesetzt ist aus Kassen, KV, Kammern und Verwaltung und darüber nachdenkt: Wie kann man diese Situation auf der Grundlage der aktuellen Gesetzeslage lösen? – Dazu hat Kollege Erlanson gesagt, dieses Gremium müsste man jetzt einmal einsetzen. Das gibt es aber, dieses Gremium haben wir seit über einem Jahr, und wir sagen: Wir wollen das jetzt auch in Bremen dafür nutzen, eine bessere Versorgungssituation zu etablieren – gerade in den benannten Stadtteilen, in Bremen-Nord, in Gröpelingen, wo die Versorgung nicht so optimal ist, wie wir uns das wünschen.

(Beifall SPD)

Woran liegt es eigentlich, dass diese Versorgung nicht so ist? Es wurde angedeutet, es könnte an finanziellen Motiven der Ärztinnen und Ärzte liegen. Es liegt aber auch daran, dass die Arbeit so unheimlich mühsam ist. Wenn wir uns vorstellen: In den Gebieten, wo viele chronisch Kranke und Schwerstkranke leben, ballen sich die Problemlagen. Dort gibt es zusätzliche Sprachbarrieren, dort gibt es alle möglichen – fast auch sozialarbeiterischen – Dinge zu tun, und die Kolleginnen und Kollegen, die dort niedergelassen sind, machen das gern und machen das gut. Aber sie versinken im Grunde in dieser Arbeit. Es werden also in diesen Regionen mehr Ärztinnen und Ärzte als durchschnittlich und nicht etwa weniger gebraucht. Selbst gleich viel wäre eben nicht ausreichend. Das ist der entscheidende Gedanke, den wir hier gemeinsam fassen sollten. In den Lagen, in denen es kränkere und ärmere Menschen gibt, brauchen wir mehr und nicht weniger Hausärztinnen und Kinderärzte.