Protocol of the Session on June 17, 2010

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Soziale, ökologische und ökonomische Fortschritte müssen gleichrangig Leitbilder einer solchen Strategie sein, denn oft genug sind gute Arbeit, sozialer Fortschritt und ökologische Nachhaltigkeit eben einfache Nebenprodukte steigender Wettbewerbsfähigkeit, und wir sehen – und das ist die Chance, die diese Strategie auch mit sich bringt –, dass man es wirklich auch als gleichbleibende Ziele formuliert. Eine Wohlstandsstrategie steht gegen eine Dumpingstrategie, und für eine Dumpingstrategie steht momentan das, was die Bundesregierung plant, die gekennzeichnet ist von Niedriglöhnen, Sozialkürzungen und weiteren Armutsrisiken. Höhere Wachstumsraten und die Stagnation beziehungsweise Verschlechterung der Lebensqualität vieler Menschen werden da in Kauf genommen. Das ist nicht zukunftsweisend, das ist rückständig, und deswegen ist es gut, dass wir es auf europäischer Ebene vielleicht schaffen, einen anderen Weg zu gehen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Möllenstädt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Strategie „Europa 2020“, die jüngst vorgestellt worden ist, knüpft an die Lissabonstrategie an, an das Projekt, das über den Zeitraum von zehn Jahren lief und nun leider nicht sehr erfolgreich zu Ende geführt werden konnte. Die ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Bilanz, und ich glaube, das kann man hier durchaus in großer Einmütigkeit feststellen, ist leider nicht so positiv ausgefallen. Insofern ist es auch richtig, dass wir hier als Bürgerschaft diskutieren, welche Zukunft wir für eine gemeinsame europäische Strategie für die nächsten Jahre sehen. Wir haben als Liberale hierzu einen eigenen Antrag eingebracht, weil wir glauben, dass das, was die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen hier vorgelegt haben, nicht die Quintessenz sein kann.

Meine Damen und Herren, Sie wollen eine starke Verbreiterung des Themenspektrums der Europäischen Union anstreben, dabei ist doch deutlich geworden, dass sich die Europäische Union in Zukunft gerade eben nicht verheben soll. Es ist deutlich geworden, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger eben nicht wächst, wenn man immer mehr Ziele formuliert und immer weniger von diesen Zielen erreicht. Das Ziel müsste eigentlich sein, sich wirklich auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren, um die es in Europa gehen kann und auch die Aspekte von Europa zu vertiefen, die einen echten europäischen Mehrwert haben, wo eine übergreifende Zusammenarbeit im Fortschritt für die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich auch etwas bringt. Ich glaube, auf diese Bereiche sollte sich Europa in den nächsten Jahren konzentrieren, dort klare Indikatoren setzen, und dann wird das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die europäischen Institutionen auch wieder wachsen.

(Beifall bei der FDP)

Lassen Sie mich Ihnen in Kürze erläutern, was für uns als liberale Fraktion wegweisend ist! Wir wollen eindeutig keine Ausweitung der Zuständigkeiten und der bürokratischen Auswüchse auf die Europäische Union. Wir wollen ein klares Bekenntnis zu denjenigen Politikbereichen, in denen wirklich ein europäischer Mehrwert erreicht werden kann, auch ein klares Bekenntnis zur Weiterentwicklung des Binnenmarktes, zu einem freien Wettbewerb in marktwirtschaftlichen Regeln und marktwirtschaftlicher Ordnung. Das muss sein, und dieses Bekenntnis braucht man auch in dieser Zeit, um auch das Vertrauen in die europäischen Märkte wieder zu stärken.

(Beifall bei der FDP)

Was für uns ebenfalls nicht in Betracht gezogen werden kann, ist eine Übertragung von Kernelementen der Sozialpolitik auf die europäische Ebene, weil wir fest davon überzeugt sind, dass zum einen die Nationalstaaten heute zu unterschiedliche Regelungen haben und das aber auch aus guten Gründen für sich jeweils so entschieden haben. Zum anderen glauben wir, dass Sozialpolitik immer etwas sein muss, was nahe bei den Menschen gemacht werden soll,

(Beifall bei der FDP)

und das kann die Europäische Union nach unserer Auffassung in den nächsten Jahren nicht leisten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie haben in Ihrem Antrag einen starken Schwerpunkt auf den Bereich des Klimaschutzes, des Umweltschutzes gelegt. Auch da sei eines deutlich gesagt: Es muss darum gehen, hier Maßnahmen zu ergreifen, die auch wirklich effizient sind, und nicht nur solche, die einen hohen Symbolwert haben. Auch da ist es sinnvoll, sich wirklich einmal neutral anzuschauen, was getan werden kann. Wir plädieren eindeutig dafür, dort entschieden voranzugehen. Wir glauben allerdings, dass es für die Europäische Union in ihrer Vielfalt kein geeignetes Politikfeld ist, um sich daran wirklich in der Form, wie Sie es hier beschrieben haben, messen zu lassen. Wir glauben, dass es dort sicherlich gemeinsamer Anstrengungen bedarf, aber es muss eben wirklich darum gehen, dass man auch Indikatoren findet, die tatsächlich auch die Effizienz solcher Klimaschutzmaßnahmen beschreiben.

(Beifall bei der FDP)

Weiterhin muss klar sein – und auch da sehen wir Risiken in der Strategie, die uns der Antrag der Koalition vorschlägt –, Europa handelt mit den Steuermitteln und Abgabemitteln der Bürgerinnen und Bürger. Deshalb muss es in den nächsten Jahren insbesondere darum gehen, auf der europäischen Ebene wie auf der Ebene der Nationalstaaten zu Sparsamkeit aufzurufen, sich auf der europäischen Ebene auf die wirklichen strategischen Bereiche europäischer Politik zu konzentrieren, also keine Ausweitung, nicht immer mehr zusätzliche Aufgaben, nicht immer mehr Instrumente und Indikatoren, sondern klare Regeln, Konzentration auf das Wesentliche. Dafür stehen wir auch mit unserer liberalen Europapolitik hier in der Bremischen Bürgerschaft.

(Beifall bei der FDP)

Einige Punkte sind gleichwohl sicherlich unstrittig. Es ist klar, dass wir – dazu haben wir uns auch immer bekannt – eine Stärkung von den Institutionen brauchen, die uns zu dieser gebotenen Konzentration und Sparsamkeit anhalten können wie etwa des Europäischen Rechnungshofs. Wir brauchen die Stärkung der europäischen Statistikbehörde. Es hat sich in den vergangen Wochen und Monaten mehr als deutlich gezeigt, dass dort Defizite sind.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Vor drei Jahren waren Sie noch da- gegen, das ist das Problem! Wer hat das ver- hindert?)

Dementsprechend muss dort auch eine Konzentration stattfinden, damit diese wesentlichen Ziele auch eingehalten werden können.

Letzter Punkt: Für uns ist auch klar, wir wollen weder eine europäische Zentralregierung in irgendeiner Form – wir sind ganz klar dafür, dass die Nationalstaaten dort auch weiterhin bestimmend sein sollen, brauchen aber auch eine Stärkung des Europäischen Parlaments, aber eben keine europäische Regierung, die dann aus einer fernen Zentrale in die Nationalstaaten hineinregiert –, und wir sind strikt dagegen, dass Europa in den nächsten Jahren auch nur den Charakter einer Transferunion bekommen soll. Dagegen wenden wir uns. Wir glauben, es ist sehr sinnvoll, dass man die Verantwortung auch bei den Nationalstaaten belässt und dort kooperiert, wo es Sinn macht. In diesem Sinne, meine Damen und Herren, bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. – Vielen herzlichen Dank!

(Beifall bei der FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Motschmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich liebe Vorbemerkungen, und darum mache ich auch jetzt eine, es ist ein Appell an alle Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen: Bitte geben Sie dem Thema Europa mehr Zeit als einmal 5 Minuten!

(Beifall bei der CDU und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Es kann doch nicht sein, dass wir das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Leichenwesen länger debattieren als die Strategie „Europa 2020“. Mit Verlaub, das ist Schwachsinn!

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. D r. B u h l e r t [FDP])

Die CDU hat einen eigenen Antrag vorgelegt, und, Herr Dr. Kuhn, dieser Antrag ist von den vorgelegten Anträgen mit Abstand der beste, inhaltsreichste, ausführlichste und von der Position her der klarste. Leider kann ich mich aufgrund der kurzen Zeit nur auf zwei Punkte konzentrieren: Erstens, in dieser Strategie 2020 wird die Steigerung der Forschungsausgaben auf 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes, Verringerung der Schulabbrecherquote auf 10 Prozent und Steigerung der Hochschulabschlussquote auf 40 Prozent gefordert. Diese Vorgaben sind übrigens ziemlich konkret, Frau Hiller. Dazu möchte ich sagen, dass die christlich-liberale Koalition,

die ja im Augenblick in Berlin in der Diskussion steht, sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt hat, die Forschungs- und Bildungsausgaben bis 2013 auf 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen. Das sind zusätzlich 12 Milliarden Euro für Investitionen in Bildung und Forschung.

(Beifall bei der CDU)

Das, meine Damen und Herren, ist die beste Jugendpolitik. Das ist nämlich auch sehr konkret, und das kommt allen Jugendlichen zugute, allen Jugendlichen, die sich im Bildungssystem unseres Landes befinden, und hier wird nicht gekürzt. Eine klasse Schwerpunktsetzung von FDP und CDU!

(Beifall bei der CDU)

Zweitens möchte ich mich auf einen Punkt des Koalitionsantrags konzentrieren, der mich sehr gefreut hat, ich bin heute nett mit der Koalition! Da heißt es in einer Art Selbstverpflichtung zum Punkt der Erhöhung der Beschäftigungsquote, der ja auch in dieser Strategie 2020 enthalten ist, ich zitiere: „Die Bürgerschaft (Landtag) erwartet jedoch, dass die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und die Förderung der sozialen Eingliederung in abgestimmte und gemeinsame Politik umgesetzt wird. Zentral sind dabei gerechte Arbeitsbedingungen, die Gewährleistung Existenz sichernder Entgelte wie der Abbau der Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen.“ Ja, meine Damen und Herren, das ist ein wichtiger Punkt, und das ist für Bremen ein wichtiger Punkt. Auch das wollen wir hier einmal festhalten, denn der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen in Bremen liegt bei 24 Prozent, und im europäischen Durchschnitt liegt er bei 15 Prozent. Das ist peinlich, und das ist Ergebnis sozialdemokratischer Politik in diesem Lande, auch das wollen wir einmal festhalten!

(Beifall bei der CDU)

Übrigens, wenn Sie den Vergleich mit gleich großen Städten in der Bundesrepublik ziehen, dann liegt dort der Lohnunterschied bei 12 Prozent – in Dortmund, einer vergleichbar großen Stadt –, und in Bremen ist er doppelt so hoch und liegt bei 24 Prozent. Das ist ein nicht hinnehmbarer Zustand!

(Vizepräsident R a v e n s übernimmt den Vorsitz.)

Deshalb finde ich es gut, dass Sie sich dieses Defizit Bremens – und es ist eines – in Ihrem Antrag auf die Hörner nehmen und da etwas tun wollen, und wir werden Sie an den Ergebnissen Ihrer Arbeit messen. Insofern kann ich Ihnen so raten: Handeln Sie, es ist allerhöchste Zeit!

Was die Gewährleistung Existenz sichernder Entgelte betrifft, da kann ich nur sagen, auch die Arbeitslosenquote ist in Bremen ziemlich dramatisch schlecht, und auch da haben Sie Nachholbedarf. Auch da können Sie viel tun, und ich hoffe, Sie tun es auch durch eine vernünftige Wirtschaftspolitik.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen])

Wir liegen im Land Bremen bei 12,1 Prozent Arbeitslosigkeit, im bundesdeutschen Durchschnitt sind es 7,7 Prozent. Auch das ist ein peinliches Ergebnis. Insofern haben wir da in der Tat etwas zu tun, und da wird Europa konkret. Da übersetzen wir es in Handeln auf Ebene des Landes oder der Kommune. Insofern sage ich einmal, Sie fordern immer von uns, dass wir ein sozialeres Gewissen haben. Bei dieser katastrophalen Arbeitslosigkeit und auch dem Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen in Bremen, der schlechter ist als im europäischen und im bundesdeutschen Durchschnitt, kann ich sagen, haben Sie viel Grund, Ihr soziales Gewissen zu schärfen, denn das ist für die Frauen in der Tat kein guter Zustand und schlimm, wenn sie immer noch schlechter bezahlt werden als die Männer.

(Beifall bei der CDU)

Also, meine lieben Kollegen von Rot-Grün, wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen!

(Beifall bei der CDU)

Sie haben sozialpolitisch viel zu tun. – Danke schön!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Erlanson.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stehe hier heute als Ersatzspieler vor Ihnen, von daher muss ich um Nachsicht bitten, dass ich an der einen oder anderen Stelle ein bisschen mehr ablesen muss.

Lassen Sie mich drei Punkte zu dem Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD sagen! Im ersten Punkt, den ich nennen möchte, wie meine Vorredner auch gesagt haben, ist auch DIE LINKE der Meinung, dass die Lissabonstrategie, die ja doch aus unserer Sicht sehr neoliberal geprägt war, mittlerweile als gescheitert angesehen werden muss und dass es eine neue Strategie geben soll.

(Beifall bei der LINKEN) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. (A) (C)

Wir unterstützen auch ganz deutlich, das steht in Ihrem Antrag, wenn es da heißt, es geht um die Vision der europäischen sozialen Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Soziale Marktwirtschaft? Steht das dort?)