Genau! Bei dem Antrag der FDP fragt man sich, ob es ein männerpolitisches Thema ist oder ein frauenpolitisches? Ich denke, es ist ein frauenpolitisches Thema unter dem Deckmantel der Männerpolitik, deshalb wurde ja auch Frau Hauffe im „Weser-Kurier“ dazu befragt. Frauenpolitik basiert auf den Erfahrungen vieler Frauen und auf eigenen Erfahrungen. Sie basiert auf Wissen, auf etwas Wut und auch auf Humor,
sonst kann man das nämlich gar nicht machen. So macht es Ulrike Hauffe, und in diesem Sinne versuche ich jetzt auch, zum FDP-Antrag Stellung zu nehmen.
Die FDP betrachtet die Jungen als die Verlierer des Bildungssystems. Tut mir leid, Herr Dr. Möllenstädt, ich habe da Schwierigkeiten. Aus unserer Sicht ist das abwegig.
Die FDP will die Bildungsbenachteiligung von Jungen und jungen Männern bekämpfen. Diese Absicht mag gut gemeint sein, aber sie geht an der Realität vorbei, das ist hier wiederholt gesagt worden, denn die Bildungsrendite ist bei Mädchen noch immer sehr viel schlechter als bei Jungen, das muss man einfach feststellen. Wer verdient denn in unserem Land deutlich besser, Männer oder Frauen? Wer hat denn in vielen beruflichen Bereichen, insbesondere in den höher dotierten, bessere Chancen am Arbeitsplatz, Männer oder Frauen? Wer übt denn mit überwältigender Mehrheit Teilzeitarbeit aus und wird in der Konsequenz von Beförderungen im Beruf weitgehend ausgeschlossen, zumindest aber ausgebremst, Männer oder Frauen? Wer hat denn eine bessere Altersversorgung? Wer sitzt denn in den Führungsetagen unserer Gesellschaft, warum liest man in der Wirtschaftswoche „Willkommen in der Macho-AG“: „In Sachen weibliches Top-Management ist Deutschland ein Entwicklungsland.“
Nein, die Bildungsrendite ist trotz aller Bemühungen um die Gleichberechtigung der Frau noch immer ein Problem für viele Frauen. Richtig ist zwar, dass Mädchen mehrheitlich einen besseren Notendurchschnitt in den Zeugnissen haben, bessere Abiturnoten, bessere Examina; das hängt zum Teil damit zusammen, dass Mädchen fleißiger sind, und bei gleicher Intelligenz bringt das dann natürlich auch die besseren Noten. Aber im Ergebnis sind Frauen eben nicht die Gewinner auf dem Arbeitsmarkt, sondern die eindeutigen Verlierer. Darum, Herr Dr. Möllenstädt, rufe ich Ihnen ein Zitat von Professor Kurt Weidemann – ganz bekannter europäischer Designer – zu: „Nicht, was erzählt wird, reicht, sondern was erreicht wird, zählt.“
Richtig ist auch, dass Frauen in der Regel ausgeprägtere soziale Kompetenzen haben als Männer, aber das führt dazu, dass Frauen bessere Chancen bei den schlecht bezahlten Sozial-, Pflege-, Erziehungs- und Dienstleistungsberufen haben. Richtig ist weiterhin, dass Frauen eine größere Flexibilität im Hinblick auf ihr Rollenverhalten in Familie und Beruf haben. Das wiederum führt noch immer dazu, dass viel mehr Frauen als Männer die Doppelbelastung von Familie und Beruf tragen oder tragen müssen.
Oberflächlich betrachtet könnte man auf die Idee kommen, dass nach einem langen Kampf für die Gleichberechtigung der Frauen nun die Männer einmal an
der Reihe sind. An Stammtischen wird schon lange und oft gewitzelt, dass man nun die Gleichberechtigung der Männer stärker ins Visier nehmen müsse. Ich kann nur davor warnen, sich auf dieses Niveau zu begeben.
Natürlich gibt es Probleme im Erziehungssystem bei den Jungen, Herr Fecker und Frau Böschen haben darauf hingewiesen. Deshalb sind auch wir der Meinung, dass man diesen Antrag überweisen sollte. Es kann ja nicht schaden, wenn in der Bildungsdeputation einmal darüber nachgedacht wird, was man gegen die von der FDP beschriebenen mangelnden sozialen Kompetenzen von Jungen tun kann. Es kann auch nicht schaden, über das von der FDP beschriebene enge Rollenverständnis von Jungen nachzudenken und zu überlegen, wie man Abhilfe schaffen kann. Man kann auch nichts dagegen haben, bei Jungen die Konflikt-, Kommunikations- und Teamfähigkeit zu stärken, das sind ja alles gute Ziele, die die Schule erreichen muss, aber die Schule wird es nicht schaffen, alles zu korrigieren, was im Elternhaus nicht gelernt und geübt wird.
Man kann all diesen Bemühungen um das Selbstverständnis der Jungen zustimmen, solange – und das sage ich nun mit großem Ernst – dies nicht dazu führt, dass das Thema Gleichberechtigung und Chancengleichheit für Mädchen vernachlässigt wird.
Das ist kein erledigtes Thema, leider! Wir müssen insofern aufpassen, dass die Jungen uns von diesem Feld nicht wegdrängeln, wie sie das ja manchmal so gern tun, auf dem Schulhof, im Beruf und an vielen anderen Stellen in der Gesellschaft. Wenn es darum geht, auf ein Bild in der Zeitung zu kommen, ist die Drängelei immer groß. Ja, wir müssen uns darum kümmern, Herr Dr. Möllenstädt, aber wennn es dazu führt, dass wir die Gleichberechtigung der Frauen aus den Augen verlieren, wäre es eine schlechte Initiative. – Vielen Dank!
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man den Redebeiträgen gefolgt ist, hat man natürlich sehr unterschiedliche Sichtweisen auf das Thema einfangen können. Ich würde mich gern zum Abschluss der Debatte noch einmal mit einigen vorgebrachten Argumenten auseinandersetzen.
Ich denke, es ist deutlich geworden, Frau Kollegin Motschmann, dass es – und das ist sicherlich auch ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
In dem Antrag, den wir Ihnen vorgelegt haben, ist an keiner Stelle davon die Rede, dass wir die Forderung nach Gleichberechtigung von Frauen oder Mädchen in irgendeiner Weise gegen das Thema Bildungsbenachteiligung von Jungen ausspielen wollen. Ich habe auch nicht gesehen, dass Sie das dort belegt gefunden haben. Für uns ist es keine Alternative, zwischen der man sich entscheiden muss, sondern es ist ein Sowohl-als-auch. Wir möchten, dass das eine getan wird, ohne das andere zu lassen. Das ist der Ansatz dieses Antrags.
Entscheidend ist für uns auch nicht die Frage, der Herr Beilken nachgegangen ist. Es ist aus unserer Sicht ausdrücklich kein Thema, das sich ausschließlich am Geld orientiert, sondern primär eine Frage der Prioritätensetzung, der fachlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema in den Schulen. Wer meinem Kollegen Dr. Buhlert in seinen bildungspolitischen Debattenbeiträgen folgt, wird sehr oft gehört haben, dass es uns darum geht, dass die FDP-Fraktion jedes Kind individuell fördern will, und das heißt für uns nun einmal auch, sein Geschlecht anzuerkennen und das in dieser Weise zu bestätigen, wie wir es in dem Antrag beschrieben haben.
Ich glaube deshalb, dass der Antrag, den wir gestellt haben, sehr wichtig ist. Ich hoffe auch, dass wir in den nachfolgenden Beratungen das eine oder andere gute Ergebnis für die Bildungspolitik im Lande Bremen daraus ziehen können.
Ich möchte noch einmal drei Beispiele benennen, die auch hier in der Debatte gefallen sind: Einmal ist die Frage derjenigen angesprochen worden, die ohne einen Hauptschulabschluss die Schule verlassen. Es ist in der Tat so, dass es bei den männlichen Jugendlichen immerhin – mit Zahlen aus dem Jahr 2005 – 11 Prozent waren, damals waren es bei den Mädchen 6,5 Prozent, das ist für uns schon ein eklatanter Unterschied. Für uns wirft das schon die Frage auf: Muss das so sein, oder kann es der Schule nicht gelingen, für beide Geschlechter gleichermaßen vernünftige Förderkonzepte zu entwickeln?
Es wurde weiterhin die schwierige Situation von Frauen angesprochen, in oberste Führungsetagen zu kommen. Sie wissen, das habe ich hier auch mehrfach gesagt, dass es ein Thema ist, das wir sehr ernst nehmen!
Nur kümmern wir uns nicht nur um diejenigen, die oberste Führungsetagen anstreben, sondern eben auch um diejenigen, die vielleicht im mittleren Bereich oder in einfachen Ausbildungsberufen arbeiten wollen und sollen.
Ein weiterer Punkt steht ebenfalls auf der Tagesordnung: Wenn man sich einmal mit der Debatte über das Thema Jugendgewalt, das uns hier regelmäßig beschäftigt, auseinandersetzt, sieht man, dass es mit diesem Thema auch zusammenhängt. Sie alle wissen doch, dass diejenigen, die wir mit diesem Ansatz adressieren, auch in der Mehrzahl männliche Jugendliche sind, und deshalb, glaube ich, greift dieser Beitrag, den wir versucht haben zu geben, sehr gut in dieses Handlungskonzept hinein und knüpft daran an. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen in der Deputation und hoffe, dass wir gute Ergebnisse zeitigen werden. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der zweite Beitrag war so hinreichend differenzierend, dass wir jetzt fast aufhören könnten zu diskutieren. Sie haben noch einmal sehr genau beschrieben, was Sie mit diesem Antrag nicht wollen, aber die Überschriften kommen eben so, dass – wie entsprechende Leserbriefartikel zeigen – alle nun denken: Endlich sagt einmal jemand etwas über Gleichberechtigung und die Frauenfrage. Da bin ich Ihnen sehr dankbar, dass Sie es ein wenig geradegerückt haben, denn es ist unbestreitbar, dass der Jungenanteil im Bildungssystem zurzeit desto höher ist, je geringer die formale Qualifikation ist. Das ist so und lässt sich auch nicht bestreiten.
Es ist auch so, Sie haben es eben erwähnt, dass junge Männer doppelt so häufig wie Mädchen keinen Schulabschluss haben. Ein Drittel aller Jungen hat höchstens den sogenannten Hauptschulabschluss, bei uns heißt er Berufsbildungsreife. Das heißt, da ist eine Benachteiligung, aber woher kommt sie? Wenn man heute Bildungsbenachteiligung beschreibt, kann man vielleicht an einem Begriff der Bildungsbenachteiligung aus den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts anknüpfen. Da gab es das katholische Arbeitermädchen vom Lande. Heute gibt es den muslimischen jungen Mann aus bildungsferner Familie aus sozial schwierigen Stadtteilen. Diese Gruppierung ist es auch, und da bestimmt natürlich das Elternhaus sehr stark dann auch den Bildungsweg dieser Jugendlichen.
Das hat nichts damit zu tun, dass nicht trotz all dieser Beschreibungen die jungen Männer insgesamt sehr schnell nach der Schule – und das haben Sie auch gesagt – sehr schnell erfolgreich ins Arbeitssystem kommen. Aber die Gruppe von jungen Männern, die
ich eben beschrieben habe, ist ein wirkliches Problem für unsere Gesellschaft, da sie für sich auch gar keine Perspektive in der Gesellschaft mehr sehen, weil sie zum Teil kulturell entwurzelt sind, weil sie häufig die deutsche Sprache nicht richtig verstehen und weil sie auch gar keine Chance mehr in dieser Gesellschaft sehen, und entsprechend verhalten sie sich auch.
Wir haben genügend über Gewalt und andere Fragen geredet. Wenn Sie es so differenziert betrachten, dann haben wir es in der Tat mit einer schwierigen Gruppe von Jugendlichen, die ich eben beschrieben habe, zu tun. Diesen müssen wir auch in der Schule gerecht werden, aber eines ist dabei auch klar: Schule kann nicht alles, was das Elternhaus nicht mitgibt, ausgleichen. Wir arbeiten insgesamt daran, die soziale Koppelung geringer zu machen, das heißt, Bildungserfolg und Elternhaus zu entkoppeln, aber ganz wird das der Schule nie gelingen.
Wir haben ein Phänomen bei Jungen und Mädchen, das für die Schule auch ein schwieriges ist, nämlich das Problem für Jungen, dass ein klassisches Jungenverhalten eben weniger gut in die Schule passt; ein klassisches Mädchenverhalten passt glänzend in die Schule. Verhalten sich Jungen so, wie Lehrkräfte es erwarten, verstoßen sie meistens gegen geschlechtliche Erwartungen. Eine BMBF-Studie betont, in diesem Widerspruch entscheiden sich viele Jungen lieber für eine sichere geschlechtliche Identität als für einen unsicheren schulischen Erfolg. Damit sind Ängste verbunden, sich nicht klassisch männlich zu verhalten.
Die empirisch untermauerte Erkenntnis, dass ein Teil der Jungen Bildungsverlierer sind, wird leider aber auch eben als Stellvertreterdebatte missbraucht, Frau Motschmann, Sie haben es gesagt. Gegen unsere Gleichberechtigungsbemühungen und gegen die Mädchen- und Frauenförderung der vergangenen Jahre, aber das haben Sie ja bereits eben relativiert, das ist nicht gemeint, wenn wir über diese Frage einer geschlechtergerechten Erziehung reden. Das hat nichts damit zu tun, dass wir noch viel in der Frauenförderung und der Frauenfrage zu tun haben und diese Fragen längst nicht in dieser Gesellschaft bearbeitet sind.
Wir werden uns bemühen, und ich denke, dieser Antrag muss deshalb ergänzt werden. In der Deputation und hier in der Bürgerschaft haben wir bereits darüber diskutiert, dass wir den Auftrag haben, ein Jungenkonzept zu erarbeiten, anlässlich des Girls’Days haben wir diesen Auftrag bekommen. Deshalb wird dieser Antrag sicherlich ergänzend dazugenommen werden können.
Die Arbeitsgruppe hat schon ein Konzept erarbeitet, das ich demnächst vorstellen werde. Hier geht es vor allem natürlich um Lehreraus- und -fortbildung, die sicherlich verändert und verbessert werden muss. Die Arbeitsgruppe schlägt vor, vor allem ein reflexives Um
gehen von Lehrkräften mit dem Rollenverhalten und geschlechterrelevanten Aspekten im eigenen Unterrichtshandeln zu entwickeln. Sie schlägt darüber hinaus vor, Befähigung zur Wahrnehmung der Kompetenzen von Jungen und Mädchen, einerseits als Angehörige einer Geschlechtergruppe und andererseits in ihrer eigenen Entwicklung und Individualität, zu erreichen, und drittens die Entwicklung von didaktisch-methodischen und organisatorischen Modellen, die beiden Geschlechtern gerecht wird.
Das hört sich sehr abstrakt an, soll heißen: Auch Aufgabenentwicklung hat viel mit Geschlechtergerechtigkeit zu tun. Wie eine Mathematikaufgabe gestellt ist, oder wie ein naturwissenschaftliches Problem dargestellt wird, spricht mehr oder weniger Jungen und Mädchen an. Dies ist im Unterricht noch viel zu wenig entwickelt und in der Aus- und Fortbildung, und darum wollen wir uns bemühen. Insofern nehme ich diesen Antrag – und ich denke, so sollten wir es auch allgemein tun – als Anregung, aber er kann nicht allein stehen bleiben. – Vielen Dank!
Hier ist die Überweisung zur Beratung und Berichterstattung an die staatliche Deputation für Bildung vorgesehen.
Wer der Überweisung des Antrags der Fraktion der FDP mit der Drucksachen-Nummer 17/664 zur Beratung und Berichterstattung an die staatliche Deputation für Bildung seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!