Protocol of the Session on January 21, 2016

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Genau! Macht er auch!)

Macht er auch, reicht er ein!

Darüber hinaus haben mittlerweile das Zentrum für Informationstechnologie, der SPD-nahe Verein D64, der Deutsche Journalistenverband, zahlreiche weitere Journalisten, Medienvertreter, aber auch Bürgerinnen und Bürger Klagen beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Jetzt stellt sich die Frage nach dem Warum. Erachten Sie es als richtig, trotz dieses wichtigen Anlasses, denn der Vorspann ist ja nicht verkehrt, uns als Koalition einen solchen Antrag mit dem Beschlussteil vorzulegen, dass die Bürgerschaft beschließen möge, den Senat aufzufordern, eine Handlung vorzunehmen, die er nach geltendem Recht nicht vornehmen darf?

Der Fehler ist in Ihrem Antrag enthalten. Auf diesen Vorhalt erwarte ich von Ihnen eine Antwort. Vielleicht kann ich Ihnen eine Teilantwort geben: Den Versuch, auf dem Rücken dieses wichtigen Anliegens, Kollege Buhlert, das die Bürgerrechte aller Menschen in Deutschland betrifft, einen Keil in die Koalition zu treiben, finde ich ziemlich unangemessen. Das wird der Sache nicht gerecht, denn inhaltlich sind wir einer Meinung.

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Das macht Ihnen keinen Spaß, aber damit müssen Sie leben! – Abg. Frau Grotheer [SPD]: Das halten wir aus!)

Genau, das halten wir aus!

(Beifall SPD)

Das wird dem Charakter des inhaltlichen Teils des Antrags nicht gerecht, und es wird all den Menschen nicht gerecht – wahrscheinlich wird es Ihrem Parteivorsitzenden auch nicht gerecht –, die gegen die Vorratsdatenspeicherung klagen möchten, damit die Grundrechte der Bürger nicht zum Opfer werden und die Freiheiten reduziert werden. Ich erwarte von Ihnen, falls Sie erneut das Wort ergreifen, eine Erklärung. – Danke schön!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Strunge.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Grotheer, Ihr Wortbeitrag war vielleicht eine sehr interessante juristische Abhandlung

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Ja!)

für Jurastudenten und für Herrn Öztürk, für mich war er eigentlich nicht so interessant, mich hätte eher eine inhaltliche Positionierung der SPD interessiert.

(Beifall DIE LINKE, FDP – Abg. Frau Grotheer [SPD]: Das können Sie haben, Frau Strunge, aber ich muss mich ja mit dem Kram auseinandersetzen, der hier als Antrag eingereicht wird, oder?)

Gut, ich freue mich darauf, eine inhaltliche Position der SPD zu diesem Antrag zu hören.

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Das überlege ich mir noch einmal, wenn er es begründen kann!)

Jetzt spreche ich für DIE LINKE zu diesem Antrag.

Kann man Deutschland zu einem absolut sicheren Land machen? Können wir uns vor den furchtbaren Gefahren in dieser Welt schützen? Müssen wir einfach nur gründlich sein und Weltmeister im Datensammeln werden? Sind wir dann sicher vor sexuellen Übergriffen, vor Kriminalität und vor Anschlägen? Genau das sind die Fragen, die wir bei diesem Gesetz diskutieren müssen, und leider denken einige Politiker, dass es so einfach wäre. Das ist es aber nicht!

Wer glaubt, dass immer mehr Daten und noch mehr Daten uns schützen können, vor allem vor dem, was wir in unsicheren Zeiten nicht haben wollen, der irrt leider gewaltig. So einfach ist es eben nicht!

(Beifall DIE LINKE)

Die Überwachung wird uns nicht retten. Die Vorratsdatenspeicherung schafft noch nicht einmal eine kleine messbare Verbesserung in der Aufklärung von Straftaten. Im Gegenteil, in der Zeit der aktiven Vorratsdatenspeicherung zwischen 2008 und 2010 ist die Aufklärungsquote bei Internetdelikten sogar zurückgegangen. Die Schweiz hat auch keine bessere Aufklärungsquote bei den Straftaten als Deutschland, obwohl dort die Vorratsdatenspeicherung seit zehn Jahren möglich ist. Das Einzige, was uns das neue Gesetz bringt, ist ein massiver Eingriff in unsere Grundrechte.

Weil es so absurd ist, führen wir uns noch einmal vor Augen, was hier passiert: Es wird ein Gesetz eingeführt, das in keiner Weise belegt, ob es irgendeinen Nutzen hat, um Straftaten besser aufklären zu kön

nen. Trotzdem werden Grundrechte einfach einmal so eben über Bord geworfen, und von allen Menschen, die ein Handy nutzen, wird gespeichert, wer wann wo und mit wem telefoniert hat. Weil das aber dann doch nicht so einfach geht, wie sich die Bundesregierung das gewünscht hat, hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Vorratsdatenspeicherung 2010 für verfassungswidrig erklärt.

Jetzt liegt das gleiche Gesetz in leicht geänderter Form wieder vor. Wir müssen uns wieder damit herumärgern und wieder eine Verfassungsbeschwerde einlegen. Soll das ganze Spiel jetzt wieder von vorn beginnen? Journalisten, Anwälte, vom Grundgesetz besonders geschützte Berufsgeheimnisträger, potenzielle Whistleblower und Bürgerrechtler werden von der Vorratsdatenspeicherung besonders bedroht, denn der Quellenschutz für Informanten wird quasi unmöglich gemacht, es sei denn, die Kommunikation läuft ohne Telefon und ohne Internet. Willkommen im 21. Jahrhundert!

(Beifall DIE LINKE)

Wir hoffen deshalb, dass es Verfassungsklagen in Karlsruhe gegen dieses Gesetz geben wird, und es wäre gut, wenn Bremen eine solche Klage ebenfalls einreicht. Allerdings ist klar, obwohl Rot-Grün in Bremen laut Koalitionsvertrag gegen die Vorratsdatenspeicherung ist, hat beispielsweise Innensenator Mäurer in den Gremien wie der Innenministerkonferenz offenkundig keinen Widerspruch angemeldet. Im Bundesrat stimmten nur Schleswig-Holstein und Thüringen für eine Überweisung des Gesetzentwurfs in den Vermittlungsausschuss. Bremen enthielt sich der Stimme. Wie ist das mit dem Koalitionsvertrag in Einklang zu bringen? Gar nicht, würde ich sagen!

(Beifall DIE LINKE)

Ich dachte immer, dass man Grundrechte nur einschränken kann, wenn es dafür handfeste und belegbare Gründe gibt. Die gibt es bei der Vorratsdatenspeicherung definitiv nicht! Hier wird einfach einmal ganz schnell das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung einschränkt, und es werden einfach einmal alle Menschen, die in Deutschland ein Handy besitzen, unter Generalverdacht gestellt, nur damit man mit den gesammelten Daten vielleicht, unter Umständen, im günstigsten Falle, eventuell eine Straftat verhindern kann.

Wenn klar ist, dass das alles nichts zum Erfolg führt, führt man dann eine weitere Verschärfung ein? Werden dann in Zukunft auch alle Inhalte von Telefongesprächen prophylaktisch gespeichert?

Ich will nicht, dass Deutschland Weltmeister im Datensammeln wird, denn dort, wo Daten gesammelt werden, können sie genutzt werden, und zwar auch ohne richterlichen Beschluss. Der wirksamste Schutz gegen Datenmissbrauch ist dann gegeben, wenn gar

keine Daten erhoben werden. Sobald die Daten einmal gespeichert sind, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen.

(Beifall DIE LINKE)

Anstatt unsere Energie darauf zu verschwenden, wie wir die totale Kontrolle bekommen, sollten wir uns eher die Frage stellen, was wir tun können, um angstfrei in dieser Gesellschaft leben zu können. Das Problem ist, dass dafür kein einfaches Gesetz reicht. In einer Gesellschaft angstfrei leben zu können, funktioniert nur dann, wenn wir Terrorismus, sexualisierter Gewalt und Kriminalität den Nährboden entziehen. Das wird nicht einfach, denn dann müssen wir bei uns einiges auf den Kopf stellen. Wenn wir aber das nicht versuchen und uns stattdessen auf einen digitalen Überwachungsstaat einlassen, dann haben wir nichts gewonnen, sondern viel verloren, zum Beispiel unsere Grundrechte. – Vielen Dank!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Hinners.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Grotheer, wo Sie recht haben, da haben Sie recht!

(Beifall SPD – Abg. Frau Grotheer [SPD]: Wenigstens einer, der mir folgen konnte!)

Die FDP fordert eine Verfassungsklage gegen das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten. Herr Dr. Buhlert spricht hier von einem Generalverdacht, Herr Öztürk von Massenüberwachung und Frau Strunge von der Vorratsdatenspeicherung, die alle bedroht. Frau Strunge, direkt an Sie: Ich glaube, von dieser Vorratsdatenspeicherung werden nur Kriminelle bedroht, aber nicht alle.

(Beifall CDU – Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Sie wer- den von allen erhoben!)

Das Bundesverfassungsgericht – es wurde kurz darauf hingewiesen, allerdings, wie ich glaube, aus dem Zusammenhang gerissen – hat sich bereits im Jahr 2010 mit der Vorratsdatenspeicherung beschäftigt. Das damalige Gesetz ist mit der Begründung aufgehoben worden, dass die Verhältnismäßigkeit, insbesondere zur Speicherfrist, seinerzeit sechs Monate, nicht gewahrt sei. Im Hinblick auf dieses Urteil ist hier einiges durcheinandergebracht worden.

Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz nicht per se für verfassungswidrig erklärt. Frau Grotheer hat bereits auf die ju

ristischen Feinheiten der Vorratsdatenspeicherung hingewiesen.

Der Bundestag hat nach langer Diskussion die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen und in das neue seit Dezember 2015 geltende Gesetz eingearbeitet. Jetzt frage ich Sie alle, die Sie hier, mit Ausnahme von Frau Grotheer, behauptet haben, dass das neue Gesetz ebenfalls verfassungswidrig sei, woher Sie diese Erkenntnis nehmen. Auf Ihre Ausführungen bin ich sehr gespannt.

Nach dem neuen Gesetz dürfen Daten zukünftig zehn Wochen gespeichert werden, und zwar wer mit wem wann wie lange telefoniert hat. Das sind die sogenannten Verbindungsdaten, aber keine Inhalte. Noch einmal ganz deutlich: Es darf nicht das gesprochene Wort gespeichert werden! Darüber hinaus darf vier Wochen lang der Standort des benutzten Handys gespeichert werden.

Die Innenminister aller Länder – also auch Herr Innensenator Mäurer – sowie die Chefs der Landeskriminalämter, der Chef des Bundeskriminalamts und weitere Sicherheitsexperten haben sich mehrfach für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. Sie haben ihre Auffassung auch begründet.

Meine Damen und Herren, angesichts der aktuellen Terrorbedrohung und der Anschläge hält die CDUFraktion dieses Gesetz für zwingend erforderlich.

(Beifall CDU – Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Hat die Vorratsdatenspeicherung die Anschläge in Paris ver- hindert? Nein!)

Der immer wieder zu hörende und zu lesende Vorwurf, der auch hier heute erhoben worden ist, dass nämlich die Vorratsdatenspeicherung in Frankreich – und Herr Dr. Buhlert hat noch weitere Beispiele genannt – die Terroranschläge nicht verhindert hätte, spricht für eine unglaubliche Ignoranz und Unwissenheit. Es ist doch nicht so, dass die Daten bei den Sicherheitsbehörden gespeichert und permanent überwacht werden, sondern die Daten werden bei den Providern gespeichert und erst bei einem konkreten Verdacht und einer richterlichen Anweisung von der Polizei ausgewertet. Wenn es also eine bestimmte Zahl von Straftaten gibt, Katalogstraftaten – –.

(Zuruf Professor Dr. Hilz [FDP])

Hören Sie ruhig zu, Herr Hilz, vielleicht können Sie noch etwas lernen!

(Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Das will ich nicht aus- schließen!)