Protocol of the Session on January 21, 2016

(Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Das will ich nicht aus- schließen!)

Die Vorratsdatenspeicherung hat in Paris dazu geführt – jetzt gehe ich auf Ihre Bemerkungen ein, Herr Hilz –, dass das Netzwerk der Attentäter, das vorher

gar nicht im Fokus der Polizei stand, nach der Auswertung der Verbindungsdaten und Handystandorte sehr schnell identifiziert werden konnte. Allein die Auswertung der Verbindungsdaten und der Handystandorte hat zu einer sehr schnellen Reaktion der französischen Sicherheitsbehörden und in anderen Ländern geführt, in denen es diese Möglichkeit gegeben hat. Es sind damit weitere Taten, die im Übrigen in Paris geplant gewesen sind, sie standen unmittelbar bevor – in Brüssel im Übrigen auch –, verhindert worden. Fangen Sie bitte nicht damit an und argumentieren Sie, die Vorratsdatenspeicherung verhindere keine Straftaten, denn das ist falsch!

(Beifall CDU)

Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich noch auf eine weitere kriminalistisch wichtige Möglichkeit der Auswertung von Verbindungsdaten hinweisen, nämlich auf die Identifizierung der Täter – ich habe es gerade eben schon einmal kurz angedeutet – bei den zweifelsohne organisierten massiven Angriffen auf Frauen in Köln, Hamburg und anderen Städten durch die Standortermittlung. Über den Standort kann man sehr wohl feststellen, wer zu welcher Zeit wo gewesen ist. Das ist gerade bei den Ermittlungen in Köln von herausragender Bedeutung gewesen, weil – ich kann Ihnen verraten, dass das sehr intensiv von der Kölner Polizei durchgeführt wird – man dort über die Standortdaten herauszufinden versucht, wer eigentlich zu der bestimmten Zeit in der Nähe der Tatorte gewesen ist. Es gibt – und das möchte ich abschließend auch noch sagen – weitere erfolgreiche Anwendungsmöglichkeiten der Vorratsdatenspeicherung für die Bereiche der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, der Kinderpornografie und Ähnliches. Die CDU-Fraktion lehnt den Antrag der FDP deshalb ab.

(Beifall CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr gehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst entschuldige ich mich bei Frau Grotheer dafür, dass wir den Antrag juristisch nicht ganz korrekt abgefasst haben, wir bitten daher um die Überweisung an die Innendeputation, damit dort der Antrag genauer betrachtet werden kann, damit es geklärt werden kann. Sie haben sich mit Ihren Filibustern um das klare Bekenntnis gedrückt, welche Position Sie vertreten. Von Herrn Hinners habe ich es deutlich gehört,

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Ich habe es am Ende meiner Rede deutlich gesagt, und zwar ziemlich zum Schluss! Hätten Sie zugehört, dann hätten Sie es ge- hört!)

bei Ihnen habe ich es nur am Rande gehört.

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Am Ende ist nicht am Rande!)

Wenn das Ende nicht der Rand ist, dann verstehe ich das Ganze nicht. Über Geometrie können wir noch einmal reden.

Worum geht es? Es geht darum, ob wir eine anlasslose allgemeine Vorratsdatenspeicherung wollen, die gesetzeswidrig ist. Die Gesetzwidrigkeit hat der Europäische Gerichtshof festgestellt. Dieses politische Bekenntnis können wir nach der Beratung in der Innendeputation, wenn sie letztlich stattfindet, debattieren.

(Beifall FDP, DIE LINKE)

Unserer Meinung nach ist der Senat hier antragsberechtigt, und er kann eine Normenkontrollklage – vielleicht von einer anderen Rechtsgrundlage ausgehend – einreichen, um prüfen zu lassen, ob das Gesetz verfassungswidrig ist oder nicht. Herr Öztürk hat zu Recht auf die vielen Kläger hingewiesen. Es geht nicht darum, dass keiner eine Klage einreicht, wenn Bremen nicht klagt, sondern es geht darum, ob sich Bremen in die Reihe derer einreiht, die für das Recht eintreten, dass Menschen nicht unter Generalverdacht gestellt werden dürfen.

(Beifall FDP)

Herr Hinners, erzählen Sie doch nicht, dass die Mittel, die in Paris oder in Köln gegriffen haben, nicht ohne die Vorratsdatenspeicherung hätten genutzt werden können!

(Abg. Hinners [CDU]: Nein, hätten sie nicht!)

Mit einem Quick Freeze hätten es gemacht werden können. Er wäre zulässig und an der Stelle richtig gewesen, weil dort Straftaten vorgelegen haben. Eine allgemeine anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist nicht erforderlich, denn mit einem Quick Freeze können Daten auf eine Straftat und lokal beschränkt erhoben werden.

(Beifall FDP)

Wenn Sie eine Strafverfolgung wollen und die Nadel im Heuhaufen suchen wollen, dann ist es nicht hilfreich, wenn Sie die Heumenge erhöhen, und deshalb brauchen wir keine Vorratsdatenspeicherung.

(Beifall FDP, DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Mustafa Öztürk.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte auf einen Einwand des Kollegen Hinners eingehen. Wir haben seit mehreren Jahren das Vergnügen, bis zu dreimal im Jahr über die Vorratsdatenspeicherung zu sprechen. Kollege Hinners, Sie haben ausgeführt, dass ich erwähnt habe, dass die Vorratsdatenspeicherung eine Massenüberwachung wäre. Ich habe gesagt, dass es insofern eine Massenüberwachung sei, weil alle Telefonkommunikationsverbindungsdaten aller Bürgerinnen und Bürger, auch die, die unschuldig und nicht kriminell sind, erfasst werden.

(Abg. Hinners [CDU]: Aber im Moment werden sie nicht überwacht, die Daten werden nur gespeichert! Das ist keine Überwachung!)

Hinter diesem Gesetz mit dem trügerischen Titel – jetzt müssen Sie gut zuhören! – „Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherpflicht“ verbirgt sich nichts anderes als die anlasslose Massenüberwachung. Vorratsdaten sind Vorratsdaten!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Hinners [CDU]: Das steht da aber nicht!)

Sie wollten von mir beziehungsweise von diesem Hause erfahren, wer in diesem Hause juristischen Sachverstand hat.

(Abg. Hinners [CDU]: Frau Grotheer!)

Ich habe keinen, ich bin kein Jurist. Ich maße mir auch nicht an, juristischen Sachverstand zu haben, aber ich verlasse mich auf Juristen in dieser Republik, die Sachverstand haben, insbesondere auf ehemalige Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts. Sie kommen zu unterschiedlichen Bewertungen dieses Gesetzes. Sie formulieren weiterhin, dass knallharte Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs nach wie vor haarscharf, Kollege Hinners, in dem neuen Gesetz erfasst sind und deswegen auf der Kippe stehen. Es ist die Aufgabe der Gerichte zu urteilen, und die Bürgerinnen und Bürger können klagen. Letztlich fällt ein Gericht ein Urteil. Zweifel an der Zulässigkeit der neuen Regelung hatten sogar die Juristen des Bundestages. Sie haben an mehreren Stellen, und zwar im Rahmen von zwei Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes, die gesamte vage Formulierung des Gesetzesentwurfs kritisiert. Vielleicht ist es den Urhebern des Gesetzes irgendwann aufgefallen: Wir nehmen die Worte Mindestspeicherfrist und Höchstspeicherfrist in das Gesetz auf, und dann ist die Formulierung „Vorratsdaten“ entbehrlich. Am Ende – und darauf kommt es mir an, Kollege Hinners, das ist der Unterschied – werden Bürgerinnen

und Bürger dieses Landes, egal, ob sie kriminell sind oder nicht, unter einen Generalverdacht gestellt.

(Abg. Hinners [CDU]: Nein!)

Doch! Es werden alle Daten erfasst. Es werden die Daten von Journalisten, von Rechtsanwälten und von Berufsgeheimnisträgern erfasst. Jeder ist immer wieder dem Verdacht ausgesetzt, weil man dem Irrglauben verfällt, mit der Vorratsdatenspeicherung irgendeine Straftat verhindern zu können. Die Attentäter von Paris standen jahrelang unter der Beobachtung der Sicherheitsbehörden, und zwar nicht nur der französischen Sicherheitsbehörden. In Frankreich existieren ganz andere Höchstspeicherfristen und eine ganz andere Art der Vorratsdatenspeicherung, sie konnten diese Taten nicht verhindern. Vielleicht hat ihnen die Vorratsdatenspeicherung nach den Anschlägen bei der Aufklärung geholfen, Kollege Hinners, aus kriminologischer Sicht mag das eine oder andere Element durchaus wichtig sein, aber es darf nicht passieren, dass man alle Bürger unter einen Generalverdacht stellt

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, FDP)

und die ihnen von der Verfassung her zugebilligten Rechte aushebelt!

Kollege Hinners, wenn es einen Wettbewerb im kreativen Umgehen, Umschiffen und über den Tisch ziehen geben würde, um höchstrichterliche Entscheidungen einmal eben zu konterkarieren und einen entsprechenden Gesetzestext zu formulieren, dann haben die Urheber des neuen Gesetzes mehr als einen Preis verdient.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Frau Grotheer, da haben Sie aber Probleme mit Ihrem Koalitionspartner!)

Vizepräsidentin Dogan Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grotheer.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich würde gern noch einmal juristisch argumentieren, um einige Dinge klarzustellen, aber ich merke, dass das einen großen Teil dieses Parlaments inhaltlich überfordert.

(Unruhe)

Deswegen versuche ich, mich allgemeinverständlich zu äußern. Ich weise auf folgende Fragen hin, weil Sie kritisiert haben, dass meine juristische Vorlesung vorhin nicht nachvollziehbar gewesen ist.

(Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Deswegen? Für eine Vorlesung ist es gar nicht so schlecht gewesen!)

Erstens: Ja, es ist richtig, Ihr Antrag ist falsch. Nein, die SPD-Fraktion wird der Überweisung nicht zustimmen, weil auch eine Überweisung etwas Falsches nicht richtiger macht.

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen)

Ja, es gibt die Möglichkeit, eine abstrakte Normenkontrollklage zu erheben. Ich bin eine große Verfechterin dieser Regelung. Ich glaube, dass diese Möglichkeit tatsächlich für den Rechtsstaat wichtig ist. Ich finde es allerdings falsch, Herr Dr. Buhlert, deswegen habe ich es vorhin auch so vorgetragen, dass sich dieses Parlament, aufgefordert von einer Fraktion, die keinen juristisch einwandfreien Antrag formulieren kann, auf deren juristische Interpretation, ob etwas verfassungskonform ist oder nicht, verlässt.

(Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Wir haben es jetzt ver- standen!)

Schön, wenn es so ist, dann können Sie Ihren Antrag zurückziehen, und das wäre dann der richtige Ausweg für Helden!

(Beifall SPD)

Das ist der zweite Punkt, den ich Ihnen gern mitteilen wollte.

Ich bin vorhin gefragt worden, ob ich inhaltlich zu dem neuen Gesetz stehe oder nicht. Frau Strunge, ja, ich stehe zu diesem Gesetz!

(Abg. Janßen [DIE LINKE]: Koalitionsvertrag? – Zu- ruf Abg. Professor Dr. Hilz [FDP])