Meine sehr verehrten Damen und Herren, was wirft diese Auffälligkeit und deren fehlende Beachtung eigentlich für ein Licht auf die in unserer Obhut lie gende, vom Senat und der Exekutive in Bremerhaven, dem Magistrat, zu überwachende Merkwürdigkeit beim Anstieg von sozialversicherungspflichtig Be schäftigten? Das muss ja ein Jobwunder gewesen sein, was da in Bremerhaven sich unbemerkt entwi ckelt hat! Ich kenne außer High-Tech-Firmen in den Vereinigten Staaten kein Unternehmen in Bremen und kein Unternehmen in Bremerhaven, das auf legale Weise innerhalb so kurzer Zeit so viele neue Beschäftigungsverhältnisse schaffen konnte, und dass das unbemerkt geblieben ist in Bremerhaven, ist ein weiterer Skandal in dieser Geschichte.
Trotzdem, obwohl die Zahlen so sind, wollen sowohl die zuständigen Dezernenten im Magistrat der Stadt Bremerhaven und die zuständigen Stellen des Senats in Bremen erst Mitte 2015, so ist es auch der Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE zu entnehmen, erstmalig Kenntnis davon bekommen haben. Wir wissen zwischenzeitlich, dass es viele Indizien auf die zahlreichen Meldungen auch schon vorher gegeben hat. Auf die Humanitäre Sprechstunde der Gesundheitsdezernentin in Bremerhaven habe ich bereits bei der Aktuellen Stunde im April hingewie sen. Aber auch anderen Trägern der sozialen Hilfen in Bremerhaven sind diese Merkwürdigkeiten und Dubiositäten aufgefallen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in einer funktionierenden Gesellschaft in einem Rechtsstaat und in einer staatlich beaufsichtigten und staatlich kontrollierten sowie staatlich finanzierten sozialen Fürsorge solche Indizien einfach verhallen. Irgendjemand muss doch bei solchen Alarmsignalen die Verantwortung dafür haben, dass diese Din ge rückhaltlos und vollständig aufgeklärt werden. Deswegen sage ich für die CDU-Fraktion, dass der
erste und wichtigste Grund für die Einsetzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses die Aufklärung ist, aus welchen Gründen und von wel chen Verantwortlichen in welchen Zeiträumen die ser massenhafte Sozialhilfebetrug in Bremerhaven unbemerkt geblieben ist.
Das tun wir natürlich, um am Ende auch die Frage der Verantwortung zu stellen. Wir tun es aber ins besondere auch deswegen, weil wir gefordert sind durch unsere Empfehlungen und deren Umsetzung im Anschluss an die Aufarbeitung des parlamen tarischen Untersuchungsausschusses dafür Sorge zu tragen, dass so etwas nie wieder in Bremen und Bremerhaven passiert.
Der zweite wichtige Grund für die Einsetzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist es zu klären, ob und inwieweit ein Netzwerk von Sozi aldemokraten diesen massenhaften Sozialhilfebetrug in Bremerhaven ermöglicht oder sogar begünstigt hat. Ich weiß, dass es weh tut, dass einer solchen Frage nachgegangen werden muss. Diese Frage stelle ich aber bewusst ergebnisoffen. Sie ist im Raum, weil eine Vielzahl derjenigen, die an verantwortlicher Stelle in Bremerhaven gehandelt haben, eben der sozialdemo kratischen Partei angehört und weil repräsentative Vertreter der beiden betroffenen Vereine dieser Partei angehört haben. Deswegen geht es darum zu klären, ob und inwieweit wer innerhalb der Sozialdemokratie in Bremerhaven und in Bremen Kenntnis von diesen Umständen erlangt, was er konkret unternommen hat und was von Verantwortlichen auch konkret unterlassen worden ist.
Es kann ja kein Zufall sein, dass der Sozialdezernent, die Gesundheitsdezernentin, der Oberbürgermeister, der Unterbezirksvorsitzende, der Arbeitssenator, der Justizsenator, dass alle diese Menschen einer Partei, nämlich der sozialdemokratischen Partei angehören. Es ist für mich bis heute lebensfremd, dass, wenn es solche Indizien für einen massenhaften Betrug gegeben hat, sie alle miteinander nicht darüber ge sprochen und sich auch nicht ausgetauscht haben wollen. Deswegen sage ich für die CDU-Fraktion, dass es auch darum geht zu klären, ob und inwieweit sozialdemokratische Verhältnisse diesen massenhaften Betrug zulasten des Systems, zulasten der Beitragszah ler begünstigt haben, aber dieses insbesondere auch auf dem Rücken vieler unschuldiger, ausländischer Menschen ausgetragen worden ist.
Frau Präsidentin! Ich komme zum kurzen, letzten Aspekt, mit dem ich begonnen habe. Wir wissen zwischenzeitlich, dass die Verstrickung des Kollegen Patrick Öztürk in dieser Affäre tiefer ist, als wir es noch im April angenommen haben. Wir wissen, dass
sich das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren auch gegen ihn richtet. Wir wissen, dass er entgegen seinen Beteuerungen immer noch als stellvertretender Vorsitzender eines dieser Vereine im Vereinsregister eingetragen ist. Wir wissen, dass die von den beiden Vereinen genutzten Immobilien von ihm vermietet worden sein sollen. Es steht der Verdacht im Raum, dass Herr Kollege Patrick Öztürk auch persönlich an diesem Sozialhilfebetrug verdient haben soll.
Das alles ist Gegenstand des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens. Deswegen gilt auch für den Kollegen Patrick Öztürk, wie für jeden anderen in Bremen, Bremerhaven und in Deutschland natürlich die strafrechtliche Unschuldsvermutung. Diese Ma chenschaften in Bremerhaven haben aber nicht nur eine strafrechtliche Dimension. Sie haben auch eine politische Dimension. Deswegen gibt es aus Sicht der CDU-Fraktion im Umgang mit Ihnen, Herr Patrick Öztürk, eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Ich kann sagen, dass ich mit Ihnen nicht mehr unbefangen umgehen kann. Ich kann mir mit Ihnen für die Dauer des Ermittlungsverfahrens eine Zusammenarbeit auf kollegialer Basis nicht mehr vorstellen. Deswegen gibt es aus meiner Sicht nur zwei Möglichkeiten. Entweder erklären Sie, nicht als Beschuldigter eines Strafverfahrens, sondern als Mitglied dieses Hauses, dass die gegen Sie erhobenen Vorwürfe unzutreffend sind. Das haben Sie bis heute nicht getan. Dass sie es auf Aufforderung der CDU nicht tun, kann ich noch verstehen. Dass Sie es auf Aufforderung Ihrer eige nen Partei bis heute nicht getan haben, beschädigt nicht nur die sozialdemokratische Partei, sondern beschädigt unsere Demokratie, sehr geehrter Herr Patrick Öztürk. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir beraten heute über die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschus ses, der den organisierten Sozialleistungsbetrug in Bremerhaven untersuchen soll. Anlass sind die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Vorstandsmit glieder aus zwei Integrationsvereinen in Bremer haven, die in dem Verdacht stehen, bulgarischen Zuwanderern mithilfe gefälschter Arbeitsverträge zu Sozialleistungen verholfen zu haben. Die Bürger in Wut werden diesem parlamentarischen Untersu chungsausschuss zustimmen, denn eine parlamen tarische Untersuchung ist neben den laufenden strafrechtlichen Ermittlungen dringend geboten, um die Hintergründe dieses zumindest im Land Bremen einmaligen Betrugsskandals lückenlos aufzuklären.
Die Polizei hat in den letzten Monaten Hausdurch suchungen durchgeführt. Sie hat dabei über 1 300 Akten beschlagnahmt. Über 500 Ermittlungsverfahren
wurden mittlerweile durch die Staatsanwaltschaft eingeleitet. 200 Zeugen sind polizeilich vernommen worden. Der finanzielle Schaden, den die Leistungs empfänger und die Drahtzieher dieses Sozialleistungs betrugs angerichtet haben, dürfte sich im zweistelligen Millionenbereich befinden.
Unmittelbar nach den polizeilichen Ermittlungen gegen die beiden Vereine im April 2015 gab es ein breites Bündnis aus Oppositionsparteien in der Stadt verordnetenversammlung Bremerhaven, die gemein sam um Aufklärung bemüht waren und Antworten vom Magistrat verlangten.
In der Stadtverordnetenversammlung und im Rahmen einer Sondersitzung des zuständigen Sozialausschus ses wurden die Verantwortlichen mit zahlreichen Fragen konfrontiert. Anstatt aber die Brisanz dieses Falls zu erkennen und zur Chefsache zu erklären, ist der zuständige Sozialdezernent erst einmal in den Urlaub gefahren, und der Bremerhavener Oberbür germeister, der den Urlauber dann in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vertreten sollte, konnte nicht annähernd die Fragen der Oppositions parteien zufriedenstellend beantworten. Deshalb ist es richtig, meine Damen und Herren, dass jetzt ein Untersuchungsausschuss eingerichtet wird, der über die notwendigen Ermittlungsbefugnisse verfügt, um umfassende Antworten aus den Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden zu erhalten.
Denn es gibt zahlreiche Fragen. Warum ist beispiels weise der verstärkte Zuzug von Bulgaren nach Bremer haven und der damit verbundene Geldleistungsbezug erst im Jahr 2015 Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen geworden, obwohl die Behörden bereits seit dem Jahr 2013 eine vermehrte Zuwanderung nach Bremerhaven festgestellt hatten? Hätte man nicht viel früher und viel intensiver prüfen müssen, ob Missbrauchsfälle von Sozialleistung vorhanden sind? Warum hat das Jobcenter die Dolmetscher des Vereins für Übersetzungen geduldet und nicht eigene Sprachmittler bei den Befragungen, insbesondere bei Verdachtsfällen von Sozialleistungsbetrug, ein gesetzt? Des Weiteren, warum hat die Staatsanwalt schaft für den Hauptbeschuldigten eigentlich keine Untersuchungshaft beantragt? Bei einem deutschen Staatsangehörigen mit türkischen Wurzeln, der – Medienberichten zufolge – 800 000 Euro von seinem Privatkonto in die Türkei transferiert hat, kann man ja wohl von Fluchtgefahr ausgehen. Das wiederum, meine Damen und Herren, rechtfertigt die Anordnung einer Untersuchungshaft.
Oder warum hat es fast vier Monate nach Bekannt werden der ersten konkreten Verdachtsmomente auf Sozialleistungsbetrug gedauert, bis es zu staats anwaltschaftlichen Ermittlungen gekommen ist? Bereits im Mai 2015 gab es verstärkte Hinweise auf einen möglichen Leistungsbetrug in Form von zahlreichen Ungereimtheiten bei der Vorlage von Arbeitsverhältnissen. Darüber hinaus gab es einen anonymen Hinweis an die Behörden, dass es zu
Betrugshandlungen im Zusammenhang mit den In tegrationsvereinen gekommen sein soll. Auch gab es aus dem Gesundheitsamt sehr konkrete Angaben zu möglichem Sozialleistungsbetrug.
Warum ist man diesen zahlreichen Verdachtsmo menten eigentlich nicht schneller nachgegangen, und weshalb hat man hier nicht schneller reagiert und unverzüglich die Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet, sondern erst mit einer zeitlichen Ver zögerung von fast vier Monaten?
Mittlerweile wissen wir ja, dass die beiden Bremer havener Integrationsvereine, die im Fokus der staats anwaltschaftlichen Ermittlungen stehen, öffentliche Gelder in Höhe von rund 650 000 Euro für Integra tionsmaßnahmen erhalten haben. Auch hier muss im Rahmen des Untersuchungsausschusses geprüft werden, ob die beiden Vereine ihrer Nachweispflicht nachgekommen sind, die Integrationsmaßnahmen erst einmal durchgeführt haben, und ob sich dann die Behörden auch die Nachweise haben zeigen lassen, dass diese Integrationsmaßnahmen durch geführt wurden.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss! Ich möchte nur noch eine Anmerkung machen. Eine der span nendsten Fragen, meine Damen und Herren, wird natürlich die Frage sein, wer innerhalb der SPD zu welchem Zeitpunkt über welche Vorgänge im Rahmen des Sozialleistungsbetrugs informiert war.
Betroffen von den Vorwürfen der Beihilfe zum Sozial leistungsbetrug ist ja auch ein Mitglied dieses Hauses, der der SPD-Fraktion angehört. Selbstverständlich gilt auch für Herrn Patrick Öztürk die Unschuldsvermu tung, und selbstverständlich muss Herr Patrick Öztürk als Beschuldiger eines Strafverfahrens sich hier auch nicht äußern. Nun hat er es aber getan, nicht uns ge genüber, sondern gegenüber der SPD-Fraktion, und das sogar mit einer strafbewehrten eidesstattlichen Versicherung. Ich kann Sie deshalb nur auffordern, Herr Patrick Öztürk, dass Sie sich auch gegenüber dem Parlament hier heute erklären und nicht den Verdacht nähren, dass Sie sich mit Ihrem Schweigen hinter der SPD-Fraktion verstecken wollen und an einer Aufklärung insgesamt nicht interessiert sind. Denn das haben Sie immer gegenüber der Presse auch kommuniziert.
Übrigens ist nicht nur Herr Patrick Öztürk da in der Pflicht, sondern, Herr Tschöpe, ich sehe auch die SPDFraktion in der Pflicht, hier Schaden vom Parlament abzuwenden. Wenn sich Herr Patrick Öztürk Ihnen oder Ihrer Fraktion gegenüber äußert, dann erwarte ich eigentlich, dass Sie so viel Druck auf den Abge ordneten ausüben, dass, wenn er sich schon mit einer strafbewehrten Erklärung hier äußert, Sie sagen, dann äußere dich auch vor Gericht und wende Schaden hier von der Bürgerschaft ab. – Danke!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Abgeordnete! Auch wir halten die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses für notwendig, da es eben nicht eine Frage ist, wie in diesem Einzel fall womöglich ein Verbrechen begangen werden konnte, sondern es ist letztlich auch eine Frage, wie es dazu kommen konnte, und welche Prinzipien das Geschehen ermöglichen.
Frau Vogt, Sie haben eben schon angedeutet, was natürlich gleich passieren wird. Die Ausschussstär ke wird entgegen dem Antrag der Gruppe ALFA in einer Personenstärke beschlossen, die es eben ermöglicht, ALFA auch aus diesem Ausschuss he rauszuhalten. Ich kann verstehen, dass Sie keine Außenseiter haben wollen. Sie haben gesagt, Sie sind es in der Ausschussarbeit gewohnt, konstruktiv zu arbeiten. Man könnte auch sagen, konsensorientiert zu arbeiten, und Außenseiter bringen da manchmal einen Twist herein, den man vielleicht nicht so ganz gebrauchen kann.
Ich gebe es zu, ich bin Außenseiter, ich bin jetzt seit einem Jahr in diesem Parlament, und ich bin auch in der Deputation für Wirtschaft, Arbeit und Häfen vertreten. Das war ein Gremium, das man uns nicht versagen konnte. Da habe ich Dinge erlebt, die auch auf dieses Thema ein Licht scheinen lassen. Nämlich, wenn wir einmal ehrlich sind, stellen wir doch fest, dass die Beschuldigten in diesem Kriminalfall nicht unbedingt den Eindruck erwecken, die intellektuelle Kapazität zu haben, sich das perfekte Verbrechen auszudenken. Sondern die Tatsache, dass ein solches Verbrechen möglicherweise in der Größenordnung durchgeführt werden konnte, muss doch die Frage aufwerfen, in welchem Umfeld das geschehen konnte, ob es solch einen Missbrauch vielleicht auch woanders gibt, oder ob es womöglich ein systemimmanentes Pro blem ist, das diese Missbräuche geradezu provoziert.
Da komme ich zurück auf die letzte stattgefundene Sitzung der Deputation für Wirtschaft, Arbeit und Häfen. Dort gab es einen Punkt, den, glaube ich, DIE LINKE eingebracht hat, dabei ging es um die Frage, bis zu welcher Höhe das Bundesland Bremen die Titel für Eingliederungshilfe für die Jobcenter ausschöpft. Es gab ein großes Bohei darum, dass wir nur 40 Pro zent der vom Bund zur Verfügung stehenden Mittel ausschöpfen, und wie man noch mehr ausschöpfen könne. Die Frage war zudem, wie erfolgreich man das ausschöpfen kann, und wie man im Vergleich zu anderen Bundesländern dasteht, die womöglich auch nur 40 oder 50 Prozent der Bundesmittel ausschöpfen. An keiner Stelle, nicht von einem Mitglied dieser Deputation wurde gefragt, was machen wir eigentlich mit dem Geld? Frau Ahlers vom Jobcenter sagte, wir haben jeden in einer Eingliederungsmaßnahme, der dafür infrage kommt, und der eine solche Maßnahme haben will. Wir können das uns zur Verfügung ste
hende Geld gar nicht ausgeben. Es wird als großes Problem betrachtet, wie wir es schaffen, die uns zur Verfügung stehenden Transfermittel möglichst voll ständig auszugeben. An keiner Stelle wurde gefragt, was machen wir eigentlich mit dem Geld?
Das war im Übrigen auch in der Erörterung über die EFRE-Fördermittel aus der Europäischen Union eine ganz ähnliche Diskussion. Schaffen wir das, die uns zur Verfügung stehenden Mittel vollständig auszugeben? Das war der Gegenstand der Diskus sion. An keiner Stelle wurde gefragt, machen die Maßnahmen, die wir mit diesen Mittel finanzieren, überhaupt einen Sinn?
Vor diesem sowie dem Hintergrund, dass wir bun desweit ein Drittel unseres Bundesinlandsprodukts für den Sozialetat ausgeben, sehe ich da ein Problem. Diese gigantischen Mittel – wir sprechen hier von 900 Milliarden Euro –, die die Bundesrepublik jedes Jahr in den Sozialetat investiert, fördern natürlich eine unglaublich große Sozialindustrie. Ich will hier gar nicht einmal von Kriminalität reden, aber wenn das Augenmerk der konstruktiv zusammenarbeitenden Parlamentarier in den Deputationen und Parlamen ten darauf liegt, wie sie möglichst vollständig die zur Verfügung stehenden Mittel ausgeben können, und nicht darauf, was mit diesen Mitteln eigentlich gemacht wird, dann stellt man sich womöglich auch nicht die Frage, weshalb das eine oder andere auf fallen müsste.
Ich bin überzeugt, wenn man richtig geprüft hätte, was mit diesen Mitteln passiert, was die Erfolge dieser Mittel sind, wie man verantwortlich mit dem Geld der Steuerzahler umgeht, wäre es nicht dazu gekommen, dass man einen Sozialleistungsbetrug in dieser Größenordnung geschehen lässt. Nun ist es passiert.
Irgendjemand hat vorhin einmal gesagt, Milch, die aus der Flasche geschüttet sei, könne nicht wieder in die Flasche zurück. Wir fühlen uns aber in der Verantwor tung zu verhindern, dass es weiter so passiert, weil wir glauben, dass dieses System zum Missbrauch einlädt, nicht unbedingt nur zu kriminellem Missbrauch. Das geht von zu hoch bemessenen Mieten für Flüchtlings unterkünfte über zu hochdotierte Betreuungsaufträge bis hin zu den Möglichkeiten, dieses System durch kriminelle Aktivitäten zu missbrauchen.
Deswegen wollten wir Ihnen anbieten, als Außenseiter in diesen Ausschuss einmal ein paar andere Gedanken einzubringen als diejenigen, die vielleicht konsens orientiert formulieren, die sich auf diesen einzelnen Kriminalfall konzentrieren wollen. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit Monaten beschäftigt uns nun der Sozialbetrugsfall in Bremerhaven. Es ist ein Fall der gewerbsmäßigen Beihilfe zum Betrug. Dieser Terminus mag zwar juristisch korrekt sein, aber mir klingt der ehrlich gesagt viel zu formal, zu verharmlosend für das, was wirklich passiert ist. Ich weiß gar nicht, ob ich jetzt eine diplomatische Umschreibung finde. Eine solche fällt mir jetzt nicht ein. Ich finde, dass es wirklich eine skandalöse Sau erei ist, die dort mit Menschen betrieben worden ist, deren Notlage missbraucht wurde und die massiv ausgebeutet worden sind.
Ich weiß nicht, ob es im Land Bremen schon einmal einen Fall in dieser Dimension gab. Ich glaube nicht. Es ist klar, es gibt einen finanziellen Schaden für die öffentliche Hand. Genau kann man das nicht bezif fern. Ich habe irgendwo in Vorbereitung auf die Rede gelesen, dass von mehreren Millionen Euro, irgendwo stand die Zahl 60 Millionen Euro, ausgegangen wird. Aber eines ist vor allen Dingen klar, es gibt viele Opfer, Menschen, darauf sind meine Vorrednerinnen schon eingegangen, die meist aus Südosteuropa nach Bremerhaven gelockt wurden, mit denen zwei Ver eine und mehrere Firmen fingierte Arbeitsverträge abgeschlossen haben und sie bei der Beantragung von Transferleistungen bei den deutschen Behörden begleitet haben sollen.
Ganz offensichtlich wurden Menschen in ihren Hei matländern wie Bulgarien gesucht, die weder lesen noch schreiben konnten. Offensichtlich gezielt haben sich diese, ich nenne sie einmal, Menschenfänger die Ärmsten der Armen ausgesucht und sie mit der Aussicht auf ein besseres Leben hier in Deutschland nach Bremerhaven gelockt. Das geringe Geld, das ihnen aus Ihrem Arbeitsvertrag heraus zustand, sollen sie ebenso in Teilen wieder an die Organisatoren des Betrugs abgegeben haben wie auch die vom Jobcenter erhaltenen Gelder zur Aufstockung ihres nicht zum Leben reichenden Geldes. Ermittelt wird, auch das wurde schon sehr ausführlich beschrieben, zurzeit gegen Verantwortliche von zwei Vereinen, die Schein verträge vor allem an Bulgaren ausgestellt haben sollen. Dadurch konnten diese an Sozialleistungen kommen, wovon sie offenbar aber nur einen Bruchteil erhielten. Die Vereine sollen dann abkassiert haben.
Ich frage Sie vielleicht einmal mit dem Blick auf die Opfer. Wie verzweifelt und hilflos müssen Menschen sein, wenn sie sich so ausbeuten lassen? Die Opfer haben, wie man hört, nicht nur in unbeliebten Jobs
im Hafen, sondern auch unter wirklich – was Gesund heitsschutz und Arbeitsschutz angeht – nicht guten Bedingungen gearbeitet, und die Bosse haben die Hand aufgehalten. Das finde ich widerlich. Diese Ma chenschaften müssen rückhaltlos aufgedeckt werden.
Etwas möchte ich auch erwähnen: Schlimm ist auch, dass die eigentlichen Opfer nun erst einmal auf der Anklagebank wegen Betruges sitzen. Ich finde das extrem perfide, denn für mich sind die eigentlichen Täter die Vereine, aber auch die Firmen, die die scheinbar profitablen Geschäfte betrieben haben und nicht die Menschen, auf deren Kosten sich be reichert wurde.