Protocol of the Session on September 30, 2010

Schlimm ist auch, dass 90 Prozent der Lehrkräfte, die diesen Unterricht erteilen, fachfremd sind, das heißt, das Fach nicht studiert haben. Ich möchte einmal sehen, was hier los wäre, wenn Handarbeitslehrer Mathematikunterricht geben, wenn Englischlehrer Unterricht in Mathematik oder Physik geben würden oder wenn Sportlehrer Physik lehrten. Dann herrschte hier der Aufstand. Das geht eigentlich nicht.

(Beifall bei der CDU)

Wir kommen noch auf die Gründe. Übrigens, die Senatorin ist nicht da, das bedauere ich!

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Dafür ist der Staatsrat da!)

Ich hoffe, dass sie trotzdem auch noch Interesse an dem Unterricht hat.

Zugewiesene Religionsstunden werden für andere Fächer genutzt, auch das ist nicht in Ordnung. Das bedeutet, dass immer mehr Kinder ohne Kenntnisse oder mit mangelhaften Kenntnissen im Fach Religion aufwachsen. Das ist inzwischen fast eine ganze Generation. Solange ich in Bremen lebe, seit 1987, kämpft die CDU immer wieder erneut dafür, dass der Religionsunterricht oder Biblischer Geschichtsunterricht erteilt wird, und leider ist die Bilanz immer noch so negativ.

Die Nichterteilung des Religionsunterrichts führt zu Wissens- und zu Bildungslücken in erheblichem Ausmaß. Zum Verständnis unseres Sozialsystems, unseres Wertesystems, unseres Rechtssystems, unserer Kultur und Geschichte, unserer Kunst und Musik gehört zwingend, dass man Kenntnisse der eigenen Religion hat, auf der diese ganzen Felder unseres Lebens ruhen. Demnächst werden wir hier auch Abgeordnete haben, die gar nicht mehr verstehen, wenn man vom christlichen Menschenbild spricht, wenn man von christlichen Werten redet, warum wir als CDU es wichtig finden, das C im Namen unserer Partei zu haben.

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Das hat man ja in der vorherigen Debatte auch gemerkt!)

Weil sie gar nicht mehr wissen, worauf eigentlich dieses C basiert!

Die Wissenslücken sind das eine, das belastet manche vielleicht nicht mehr. Mich belastet es schon, wenn man Kinder diese Bildungslücken haben lässt. Was aber vielleicht auch in der jetzigen Situation besonders

schlimm ist, ist, dass diejenigen, die nichts von ihrer eigenen Religion wissen, zum Dialog mit anderen Religionen nicht befähigt sind.

(Beifall bei der CDU)

Wie wollen sie denn den Brückenschlag zum Islam oder zu anderen Religionen machen, wenn sie gar nicht mehr wissen, was eigentlich ihr eigener Standpunkt ist? Wie soll das denn gehen? Wenn sie im Dunkeln tappen, warum eigentlich wir zu bestimmten Werten stehen und nicht wollen, dass andere Werte oder die Scharia in unserem Land die Oberhand bekommen, wie wollen sie diese Diskussion führen? Zum Dialog gehören zwei, und Dialog heißt, dass man eben von einem eigenen Standpunkt her diese Diskussion führt. Dazu sind viele Schülerinnen und Schüler, jedenfalls diejenigen, die keinen Religionsunterricht haben, nicht mehr fähig.

Herr Othmer, der Staatsrat, wird mir nun erklären, man kann Lehrer nicht zwingen, diesen Unterricht zu geben. In anderen Bundesländern ist es dann eben besser geregelt. Da geht es, da kann man mit Pastoren arbeiten, das geht in Bremen wegen der Verfassung nicht. Das sehe ich ein, aber dann qualifiziert sie doch nach! Es ist doch besser, der Unterricht wird erteilt, als dass er gar nicht stattfindet. Also muss man doch nach Wegen suchen, was geht.

Seit 30 Jahren erklärt man uns immer nur, was nicht geht. Ich denke, es wird Zeit, dass wir überlegen, wie es denn gehen kann und nicht weitere Arbeitsgruppen bilden, die dann auch zu keinen Ergebnissen führen. Übrigens wurde hier eben die soziale Kälte beklagt. Ich beklage sie auch, aber je mehr das Christentum aus unserem Land schwindet, umso kälter wird es auch sozial in diesem Land.

(Beifall bei der CDU)

Abschließend sage ich ganz klar: Die Situation des Religionsunterrichts in Bremen und Bremerhaven ist schlecht für die Schulen, für Bremen und Bremerhaven, für die Bildung unserer Kinder, für den Dialog der Religionen, und vor allem ist diese Situation schlecht für unsere Kinder. Das ist das Schlimmste. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Güngör.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Bereits im letzten Jahr haben wir das Thema des Biblischen Geschichtsunterrichts, BGU, an Schulen im Lande Bremen debattiert. Die Große Anfrage der CDU-Fraktion hat damals ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

verschiedene Probleme deutlich gemacht, wobei ich jetzt einige Déjà-vu-Erlebnisse hatte und mich wieder wie in der Debatte der Großen Anfrage gefühlt habe, liebe Frau Motschmann. Aber gut, lassen Sie uns einige Punkte gern wiederholen!

Es wurde uns berichtet, dass die Stundentafel in beiden Stadtgemeinden unzureichend umgesetzt wird und zumindest in der Stadtgemeinde Bremen 40 Prozent der dafür qualifizierten Lehrkräfte nicht im BGU eingesetzt sind und das Fach zu großen Teilen – Sie haben es gesagt – fachfremd unterrichtet wird. Das ist uns allen bekannt. Wir wissen auch, dass BGU als einziges Fach in der Verfassung verankert ist, doch ist in der Landesverfassung auch ausdrücklich festgelegt, dass die Teilnahme an diesem Unterricht für die Schülerinnen und Schüler freiwillig ist und auch kein Lehrer dazu gezwungen werden kann, dieses Fach zu unterrichten. Diese Freiwilligkeit ist, finde ich, ein hohes Gut, Frau Motschmann.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen gehen Sie gar nicht auf das wirkliche Problem ein. Wir haben hier nämlich ein Nachfrageproblem. Wir können doch nicht von den Schulen verlangen, dass das Fach BGU vorrangig vor anderen Fächern unterrichtet wird, wenn viele Schülerinnen und Schüler sich ganz bewusst gegen BGU und für ein Alternativfach entscheiden. Es ist wohl unbestritten, dass wir in den letzten Jahren einige Maßnahmen unternommen haben, um das Fach BGU aufzuwerten. Die Schulen wurden aufgefordert, den Fachlehrerbedarf für BGU bei Neueinstellungen zu berücksichtigen. Weiterhin wurden die Schulen aufgefordert, den Unterricht so zu organisieren, dass er nicht nur in den Randstunden stattfindet.

Für die Lehrkräfte, das wurde berichtet, war es häufig schwierig, diese Lücke zwischen der siebten und zehnten Klasse zu füllen, wenn nach zweijähriger Pause der Unterricht wieder aufgenommen wird. Daher haben wir gesagt, dass wir in der achten und neunten Klasse wieder eine Stunde mit der Stundentafel zur Verfügung stellen, und in der neuen Oberschule und in der Gymnasialverordnung ist dies nun auch vorgesehen. Im Übrigen: Ihre Bildungsdeputierten haben diesen Verordnungen nicht zugestimmt. Auch das ist aber eine wichtige Aufwertung des Faches.

(Beifall bei der SPD)

Selbstverständlich werden wir Ihren Antrag ablehnen, denn Sie gehen in der Tat – ich weiß nicht, was das eben für ein Plädoyer war, Frau Motschmann – sehr oberflächlich mit dem Thema um. Sie beschränken sich auf – ich fasse einmal Ihren Antrag zusammen –, erstens, gemäß Stundentafel anbieten und erteilen, zweitens, keine fachfremde Nutzung der Stunden, und drittens, Anfang 2011 ein Bericht. Wenn Sie das Thema schon zum x-ten Mal auf die Tagesord

nung bringen, wo sind eigentlich Ihre Vorschläge, um dieses Fach attraktiver zu gestalten? Davon habe ich in Ihrem Beitrag nichts gehört. Es geht doch darum, die Akzeptanz vor allem bei den Schülerinnen und Schülern zu steigern.

Jetzt möchte ich noch einmal etwas zu dem Titel Ihres Antrags sagen! Ihr Antrag trägt den Titel „Missbrauch zugewiesener Unterrichtsstunden in Biblische Geschichte abstellen“. Ich halte es für fahrlässig und irreführend, den Begriff Missbrauch in diesem Zusammenhang zu nutzen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie sich einfach noch einmal die Antwort des Senats von 2. Juni 2009 anschauen, werden Sie lesen können, dass diese Stunden nicht missbraucht werden, liebe Frau Motschmann.

Ich hoffe, Sie wissen auch, dass seit einiger Zeit eine Arbeitsgruppe im Ressort damit beauftragt ist, das Fach BGU zeitgemäßer und attraktiver zu gestalten, und vielleicht haben Sie auch irgendwann einmal inhaltliche Vorschläge dazu. Wir als Partei und als Fraktion arbeiten daran. Vielleicht schließen Sie sich dem irgendwann an, dann können wir vielleicht auch über das Problem der Nachfrage besser sprechen. Das wäre sinnvoll, das wäre effizient, und das würde ich von Ihnen erwarten, wenn Ihnen das Thema so am Herzen liegt. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Stahmann.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die CDU bemängelt, dass zu viel Unterricht im Fach Biblische Geschichte ausfällt. Seit 1947 wird Biblische Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage an bremischen Schulen angeboten. Dieser Unterricht leidet aus unterschiedlichen Gründen – einige sind hier eben schon vorgetragen worden – an mangelnder Akzeptanz. Das ist aus Sicht der grünen Fraktion ein guter Anlass, darüber zu sprechen, ob das Fach Biblische Geschichte überhaupt noch zeitgemäß ist. Ich möchte mich in meinem Redebeitrag eigentlich darauf beschränken, was wir für die Zukunft vorschlagen.

Wir Grüne wollen Religionsunterricht für alle. Im Augenblick ist es so, Frau Motschmann, dass sich auch viele Kinder und Jugendliche abmelden, dass das Ersatzfach gar nicht mehr angeboten wird, dass die Stunden an den Schulen – das haben Sie auch recht bemängelt – für andere Fächer genommen werden. Wir sehen einen Ausweg darin, einfach ein Fach für ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

alle Kinder und Jugendlichen anzubieten, und zwar dann auch genau mit dem Thema Religionskunde für alle. Der bremische Unterricht im Fach Biblische Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage ist aus unserer Sicht nicht mehr aktuell, deshalb findet er weitgehend gar nicht mehr oder nur sehr unterschiedlich statt. Wir wollen das verändern und ihn auf eine neue Grundlage stellen. Ich finde auch, seit 1947 ist viel Wasser die Weser hinuntergeflossen. Das Land hat sich verändert, und wir leben in einer anderen Bundesrepublik, als wir sie 1947 vorgefunden haben. Ich finde, dass es auch an der Zeit ist, im Hinblick auf diese Diskussion, die wir schon seit einigen Monaten oder eigentlich seit zwei Jahren ganz intensiv in Bremen führen, das Fach zu verändern.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir Grüne sind überzeugt, dass alle jungen Menschen Religion in der Schule kennenlernen sollten, aber nicht nur eine Religion mit absolutem Wahrheitsanspruch, sondern alle wichtigen Religionen, nicht getrennt nach Christen, nach Juden, Muslimen und Atheisten, sondern gemeinsam. Wir wollen deshalb, dass in Zukunft alle Schülerinnen und Schüler einen Unterricht über alle Religionen erhalten, der ihre Geschichte, ihre großen Erzählungen, ihre Fragen, ihre Kritik und ihre bis heute fortdauernde Wirkung zum Gegenstand hat, der dabei alle Religionen im Grundsatz auch gleich behandelt. Das ist auch im Sinne des Gebots der Gleichbehandlung aller Schülerinnen und Schüler und fördert ein gutes Miteinander in der Schule und im Stadtteil. Wir wollen eben nicht die Trennung nach unterschiedlichen Religionen, also einmal evangelischer Religionsunterricht, katholischer Religionsunterricht, dann Religionsunterricht für Kinder jüdischen Glaubens oder Islamkunde. Die Kinder gehen in eine Schule, und wir wollen einen Unterricht, der alle Kinder erreicht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die jungen Menschen sollen gemeinsam miteinander und übereinander lernen. Für eine gelingende Integration brauchen wir auf Kenntnissen beruhenden Respekt, und ich glaube, es ist wichtig, dass man voneinander weiß – Frau Motschmann, da bin ich auch bei Ihnen –: Was glaubt man, wofür steht man, für welche Werte streitet man? Ich glaube aber, dass es auch wichtig ist, an der Schule miteinander darüber ins Gespräch zu kommen und sich darüber auszutauschen. Das kann man nur in einem gemeinsamen Unterricht lernen und nicht, wenn man die Kinder alle separiert.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Für eine gelingende Integration, und darüber reden wir ja in den letzten Wochen häufiger, brauchen wir

auf Kenntnissen beruhenden Respekt für die kulturellen und religiösen Traditionen der anderen. Dazu muss aus meiner Sicht die Schule umfassend beitragen.

Am Montag vergangener Woche fand erneut ein interessantes Gespräch im Rathaus statt. Herr Wallage, der Bürgermeister von Groningen, war zu Gast im Rathaus, früher war er Staatssekretär im niederländischen Bildungsministerium, und er gab preis: Wir machen in den Niederlanden für alle Schülerinnen und Schüler einen Unterricht über alle Religionen. Das finde ich spannend, das wollen wir Bremer Grüne auch für Bremen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Verpflichtend?)

Früher hieß es immer, Herr Rohmeyer, gehen Sie doch nach drüben, wenn man DDR-Witze gemacht hat und jemand sagte, dass es ihm hier nicht passt. Wir wollen nicht nach drüben in die Niederlande gehen, sondern wir wollen dieses erfolgreiche Modell der Niederländer kopieren, für Bremen und auch für andere Bundesländer, denn wir glauben, das ist ein Zukunftsmodell. Darüber wollen wir uns auch streiten.

(Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Schaut euch erst einmal die Wahlergebnisse an! Die Ge- winne der Rechten!)

Wir wissen, dass unser Vorschlag nicht nur einhellige Begeisterung auslöst, dass man sich darüber auseinandersetzen muss. Wir haben auch schon verschiedene Veranstaltungen mit den Kirchen angeboten, wir sind in den Dialog eingetreten, das werden wir auch fortführen. Den CDU-Antrag, so wie er heute hier vorliegt, lehnen wir ab. Wir wollen uns aber weiter dafür einsetzen, dass die Idee, die ich hier vorgetragen habe, in Bremen Realität wird und wir zu einem modernen Unterricht im Fach Religionskunde kommen. – Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Troedel.