Protocol of the Session on December 9, 2015

Ihr Vorschlag ist auch in der Sache nicht tragfähig. Die Frage der sogenannten Kontingentlösung wird gerade auf europäischer Ebene diskutiert. Wir brauchen und suchen eine solidarische europaweite Lösung. Ein solches gemeinsames Agieren der europäischen Länder und auch des Bundes und der Bundesländer würde durch einen solchen Vorstoß konterkariert, und das wollen wir nicht.

Ihr Vorschlag spart zudem auch keine Zeit, weil jeder und jede nach wie vor einen Asylantrag stellen könnte. Sie könnten natürlich darauf verzichten, aber wohl nur, wenn die von Ihnen vorgeschlagene schnelle Variante auch die umfassendste Rechtstellung und den besten Schutz gewähren würde. Das sieht Ihr Vorschlag gerade nicht vor.

(Beifall SPD)

Der Kollege Hinners hat auch schon darauf hingewiesen, ein zusätzliches Aufnahmeverfahren, also ein anderes als die bisherigen, müsste ja – egal, wer es durchführt – insbesondere nach den schrecklichen Ereignissen von Paris natürlich eine Sicherheitsüberprüfung der antragstellenden Menschen vorsehen. Die Herkunft müsste anhand ordentlich geprüfter, echter Dokumente nachgewiesen werden. Ich gehe davon aus, dass die FDP, auch wenn das in dem Antrag nicht so deutlich wird, darauf nicht verzichten möchte. Hierfür ist das BAMF kompetent und qualifiziert. Das ist deren tägliches Handwerk. Für kleinere Ausländerbehörden wäre es ein riesiges Problem, die müsste man entsprechend ausstatten.

Ganz abgesehen davon wächst das zusätzliche Personal, das dafür nötig wäre, auch nicht auf Bäumen, sondern Bremen könnte für die Ausländerbehörde gar nicht, selbst wenn wir das jetzt einführen würden, so schnell so viele Leute einstellen. Herr Mäurer kann ein Lied davon singen. Im Moment fehlt das Personal überall.

Außerdem ist Ihr Vorschlag – das ist der grundlegende Einwand unserer Fraktion dagegen – auch integrationspolitisch der völlig falsche Weg.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir dürfen doch nicht die Fehler wiederholen, die bei den letzten größeren Zuwanderungsbewegungen in Deutschland gemacht wurden. Wir müssen auf den im Asylkompromiss auf Bundesebene angelegten Paradigmenwechsel hin zu Integration setzen und wegkommen von der Illusion, es handele sich um eine reine Überbrückung von Wartezeiten bis zu einer Heimkehr.

Natürlich freuen sich viele Menschen, die jetzt zu uns kommen, darauf, wieder in ihre Heimat zurückzukehren und da am Wiederaufbau mitzuarbeiten, wenn

das irgendwann – was hoffentlich geschehen wird, aber im Moment überhaupt nicht absehbar ist – wieder sicher möglich sein wird, und zwar in jeder Hinsicht. Aber die meisten werden doch länger bei uns bleiben, in Bremen Heimat finden, und das wollen wir auch.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Dafür brauchen wir aber eine vernünftige Methode, und die haben wir mit dem Asylverfahren. Noch eine kurze Randbemerkung – ich bin gleich fertig, Herr Präsident –, weil das vielleicht zur guten Übung wird: Herr Weigelt hat gestern in einer Debatte gesagt, dass sich die hier vorgebrachte Begründung im FDP-Antrag selbst nicht wiederfindet. Auch die integrationspolitischen Überlegungen, die Frau Steiner dargelegt hat, sind in dem Antrag nicht enthalten. Aber vielleicht gewöhnen wir uns mittlerweile daran, dass die FDP Anträge begründet, die sie gar nicht gestellt hat. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Leonidakis.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP hat hier und auch in anderen Landtagen – im Bundestag ist sie ja nicht mehr vertreten – einen Gesetzentwurf vorgelegt. Sie wollen von Bremen eine Bundesratsinitiative zur Erteilung von vorübergehendem Schutz bei großen Fluchtbewegungen. Das basiert auf einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 2001. Nun hat sich ja seit dem Jahr 2001 die Welt ein paar Mal weitergedreht, und wir befinden uns in einer völlig anderen Situation.

(Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Deswegen haben wir ihn ja auch jetzt vorgelegt und nicht im Jahr 2001!)

Ihr Antrag hört sich zunächst einmal – möchte man meinen – gut, unkompliziert und humanitär an, aber man muss sich darin natürlich das Kleingedruckte anschauen. Beim genauen Hinsehen verfliegt die Freude relativ schnell, denn die Umsetzung würde bedeuten, dass die Betroffenen nur noch für ein Jahr einen Schutzstatus bekommen statt der drei Jahre Schutzstatus, die sie nach einer Asylanerkennung erhalten. Entgegen dem, was Sie, Frau Steiner, hier dargelegt haben, ist das Familienasyl eben ausdrücklich ausgeschlossen. Ich habe den Gesetzentwurf sehr aufmerksam gelesen, das steht so darin, sonst können Sie ja noch einmal eine Neufassung vorlegen. Das Grundrecht auf Asyl würde ebenfalls ausgehöhlt,

(Beifall DIE LINKE – Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Nein!)

auch da möchte ich Ihnen ausdrücklich widersprechen, denn in Artikel 2 steht, dass nach Artikel 2 Pa

ragraf 32 a das Asylverfahren ruht, und ein Ruhen des Asylvertrages bedeutet, dass eben das Asylverfahren ausgesetzt wird, solange dieser vorübergehende Schutzstatus gewährt wird. Frau Steiner, Sie haben es ausgeführt, dann kann man danach das Asylverfahren beenden. Ja, aber wenn die Bundesregierung sagt, dass die Situation sich geändert hat, dann ist es natürlich die logische Konsequenz, dass man dann auch im Asylverfahren mit großer Wahrscheinlichkeit eine Ablehnung erhält, insofern bedeutet es eben faktisch doch eine Aushöhlung des Asylrechts, und dies bei potenziell Asylberechtigten.

Sie haben gerade gesagt, die EU-Richtlinie bezieht sich auch auf Menschen aus Krisen- oder Kriegsregionen. Das heißt, Menschen aus Syrien oder Afghanistan, die im Moment extrem hohe Anerkennungsquoten aufweisen, zu rund 90 Prozent eine Anerkennung als Asylberechtigte erhalten und damit auch die drei Jahre Schutzstatus sowie auch das Familienasyl und damit den richtigen Familiennachzug, diese Personen erführen damit faktisch eine Verschlechterung ihres Status und am Ende auch eine Ablehnung des Asylantrags.

(Beifall DIE LINKE)

Sie wollen eben Menschen, die Hilfe suchen und die Hand ausstrecken, nur den kleinen Finger geben, und das auch nur für eine kurze Zeit. Sie behaupten – die Kollegin Frau Aulepp ist bereits darauf eingegangen –, dass die Kapazitäten der BRD ausgeschöpft seien. Dazu muss ich Ihnen sagen, wenn man MövenpickSteuern erlässt, dann muss man sich hinterher nicht wundern, dass den staatlichen Organen und der öffentlichen Hand am Ende vielleicht auch Ressourcen fehlen.

(Beifall DIE LINKE)

Sie wollen, dass weniger Schutzsuchende – das schreiben Sie ausdrücklich in Ihrer Begründung – aus den Kriegs- und Krisenregionen wie Syrien und Afghanistan hierherkommen. Dann müssen Sie aber auch klar sagen, dies bedeutet, dass eben die Vertriebenen und Schutzsuchenden in Nachbarregionen wie der Türkei ausgebeutet werden oder wie im Libanon in Massenlagern verharren, dass die Frauen und die Kinder dort bleiben, keine Beschulung erhalten, noch nicht einmal eine angemessene Essensversorgung stattfindet und so weiter. Diese Zustände kennen wir aus den Printmedien und dem Fernsehen. Dann müssen Sie ebenfalls dazu sagen, dass Sie genau diese Zustände befürworten.

Selbst wenn man dieses Ziel teilt, dass weniger Menschen hierherkommen, glauben Sie denn wirklich, dass die Aussicht, einen Schutzstatus nur für ein Jahr statt für drei Jahre zu bekommen, Schutz suchende Menschen davon abhält, hierherzukommen? Ich denke, der Druck und die Probleme dieser Menschen sind

so groß, dass es ihnen völlig egal ist, ob sie für ein Jahr einen Schutzstatus bekommen oder für drei Jahre, denn ihre Probleme sind sehr viel größer, als sich um so etwas zu sorgen. Aus meiner Sicht befinden Sie sich da auf einer völlig falschen Fährte.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Der zweite Trugschluss ist Ihre Annahme, dass sich dadurch der bürokratische Aufwand reduzieren würde. Wenn man den Schutzstatus nur für ein Jahr erteilt, muss man nach einem Jahr erneut prüfen, und das heißt – die Kollegin Frau Aulepp ist darauf eingegangen –, dass bei anderen Behörden dadurch der Aufwand steigt. Selbst wenn man am Ende das Asylverfahren noch beendet, ist der Aufwand ja auch nicht aufgehoben, sondern nur verschoben.

Natürlich teilen wir die Einschätzung, dass es ein Problem darstellt, dass die Verfahren derart lange dauern. Beschäftigte des BAMF brauchen derzeit 3,8 Monate für Asylverfahren syrischer, für afghanische Flüchtlinge sind es derzeit durchschnittlich 13,2 Monate, und für iranische Flüchtlinge beträgt die Dauer 17,1 Monate. Das ist natürlich ein Problem, aber unsere Vorstellungen für eine Lösung sind andere als Ihre. Sie lauten: mehr Personal, beschleunigte, vereinfachte Verfahren für offensichtlich Schutzberechtigte, längere Aufenthaltserlaubnisse und keine Wiedervorlage der Prüfungen.

(Abg. Özdal [Bündnis 90/Die Grünen] meldet sich zu einer Zwischenfrage. – Glocke)

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Özdal?

Ja, selbstverständlich!

Bitte, Herr Özdal!

Frau Leonidakis, Sie haben gerade gesagt, dass die Flüchtlinge in der Türkei ausgebeutet werden. Auf welche Erkenntnisse stützen Sie diese Äußerung?

Auf verschiedenste Medienberichte. Bestreiten Sie denn, dass es ausbeuterische Arbeitsverhältnisse von Flüchtlingen in der Türkei gibt?

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Özdal?

Ja, bitte!

Bitte, Herr Özdal!

Das bestreite ich entschieden! Können Sie mir Ihre Quellen nennen, aus welchen Medien Sie diese Erkenntnisse haben?

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: „DIE ZEIT“, „Spiegel Online“!)

Herr Kollege, das liefere ich Ihnen sehr gern nach.

Frau Leonidakis, auch Ihre Redezeit ist leider abgelaufen. Einen Satz würde ich noch zulassen.

Ich muss, glaube ich, nicht mehr sagen. Es gibt ja auch noch eine zweite Runde. Wir haben andere Vorstellungen von der Lösung der Probleme und lehnen Ihren Antrag ab. – Danke!

(Beifall DIE LINKE)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Zicht.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will Ihnen, Frau Steiner, ja zugestehen, dass Ihr Antrag nicht so ganz leicht zu durchschauen ist, auch hinsichtlich seiner Auswirkungen, aber dass Sie in der Debatte diejenige sind, die offensichtlich am wenigsten von dem Antrag verstanden hat, hat mich dann schon gewundert.

Die Kollegen haben es bereits erläutert, im Kern schlagen Sie vor, das Aufnahmeverfahren für Bürgerkriegsflüchtlinge künftig nicht mehr vom BAMF, sondern von der Ausländerbehörde bearbeiten zu lassen. Die Betroffenen sollen auf eigenen Wunsch hin, so verstehe ich zumindest die Regelung in Paragraf 24 a Absatz 2, keinen Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention über drei Jahre oder subsidiären Schutz über ein Jahr mehr bekommen, sondern einen sogenannten vorübergehenden humanitären Schutz über ebenfalls ein Jahr.

Das Recht auf Familiennachzug soll stark eingeschränkt sein und weit hinter dem zurückbleiben, was den Betroffenen bisher zusteht. Das ergibt sich aus Paragraf 29 Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes in Ihrem Entwurf. Die dort vorgesehene Regelung wollen Sie nämlich für diesen humanitären vorübergehenden Schutz für anwendbar erklären, und das bedeutet, dass man zum Beispiel, wenn man sich als Familie nicht schon in dem Heimatland getrennt hat, sondern beispielsweise die Frau und die Kinder in einem Lager in der Türkei zurückgelassen hat, nicht berechtigt wäre, trotz des anerkannten Status die Familie nachziehen zu lassen. Das ist eine ganz klare Verschlechterung gegenüber dem, was bei einem subsidiären Schutz oder auch nach dem Schutz aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt wird.

Wir Grüne lehnen diesen Ansatz daher ab.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)