Wilko Zicht
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Herr Präsident – der mich ermahnt, die fünf Minuten einzuhalten –, meine Damen und Herren! Dass wir den Antrag heute hier nicht beerdigen, Frau Vogt, ist in der Tat weniger dem Inhalt der einzelnen Beschlusspunk te geschuldet, sondern mehr der Wichtigkeit des Themas. Herr Zenner, Sie greifen natürlich damit ein Thema auf, dessen regelmäßige Befassung der Innendeputation wegen seiner Bedeutung gut zu Gesicht steht.
Von den schweren Straftaten, die es gibt und die für die Opfer oftmals ein traumatisches Erlebnis darstellen, ist der Wohnungseinbruch sicherlich die am häufigsten vorkommende Straftat. Darum kann ich für meine Fraktion erklären, dass wir gern bereit sind, ergebnisoffen in der Innendeputation mit Ihnen zu debattieren, was man vielleicht noch intensiver oder anders machen kann. Es gibt ja auch noch einen zweiten Antrag zu dem Thema – ich weiß gar nicht, ob Herr Hinners sich noch daran erinnert –, der vor ziemlich genau einem Jahr in die Deputation über wiesen wurde – –.
Weil ich neulich in der Deputation daran erinnern musste! Er war nämlich schon längst vergessen wor den.
Da ging es um Predictive Policing, das ist dann ja auch vielleicht eine Maßnahme, über die man spre chen muss, aber wir müssen uns noch einmal genau anschauen, ob das wirklich etwas bringt oder nur ein Polizeipendel ist, also eher zur Sicherheitsesoterik gehört, das ist ja bei Ihren Vorschlägen nicht immer so ganz einfach auseinanderzuhalten. Man muss na türlich auch die Frage stellen, ob das nicht vielleicht einfach ein Mittel ist, wie clevere Firmen derzeit eine Profitchance ergreifen, um dem Handlungsdruck der Sicherheitsbehörden ein bisschen abgewinnen zu können.
Wir können übrigens auch gern die Punkte diskutie ren, die die CDU-Innenminister jetzt in ihrer „Berli ner Erklärung“ zu dem Thema vorgetragen haben. Es hat mich eben gewundert, dass Frau Schnittker das gar nicht erwähnt hat. Darin stand ja zum Bei spiel, dass der einfache Wohnungseinbruchdiebstahl auch zu den Tatbeständen zählen soll, für die eine Telekommunikationsüberwachung möglich ist. Zur Diskussion gehört dann allerdings, dass wir uns auch
darüber unterhalten, ob denn die Voraussetzungen gegeben sind.
Es muss zum einen eine besonders schwere Straftat sein – ich würde sagen, das ist angesichts der Folgen, die ein Wohnungseinbruch oftmals für die Opfer hat, auf jeden Fall gegeben –, und die zweite Vor aussetzung ist, dass die Tat anders nicht aufklärbar ist – das ist leider in der Regel bei einem Wohnungs einbruchdiebstahl der Fall –, und dann ist für mich die entscheidende Frage, ob nach kriminalistischer Erfahrung davon auszugehen ist, dass ein Zugriff auf Daten der TKÜ oder der Verkehrsüberwachung tatsächlich ein erfolgreicher Ermittlungsansatz ist. Wir kennen die KFN-Studie zu Bremerhaven, in der die Effektivität der Funkzellenabfrage bei Wohnungsein brüchen untersucht wurde, und das war nun nicht sehr hoffnungsvoll.
Der Unterschied ist eben, dass wir genau hinschau en, bevor wir Forderungen aufstellen. Wir schauen genau hin, ob es denn der Sicherheit wirklich dient, und zu den Forderungen, die der inneren Sicherheit sicherlich nicht dienen, gehört das Thema einer schärferen Bestrafung. Die CDU-Innenminister for dern, den sogenannten minderschweren Fall des Wohnungseinbruchdiebstahls abzuschaffen. Das ist wieder nur ein Ausdruck Ihres tiefen Misstrauens, das Sie gegenüber der Justiz haben und auch eben wieder unter Beweis gestellt haben!
Den Vorschlag von Herr Zenner, eine Sonderermitt lungsgruppe für die ganze Stadt – so habe ich Ihren Vorschlag verstanden – aufzustellen, können wir gern diskutieren, aber bisher waren die Erkenntnisse ja eher so, dass die Täter vor allem in ihrem Umkreis von zwei oder drei Kilometern tätig werden, sodass es mehr Sinn ergibt, behördliche Ermittlungsgruppen aufzustellen, die entsprechend vernetzt sind, wie es ja auch bisherige Praxis ist. Das habe ich zumindest Ihrem Antrag so nicht entnehmen können.
Ich würde mir gern in der Innendeputation auch einmal erklären lassen, ob die bisher vorliegenden Studien, die sich ja immer nur auf das Hellfeld beziehen, vielleicht doch ein bisschen zu kurz greifen, wenn es darum geht, ob nicht auch reisende Tätergruppen eine größere Rolle spielen, als es bisher bekannt ist.
Jedenfalls steht fest, die Aufklärungsquote von zum dritten Mal hintereinander weit unter zehn Prozent macht mir große Sorge und kann uns natürlich in keiner Weise zufriedenstellen. Allerdings will ich auch in dem Zusammenhang auf die KFN-Studie hinweisen, aus der sich ergab, dass die Unterschiede in den Aufklärungsquoten vor allem darauf zurück zuführen sind, dass die Städte mit scheinbar hohen Aufklärungsquoten oftmals nach der Begehungsart vergleichbare Fälle ermittelt und sie an die Staats anwaltschaft weitergegeben hatten nach dem Motto
„Das ist dann vielleicht auch der gleiche Täter!“. Das hat sich dann allerdings zumindest nicht in der erforderlichen Beweiskraft erwiesen, und darum war dann die Verurteilungsquote in allen Städten ungefähr gleich groß, also selbst dort, wo es eine angeblich hohe Aufklärungsquote gab, waren es am Ende nicht mehr rechtskräftig verurteilte Täter, sodass man mit der Statistik an dem Punkt wirklich vorsichtig sein muss.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen! Die Aufklärung soll jedenfalls nicht am fehlenden Personal scheitern, darum haben wir das in den Haushaltsberatungen schon ihrem Vorschlag entsprechend beschlossen. Ich freue mich auf alle weiteren Debatten in der Deputation. – Vielen Dank!
Wir fragen den Senat:
Erstens: Aus welchen Gründen trugen bei den diesjährigen Demonstrationseinsätzen am 24. Januar und 28. Februar, jeweils in Bremerhaven, und am 26. März in Bremen mehrere Polizistinnen und Polizisten keine individuelle Kennzeichnung auf ihrer Uniform, obwohl es sich augenscheinlich um geschlossene Einsatzeinheiten handelte?
Zweitens: Woran können Bürgerinnen und Bürger im Einzelfall erkennen, ob es sich um Polizeivollzugsbedienstete in Einsatzeinheiten bei geschlossenen Einsätzen handelt, die eine individuelle, fünfstellige numerische Rücken- und Frontkennzeichnung zu tragen verpflichtet sind?
Drittens: Inwieweit findet der Erlass des Senators für Inneres vom 23. März 1967 bei der Polizei Bremen und der Ortspolizeibehörde Bremerhaven noch Anwendung, wonach Polizeivollzugsbedienstete verpflichtet sind, auf Verlangen ihren Dienstausweis vorzuzeigen und eine Namenskarte zu überreichen?
Ich habe Ihrer Antwort entnommen, dass es durchaus nicht ungewöhnlich ist, wenn es in Großeinsätzen der Polizei Polizistinnen und Polizisten gibt, die keine Kennzeichnung tragen, weil sie aus den normalen Einheiten kommen. Nun wollen wir gerade bei solchen Einsätzen eine Kennzeichnung. Darum erscheint mir besonders wichtig, dass der Erlass, den damals Innensenator Koschnick in die Welt gesetzt hat, auch Anwendung findet.
Er sieht vor, dass es eine Ausweispflicht gibt. Weil auch der Erlass beschreibt, dass es dem Vorgesetzten zu melden ist, wenn der Ausweis nicht vorgezeigt wird, frage ich, ob es in den letzten Jahren vorgekommen ist, dass Polizistinnen ihren Dienststellenleiter darüber informiert haben, dass sie einer Bitte um Vorzeigen des Ausweises nicht nachgekommen sind.
Herr Staatsrat, stellt es nach Ansicht des Senats eine Verletzung der Dienstpflicht vor, wenn ein Polizist das Vorzeigen des Dienstausweises verweigert, wenn es in der konkreten Situation zumutbar ist und die Amtshandlung dadurch nicht gefährdet ist?
Nun sind Bremer Polizeibeamte auch oftmals in anderen Bundesländern im Einsatz. Tragen sie dort eigentlich auch ihre Kennzeichnung, wenn die Voraussetzungen, die in Bremen dafür festgeschrieben sind, bei dem Einsatz in dem anderen Bundesland gegeben sind?
Kritiker der Kennzeichnungspflicht hatten vorhergesagt, dass es dazu kommen könnte, dass Polizisten zu Hause aufgesucht oder bedroht werden könnten. Sind dem Senat solche Fälle seit Einführung der Kennzeichnungspflicht bekannt geworden?
Dann möchte ich vielleicht doch noch einmal zur Klarstellung fragen: Gibt es einen Zusammenhang zur Kennzeichnungspflicht, oder geht es eher darum, die Bilder der Polizisten mit oder ohne Kennzeichnung zu veröffentlichen?
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Angriffe gegen Polizeibeamte sind ein ernstes und wichtiges Thema. Eine Polizei, die unsere Bürgerrechte wahrt und schützt, ist für einen funktionierenden Rechtsstaat unverzichtbar.
Gewalttätige Attacken auf die Polizei sind daher völlig inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen.
Man kann allerdings finden, dass die vorliegende Anfrage vielleicht einen etwas falschen Fokus setzt. Diese Beiträge auf der Indymedia-Plattform, um die es in der Anfrage geht, sind zweifellos eine üble Geschmacklosigkeit. Darüber müssen wir nicht diskutieren. Aber wer glaubt ernsthaft, irgendjemand würde Polizeibeamte nur deshalb angreifen, weil er damit in der Randale-Bundesliga auf Indymedia ein paar Punkte sammeln kann? Ich halte das für Quatsch.
Auch wenn es auf Indymedia Randale-Bundesliga heißt, geht es dabei nicht, wie man vielleicht meinen könnte, um Fußball, sondern um Linksautonome. Das geht in der Anfrage und dann auch in der Antwort manchmal ein bisschen durcheinander. Einigermaßen absurd wird es, wenn es zum Vorfall in der Silvesternacht in Lesum heißt:
„Die Motivation der Täter ist bisher nicht nachvollziehbar. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Tat für die Randale-Tabelle verübt wurde.“
Wenn man nichts über das Motiv weiß, kann man auch nichts ausschließen. Das ist so richtig wie banal. Ist es aber sinnvoll, einen Zusammenhang herzustellen, für den objektiv rein gar nichts spricht? Ich denke, nicht. Es muss um Fakten und nicht um Spekulationen gehen.
Unabhängig davon, wer für einzelne Vorfälle verantwortlich ist, stellt sich natürlich die Frage: Was tun? Wie verringern wir das Risiko für unsere Polizistinnen und Polizisten, Opfer von Gewalt zu werden? Ein Instrument dazu haben wir vor zwei Wochen in der Innendeputation beschlossen und auf den Weg gebracht, die sogenannten Body-Cams. Wir glauben, dass solche Body-Cams tatsächlich einen präventiven Effekt haben können. Wir werden das demnächst auch hier in der Bürgerschaft debattieren.
Nach wie vor skeptisch sind wir aber, was den sogenannten Schutzparagrafen angeht. Es gibt, wie bereits erwähnt, Bundesratsinitiativen von Hessen und dem Saarland, einen neuen Straftatbestand für tätliche Angriffe auf Polizeikräfte, Feuerwehrleute und Angehörige des Rettungsdienstes zu schaffen. Ganz wichtig: Wir reden hier nicht von Schutzlücken, die geschlossen werden sollen, sondern es geht lediglich um Verschärfungen des Strafmaßes. Dabei geht es aber nicht nur um Hasskriminalität, bei der aus menschenverachtenden Motiven Polizisten angegriffen werden. Für solche Straftaten wurde kürzlich erst der Paragraf 46 des Strafgesetzbuches geändert. Die von Hessen und dem Saarland beantragten Änderungen betreffen hingegen auch minderschwere Fälle, bei denen gerade keine brutale Gewalt ausgeübt wurde und die aus einer möglicherweise hektischen Situation eines Polizeieinsatzes heraus entstanden sind. Auch solche minderschweren Fälle müssen natürlich verfolgt werden. Aber wenn dabei in jedem Fall drakonische Mindeststrafen verhängt werden müssen, wird das nach meiner Überzeugung nicht zu mehr Respekt vor der Polizei führen, sondern es kann die Gräben noch vertiefen, und damit wäre den Polizeibeamtinnen und ‑beamten am allerwenigsten gedient.
Das Strafmaß für Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte wurde erst vor wenigen Jahren deutlich angehoben. Wir sollten es den Gerichten nicht noch schwerer machen, Einzelfallgerechtigkeit walten zu lassen. Jeder Einzelfall ist anders, und die Richter und die Schöffen an den Gerichten sind durchaus in der Lage, bei geltender Rechtsgrundlage alle relevanten Aspekte in das Strafmaß einfließen zu lassen.
Wer glaubt, durch ein höheres Strafmaß würden solche Straftaten verhindert, macht sich und anderen etwas vor.
Wenn man sich die wissenschaftliche Forschung von Gewalt gegen Polizei anschaut, stößt man interessanterweise vor allem auf drei Personengruppen, die besonders oft durch Gewalt gegen Polizeikräfte auffallen. Das sind erstens stark alkoholisierte Menschen, zweitens Menschen mit Migrationshintergrund und drittens Menschen, die selbst schon einmal Opfer von polizeilichem Fehlverhalten wurden oder bei denen es solche Menschen im persönlichen Umfeld gibt. Soweit die wissenschaftlichen Erkenntnisse! Wer das Problem von Gewalt gegen Polizisten also ernsthaft an der Wurzel packen will, muss sich daher vor allem mit diesen drei Personengruppen beschäftigen.
Wie schaffen wir es, den übermäßigen Konsum von Alkohol zu bekämpfen? Da sollte es nicht um Verkaufs- oder Konsumverbote gehen. Aber wieso ist eigentlich Alkoholwerbung noch immer fast uneingeschränkt erlaubt?
Auch Warenhinweise wie bei Zigaretten wären sinnvoll.
Wie schaffen wir es, das Ansehen der Polizei auch bei Menschen mit Migrationshintergrund zu fördern? Wir brauchen mehr Polizistinnen und Polizisten, die selbst Migrationshintergrund haben.
Interkulturelle Kompetenz muss noch eine viel wichtigere Rolle in der Ausbildung spielen.
Nicht zuletzt die Frage: Wie schaffen wir eine bessere Fehlerkultur innerhalb der Polizei, denn Gewalt erzeugt Gegengewalt, und wenn einzelne Polizisten bei der Ausübung des Gewaltmonopols über die Stränge schlagen, dann schürt dies Unmut, der sich bei nächster Gelegenheit gegen die Polizei entladen kann.
So sind auch die Erkenntnisse, die im Auftrag der Innenministerkonferenz durch Christian Pfeiffer und seine Kollegen in Niedersachsen herausgefunden wurden! Das kann man auch einfach einmal zur Kenntnis nehmen!
Nein! Darum ist es im besten Interesse aller Polizistinnen und Polizisten, wenn wir unseren Rechtsstaat entschieden verteidigen, gegen Angriffe von außen, aber auch gegen Grenzüberschreitungen von innen.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns hier nicht in Symboldebatten verlieren, sondern über konkrete Maßnahmen reden, die tatsächlich helfen, Gewalt gegen Polizeikräfte einzudämmen. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Röwekamp, ich finde, bei einem Antrag geht es schon eher darum, was geschrieben wurde, und nicht, wie es gemeint war. Deshalb müssen Sie sich schon vorhalten lassen, was Sie geschrieben haben.
Aber Danke, dass Sie es richtiggestellt haben! Allerdings weise ich noch einmal darauf hin, dass Sie etwas anderes geschrieben haben. Ich möchte auch noch einmal auf das Thema – –.
Jetzt rede ich, Frau Vogt. So weit war ich ja noch gar nicht. – Zu Beschlusspunkt 2 Ihres Antrags hat Herr Zenner schon die Schleierfahndung angesprochen. Das geht wieder in die völlig falsche Richtung. Die Polizei muss sich endlich wieder darauf konzentrieren, konkreten Verdachtsmomenten nachzugehen.
Diese anlasslosen Kontrollen und Überwachungsmaßnahmen sind nicht nur ungeeignet und verstoßen gegen die Rechte der grundlos Betroffenen, sondern gerade die Schleierfahndung führt zwangsläufig auch zu rassistischer Polizeipraxis, weil im Zweifelsfall eben das Aussehen entscheidet, ob man kontrolliert wird oder nicht. Die Beschäftigung mit solchen Maßnahmen verstellt bei der Polizei den Blick auf Ermittlungsdefizite und vernichtet Ressourcen, die für anlassbezogene Ermittlungstätigkeiten dringend nötig wären.
Auch was im Antrag der CDU über die Arbeit unserer Justiz steht, lehnen wir ab. Die CDU schreibt:
„Die Justiz muss … deutlicher als bisher den straf- und aufenthaltsrechtlich möglichen Rahmen ausnutzen. Generalpräventive Aspekte und der Schutz der Bevölkerung müssen … eine höhere Rolle als bisher spielen.“
Das ist etwas umständlich formuliert, aber letztlich heißt es nichts anderes als: Unsere verweichlichte Justiz geht viel zu lasch mit Kriminellen um.
Sehen Sie, das habe ich also richtig interpretiert!
Genau. Die CDU spricht damit nicht nur den hauptamtlichen Richterinnen und Richtern das Misstrauen aus, sondern auch den ehrenamtlichen Bürgerinnen und Bürgern, die als Schöffinnen und Schöffen an den Urteilen beteiligt sind. Das ist nicht nur Populismus, das ist schlicht eine Unverschämtheit!
Richtig ist, dass die Justiz oft nicht schnell genug arbeitet. Wenn ein Urteil erst Jahre nach der Tat gesprochen werden kann, sind die Gerichte gezwungen, die Strafe entsprechend abzumildern. Daher wäre es tatsächlich wünschenswert, nicht nur die Polizei, sondern auch die Justiz personell aufzustocken. Den Gerichten aber per se abzusprechen, dass sie die geltenden Strafrahmen, bezogen auf den jeweiligen Einzelfall, gerecht und angemessen anwenden, überspannt nun wirklich den Bogen. Was die CDU da in ihrem Antrag vorschlägt – Verschärfung von Strafandrohungen, Erhöhung von Mindeststrafen, verschärfte Regeln für die Aussetzung von Strafen zur Bewährung, eine Begrenzung der Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts – und was einem Rückfall in wirklich finstere Zeiten des Strafrechts gleichkommt, werden wir Grüne nicht mittragen.
Zu guter Letzt schlägt die CDU vor, mit einer speziellen Strafbewährung der Gewaltbereitschaft gegen Polizei und Rettungskräfte entgegenzuwirken. Das ist auch eine bekannte Forderung der Polizeigewerkschaften. Ich kann diese Forderung bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen. Wir Grüne setzen uns dafür ein, dass bei Hassverbrechen, bei denen die Täter aus Hass und Menschenverachtung handeln, konsequenter ermittelt und diese zur Anklage gebracht werden. Ich könnte mir vorstellen, dass man diesen Gedanken etwas weiter fasst, als wir es bisher tun. Bisher geht es vor allem um Straftaten gegen Menschen anderer Herkunft oder Hautfarbe, gegen Schwule, Lesben oder Transgender, gegen Juden, Muslime, Jesiden, gegen Menschen mit Behinderungen oder gegen Obdachlose. Man kann das auch auf Fälle übertragen, in denen Polizisten aus purem Hass angegriffen und als „Bullenschweine“ gleichsam entmenschlicht werden, aber für jede einzelne Straftat gegen Polizeibeamte, selbst wenn sie aus der Situation heraus geschieht, drakonische Strafen vorzuschreiben und den Gerichten die Möglichkeit zu nehmen, Einzelfallgerechtigkeit walten zu lassen, ergibt keinen Sinn. Das nützt der Polizei nicht, sondern schadet ihrem Ansehen.
Zum Schluss noch eine Anmerkung zum subjektiven Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung, das Sie in Ihrem Antrag mehrmals ansprechen. Das ist selbstverständlich ein sehr wichtiger Punkt; denn weder im öffentlichen Raum noch im Internet oder zu Hause sollten sich Menschen unsicher fühlen müssen. Drohungen oder gar Übergriffe dürfen deshalb nicht unerwidert bleiben und müssen verfolgt werden. Aber
das subjektive Sicherheitsempfinden hängt nicht nur von der objektiven Sicherheitslage ab, sondern es spielt auch eine große Rolle, wie wir öffentlich über die Sicherheitslage debattieren.
Das haben Sie heute auch angesprochen. Ein zentraler Pfeiler unseres Rechtsstaates ist das Vertrauen in die Fähigkeit der Polizei, Straftaten zu verhindern und Kriminalität zu bekämpfen. Darum darf man unseren Rechtsstaat auch nicht schlechter reden, als er ist.
Letzter Satz: Ein Rechtsstaat, der sich aus Achtung vor den Bürgerrechten bewusst zurücknimmt, wenn es um die Beschneidung von Freiheiten geht, und stattdessen Kriminalität schon im Vorfeld durch Bildung, Prävention und Integration bekämpft, ist stärker, als ein autoritärer Staat jemals sein könnte. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Röwekamp, Sie haben eben wieder genau das falsche Verständnis, die falsche Einstellung zum Bundesverfassungsgericht an den Tag gelegt, die ich Ihnen vorhin vorgeworfen habe.
Es geht nicht darum, dass man einfach einmal etwas versuchen könnte, weil es ja so furchtbar schwierig ist, die Grundrechte zu wahren und das einfach einmal zu korrigieren, wenn es vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde. Nein, man kann sich von vornherein mit dem entsprechenden Respekt vor den Grundrechten auf den Weg machen, ein Gesetz zu erlassen, das die Verfassung einhält. So schwer ist das nicht. Das bekommen andere auch hin.
Vielleicht können Sie als Jurist mir als Nichtjuristen ja einmal erklären, wie ich die Kostenentscheidung des gestrigen Urteils zu verstehen habe, wenn es denn so ist, dass die Beschwerdeführer im Wesentlichen nicht Recht bekommen hätten und das Gericht nur kleine Einzelheiten für verfassungswidrig erklärt habe. Die Kostenentscheidung lautete: 100 Prozent Kostenerstattung für die Beschwerdeführer. Soweit ich als Nichtjurist informiert bin – das können Sie mir vielleicht besser erklären – bedeutet das, dass das Bundesverfassungsgericht der Meinung ist, dass die Verfassungsbeschwerden im Wesentlichen berechtigt sind.
Das sind nämlich die Billigkeitsgrundsätze, nach denen das entschieden wird. – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, ob Sie es wissen: Heute ist zufällig der „420 Day“, der internationale Marihuana-Tag. Die Tradition besagt, dass man sich um 20 nach vier draußen trifft und gemeinsam einen Joint zieht. Deswegen empfehle
ich Ihnen, der Debatte bis zum Schluss beizuwohnen; sonst machen Sie sich möglicherweise verdächtig.
Zehn Monate nach Beginn der Wahlperiode debattieren wir hier in der Bürgerschaft heute erstmals über die rot-grünen Vorhaben in Sachen Cannabis. Zehn Monate, allein dieser lange Zeitraum zeigt schon, dass der gelegentlich zu hörende Vorwurf, die Koalition wolle mit diesem Thema nur von irgendwelchen anderen politischen Fragen ablenken, nun wirklich Quatsch ist. Der politische Umgang mit Cannabis ist ein Thema, das in aller Munde ist – kein Wunder, wenn man bedenkt, dass ziemlich viele Menschen von der Kriminalisierung unmittelbar betroffen sind.
Nach den vor zwei Wochen veröffentlichten Zahlen der Drogenbeauftragten der Bundesregierung haben über 20 Prozent der jungen Männer in Deutschland in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert. Sie alle gelten somit als kriminelle Straftäter. Zwar ist der Konsum, im Gegensatz zum Besitz, für sich genommen straffrei, aber man kann schwerlich Cannabis konsumieren, ohne es zu besitzen. Selbst wer nur einmal an einem fremden Joint zieht und ihn dann weiterreicht, macht sich strafbar, denn das gilt dann als sogenannte Abgabe von Betäubungsmitteln.
In Bremen wurden zuletzt Jahr für Jahr über 2 500 Strafverfahren wegen des bloßen Besitzes oder Erwerbs von Cannabis eingeleitet. In zwei Dritteln aller Fälle sind Erwachsene älter als 21 Jahre betroffen. Etwa 1 000 Verfahren vor Bremer Gerichten wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz enden Jahr für Jahr tatsächlich mit einer Verurteilung, und bei über 10 000 Personen hat die Polizei Bremen in ihrem Informationssystem INPOL den sogenannten personenbezogenen Hinweis „BTM-Konsument“ eingetragen – bei über 10 000 Personen! Der ploppt dann bei jeder Personalienkontrolle auf.
Viele Bremerinnen und Bremer haben durch die Strafverfolgung ihres Cannabiskonsums und die damit verbundene Stigmatisierung richtig Probleme bekommen, sei es privat oder beruflich. Wenn immer gesagt wird, bei geringen Mengen habe doch niemand etwas zu befürchten, dann ist das schlicht falsch.
Ich glaube, es ist letztlich ähnlich wie in der Causa Böhmermann und beim Paragrafen 103 Strafgesetzbuch, worüber wir heute Vormittag diskutiert haben: Wenn der Staat mit seiner schärfsten Waffe, dem Strafrecht, gegen Menschen vorgehen will, dann braucht er dafür verdammt gute Gründe. Diese guten Gründe gibt es hier aber nicht, und das macht die Cannabis-Prohibition so unerträglich.
Ich will gar nicht behaupten, Cannabis sei eine harmlose Droge. Auch wenn Cannabis unter dem Strich etwas weniger schädlich sein mag als Alkohol, so hat es doch ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotenzial. Insbesondere für Jugendliche ist Cannabis alles andere als harmlos. Aber die Kriminalisierung minimiert eben die Gefahren nicht, sondern verschlimmert sie noch.
Ich will auch nicht behaupten, die Kriminalisierung würde keinen einzigen Menschen vom Drogenkonsum abhalten. Natürlich gibt es Menschen, auf die das Strafrecht tatsächlich in gewisser Weise abschreckend wirken mag. Aber umgekehrt hat gerade bei Jugendlichen eben auch das Verbotene seinen besonderen Reiz. Vor allem aber zeigen alle internationalen Vergleiche, dass die Prohibition, wenn überhaupt, nur einen allenfalls minimalen Einfluss auf die Verbreitung des Cannabiskonsums in der Gesellschaft hat. Ganz eindeutig und unbestreitbar ist, dass die Kriminalisierung jede Menge gravierender Kollateralschäden anrichtet.
Kriminelle Märkte kennen nämlich weder Jugendschutz noch Verbraucherschutz. Auf kriminellen Märkten haben Kriminelle das Sagen; der Staat verliert völlig die Kontrolle. Auf kriminellen Märkten gilt das Recht des Stärkeren, es regieren Gewalt und Einschüchterung, Menschen werden getötet. Weltweit profitieren Drogenmafia und Drogenkartelle, der Rechtsstaat hat das Nachsehen. Kriminelle Märkte kommen dem Staat teuer zu stehen: Ihm entgehen Steuereinnahmen, gleichzeitig muss er hohe Kosten für Polizei und Justiz aufwenden.
Aus all diesen Gründen ist es höchste Zeit, nach neuen Wegen in der Drogenpolitik zu suchen. Ich bin unserem Koalitionspartner – insbesondere der Kollegin Steffi Dehne – sehr dankbar, dass er diesen Weg mit uns gemeinsam gehen möchte.
Auch bei der SPD auf Bundesebene scheinen mittlerweile einige Fronten aufzubrechen. Aber die Bremer SPD-Fraktion ist da schon noch ein bisschen weiter, und davor habe ich großen Respekt.
Für den richtig großen Umschwung hin zu einer rationalen Drogenpolitik braucht es Mehrheiten im Bundestag. Die scheinen derzeit noch nicht zu bestehen, jedenfalls nicht vor der kommenden Bundestagswahl im nächsten Jahr. Aber als Bundesland
hat Bremen schon heute gewisse Spielräume, und wir sind fest entschlossen, diese Spielräume auszureizen.
Darum geht es in unserem Antrag. Meine Kollegin Dr. Kappert-Gonther wird gleich in der zweiten Runde aus der Perspektive der Gesundheitspolitikerin, Psychiaterin und Psychotherapeutin dazu sprechen. In der dritten Runde komme ich dann noch einmal zurück und gehe näher darauf ein, welche Spielräume wir in Sachen Strafverfolgung und Führerschein nutzen wollen. – Erst einmal vielen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bei einigen Argumenten, insbesondere von Herr Bensch, muss ich mich doch ein bisschen wundern, dass Ihnen nicht selber auffällt,
wie unlogisch Sie das hier vorgetragen haben. Sie haben uns, wenn ich Sie richtig verstanden habe, mitteilen wollen, dass die Zahl der Tabaknutzer in diesem Land sehr stark zurückgegangen ist, und wollten damit den Beweis antreten – –.
Genau, eben! Das Argument ist doch eigentlich: Man kann auch ohne sinnlose Verbote durch Prävention und Aufklärung eine ganze Menge erreichen und Konsumentenzahlen runterkriegen, und deswegen braucht man eben keine Verbotspolitik, die mehr Schaden anrichtet als nutzt.
Ich will noch einmal zurück auf das Thema Strafverfolgung kommen. Unser Grundgesetz geht von einem bestimmten Menschenbild aus, und zwar von dem Menschenbild eines mündigen Bürgers, der über seine private Lebensführung selbst bestimmen kann. Zu dieser privaten Lebensführung gehört eben auch, die eigene Gesundheit gefährden zu dürfen. Wer lieber zu Schokolade greift als zu Obst und Gemüse, darf das tun, und Sie können sich vorstellen: Ich spreche da aus Erfahrung.
Wer sich beim Boxsport auf die Nase hauen lassen will, der darf das tun. Sogar wer seinem eigenen Leben ein Ende setzen will, darf das tun.
Der Staat hat die Aufgabe, Hilfe anzubieten. Aber ein paternalistischer Staat, der den eigenen Bürgerinnen und Bürgern mithilfe des Strafrechts verbieten will, sich selbst zu schädigen, maßt sich etwas an, was ihm nicht zusteht. Genau das passiert im Betäubungsmittelrecht, und damit muss Schluss sein!
Das Bundesverfassungsgericht hat 1994 entschieden, dass die Strafbarkeit des Cannabisbesitzes nur dann so gerade eben noch verfassungsgemäß ist, wenn im Fall von geringen Mengen zum Eigengebrauch von der Strafverfolgung abgesehen wird. Die entsprechende Vorschrift dazu befindet sich im Paragrafen 31a Betäubungsmittelgesetz. Dieser Paragraf 31a gibt uns nun als Bundesland einen ganz erheblichen Spielraum, denn was genau unter einer geringen Menge zu verstehen ist, steht da nicht. Das können die Bundesländer selbst definieren.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Bundesländern aufgetragen, für eine möglichst einheitliche
Handhabung zu sorgen. Unionsgeführte Länder haben sich leider sehr hartnäckig einer Anhebung auf ein angemessenes Niveau verweigert, und das hat wiederum in den letzten 20 Jahren dafür gesorgt, dass die Grenzwerte in vielen Ländern immer weiter abgesunken sind. Ende der Neunzigerjahre gab es noch Länder, in denen bis zu 30 Gramm Canabis als geringe Menge galt. Mittlerweile haben sich die meisten Länder auf dem Niveau Bayerns eingefunden: Das bedeutet sechs Gramm. Auch in der Bremer Staatsanwaltschaft hat sich eine gewisse Praxis etabliert, die Grenze bei sechs Gramm anzusetzen. Verlassen kann man sich darauf aber auch in Bremen nicht: Manche Staatsanwälte halten sich nicht daran. Anders als in anderen Bundesländern hat das bremische Justizressort bisher keine Verfügung erlassen, die der Staatsanwaltschaft hier klare Richtlinien vorgibt.
Aus diesen Gründen gibt es in Bremen bisher noch viel zu viele Verfahren wegen Cannabisbesitz von geringen Mengen zum Eigengebrauch, und das wollen wir ja gerade ändern. Wir Grüne wollen, dass sich Bremen bei der geringen Menge an Berlin, Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz orientiert, wo die Grenze bisher bei 15 beziehungsweise 10 Gramm liegt. Auf eine feste Vorgabe an den Senat haben wir im Antrag verzichtet, weil im Geiste der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts versucht werden sollte, möglichst mit weiteren Bundesländern gemeinsam eine Anhebung zu vereinbaren.
Noch einmal zum Thema Führerschein! Nicht nur im Strafrecht werden Alkohol und Cannabis krass unterschiedlich behandelt, sondern eben auch im Führerscheinrecht. Wer eine Kiste Bier im Kofferraum seines Autos stehen hat, bekommt keine Probleme, solange er selbst nüchtern am Steuer sitzt. Wer aber im Handschuhfach ein Gramm Marihuana liegen hat, ist ganz schnell seinen Führerschein los, selbst wenn er das Zeug seit Tagen nicht angerührt hat. Das liegt daran, dass die Führerscheinstelle schon beim bloßen Besitz kleinster Mengen ein Drogenscreening anordnen kann. Wenn dabei herauskommt, dass man regelmäßig Cannabis konsumiert, ist man den Führerschein los, selbst wenn man sich noch nie berauscht ans Steuer gesetzt hat. Selbst wenn das Drogenscreening ergibt, dass man nur gelegentlich Cannabis konsumiert – da reichen schon zweimal innerhalb von ein paar Monaten –, kann man Probleme kriegen, denn dann kommt es darauf an, ob man hinreichend zwischen Konsum und Fahren trennen kann.
Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist da dann extrem streng: Selbst wer vor der Autofahrt einige Tage Konsumpause eingelegt hat, riskiert seinen Lappen. Der Grund ist ein viel zu niedriger Grenzwert für den THC-Gehalt im Blut. Selbst einige Tage nach dem letzten Konsum, wenn in aller Regel überhaupt keine Beeinträchtigung des Fahrvermögens mehr vorliegt, kann dieser Grenzwert bei einigen Menschen noch überschritten werden.
Auch viele Bremerinnen und Bremer haben auf diese Weise ihren Führerschein verloren, obwohl sie sich nie unter Cannabiseinfluss hinter das Steuer gesetzt haben. Das hat für die Betroffenen teilweise dramatische Folgen, bis hin zum Arbeitsplatzverlust und dem damit verbundenen sozialen Abstieg.
Glücklicherweise lässt auch die Fahrerlaubnisverordnung den Bundesländern einen gewissen Spielraum, und zwar sowohl was die Grenzwerte angeht als auch, was die Frage angeht, wann die Führerscheinstelle ein Drogenscreening verlangt. Die Verkehrssicherheit geht vor, aber das darf nicht dazu führen, dass selbst verantwortungsvoller Umgang mit Cannabis zum Führerscheinentzug führt.
Das Verkehrsressort ist nun aufgerufen, der Führerscheinstelle im Stadtamt entsprechend klare Vorgaben zu machen. Das Justizressort wird Selbiges gegenüber der Staatsanwaltschaft zu machen haben. Das Gesundheitsressort wird ein Modellprojekt zur legalen Abgabe vorbereiten und sich auf Bundesebene um die Schaffung der dazu nötigen Voraussetzungen bemühen. Die grüne Fraktion wird diese Prozesse jeweils eng begleiten und vorantreiben. – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass heute auch so viele Polizistinnen und Polizisten hier sind und uns bei der Arbeit zuschauen. Ich werbe dafür, dass sich die Kolleginnen und Kollegen dafür bald revanchieren. Sie alle müssten von Frau Eckhardt eine Einladung bekommen haben, einmal eine Nachschicht im Einsatzdienst Mitte-West zu begleiten. Ich habe das letztes Jahr schon gemacht und kann Ihnen versprechen, Sie werden viele spannende Eindrücke von der Polizeiarbeit mitnehmen.
Diese Polizeiarbeit – das ist nicht zu bestreiten – ist zunehmend von Überlastungserscheinungen geprägt. Die Ursachen dafür sind bekannt und wurden teilweise schon genannt. Die geänderte Sicherheits- und Gefährdungslage durch islamistischen Terrorismus und die Flüchtlingsproblematik ist immer stärker in den Vordergrund getreten. Nun kann man sich natürlich hinstellen und sagen, dass die Polizei auch schon vor ein paar Jahren mehr als gut ausgelastet war, oder man kann sagen, dass man einen gewissen Puffer bilden muss, um auf besondere Situationen vorbereitet zu sein. Die Wahrheit ist aber doch auch, dass wir seit Jahren nicht die Mittel haben, generell die öffentliche Verwaltung so auskömmlich auszustatten, dass sie für besondere Herausforderungen langfristig gewappnet ist.
Ich widerspreche Frau Steiner ein Stück weit. Sie haben natürlich recht, wenn Sie sagen, dass die Polizei überaus wichtig ist, um die innere Sicherheit zu gewährleisten. Dass es aber allein Aufgabe der Polizei ist, kann man nun wirklich nicht sagen. Bildung und Soziales ebenso wie auch andere Bereiche sind mindestens genauso wichtig, um Kriminalität von vornherein einzudämmen.
Dass uns in all diesen Bereichen oft die Mittel fehlen, die wir uns wünschen würden, treibt uns alle zur Verzweiflung und quält uns. Ausbaden müssen wir alle es, die gesamte Gesellschaft und nicht zuletzt auch die Polizistinnen und Polizisten. Immerhin hat der Senat die Personalsituation erkannt und wird gegensteuern. Wir haben letztes Jahr schon 120 Anwärter für Bremen und Bremerhaven eingestellt, und dieses Jahr werden es 135 sein. Wir müssen da eine gewisse Kontinuität hineinbringen, weil es natürlich keinen Sinn macht, ständig ein Auf und Ab zu haben. Die Hochschule für öffentliche Verwaltung wird in den nächsten Jahren unter diesem Hochbetrieb stöhnen und ächzen. Es werden dann auch Dozenten im normalen Polizeidienst fehlen, weil die Dozenten kurzfristig irgendwo herkommen müssen. Trotzdem führt daran kein Weg vorbei.
Die Ausbildung dauert drei Jahre, und solange können wir sicherlich nicht warten. Deshalb brauchen wir schnell mehr Tarifangestellte im Polizeidienst. Die Maßnahmen, die damit in Verbindung stehen, wurden teilweise schon genannt. Da geht es um die Aufnahme von kleineren Verkehrsunfällen. Frau Steiner hat sehr eindrücklich geschildert, wie hoch der Aufwand da bisher ist. Es geht auch um die ITForensik. Da ist der Bedarf besonders dringend, weil es viel zu lange dauert, bis Computer, Handys und ähnliche Beweismittel ausgewertet sind. Da wird es demnächst mit Dataport eine Kooperation geben, die hoffentlich Entlastung bringt.
Wichtig bei der Frage der Tarifangestellten ist auch, dass dann, wenn absehbar ist, dass es keine geeig
neten internen Bewerber gibt, nicht monatelang irgendwelche Fristen abgewartet werden müssen, sondern es schnell eine externe Ausschreibung geben kann. Man muss natürlich die Stellen von vornherein hoch genug einstufen, damit man nicht am Ende das Problem hat, dass die frisch eingestellten Angestellten bei dem nächstbesten Jobangebot wieder weg sind. Es ist letztlich teurer, diese ständigen Wechsel zu haben, als von vornherein eine richtige Eingruppierung vorzunehmen.
Wir unterstützen auch die Überlegung, bisherige Polizeiaufgaben vermehrt an externe Stellen zu übergeben. Wir werden das Thema Schwertransporte morgen noch in der Fragestunde haben. Da gibt es derzeit ein Pilotprojekt bei der Polizei Bremen. Auch da müssen die Möglichkeiten noch stärker genutzt werden. Wir müssen über den Objektschutz reden, bei dem die Polizei Aufgaben an private Sicherheitsdienste abgeben kann, aber einfacher ist es auch da natürlich nicht. Wenn wir uns vorstellen, dass die jüdische Synagoge tatsächlich einmal einem Anschlag ausgesetzt ist, müssen wir uns sehr genau überlegen, ob es dann vorstellbar ist, dass das ein privater Sicherheitsdienst abwehren muss.
Schön wäre natürlich, mehr Unterstützung durch den Bund zu erhalten, nicht nur finanziell bei der Bereitschaftspolizei und deren Ausstattung, bei denen der Bund viel zu wenig tut. Der Bund könnte uns auch im Bereich des Strafrechts helfen. Er könnte zum Beispiel Forderungen nachkommen, die seit Jahren und teilweise Jahrzehnten von Juristen und Anwaltskongressen vertreten werden. Muss zum Beispiel eine Beförderungserschleichung, also Schwarzfahren, wirklich eine Straftat sein? Reicht es nicht, das als Ordnungswidrigkeit zu ahnden und das mit dem Opportunitätsprinzip zu untermauern?
Reicht es nicht, das im Wesentlichen durch die Verkehrsbetriebe ahnden zu lassen? Es geht ja nicht darum, es zu legalisieren, es geht nur darum, ein vernünftiges Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen zu erreichen. Das würde Polizei und Justiz entlasten. Es ist geradezu obszön, wie viele Menschen durch Ersatzfreiheitsstrafen in der JVA sitzen, dem ein Schwarzfahrdelikt zugrunde lag. Da sind Aufwand und Nutzen deutlich aus dem Verhältnis geraten.
Ein Thema, das auch diese Woche aktuell geworden ist, ist die Entkriminalisierung von Cannabis. Die Spielräume, die wir hier in Bremen dazu haben, werden die Polizei zugegebenermaßen erst einmal
nicht entlasten können. Wir haben vor, die geringe Menge, bei der die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen kann, möglichst im Einklang mit anderen Bundesländern neu zu justieren. Die Polizei wird dann leider weiterhin dem Legalitätsprinzip verpflichtet sein und jede einzelne Tat zur Anzeige bringen müssen, aber die Justiz wird entlastet. Es gibt bisher Jahr für Jahr fast 1 000 Verurteilungen wegen Cannabisbesitz, und eine Entlastung in diesem Bereich würde natürlich mittelbar auch der Arbeit der Polizei zugutekommen.
Im Wesentlichen muss aber der Bund zu einer klareren Entkriminalisierung des Cannabiskonsums kommen, damit wir bei den völlig sinnlosen Anzeigen – im letzten Jahr waren es 2 700, die die Polizei deswegen aufnehmen musste – zu einer Entlastung kommen. – Das sind ein paar konkrete Vorschläge, wie die Polizei entlastet werden kann, ohne dass es uns besonders wehtut.
Zur Ehrlichkeit gehört aber natürlich, zu sagen, dass wir Maßnahmen werden treffen müssen, die richtig wehtun. Ein Vorgeschmack darauf bietet schon die Diskussion um die Nichtbesetzung mancher Kopfstellen. Wir werden ähnliche Debatten führen müssen. Wir werden uns allerdings auch ein paar Tabus auferlegen müssen. Es kann nicht sein, dass wir irgendwelche Einsparungen im 110-Prozess zulassen. In Notfällen muss die Polizei schnell und in ausreichender Zahl an Ort und Stelle sein, da gibt es kein Vertun. Auch bei der Arbeit der Kriminalpolizei muss natürlich sichergestellt sein, dass Kapitalverbrechen, Wohnungseinbruch, Straßenkriminalität und andere Dinge ohne Einschränkungen bearbeitet werden.
Wir brauchen nun eine rasche Analyse, welche konkreten Entlastungen notwendig sind. Von welchen konkreten Aufgaben muss die Polizei entlastet werden? Dafür, da hat die Personalversammlung der Polizei in ihrer Resolution völlig recht, müssen wir, der Senat und die Bremische Bürgerschaft, die politische Verantwortung übernehmen. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Herr Röwekamp, auch wenn wir in der Sache hier vielleicht nicht immer einer Meinung sind, so sind wir doch mit dem gleichen Vorsatz in die Debatte gegangen. Auch ich habe mir vorgenommen, heute einen Ton anzuschlagen, der es nicht dazu kommen lässt, dass wir einen ähnlichen Tiefpunkt erleben.
Dann will ich auch einen lauteren Ton anschlagen. Danke!
Ich empfand gerade die Aktuelle Stunde im Januar in meiner kurzen Zeit in dieser Bürgerschaft als einen gewissen Tiefpunkt in der Debattenkultur, und ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass es nicht noch einmal dazu kommt. Ich hoffe, es gelingt mir ebenso gut wie Ihnen, Herr Röwekamp. Ich erlaube mir allerdings auch, ein wenig mehr auf die vorliegenden Anträge einzugehen.
Wir debattieren heute erneut neue Asylgesetze auf Bundesebene, und wiederum muss ich an dieser Stelle begründen, warum wir Grünen diese Gesetze ablehnen. Angesichts der gigantischen Herausforderung, vor der wir stehen, würde ich Ihnen viel lieber erzählen, dass auf Bundesebene endlich ein Asylpaket beschlossen wurde, dem wir zustimmen können, ein Asylpaket, das tatsächlich zu einer Beschleunigung der Asylverfahren beiträgt, ohne die Rechte der Asylsuchenden auf ein ordentliches Verfahren zu untergraben, ein Asylpaket, das Integration fördert statt verhindert.
Die von der Bundesregierung geplanten Gesetze werden diesen Ansprüchen leider wieder nicht gerecht, und das bedauern wir sehr.
Dass wir es erneut mit einem Gesetzgebungsvorhaben zu tun haben, dem wir Grünen nicht zustimmen können, liegt bereits darin begründet, wie die Gesetze entstanden sind. Es ist doch so: Bei der Bundestagswahl am 22. September 2013 haben die Wählerinnen und Wähler 63 Abgeordnete der Grünen in den Bundestag gewählt, damit diese dort für unsere Partei an der Bundesgesetzgebung mitwirken. Wenn die Union ein ernsthaftes Interesse hätte, mit uns Grünen zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, dann würde sie die mehrmals ausgesprochenen Angebote unserer Bundestagsfraktion zur Zusammenarbeit annehmen. Mit ziemlicher Sicherheit würde dann etwas herauskommen, dem auch der Bremer Senat im Bundesrat zustimmen könnte. Es käme etwas heraus, das tatsächlich endlich zu einer Entlastung des BAMF beitragen würde. Es enthielte möglicherweise eine Altfallregelung für unangemessen lang andauernde Asylverfahren, damit endlich der Antragsstau beim BAMF aufgelöst wird.
Es würde möglicherweise eine Abschaffung des obligatorischen Widerrufsverfahrens vorsehen, wonach das BAMF drei Jahre nach der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verpflichtet ist, jeden Antrag noch einmal neu zu überprüfen – eine völlig irrsinnige Verschwendung der Ressourcen des BAMF.
Aber an einer solchen konstruktiven Zusammenarbeit auf Bundesebene hat die Bundesregierung offensichtlich bisher kein Interesse. Stattdessen heißt das Motto: „abschieben, abschotten und abschrecken“. Der Bundestag wird vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Asylgesetze werden in einem unwürdi
gen Schnellverfahren durch das Parlament gejagt, und am Ende hofft die Bundesregierung, dass ihnen eine oder zwei Landesregierungen mit grüner Beteiligung, soweit erforderlich, zur nötigen Bundesratsmehrheit verhelfen. Die Union und die Bundesregierung zeigen also in Wahrheit überhaupt kein Interesse daran, die Grünen in dieser schwierigen Zeit mit ins Boot zu holen, sondern sie wollen uns schlicht auseinandertreiben. Das ist natürlich Ihr gutes Recht, aber stellen Sie sich dann bitte nicht mehr hier hin und werfen uns mangelndes Verantwortungsbewusstsein vor, denn dieser Vorwurf ginge dann gleich zurück an den Absender.
In der Sache gibt es sehr viele Gründe, warum wir das Asylpaket II ablehnen. Ich möchte hier nur die drei wichtigsten nennen. Der erste Grund, warum wir dem Asylpaket II nicht zustimmen können, ist das sogenannte beschleunigte Verfahren. Bei allem Verständnis für das Ziel, die Verfahren zu beschleunigen, so geht es nicht. Was hier vorgesehen ist, ist nur noch die schlechte Karikatur eines ordentlichen und fairen Verfahrens. Die Menschen werden in sogenannte besondere Aufnahmeeinrichtungen gesteckt und durch ein Ein-Wochen-Schnellverfahren gejagt. Dabei unterliegen sie einer strengen Residenzpflicht, sodass es ihnen in vielen Fällen nicht möglich sein wird, rechtzeitig einen Termin bei einer Beratungsstelle, einem Anwalt oder auch einem Arzt zu bekommen.
Wenn sie gegen diese Residenzpflicht verstoßen, weil sie zum Beispiel in der nächstgrößeren Stadt lange vermisste Freunde oder Verwandte aufsuchen oder weil sie nur dort einen Termin bei einem Anwalt oder Arzt bekommen haben, dann gilt – so ist jetzt die Regelung im Asylpaket II – der komplette Asylantrag als zurückgenommen, und dem Betroffenen droht Abschiebung ins Herkunftsland, selbst wenn ihn dort Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen erwarten. Das, meine Damen und Herren, ist doch völlig unverhältnismäßig und kann von uns absolut nicht mitgetragen werden.
Der zweite Grund, warum wir dem Asylpaket nicht zustimmen können, ist die Verschärfung beim Familiennachzug. Das ist ein echter Integrationskiller und führt viele Integrationsanstrengungen, die wir hier in Bremen unternehmen, ad absurdum.
Frauen und Kinder werden den Schleppern geradezu in die Arme getrieben und werden sich auf gefährliche Fluchtwege begeben müssen. Wir können daher jedes einzelne Wort des Antrags der Linksfraktion unterschreiben und würden ihm nur allzu
gern zustimmen, auch wenn er teilweise von der Entwicklung überholt wurde. Auf Bitten unseres Koalitionspartners müssen wir den Antrag leider ablehnen. Zu meiner Freude habe ich aber heute in der Zeitung lesen können, dass mit Sarah Ryglewski immerhin eine der beiden Bremer SPD-Bundestagsabgeordneten das Asylpaket ablehnen wird. An dieser Stelle daher meinen Respekt und Dank an Sarah Ryglewski für diese Entscheidung!
Der wesentliche Grund, aus dem wir dem Asylpaket II nicht zustimmen können, sind die neuen Regelungen zu Abschiebehindernissen in gesundheitlicher Hinsicht. Hier werden Asylsuchende unter Generalverdacht gestellt, Erkrankungen lediglich vorzutäuschen, um eine Abschiebung zu verhindern. Tatsächlich ist es aber doch so, dass Flüchtlinge deshalb psychische Erkrankungen sehr häufig als Abschiebehindernis geltend machen, weil sie nun einmal häufig unter psychischen Erkrankungen leiden.
Das ist doch auch logisch angesichts des Horrors, dem sie oftmals ausgesetzt waren.
Dass eine schwerwiegende posttraumatische Belastungsstörung künftig in der Regel kein Abschiebehindernis mehr darstellen soll, ist vor diesem Hintergrund nicht zu rechtfertigen. Angesichts der Debatten nach den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht ist mir wirklich unbegreiflich, wie die Bundesregierung gerade auch Frauen, die auf ihrer Flucht Opfer von Vergewaltigungen wurden, derart schutzlos stellen kann.
So viel in aller Kürze zum Asylpaket II! Das Paket enthält neben einigen wenigen diskutablen Vorschlägen noch viele weitere indiskutable Regelungen, auf die ich hier nicht im Einzelnen eingehen kann. Auch beim Thema sichere Herkunftsstaaten will ich mich kurz fassen. Sie kennen die grundsätzliche Kritik meiner Fraktion an diesem Instrument. Es ist übrigens schlicht falsch, wenn behauptet wird, erst die Einstufung der Westbalkanstaaten als sicher habe zu einem erheblichen Rückgang der Zahl der Asylsuchenden aus diesen Ländern geführt, denn der Rückgang der Zahlen insbesondere aus dem Kosovo und Albanien erfolgte bereits vor dieser Einstufung und beruhte offensichtlich darauf, dass die Bundesregierung in diesen Ländern Informationskampagnen durchgeführt hat, um auf die realen geringen Erfolgsaussichten von Asylanträgen in Deutschland hinzuweisen.
Wie man nun allen Ernstes behaupten kann, dass in den Maghreb-Staaten Marokko, Tunesien und Algerien eine politische Verfolgung landesweit für alle Per
sonen und Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen werden könne, ist mir wirklich schleierhaft.
In Marokko laufen Angehörige linksgerichteter Gruppen Gefahr, von Polizei und Sicherheitskräften gefoltert zu werden. Journalisten werden aufgrund von konstruierten Anklagen verurteilt. In Tunesien werden Schwule wegen ihrer sexuellen Orientierung vor Gericht gestellt und zu Haftstrafen verurteilt. In Algerien lösen Sicherheitskräfte friedliche Demonstrationen gewaltsam auf. Aktivisten werden festgenommen. Alle drei Länder durchlaufen eine Phase des gesellschaftlichen Umbruchs. Es ist wirklich völlig abwegig, unter diesen Umständen davon auszugehen, dass es dort zu keiner politischen Verfolgung kommt.
Merkwürdig finde ich, dass die CDU in ihrem Antrag hervorhebt, es liege gerade im Bremer Interesse, die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Dadurch wird der Eindruck erweckt, als helfe dies irgendwie dabei, den Kriminalitätsproblemen Herr zu werden, die wir mit nordafrikanischen Jugendlichen in der Stadt haben. Wer so etwas behauptet, streut den Menschen Sand in die Augen.
Denn – –.
Es steht aber darin, dass es im Bremer Interesse liege, – –.
Genau!
Ich komme dazu, Herr Hinners! Für unbegleitete minderjährige Ausländer gelten die Regelungen zu sicheren Herkunftsstaaten gar nicht. Weil die Maghreb-Staaten nicht zu den Ländern mit besonders vielen Asylanträgen gehören, werden erwachsene Asylsuchende aus diesen Staaten bisher nur auf bestimmte Bundesländer verteilt, und Bremen gehört gerade nicht dazu. Darum kommen gar keine erwachsenen Asylsuchenden aus den Maghreb-Staaten nach Bremen.
Für die Jugendlichen aus Marokko, Tunesien und Algerien, die hier in Bremen zur Schule gegangen und
nun einen Job gefunden oder eine Lehre angefangen haben, hätte eine Einstufung ihrer Heimatländer als sichere Herkunftsstaaten übrigens durchaus verheerende Folgen. Denn sobald sie volljährig werden und einen Asylantrag stellen, würde für sie dann plötzlich das im letzten Herbst von Ihnen eingeführte absolute Arbeitsverbot gelten. Das heißt, sie müssten ihren Job aufgeben beziehungsweise ihre Lehre abbrechen. Welchen integrationspolitischen Sinn das hätte, kann mir wirklich keiner erklären.
Was den Umgang mit straffällig gewordenen Jugendlichen insbesondere aus den Maghreb-Staaten angeht, hat die Koalition einen eigenen Antrag eingebracht. Hierauf komme ich in der zweiten Runde zurück. – Danke!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Herr Röwekamp, ich hatte leider das Gefühl, dass der gute Vorsatz, mit dem Sie in die erste Runde gegangen sind,
die zweite Runde nicht mehr erlebt hat.
Wenn Sie die Position zum Familiennachzug allen Ernstes damit begründen, dass ja nur relativ wenige Fälle betroffen seien, dann frage ich mich doch, wie Sie das rechtfertigen wollen, weil jeder einzelne Fall natürlich für die betroffene Familie eine absolute Tragödie darstellt. Aber wenn dies migrationspolitisch eigentlich überhaupt keinen relevanten Effekt hat, entzieht das dem doch komplett die Rechtfertigung.
Meine Damen und Herren! Neben dem Asylpaket II und der Frage der sicheren Herkunftsstaaten wird der Bundestag heute auch einen Gesetzentwurf zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern beschließen. Wir haben dies bereits in der Aktuellen Stunde in der Januar-Sitzung der Bürgerschaft ausführlich diskutiert. Wer Straftaten begeht, gehört dafür angemessen bestraft. Wer in Deutschland Straftaten begeht, ob als Deutscher oder als Ausländer, gehört dafür in Deutschland angemessen bestraft. Darin gebe ich Ihnen, Frau Leonidakis, völlig recht. Einen anerkannten Asylbewerber oder Flüchtling aufgrund von Straftaten in sein Heimatland auszuweisen, muss die absolute Ausnahme bleiben. Denn wenn wir vom Grundrecht auf Asyl und vom Recht auf internationalen Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention sprechen, dann sprechen wir eben nicht von einem Gastrecht, das man sehr schnell und einfach verwirken kann, sondern von einem Grundund Menschenrecht.
Aber wer überhaupt nicht die Absicht hat, sich hier zu integrieren und sich eine legale Existenz aufzu
bauen, sondern am laufenden Band Raubdelikte oder andere schwere Straftaten begeht und damit sehr vielen Menschen Leid zufügt, der muss auch damit rechnen, nachdem er seine gerechte Strafe hier in Deutschland verbüßt hat, in sein Heimatland abgeschoben zu werden, denn ohne diese Maßnahme werden wir diesen Straftatentourismus nicht wirksam eindämmen können.
Wir dürfen es uns aber gleichzeitig auch nicht zu einfach machen und meinen, mit der Abschiebung dieser Wiederholungstäter könnten wir auch jegliche Verantwortung für die Bekämpfung von Kriminalität ins Ausland abschieben. Europa muss den betroffenen Ländern – das sind insbesondere die MahgrebStaaten – wesentlich aktiver dabei helfen, die sozialen Probleme in den Griff zu bekommen, die der Nährboden dafür sind, dass so viele Kinder und Jugendliche auf der Straße aufwachsen und von Kindesbeinen in kriminelle Karrieren hineinwachsen.
Darum haben wir in unserem Antrag darauf hingewiesen, dass die laufenden Verhandlungen der EU über die Vertiefung des Mittelmeerabkommens hinsichtlich der Zusammenarbeit in sozialen und Bildungsfragen eine gute und passende Gelegenheit sind, mit diesen Staaten verbindliche Mechanismen zur Rücknahme von Serienstraftätern zu vereinbaren.
Ob das wirklich funktionieren wird, steht natürlich in den Sternen, aber versuchen muss man es. Infrage kommen Ausweisungen generell nur bei erwachsenen Personen. Weil das so ist, geben sich manche für jünger aus, als sie in Wahrheit sind. Auch hier sollte man sich hüten, den jungen Flüchtlingen pauschal zu unterstellen, sie würden falsche Angaben zu ihrem Alter machen.
Nein, aber es wäre sicherlich naiv zu glauben, dass es sich hierbei nur um wenige Einzelfälle handelt.
Für die Altersfeststellung durch die Jugendämter gibt es seit November eine neue gesetzliche Rechtsgrundlage. Vorgesehen ist dabei zunächst eine sogenannte qualifizierte Inaugenscheinnahme. Diese umfasst neben dem äußeren Erscheinungsbild insbesondere die Bewertung der im Einzelgespräch mit der betroffenen Person gewonnenen Informationen zu ihrem Entwicklungsstand. Daneben kann zu einer qualifizierten Inaugenscheinnahme auch gehören, Auskünfte einzuholen, Beteiligte, Zeugen und Sachverständige anzuhören sowie Dokumente, Urkunden und Akten beizuziehen.
Auf Antrag des Betroffenen oder wenn all dies nicht zu einem verlässlichen Ergebnis führt – und nur dann –, ist nun eine ärztliche Untersuchung zur Altersfeststellung vorgesehen. Für uns Grüne ist wichtig, dass bei der ärztlichen Untersuchung nur wissenschaftlich fundierte und ethisch vertretbare Methoden zur Anwendung kommen. In Hamburg mag man auch Genitaluntersuchungen für angebracht halten, für Bremen muss gelten: Für derartige Eingriffe in die Intimsphäre besteht angesichts des höchst fragwürdigen Erkenntnisgewinns überhaupt keine Rechtfertigung.
Offen gelassen haben wir im koalitionären Antrag, inwieweit radiologische Untersuchungen zur Altersfeststellung zulässig sind. Die Ärztekammern haben dies bisher abgelehnt, und das sollten wir auch akzeptieren.
Allerdings beruhen die Stellungnahmen der Ärztekammern noch auf der alten Gesetzeslage. Wir werden aufmerksam verfolgen, wie sich die Ärztekammern auf der Grundlage der Reform des SGB VIII positionieren werden.
Eine abschließende Bemerkung noch, damit keine Missverständnisse aufkommen. Wir sagen ausdrücklich nicht, dass ausländische Serienstraftäter schuld daran seien, dass sich die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen in Deutschland verschlechtert. Wer nicht in der Lage ist, zwischen der großen Mehrheit der Flüchtlinge, die sich integrieren wollen, und den vergleichsweise wenigen, die in erster Linie kriminelle Machenschaften im Sinne haben, zu differenzieren, der ist seinen eigenen – möglicherweise sogar rassistischen – Vorurteilen erlegen.
Für die eigenen Vorurteile, für den eigenen Rassismus sind aber nicht irgendwelche Ausländer verantwortlich, auch nicht irgendwelche kriminellen Ausländer, sondern dafür gibt es keine Rechtfertigung. Die Straftaten einiger Weniger zu instrumentalisieren, um gegen Flüchtlinge generell Stimmung zu machen, das geht gar nicht, und das muss auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Innere Sicherheit muss Vorrang haben. Als Innenpolitiker ist man natürlich geneigt, dem Titel des Antrags der FDP gern zustimmen zu wollen, zumal im Vorfeld der Haushaltsberatungen. Tatsächlich ist es ja auch von überragender Bedeutung für unser Gemeinwesen, dass die Bürgerinnen und Bürger sich in ihrem Alltag sicher fühlen können.
Übrigens, auch die meisten Flüchtlinge, die zu uns nach Deutschland kommen, tun dies in der Regel weniger wegen unserer freiheitlichen Lebensweise, sondern vor allem, weil sie sich nach einem Leben in Sicherheit sehnen. Wir wissen aber auch, eine absolute Sicherheit kann und wird es nie geben, und da dies so ist, bedeutet es auch, dass, egal wie viele Mittel wir in die innere Sicherheit investieren, wir nie den Zustand erreichen werden, in dem wir sagen können, jetzt haben wir die innere Sicherheit erreicht, jeder weitere Euro hierfür wäre eine sinnlose Geldverschwendung. Versteht man die Parole „Innere Sicherheit muss Vorrang haben“ also wörtlich, wohnt ihr eine gewisse Maßlosigkeit inne, denn Sicherheit kann es ja nie genug geben.
Aus diesen Gründen bringt es uns letztlich nicht weiter, wenn wir für die innere Sicherheit einen Vorrang behaupten, hinter dem alle anderen Ausgaben zurückstehen müssten. Auch die Ausgaben für die Polizei müssen sich gefallen lassen, dass sie unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit stehen. Sie müssen sich ebenso einer Abwägung mit anderen Ausgaben für unser Gemeinwesen stellen, natürlich jeweils unter Berücksichtigung der besonders herausgehobenen Bedeutung der Polizei.
Meine Damen und Herren, wir muten unseren Polizistinnen und Polizisten eine erhebliche Arbeitsbelastung zu. Wenn Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die natürlich genau wissen, wie herausfordernd und wichtig ihr Job ist, diese Zumutungen als unzumutbar empfinden, dann habe ich dafür menschlich volles Verständnis. Als Haushaltsgesetzgeber müssen wir uns jedoch fragen, ob wir der Polizei tatsächlich generell schlechtere Arbeitsbedingungen zumuten als anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Ich denke: Nein!
Ist es wirklich sinnvoll und notwendig, in anderen Bereichen weitere Mittel zugunsten der Polizei zu kürzen? Ich wüsste nicht, wo. Der Antrag der FDP fordert, in den Planungen für den Doppelhaushalt 2016/ 2017 eine Personalzielzahl von mindestens 2 600 Vollzeitäquivalenten für die Polizei Bremen zu veranschlagen. Wir Grüne hatten Ende des Jahres 2014 – Herr Hinners hat dankenswerterweise schon darauf hingewiesen – in unser Wahlprogramm geschrieben, dass aus unserer Sicht 2 500 Beschäftigte nötig wären. Im Koalitionsvertrag haben wir uns dann auf die berühmten 2 540 verständigt, diese Personalzielzahl halten wir Grüne angesichts der Haushaltslage und aber auch vor dem Hintergrund einer veränderten Sicherheits
und Gefährdungslage, die wir nicht in Abrede stellen, weiterhin für verantwortbar.
Das bedeutet nicht, dass wir uns in absehbarer Zukunft keine weiteren Erhöhungen auf zum Beispiel 2 600 vorstellen können, doch dafür müssten zunächst die finanziellen Voraussetzungen geschaffen werden, und zwar auf Bundesebene. Der Senat hat seinen Teil dazu beigetragen, indem er die Neuregelungen des Länderfinanzausgleichs erfolgreich verhandelt hat. Dieser Verhandlungserfolg muss nun in trockene Tücher gebracht werden, und vor allem brauchen wir eine Steuerreform, die die öffentlichen Haushalte insgesamt in die Lage versetzt, den Zustand der Mangelverwaltung zu beenden, auch bei der Polizei. Da wäre vor allem die Union gefragt, aber von der ist da ja leider nichts zu erwarten.
Selbst wenn eine weitere Erhöhung der Personalzielzahl realisierbar sein sollte, stellt sich die Frage, in welchem Zeitraum diese Zielzahl erreicht werden soll, zumal wir uns – das haben wir schon gehört – in den nächsten Jahren zunächst weiter von der Zielzahl entfernen werden. Eine kontinuierliche Entwicklung ist für die Ausbildungskapazitäten und die Altersstruktur der Polizei sicherlich sinnvoller als eine schlagartige Aufstockung. Wir werden auf diese Fragen in den Haushaltsberatungen zurückzukommen haben. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Rot-Grün steht in Bremen für eine Bleiberechtspolitik mit einem hohen humanitären Anspruch. Das war in den vergangenen Jahren so, und das soll auch künftig so bleiben.
In den letzten Wintern bedeutete dies, dass Bremen in der kalten Jahreszeit keine Abschiebungen von besonders schutzbedürftigen Personen in die Balkanstaaten durchgeführt hat. Der Grund waren die schon genannten katastrophalen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse für viele Betroffene aus diesen Herkunftsländern.
Meine Damen und Herren, an dieser Realität hat sich nichts Wesentliches geändert, und zwar insbesondere für Roma und andere Minderheiten.
Es hat sich allerdings geändert, dass mittlerweile Albanien, Bosnien-Herzegowina, der Kosovo, Mazedonien,
Montenegro und Serbien vom Bundesgesetzgeber zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt worden sind. Außerdem haben sich Bund und Länder im September zur konsequenten Umsetzung bestehender Ausreisepflichten verpflichtet. Vor diesem Hintergrund hat das Innenressort entschieden, die Winterregelung in diesem Jahr nicht zu erneuern.
Unsere Fraktion trägt das nur unter einer Voraussetzung mit: Wenn Betroffene vortragen, ihnen drohe nach dem Vollzug der Abschiebung Obdachlosigkeit oder ähnliches Elend, dann erwarten wir, dass die Ausländerbehörden in Bremen und Bremerhaven in jedem Einzelfall sorgfältig sicherstellen, dass niemand bei Eiseskälte in existenzielle Nöte abgeschoben wird.
Uns wurde zugesichert, dass das so gehandhabt wird. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, wie wichtig dieser verantwortungsvolle Umgang für unsere Fraktion ist.
In einer Zeit, in der manche meinen, die Flüchtlingsproblematik wäre durch konsequentes Abschieben zu lösen, gilt ein Bekenntnis für humanitäre Standards vielen als Signal zur falschen Zeit. Wir sagen: Nein, ein solches Bekenntnis ist genau das richtige Signal zur richtigen Zeit, zu jeder Zeit!
Wir hätten uns daher durchaus vorstellen können, den weitergehenden Antrag der Linksfraktion zu unterstützen. Auf Wunsch unseres Koalitionspartners werden wir ihn jedoch ablehnen. – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Drei Wochen nach der Silvesternacht von Köln stehen wir noch immer unter dem Eindruck des Geschehens. Das hat die bisherige Debatte gezeigt. Dass es dort zu massenhaft sexuellen Übergriffen auf Frauen gekommen ist, hat uns alle tief betroffen gemacht. Diese Kölner Silvesternacht darf sich nicht wiederholen.
Es muss jetzt zunächst darum gehen, die dortigen Vorfälle schonungslos aufzuklären. Herr Hinners, auch ich habe mich über die Sachen gewundert, die Sie hier schon als Ermittlungserkenntnisse dargestellt haben.
Zum Beispiel Zettel, die gefunden wurden.
Ja! Die Bedeutung dieser Zettel für den Vorfall ist aber noch völlig ungeklärt.
Ja! Sie stellen aber zum Beispiel schon als Tatsache dar, dass auch die sexuellen Übergriffe im Vorfeld systematisch abgesprochen wurden.
Die Kölner Polizei sagt jedenfalls, dass es noch nicht so weit ist.
Frau Vogt, Sie sind gleich auch noch an der Reihe.
Politik muss auch und gerade in einer solchen Situation Augenmaß bewahren. Ich warne davor, jetzt in Aktionismus zu ver
fallen. Leider spricht der Titel dieser Aktuellen Stunde eine andere Sprache.
Sie haben uns im November vorgeworfen, wir würden Absprachen zwischen Frau Merkel, Herrn Gabriel und Herrn Seehofer hier nicht umsetzen,
die nie Gesetzeskraft erlangt haben. Jetzt mahnen Sie an, dass wir Absprachen zwischen Herrn de Maizière und Herrn Maas möglichst schnell umsetzen sollen. Wenn der Bund möchte, dass wir bestimmte Dinge umsetzen sollen – darauf bestehen wir dann doch –, dann muss er das in das Bundesgesetzblatt schreiben. Ich glaube, das ist nicht zuviel verlangt.
In dem Titel schreiben Sie Abschiebegesetze, auch da möchte ich auf den kleinen, aber feinen Unterschied hinweisen: Im Papier von Herrn de Maizière und Herrn Maas geht es gar nicht um Abschiebe-, sondern um Ausweisungsregelungen. Der kleine, aber feine Unterschied ist, dass die Ausweisung ein Rechtsinstitut ist, das vor der Abschiebung anzuwenden ist. Es handelt sich hierbei nicht um eine Formalität, sondern darum, dass die rechtlichen Anforderungen an eine Abschiebung eine höhere Qualität besitzen müssen als bei einer Ausweisung. Es reicht also beispielsweise nicht aus, dass das Herkunftsland bereit ist, den ausgewiesenen Staatsangehörigen aufzunehmen. Die Auflösung dieser Problematik – gerade in Bezug auf die nordafrikanischen Länder – ist in dem gemeinsamen Papier nicht beschrieben. Insofern ist es ein bisschen Augenwischerei, wenn man es jetzt so darstellt, als könne das Papier viel ändern.
Die Bearbeitungszeiten des BAMF, die Sie völlig zu Recht erwähnt haben, sind natürlich viel zu lang. Sie tragen gerade auch dazu bei, dass es praktische Probleme gibt, dass Mitglieder von kriminellen Banden, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen, um ständig Raubdelikte und andere schwere Straftaten zu begehen, die natürlich mit einer Ausweisung rechnen müssten, ausgewiesen werden.
Die Frage ist ja: Stehen die aktuellen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes derartigen Ausweisungen überhaupt im Wege? Der Bundestag hat im Sommer nach reiflicher Überlegung eine Neuregelung der Regelungen für die Ausweisung beschlossen. Sie ist am
1. Januar in Kraft getreten, und bisher sind noch nicht einmal drei Wochen vergangen. Wenn jetzt die Herren de Maizière und Maas glauben, innerhalb von wenigen Tagen eine besser durchdachte Regelung gefunden zu haben, dann glaube ich das, ehrlich gesagt, nicht ohne Weiteres.
Ich will auch auf Artikel 33 Absatz 2 der Genfer Flüchtlingskonvention hinweisen, in dem steht, dass nur derjenige ausgewiesen werden darf, der aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet. Es muss also eine Gefahr von dieser Person ausgehen.
Ja! Im Paragrafen 56 des Strafgesetzbuches steht zur Bewährung: „Das Gericht setzt die Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird.“
Wenn ein deutsches Gericht rechtskräftig feststellt, dass davon auszugehen ist, dass von dem Betroffenen keine Straftaten mehr begangen werden, warum geht dann von dieser Person eine Gefahr aus? Eine Bewährungsstrafe kann daher gar nicht zu einer Abschiebung führen.
Sie setzten sich hier einmal ganz leichtfüßig mit zwei Sätzen über die Genfer Flüchtlingskonvention hinweg. Sie scheinen damit überhaupt kein Problem zu haben, und das macht mir dann schon ein bisschen Sorgen.
Die Täter von Köln müssen ermittelt und mit angemessener Härte bestraft werden, denn jede Frau – und das ist wichtig – muss sich frei und ohne Angst im öffentlichen Raum bewegen können.
Dafür muss man nicht die Regelungen für die Ausweisung des Aufenthaltsgesetzes verändern, sondern die Strafbarkeitslücken des Sexualstrafrechts schließen!
Die Pläne der Bundesregierung – endlich macht sie überhaupt einmal ein paar Schritte – gehen dort aber immer noch nicht weit genug. Die Bundesregierung will nur die Fälle, in denen der Täter einen Überraschungsmoment oder die Furcht des Opfers ausgenutzt hat, zusätzlich unter Strafe stellen. Es soll nach der Meinung der Bundesregierung auch künftig immer noch nicht reichen, wenn das Opfer erkennbar zum Ausdruck gebracht hat, dass es mit der sexuellen Handlung nicht einverstanden ist. Wir Grünen finden: Nein heißt nein, und zwar ohne Wenn und Aber!
Nur diese Auffassung entspricht im Übrigen auch der Istanbul-Konvention des Europarats, die eigentlich seit 2011 für Deutschland verbindlich ist. Die Kollegin Aulepp hat auch schon darauf hingewiesen – und das sollte man in diesem Zusammenhang nicht vergessen –, dass die meisten sexuellen Misshandlungen im privaten Umfeld stattfinden. Es gibt eine jüngere Untersuchung der Bremer Hochschule für Öffentliche Verwaltung zu Sexualstraftaten. Nach dieser Untersuchung kannten sich 75 Prozent der Täter und Opfer bereits vor der Tat. Lediglich 20 Prozent der Taten fanden im öffentlichen Raum statt.
Vor diesem Hintergrund hat Frau Aulepp auch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Vergewaltigung in der Ehe noch nicht so lange strafbar ist. Erst 1997 hat sich der Bundestag dazu durchringen können. Die halbe Fraktion der Union hat damals gegen die Gesetzesänderung gestimmt. Gerade die Bremer CDU hat mit ihren beiden Abgeordneten, Neumann und Teiser, allen Ernstes 1997 noch die Auffassung vertreten, dass es den Staat nichts angeht, wenn eine Ehefrau im Ehebett vergewaltigt wird.
Bei mir entsteht ein gewisser fader Beigeschmack, wenn Sie jetzt so tun, als sei der Kampf gegen sexualisierter Gewalt für Sie schon immer eine Herzensangelegenheit gewesen.
Mich stören aber noch viel mehr all die deutschen Männer, die jetzt plötzlich Frauenrechte für sich entdeckt haben, seit dem sie unter diesem Vorwand gegen Flüchtlinge hetzen können.
Hier werden Frauenrechte und sexuelle Gewalt gegenüber Frauen für rassistische und fremdenfeindliche Zwecke missbraucht. Diese Instrumentalisierung dürfen wir diesen Hetzern auf gar keinen Fall durchgehen lassen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Viele Menschen stellen sich die Frage, ob ein Besuch im Fußballstadion noch sicher ist. Rein statistisch gesehen könnte die Antwort lauten, dass es darauf ankommt, mit welchem Verkehrsmittel man anreist, denn die Gefahr, auf dem Weg zum Stadion Opfer eines Verkehrsunfalls zu werden, ist immer noch größer als die Gefahr, direkt am oder im Stadion zu Schaden zu kommen. Nüchtern betrachtet sind Fußballstadien also sehr sichere Orte, auch und gerade das Weserstadion.
Doch natürlich ist das nicht die ganze Wahrheit. Viele Menschen bekommen es verständlicherweise mit der Angst zu tun, wenn sie in eine Horde grölender Fans geraten oder einer martialisch anmutenden Polizeieinheit in die Quere kommen.
Zu besonders erschreckenden Szenen, das wurde schon angesprochen, kam es im April dieses Jahres im Anschluss an das Nordderby zwischen Werder Bremen und dem HSV. Eine größere Gruppe Bremer Ultras wurde von der Polizei in einer aus einsatztaktischer Sicht schwer nachvollziehbaren Aktion vom Osterdeich in die Verdener Straße getrieben, genau in die Richtung einer Gaststätte, vor der es kurz zuvor
zu einer Auseinandersetzung zwischen rechten Hooligans und linken Ultras gekommen war. Was nun genau geschehen ist, wer angefangen hat und zu welchen Straftaten es im Einzelnen gekommen ist, dies alles ist Gegenstand laufender Ermittlungsverfahren. Wir befinden uns hier nicht im Gerichtssaal, daher will ich mich an dieser Stelle auch nicht an Spekulationen darüber beteiligen, stattdessen will ich auf einige Hintergründe hinweisen, die die politische Dimension des Vorfalls aufzeigen.
Für einen kurzen Moment ist an jenem Tag im April nämlich ein Konflikt an das Licht der Öffentlichkeit gelangt, der in Wahrheit schon seit vielen Jahren ausgetragen wird. Seitdem sich weite Teile der Fanszene des SV Werder Bremen auf die Fahne geschrieben haben, sich gegen Rassismus und Diskriminierung einzusetzen, versuchen rechtsradikale Kräfte, dieses Engagement zu unterdrücken. Insbesondere die in den Ultragruppen organisierten jungen Fans wurden in den letzten 15 Jahren Opfer von zig gewalttätigen Übergriffen und unzähligen Einschüchterungsversuchen durch die rechte Szene in Bremen und Umgebung, ob bei einer Feier im Ostkurvensaal, am Rande von Europacupspielen in Spanien oder Kroatien, nach Heimspielen in der Bremer Innenstadt, an Autobahnraststätten auf dem Weg zum Auswärtsspiel, in Klubs und Diskotheken oder nachts in dunklen Gassen. Wer Mitglied einer linken Werder-Ultragruppe ist, muss und musste immer wieder befürchten, von rechten Schlägern bedroht und attackiert zu werden.