Protocol of the Session on July 3, 2008

Die Einführung von Gerichtsgebühren – und das ist mein letzter Punkt – halte ich auch für fragwürdig, darauf hat meine Kollegin, Frau Garling, schon hingewiesen. Wir als grüne Fraktion sind der Auffassung, dass der Zugang zu den Sozialgerichten nicht durch weitere Vorleistungen eingeschränkt werden soll. Dahinter stand die Idee, dass man willkürliche Klagen, also insbesondere bestimmte Prozesshansel, abhalten könne. Wir sind der Auffassung – das ist auch meine Erfahrung und die der überwiegenden Sozialrichterschaft –, dass es weniger als ein Prozent sind. Dafür kann man nicht solche Hürden für andere, berechtigte Anliegen bei den Sozialgerichten aufbauen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Anfrage hat einige interessante Zahlen zutage gebracht, aber wirkliche Aufklärung über die Situation und die Vermittlungschancen – was ja in der Überschrift steht –, für Langzeitarbeitslose hat sie überhaupt nicht gebracht. Ich meine, dass die Fragen weitgehend daran vorbeigehen, was die Langzeitarbeitslosen, die im Bereich der Grundsicherung sind, bewegt. Sie bewegt vor allem: Wie kommen wir an eine neue Arbeit? Sie sind größtenteils – und das ist auch deutlich an den Zahlen – selbst daran interessiert, wieder Arbeit zu finden, sich zu engagieren. Die wenigen, die durch solche Sanktionen betroffen werden, bekommen zumindest teilweise auch diese Sanktionen zu Recht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Dr. Schuster.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Präsident! Es ist in der Tat ein sehr sensibles Thema, über welches wir heute reden. Es sind jetzt viele Sachen gesagt worden, die ich so teile, insbesondere viele Punkte, die Frau Garling oder Herr Frehe angesprochen haben, die ich jetzt nicht alle wiederholen will. Ich will nur auf ein paar grundsätzliche Punkte eingehen, die aus meiner Sicht sehr wichtig sind und die dann auch meines Erachtens die Haltung des Senats zu der Auffassung der LINKEN deutlich machen.

Ich glaube, dass mit der Zusammenführung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe eine ganz wesentliche Grundentscheidung getroffen ist, die ich vollständig teile, jenseits vieler Details, die man sicherlich herauf und herunter diskutieren kann. Diese Grundentscheidung ist, dass wir ein Grundsicherungssystem wollen, das an die Erwerbstätigkeit gekoppelt ist. Es ist keine bedingungslose Grundsicherung und kein Sozialbild oder wie auch immer man das nennen will, sondern es ist die Erwartung daran, dass man Menschen, die in der Lage sind und die erwerbsfähig sind,

auch dazu bringt, dass sie eine Erwerbstätigkeit ausüben können, um damit selbst aus ihrer meist unverschuldeten Notlage entsprechend herauszukommen und ihren eigenen Lebensunterhalt durch eigene Arbeit selbst bestreiten können. Das ist das Ziel um die Grundentscheidung, die damals getroffen worden ist.

Diese Grundentscheidung zieht sich natürlich durch die verschiedenen Instrumente, die dort dargelegt oder gesetzlich festgelegt werden. Eines ist natürlich das Prinzip Fördern und Fordern, wogegen, glaube ich, kein Mensch etwas sagen kann, weil es natürlich so ist, dass jeder Staatsbürger umfassende Rechte hat, aber er hat genauso umfassende Pflichten. Ansonsten kann ein Staatswesen überhaupt nicht funktionieren, und auf dieser grundsätzlichen Ebene ist es völlig richtig.

Schwierig wird es, und das ist das, weswegen es ein ganz sensibles Thema ist: Wie ist es denn eigentlich, wenn es konkret wird? Herr Bartels, da kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, dass man quasi Sanktionen als Selbstzweck definiert. Es ist doch egal, wie hoch die Sanktionsquote abstrakt ist, ob sie 2, 10 oder 20 Prozent ist. Wichtig ist doch nur die Frage: Sind die Sanktionen sachgerecht ausgesprochen worden? Sanktionen kann ich nicht an der Höhe einer Quote ablesen, auch nicht an den 2,3 Prozent, die wir jetzt beispielsweise hier in Bremen haben. Sie kann viel zu hoch sein, sie kann viel zu niedrig sein angesichts der Fälle. Eine abstrakte Höhe kann nicht das Kriterium sein, weil es nicht der Selbstzweck ist, sondern die Frage: Werden die richtigen Tatbestände damit sanktioniert und werden die Ziele, die wir damit haben, erreicht?

Wir wollen letztendlich an sich nicht sanktionieren, weil die Menschen da aus irgendwelchen Gründen nicht mitmachen wollen, sondern das eigentliche Ziel ist, sie dahin zu bringen, dass sie sich auch aktiv um eine eigene Erwerbstätigkeit bemühen.

Man muss umgekehrt natürlich auch immer aufpassen, dass man Sanktionen – was auch teilweise, wenn man die öffentliche Debatte verfolgt, nicht auszuschließen ist – nicht dahin betreibt nach dem Motto, die Arbeitslosen oder SGB-II-Empfänger sind sowieso selbst schuld, dass sie darin sind, sie sollten sich nur einmal entsprechend anstrengen. Deswegen ist es auch da immer wichtig, eine Balance zu halten und Sanktionen dann auszusprechen, wenn sie geboten sind, um die Zwecke zu erreichen, aber eben auch nicht auszusprechen, wenn damit weder die Zwecke erreicht werden noch ein Grund gegeben ist, dies zu machen. Das setzt den verantwortlichen Umgang mit Sanktionen voraus. Deswegen ist eine abstrakte Diskussion, ob eine Quote zu hoch ist aus Sicht der LINKEN oder zu niedrig ist aus Sicht der CDU. Das könnte man aber aus der anderen Anfrage ein bisschen mit herauslesen, dass das war, dass es nicht die Sache ist, sondern die Frage ist, wie das konkret gehandhabt wird.

Da kann man, glaube ich, sagen, und zwar, wenn man Sanktionsquoten nicht nur abstrakt betrachtet, sondern auch in Verbindung bringt: Wie ist eigentlich die Integrationsquote? Das ist das eigentlich viel wichtigere Ziel der BAgIS, wo wir beispielsweise sehen, dass die Werte in Bremen im Verhältnis zu den Vergleichsstädten, die in sogenannten Vergleichsclustern gezogen sind, unsere Integrationsleistung, sehr gut sind.

(Abg. B a r t e l s [CDU] meldet sich zu einer Zwischenfrage. – Glocke)

Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage anzunehmen?

Ja, bitte!

Bitte, Herr Bartels!

Vielen Dank! Herr Staatsrat, weil Sie auf diese Quoten doch so intensiv eingehen und auch die Kleine Anfrage der CDU-Fraktion hier mit ins Spiel bringen: Ist es nicht viel mehr richtig, dass eigentlich im Ressort und auch bei der Bagis gar kein vernünftiges Datenmaterial zu all diesen Fällen vorhanden ist, so wie Sie auch in diesen ganzen Antworten zu unserer Kleinen Anfrage immer wieder sagen?

In der Anfrage ist sehr deutlich gesagt worden, es wird keine spezifisch bremische Statistik zu den Sanktionen erhoben, sondern das wird aus den Bundesstatistiken und den Bundesmeldungen herausgezogen. Diese werden dann auf Bundesebene nicht heruntergebrochen auf die Kreisoder Landesebene. Deswegen haben wir da keine direkten Daten zur Verfügung. Daraus aber Schlussfolgerungen ziehen zu können, wie das Sanktionsverhalten ist, kann man nicht sagen.

Wichtig ist eben der verantwortungsvolle Umgang mit Sanktionen, und ich glaube, da muss man vor allen Dingen auch einen Bezug zu den Gesamtleistungsdaten einer Arbeitsgemeinschaft erzielen. Da ist für mich auch immer von Bedeutung, wie ist denn eigentlich das Umgekehrte von dem, was wir erreichen wollen, wie ist die Integrationsleistung in Bremen? Da stehen wir aus meiner Sicht relativ gut dar.

Einen Punkt will ich doch nennen, weil das ein Bereich ist, der auch mir Sorgen bereitet: Die relativ hohe Erfolgsquote bei Widersprüchen deutet darauf hin – 30 Prozent in Bremen und in Bremerhaven sogar noch höher –, dass Sanktionen zumindest nicht immer so verhängt werden, wie es sinnvoll wäre, und wir müssen hier sehen, dass die Qualität der Sachbearbeitung weiter verbessert wird, um solche Sanktionen zu vermeiden, soweit es geht. Natürlich ist die letzte Instanz immer das Gericht, das dies zu klären

hat, aber das ist ein Punkt, den wir hier schon häufiger auch in anderen Zusammenhängen diskutiert haben. Die BAgIS oder auch die ARGE in Bremerhaven arbeiten unter sehr schweren Bedingungen, die auch auf die Dienstleistungsqualität durchschlagen, ich nenne nur die hohe Personalfluktuation als ein Beispiel, sodass wir hier eine permanente Aufgabe haben, dies zu verbessern, denn wenn Sanktionen erteilt werden – das ist dieser verantwortungsvolle Umgang damit oder das Erfordernis –, dann müssen sie auch zielsicher sein, dass in der Tat Sanktionen, die auch sehr stark treffen, nicht ungerechtfertigterweise ausgesprochen werden.

Insgesamt kann ich mich aber nicht – vor dem Hintergrund der Grundentscheidungen, die mit dem SGB II getroffen wurden – der Argumentation anschließen, dass dies alles verfassungswidrig sei. Das sehe ich überhaupt nicht, sondern es ist eine notwendige Kopplung an Erwerbstätigkeit auch einer Grundsicherung erforderlich. Diese wird über das SGB II im Grundsatz sichergestellt, und daran kann ich nichts Verfassungswidriges erkennen, weil natürlich jeder Mensch in dieser Stadt und in diesem Land entsprechende Rechte hat –, das muss auch durchgesetzt werden –, aber natürlich hat er auch die Pflicht, sich an dieser Gesellschaft zu beteiligen und sich in seinen Möglichkeiten einzubringen. – Ich danke Ihnen!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächste Rednerin erhält das Wort die Abgeordnete Frau Nitz.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bartels, ich glaube, Sie haben Sinn und Zweck dieser Anfrage nicht ganz verstanden, zumindest entnehme ich das einfach einmal Ihrer Äußerung, die lautet: „Wir sollen Sanktion konsequent anwenden und gleichzeitig einen sensiblen Umgang mit diesem Thema pflegen.“ Das geht mir also ein bisschen am Thema vorbei! Frau Garling war da etwas moderater in ihrer Formulierung, verharrt aber in ihrer Argumentation eher in der Akzeptanz dieses Systems, das SGB II auch in dem Maß beizubehalten, wie es jetzt vorliegt.

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Das ist kein System, das ist Gesetzgebung!)

Das Einzige, was Sie angemerkt haben, ist, dass der Weg zur Klage barrierefrei sein muss; diese Auffassung teile ich. Mir stellt sich daraufhin nur die Frage: Warum verharrt der Senat hier in einer Passivität und wartet ab, wie und auf welchem Weg Entscheidun––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

gen getroffen werden, um dann in eine Reaktion zu kommen? In dieser Frage hätte man sich auch als Regierung und als Senat eindeutig positionieren können.

Darüber hinaus, und das geht noch einmal in Richtung CDU und FDP: Wenn Sie explizit die Sicht auf einen Steuerzahler hier herunterbeten oder auch vorgegebene Sparzwänge immer wieder artikulieren, dann sind das eher inszenierte Debatten, die natürlich auch verfassungsrechtlich in diesem System noch einmal Bedenklichkeit hervorrufen und auch Missbrauch und Willkür Tür und Tor öffnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das zeigt eben die hohe Zahl der anfechtbaren und rechtswidrigen Sanktionierungen, die wir ja hier schwarz auf weiß ablesen können.

(Zuruf des Abg. D r. B u h l e r t [FDP])

Auch in die Richtung der FDP müsste es für Sie, Herr Dr. Möllenstädt, eigentlich interessant sein, dass die grundgesetzlich geschützte Vertragsautonomie durch sanktionsbewährte Erzwingung von Eingliederungsvereinbarungen ausgehebelt wird.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. D r. B u h l e r t [FDP])

Insbesondere auch die sogenannten Ein-Euro-Jobs dienen in der praktischen Durchführung der Überprüfung der Arbeitsbereitschaft als der im SGB II verlangten Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt und Überwindung des Leistungsbezugs. Das ist die Kritik, die wir haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Es soll also nur überprüft werden, tatsächlich gibt es aber überhaupt keine Arbeitsangebote, in die arbeitslose und langzeitarbeitslose Menschen integriert werden können.

DIE LINKE fordert aus diesem Grund eine stärkere Einzelfallprüfung, und dass der Senat auch noch einmal mit aufgreift, dass auch Mitarbeiterschulungen gezielter stattfinden und dass man sich hier auch noch einmal mit pflichtgemäßer Ermessensausübung beschäftigt und natürlich auch die Verhältnismäßigkeit immer wieder wahrt bei Entscheidungen, die auch Sanktionierungen betreffen.

DIE LINKE fordert zudem eine stärkere Zurückhaltung in der Anwendung dieses Sanktionsinstruments, also des Paragrafen 31.

(Beifall bei der LINKEN – Abg. Frau B u s c h [SPD]: Was heißt denn Zurückhal- tung? Wo steht das denn im Gesetz?)

Wenn Sie es wieder nicht verstehen, ich hatte es gerade erläutert: Einzelfallprüfung, Verhältnismäßigkeit wahren und pflichtgemäße Ermessensausübung.

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Sie fordern hier Dinge, die unmöglich sind!)

Dazu müssen Mitarbeiter geschult werden. Das findet derzeit nicht statt,

(Zuruf der Abg. Frau B u s c h [SPD])

und jetzt halten Sie am besten Ihren Mund, ansonsten kommen Sie hier nach vorn!

(Zurufe: Oh!)

Ach, was! Da bedarf es schon etwas mehr, um mich hier treffen zu können!

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Das bekom- men wir auch noch hin!)

Wir fordern zudem auch noch einmal eine Rechtssicherheit für die Betroffenen, und das kann erreicht werden – da gab es bereits einen Ansatz in der Antwort – durch qualifizierte Beratung. Mit qualifizierten Beratungen meinen wir aber nicht ausschließlich, dass nur fachlich geschultes Personal vorhanden sein muss, sondern es muss natürlich auch eine finanzielle Grundlage für die jeweiligen Beratungsstellen zur Verfügung gestellt werden. Ansonsten kennen Sie unsere Position auf Bundesebene: Weg mit Sanktionen, weg mit Hartz IV und her mit einer sozialen repressionsfreien Grundsicherung!

(Beifall bei der LINKEN)