Die Bürgerschaft (Landtag) hat das Gesetz zur Änderung der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen in ihrer 38. Sitzung am 19. Februar 2009 in erster Lesung beschlossen. Die Artikel 1 und 4 des Gesetzes hat die Bürgerschaft (Landtag) in ihrer 46. Sitzung am 28. Mai 2009 in zweiter Lesung beschlossen. Wir kommen jetzt zur zweiten Lesung der Artikel 2 und 3 und zur dritten Lesung der Artikel 1 und 4 des Gesetzesantrages. Die gemeinsame Beratung ist eröffnet. Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Röwekamp.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Man merkt ein bisschen an der Spannung im Plenarsaal vor der Debatte, aber auch vor der Abstimmung, den Abgeordneten, den Kolleginnen und Kollegen ist bewusst, dass das, was wir jetzt miteinander beraten, ein ganz entscheidender Schritt in der Fortentwicklung der Demokratie im Lande Bremen ist. Wir haben uns in intensiven und langwierigen Beratungen in einem nichtständigen Ausschuss mit den Möglichkeiten zur Erleichterung der Volksgesetzgebung in Bremen beschäftigt, intensiv und konstruktiv beraten, wie sich auch aus dem Ihnen vorliegen Bericht des nichtständigen Ausschusses ergibt.
Es ist uns gelungen, in fast allen Punkten zu von allen Fraktionen getragenen Übereinstimmungen zu kommen. Ich will mich an dieser Stelle für die CDU-Fraktion bei den Kolleginnen und Kollegen der übrigen Fraktionen bedanken, dass es gelungen ist, in
einer so sachlichen, aber eben auch ergebnisorientierten Arbeit ein so gutes Ergebnis vorzulegen, wie wir das heute mit dem Gesetzesänderungsantrag in der dritten Lesung haben. Es hat sich aber auch gezeigt, dass es in einem einzigen noch verbleibenden Punkt Unterschiede zwischen den Fraktionen hier im Hause gibt. Bemerkenswerterweise gibt es Unterschiede in der inhaltlichen Auffassung nur zwischen der SPD und allen anderen Fraktionen, bei der Frage nämlich, wie wir in Zukunft die Notwendigkeiten ausgestalten, durch Volksentscheid unsere Verfassung zu ändern, das ist nach wie vor strittig.
In den bisherigen Debatten haben die CDU-Fraktion ebenso wie die FDP-Fraktion, aber auch die Fraktionen vom Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion DIE LINKE ihre Bereitschaft bekundet, den Vorschlag und den Anregungen der Initiative „Mehr Demokratie e. V.“ zu folgen, das bisherige Quorum für die Zulassung eines verfassungsändernden Volksbegehrens von 20 auf 10 Prozent und das Quorum für die Annahme eines solchen verfassungsändernden Volksentscheides von 50 auf 40 Prozent zu senken. Wir haben hier im Parlament über die Vor- und Nachteile dieser Regelungen sehr breit debattiert aus Anlass der ersten Lesung, in dem Ausschuss, aus Anlass der zweiten Lesung und auch seit der zweiten Lesung.
Die Präsidentin hat eben darauf hingewiesen, seit der zweiten Lesung und dem Beschluss in der zweiten Lesung sind mehrere Monate ins Land gegangen, und wir als CDU-Fraktion, aber, ich glaube, auch Vertreter der einen oder anderen Fraktion, hatten nicht zuletzt auch aufgrund Ihres Debattenbeitrages, Herr Dr. Sieling, den Eindruck, als ob man sich in dieser letzten noch verbleibenden Frage noch verständigen könnte. Für die CDU-Fraktion haben wir, nachdem eine solche Verständigung nicht gefunden werden konnte, den Änderungsantrag so eingebracht, wie er inhaltlich von den Fraktionen der FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Linkspartei getragen wird. Diese Fraktionen wollen dem Anliegen von „Mehr Demokratie e. V.“ folgen und der Bevölkerung die Möglichkeit erleichtern, auch die Bremer Landesverfassung durch einen Volksentscheid zu ändern.
Diese Landesverfassung, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurde am 12. Oktober 1947, also vor knapp 62 Jahren, eben auch durch einen Volksentscheid angenommen. Damals, 1947, haben sich 62 Prozent der Bevölkerung an der Abstimmung über diesen Volksentscheid beteiligt.
Sie haben mit der Mehrheit von 72,4 Prozent dieser Landesverfassung ihre Zustimmung gegeben. Das entspricht bezogen auf die Bevölkerung einem Zustimmungsquorum von 45,1 Prozent. Das heißt,
die Verfassung, über die wir heute sprechen, hat bei ihrer Entstehung eine Zustimmungsquote der Bevölkerung von 45,1 Prozent gehabt. Mit welcher Begründung, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, soll diese Verfassung jetzt eigentlich nur mit einem höheren Quorum, nämlich 50 Prozent, geändert werden können? Das verstehen wir nicht.
Hätte es das von Ihnen jetzt favorisierte Quorum schon am 12. Oktober 1947 gegeben, hätte Bremen überhaupt keine Landesverfassung. Das wäre die Konsequenz aus Ihrem Verhalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man kann sicherlich darüber streiten, wie viele gute Gründe es dafür gibt, ein Quorum von 50 Prozent beizubehalten, wie wir es zurzeit in unserer Landesverfassung haben. Es stellt sich aber eine weitere Frage. Warum will eigentlich dieses Parlament, das selbst überhaupt nicht über eine so hohe Legitimation verfügt, der Bevölkerung, die dieses Parlament gewählt hat, zumuten, nur mit einer höheren Zustimmungsquote die Verfassung ändern zu können? Wenn dieses Parlament heute mit zwei Drittel seiner gesetzlichen Mitglieder – bei einer Wahlbeteiligung bei der letzten Bürgerschaftswahl von 57,1 Prozent – die Verfassung ändert, ist das 50-Prozent-Quorum der Zustimmungsquote der Bevölkerung, wie Sie es in dem Gesetz fortschreiben wollen, bei Weitem nicht erfüllt.
Die CDU-Bürgerschaftsfraktion glaubt und ist der festen Überzeugung, dass dieses Parlament den Menschen, dem Souverän, der dieses Parlament gewählt hat, keine höheren Hürden auferlegen darf als sich selbst.
Wir haben gehofft, dass es in dieser Frage Bewegung gibt, weil wir keine inhaltlichen Gründe seitens der SPD-Fraktion in der bisherigen Debatte gehört haben. Die Fraktionen haben sich vielmehr wechselseitig mit Verdächtigungen überzogen. So hieß es: Die CDU-Fraktion meint das mit ihrem Antrag überhaupt nicht ernst. Ich sage, probieren Sie es aus! Wir werden heute natürlich unserem eigenen Antrag zustimmen, und wir werden dann auch den geänderten Quoren bei der Abstimmung über die Änderung der Landesverfassung am Ende zustimmen. Wenn Sie es wirklich wissen wollen, geben Sie die Abstimmung jetzt frei, und Sie werden sehen, dass die CDU-Fraktion es mit der Absenkung der Quoren bei verfassungsändernden Volksentscheiden ernst meint.
Wie ernst meint es eigentlich die SPD-Fraktion? Ich kann mich an viele Gespräche und Dialoge mit Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion der SPD erinnern, in denen wir über diese Fragen gesprochen haben. Sie, Herr Dr. Sieling, haben hier im Parlament, aber auch in einem Telefongespräch mit mir Sympathie für das von der SPD in Hamburg mitgetragene sogenannte Hamburger Modell geäußert, bei dem man das Zustimmungsquorum an die Wahlbeteiligung koppelt, um sicherzustellen, dass die Verfassung eben nicht gegen die Mehrheit der wählenden Bürgerinnen und Bürger geändert wird. Wir haben erklärt, dass man darüber mit uns sprechen kann. Sie haben es damals im Zusammenhang mit Ihrem Antrag auf Verlängerung der Legislaturperiode angeboten, die Sie damit begründet haben, dass es jetzt mehr Demokratie gibt und man deswegen auch seltener wählen kann. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, mit der Verfassung ist mit der CDU-Fraktion kein Geschäft zu machen.
Wir können über Inhalte bei der Ausgestaltung der Absenkung solcher Quoren miteinander sprechen. Wir hätten auch über Varianten des Hamburger Modells miteinander sprechen können. Für Sie gab es aber nur das System ganz oder gar nicht, und das ist für uns, sehr geehrter Dr. Sieling, keine Geschäftsgrundlage für die Beratung über verfassungsändernde Volksentscheide.
Ich will auch für die CDU-Fraktion signalisieren, dass wir nicht an dem Inhalt unseres Antrags kleben. Wir schlagen vor, das zusätzliche Zulassungsquorum auf 10 Prozent und das Zustimmungsquorum auf 40 Prozent zu senken. Wenn es eine Mehrheit dafür gäbe, eine andere Quote von 15 und 45 Prozent, vielleicht in Anlehnung an den 12. Oktober 1947, zu bilden, hätte man mit uns darüber sprechen können. Man hätte auch mit uns darüber sprechen können, vielleicht aus Überzeugungsgründen, nicht das 50Prozent-Zustimmungsquorum zu ändern, sondern vielleicht nur die Zugangsvoraussetzungen für einen verfassungsändernden Volksentscheid zu erleichtern. Auch das wäre für uns in den Beratungen vorstellbar gewesen.
Die SPD-Fraktion will aber nichts, sie will nicht die Absenkung der Quoren, sie will nicht das Absenken der Eingangsvoraussetzungen. Sie will an der Forderung festhalten, dass der Souverän innerhalb von drei Monaten fast 100 000 Stimmen sammeln muss, nur um ein Verfahren in Gang zu setzen, bei dem am Ende vielleicht über eine Verfassungsänderung abgestimmt wird. Meine Damen und Herren, nach Überzeugung der CDU-Fraktion sind die Hürden so hoch, dass sie für uns nicht akzeptabel sind. Das bedeutet, dass wir in der heutigen Abstimmung
Wir werden, weil wir auch darin einen Fortschritt sehen, bei Ablehnung unseres Antrags auch dem Antrag der Linkspartei auf Absenkung der Eingangsvoraussetzungen und damit der Erleichterung von verfassungsändernden Volksentscheiden gleichfalls unsere Zustimmung geben. Wenn es aber, wie angekündigt, von der SPD-Fraktion in dieser Frage nicht einen Millimeter Bewegung gibt, werden wir am Ende dem verfassungsändernden Gesetz unsere Zustimmung nicht erteilen.
Das sage ich, Herr Dr. Sieling, weil ich gewusst habe, dass Sie heute darüber debattieren wollen, weil Sie mit der Verantwortungsschieberei beginnen wollen. Die Verfassung eignet sich nicht dazu, politische Verantwortungsschieberei zu betreiben.
(Beifall bei der CDU und bei der LINKEN – Abg. D r. S i e l i n g [SPD]: Spieglein, Spieglein an der Wand!)
Vielleicht hat Herr Dr. Paul Tiefenbach in seinem Brief an den Fraktionsvorstand der Fraktion DIE LINKE recht, wenn er schreibt, ich zitiere: „Wir sind nach zahlreichen Gesprächen zu der Einschätzung gekommen, dass zumindest ein großer Teil der SPDFraktion ein Scheitern des Gesetzes in der dritten Lesung nicht ungern sähe und deswegen weitere Zugeständnisse verhindert.“
Herr Dr. Sieling, Sie haben heute und hier mit Ihrer Fraktion die Gelegenheit zu dokumentieren und nachzuweisen, dass Sie es mit der Erleichterung der Volksgesetzgebung auch in allerletzter Konsequenz, auch was den Kernbestand der Volksgesetzgebung, nämlich die Verfassungsgesetzgebung, betrifft, ernst meinen. Geben Sie sich einen Ruck, machen Sie einen Schritt auf alle anderen Fraktionen in diesem Parlament zu!
Ich biete auch ausdrücklich an, dass wir, wenn es diese Bereitschaft bei Ihnen gibt, die heutige Lesung noch einmal unterbrechen, um vielleicht noch einmal mit den Fraktionsvorsitzenden gemeinsam zu einer Lösung zu kommen. Die CDU-Fraktion hat ein nachhaltiges Interesse daran, dass wir diese zentrale und entscheidende Frage im Einvernehmen des gesamten Parlaments treffen. Das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern als Souverän schuldig. – Vielen Dank!
Ein roter Hering ist in der Politik der Sechziger- und Siebzigerjahre die Bezeichnung für ein Propagandainstrument, um die Gegner und die Bevölkerung zu desinformieren. Ebenso wurde es benutzt, um den politischen Gegner gegenüber der eigenen Bevölkerung zu diskreditieren. Hier und heute erleben wir die Geburt des schwarzen Herings. Ich stelle einmal die Aussage in den Raum, die ich im Internet gefunden habe, und fordere Sie einmal auf zu raten, wer sie getätigt hat. Ich zitiere: „Komplexe politische Fragen sollte man bei bundesweiten Volksabstimmungen nicht auf ein Ja oder Nein verkürzen. Das könnten Populisten und Interessengruppen ausnutzen. Die Debatte von Alternativen und Nachbesserungsvorschlägen im Bundestag hat sich bewährt.“
Richtig, Frau Dr. Mohr-Lüllmann, Sie fühlen sich angesprochen. Es ist eine Aussage von Ihnen. Vermeintlich geschickt fordert die CDU nach diesem grundsätzlichen Bekenntnis zur Volksgesetzgebung, dass die beiden Quoren für die Verfassungsänderung in Bremen abgesenkt werden sollen, und macht hiervon ihre Zustimmung zu allen anderen bereits einvernehmlich erreichten Verbesserungen der Volksgesetzgebung abhängig.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, der Vollständigkeit halber noch einmal darzustellen, worauf wir uns bisher einvernehmlich geeinigt haben. Wir haben uns einvernehmlich darauf geeinigt, dass die Initiatoren eines Volksbegehrens eine kostenfreie Beratung durch den Senat und die Bürgerschaft erhalten. Weitestgehend einvernehmlich haben wir uns darauf geeinigt, dass finanzwirksame Volksentscheide in Zukunft zulässig sind.
Wir haben uns darauf geeinigt, dass Volksentscheide an Wahltagen durchgeführt werden, in der Hoffnung, dass dadurch die Beteiligung erhöht wird. Wir haben uns einvernehmlich darauf geeinigt, dass zu Volksentscheiden ein öffentliches Abstimmungsheft erstellt werden muss, damit die Bürger neutral darüber informiert werden können, was der Gegenstand von Volksentscheiden ist. Wir haben uns darauf geeinigt, dass die Initiatoren eines Volksbegehrens in Zukunft in der Volkshochschule und in der Stadtbibliothek Unterschriften sammeln können, damit sie nicht im Regen stehen, sondern das Ganze ein wenig erleichtert wird.
Wir haben uns darauf geeinigt, dass Stichfrage und Konkurrenzvorlage vorgelegt werden. Das heißt, dass nicht die einfache Ja/Nein-Entscheidung zur Abstimmung gestellt wird, sondern politische Alternativen. Wir haben uns auch darauf geeinigt, dass ein Dialogverfahren eingeführt wird, das Ganze dient dazu, die Volksentscheide bunter und auch Erfolg versprechender zu machen.
Wir haben uns darauf geeinigt, bei einfach gesetzlichen Vorhaben das Unterschriftsquorum auf fünf Prozent zu senken. Das Zustimmungsquorum wird auf 20 Prozent gesenkt. Wir haben uns sogar darauf geeinigt, was ich auch sinnvoll finde, die Verbindlichkeit von Volksentscheiden zu erhöhen. Wir haben nämlich hineingeschrieben, dass innerhalb von zwei Jahren ein durch Volksentscheid zustande gekommenes Gesetz in einer Legislaturperiode nicht wieder verändert werden kann.
Herr Röwekamp, unabhängig von dem, was man von Ihren taktischen Manövern halten kann! Ich unterstelle Ihnen, dass Sie in Vorbereitung dieser Debatte sehr wohl auch in die Staatsgerichtshofentscheidung vom 14. Februar 2000 geschaut haben. Ich möchte noch einmal aus zwei Passagen zitieren. Der Staatsgerichtshof führt aus: „Das Unterstützungsquorum für ein Volksbegehren zur Verfassungsänderung muss daher zum Ausdruck bringen, dass damit eine Angelegenheit zum Volksentscheid gebracht werden soll, die nicht nur für eine Minderheit der Bevölkerung von Bedeutung ist. Nach aller verfassungsrechtlicher Literatur erfüllt ein Unterschriftsquorum von zehn Prozent diese Voraussetzung nicht.“ Ohne sich auf eine absolute Untergrenze für das Zustimmungsquorum festzulegen, führt der Staatsgerichtshof weiter aus: „Der Vorrang der Verfassung erfordert einen erhöhten Bestandsschutz der Verfassung und damit ihre erschwerte Abänderbarkeit. Eine Verfassungsänderung soll an eine breite Akzeptanz geknüpft werden.“
Nun ist es so, Sie haben den Ausflug in die Geschichte gemacht, ich habe den Ausflug in die Republik gemacht und habe mir einmal angeschaut, wie die Akzeptanzschwelle in den anderen Bundesländern eigentlich aussieht. Tatsächlich ist es so, dass drei Bundesländer die Akzeptanzschwelle geringer ansetzen, das ist ihnen zuzugestehen. Sechs Bundesländer setzen diese wesentlich höher an. Zwei Bundesländer, nämlich Saarland und Hessen, kennen keine Verfassungsänderung durch Volksentscheide. Wenn man die Akzeptanzschwelle bewertet, hält die SPD diese Akzeptanzschwelle, so wie sie in der Bremer Landesverfassung festgelegt ist, für angemessen.