Protocol of the Session on May 11, 2006

Ich möchte der Bremischen Bürgerschaft im Rahmen dieser Debatte jetzt nur kurz von einer Veranstaltung berichten, an der ich vor zwei Jahren teilgenommen habe, damals war Frau Beck noch Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Auf dieser Fachtagung ging es um die berufliche Integration von Migrantenkindern und überhaupt um die berufliche Integration von Jugendlichen, die einen Hauptschulabschluss haben. Eine sehr große Zahl der Jugendlichen hat diesen Migrationshintergrund. Es war für mich erschütternd zu hören, dass Frau Beck feststellte, dass sich in den letzten 25 Jahren sehr wenig verändert hat. Es ist immer noch so, dass in der Generation von Jugendlichen, die jetzt einen Ausbildungsplatz wählen sollen, 93 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund Friseurin, Arzthelferin, Kfz-Mechaniker, Lackierer oder Installateure werden.

Es gibt also ein sehr verengtes Verständnis und Wissen über die vielfältigen Berufsfelder, die wir heute kennen. Ich weiß nicht, wie viele Berufe es mittlerweile schon gibt, aber es ist eine Vielzahl. Es gibt ja sogar den Beruf Barkeeper, von dem wir im Unterausschuss gehört haben. Das wird dann von den Fachleuten als so genannter Mickeymaus-Beruf bezeichnet, aber es

ist ein Beruf, Barkeeper ist mittlerweile als Beruf anerkannt.

Daran muss ganz stark gearbeitet werden, dass Jugendliche mehr und besser wissen, was es eigentlich für Berufe gibt, welche Kompetenzen sie brauchen, welche Zensur sie brauchen im Fach Deutsch, im Bereich Mathematik und wie müssen sie sich eigentlich bei einem Vorstellungsgespräch präsentieren, um überhaupt Chancen zu haben und in einem Bewerbungsgespräch weiterzukommen.

Es ist noch viel zu tun! Man kann nicht sagen, dass sich die bremische Politik und die große Koalition auf dem bisher Erreichten ausruhen können. Ich sehe aber viele positive Ansätze, die der Bildungssenator in die Wege geleitet hat, die von der Koalition, auch von uns, auch von der SPD gekommen sind. Ich finde dieses gemeinsame Vorgehen in der Frage richtig, aber, Frau Allers, Sie wissen auch aus der gestrigen Debatte, dass wir dem Thema Hauptschule und Sekundarschule kritisch gegenüberstehen.

Ich wünsche mir eine berufliche Orientierung für alle Bremer Schüler und Schülerinnen, weil ich in Klasse zehn auf dem Gymnasium nicht gewusst hätte, was ich eigentlich werden will. Für mich war klar, dass ich mein Abitur machen will, aber auch Gymnasiasten müssen schon beruflich orientiert werden, auch schon ab der achten, neunten Klasse, davon können alle Jugendlichen im Land Bremen profitieren. Ich denke, in diesem Sinne sollten wir weiter miteinander diskutieren. – Danke schön!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, als Nächster hat das Wort Herr Senator Lemke.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Was für eine konstruktive und auch wohltuende Debatte über diese sehr, sehr wichtige Frage! Ich will in meinem Beitrag nicht auf die Situation der Gymnasiasten und Realschüler eingehen, sondern ich möchte mich ausschließlich auf diejenigen hier beschränken, die das Thema vorgibt, nämlich auf die benachteiligten Schüler mit oder ohne Hauptschulabschluss. Wie bekommen wir es hin, denen eine bessere Perspektive zu geben?

Frau Allers hat vorhin zitiert, uns will doch heute sowieso keiner mehr. Es ist in der Tat so, das ergeben verschiedene Umfragen, das ist die gängige Meinung! 34 Prozent der Jugendlichen haben auch eine konkrete Zukunftsangst, weil sie sagen, wir werden ja in eine Arbeitslosigkeit entlassen. Dies ist absolut inakzeptabel. Wir müssen überlegen: Woher kommt das, und was können wir daran konkret verbessern?

Ich will auf die vielen positiven Beispiele jetzt nicht eingehen. Ich möchte nur einige Grundsätze dazu sagen. Erstens: Wir müssen in der Schule noch besser werden. Wir müssen auch durch das Zusammen

legen von Haupt- und Realschule die Rahmenlehrpläne in den Klassen acht, neun und zehn korrigieren, um ihnen einen deutlich stärkeren Praxisbezug zu geben. Es ist absolut nicht akzeptabel, dass die Jugendlichen glauben, bis Klasse zehn ist es alles Spaß, beliebig und unerheblich. Das geht nicht, sondern sie müssen schon während der Schulzeit vorbereitet werden, nicht nur auf das Leben, sondern auch auf den Beruf! Da ist es eben nicht egal, ob ich morgens pünktlich in die Schule komme oder nicht, sondern der Ausbilder erwartet, dass die Jugendlichen, die dann in den Betrieb hineingehen, die entsprechenden Soft Skills mitbringen. Das müssen wir ihnen im Rahmen der Vermittlung von sozialen Kompetenzen auch mit auf den Weg geben. Wir müssen sie so früh wie möglich in die berufliche Praxis geben.

Wir müssen ihnen allerdings, meine Damen und Herren, vom ersten Schultag, nein, eigentlich vom ersten Tag im Kindergarten an und, wenn es geht, noch etwas früher, mitgeben, dass jedes Kind in unserer Gesellschaft per se Stärken mitbringt. Allzu oft erleben Kinder aber in der Schule, dass sie dies nicht können, dass sie jenes noch lernen, wiederholen und fördern müssen, und immer wieder werden sie negativ beurteilt.

Eine moderne Pädagogik, und das ist völlig unbestritten, besagt: Zeigt den Kindern, den Jugendlichen, selbst den Erwachsenen, welche Stärken sie haben, wo sie gut sind! Ich sage es ausdrücklich, ob mit oder ohne Behinderung, jedes Kind hat Stärken, und es ist unsere Aufgabe, Aufgabe der Bildungspolitiker, aber auch der Lehrerinnen und Lehrer, diese Stärken zu bekräftigen! Dann können wir darauf aufbauen, dann können wir motivieren, und dann können wir besser werden – jetzt komme ich zu der beruflichen Orientierung –, die Jugendlichen deutlich besser und professioneller in ihre berufliche Qualifikation zu bringen.

Wenn wir ganz ehrlich sind, was ist es denn, wenn wir ein Betriebspraktikum vor uns haben? Da kommen die Kinder zu uns und sagen: Papa, hast du nicht irgendeine Idee, wo ich die drei Wochen untergebracht werden könnte? Oder natürlich: Mama, kannst du mir helfen? Wie bekomme ich jetzt einen Praktikumsplatz? Dann überlegt man, Mensch, da ist doch der von der Versicherung, bei dem könnte ich einmal anrufen, oder wir kaufen doch immer in dem Supermarkt um die Ecke ein, kannst du da nicht einmal fragen, ob du die drei Wochen da absolvieren kannst?

Das ist aber nicht zielführend! Zielführend ist, was wir auch versucht haben, Ihnen in der Antwort mitzuteilen, zu sagen, lasst uns doch so früh wie möglich die Stärken der Kinder erkennen, Kompetenztests vornehmen, überprüfen, wo eigentlich deren Interessen liegen, wo ihre Stärken liegen, wohin möchten sie sich zuerst orientieren!

Dann werden wir feststellen, dass ganz viele Kinder und Jugendliche sagen, nein, das ist nun über

haupt nichts für mich! Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem jungen Mädchen in einem Förderzentrum, türkischer Hintergrund. Sie sagte mir, ich war drei Wochen im Friseursalon, aber das hat mir gar nicht gefallen. Ich sage: Wieso hat es dir nicht gefallen? Ja, da musste man dauernd über Politik reden. Da habe ich gesagt: Okay, versuche etwas anderes, wozu hast du dann Lust? Ja, Floristin wäre eventuell etwas. Gut, ist in Ordnung, aber das hat schon einmal bewirkt, dass dieser Beruf der Friseurin ihr nicht so gefallen hat, dass sie sagt, da melde ich mich an und stelle dann nach einem halben Jahr fest, dass es doch nichts ist, und sie kommt dann in die große Schar derjenigen, die abbrechen.

Diese Feststellung muss zunächst einmal erfolgen: Was habe ich für Interessen, was habe ich für Kompetenzen, was kann ich, was mag ich, was will ich? Ein erstes Überprüfen, gern ein zweites, meinetwegen ein drittes Überprüfen im Rahmen von Klasse neun und Klasse zehn für Hauptschülerinnen und Hauptschüler, das so zielführend erfolgt, dass niemand das Gefühl hat, Frau Allers, ich werde nicht gebraucht, sondern dass die Kinder im Gegenteil sagen, ich bin da willkommen, die freuen sich, die kennen mich schon, in den Sommerferien soll ich wieder aushelfen, obwohl ich nicht besonders schlau bin und in Mathematik eine Vier oder Vier minus habe, aber ich kann wunderbar mit Kunden umgehen und kann sie so gut behandeln, dass sie vielleicht auch das eine oder andere kaufen, was sie gar nicht kaufen wollen! Es gibt ja solche Begabungen und solche offenen, fröhlichen und optimistischen Menschen. Denen eben nicht zu sagen, du hast ja immer noch deine Vier minus in Mathematik, sondern denen zu sagen, du hast ja so einen tollen Bericht von deinem Praktikum aus dem Lebensmittelladen oder aus dem Hotel bekommen, das wünsche ich mir von einer professionellen beruflichen Orientierung.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Allerdings, dabei müssen wir logischerweise die Schülerinnen und Schüler mit ins Boot bekommen. Sie müssen selbst auch eine Initiative entwickeln und nicht sagen, dafür ist die Politik oder die Verwaltung oder die Schule zuständig, sondern das geht nur, wenn wir jeden einzelnen Schüler auch wirklich erreichen, dass er selbst Initiative zeigt. Ich denke aber, wir sind mit den vielen Dingen, die wir in den letzten Jahren begonnen haben, auf einem guten Weg. Sie haben aber völlig Recht, wenn Sie in Ihren Beiträgen sagen, das ist noch nicht perfekt, sondern da müssen wir ganz konsequent weitermachen.

Ich habe gerade in der letzten Woche wieder einen Auftrag in das Haus gegeben. Ich war letzte Woche bei Airbus und habe mir dort die berufliche Ausbildung angesehen, die vorzüglich ist, so wie ich sie dort präsentiert bekommen habe. Ich habe mit gro

ßer Freude übrigens feststellen können, dass sie die Ausbildungsplätze für das nächste Jahr von jetzt 164 auf 180 anheben, und das ist doch ein kleines positives Signal,

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

wenn Sie vor allen Dingen wissen, wie das Ganze auch international hervorragend gestrickt ist. Sie schicken ihre Auszubildenden nach Frankreich, nach Spanien, nach England, und das alles während der Ausbildungszeit, das ist wirklich vorbildlich!

Ich habe darum gebeten, dass wir doch versuchen, diese Kompetenzprüfungen mit den großen Ausbildern gemeinsam zu erarbeiten, dass man die Schülerinnen und Schüler, die möglicherweise das Interesse haben, zum Beispiel bei Daimler, bei Airbus oder in anderen großen Firmen zu arbeiten, so früh wie möglich zusammenbringt und die Profile, die erwartet werden, auch deckungsgleich macht: Was will der Schüler? Was brauchen große Firmen? Wie können wir sie so früh wie möglich zusammenbringen?

Das Ziel ist, durch entsprechende Praxis bis hin zu den zwei Tagen, die sie in Klasse neun und zehn demnächst in den Betrieben arbeiten werden, mehr Jugendliche, vielleicht sogar ohne Hauptschulabschluss, in die Firmen zu vermitteln, die sagen – so ähnlich, wie es Daimler-Chrysler macht –, wir geben auch diesen Jugendlichen eine Chance! Ich bin sicher, viele Jugendliche werden diese Chance dann auch nutzen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Der letzte Gedanke, meine Damen und Herren, ist der, dass das Ganze nicht geht ohne eine aktive Mitarbeit der Unternehmen und der Wirtschaft. Wir kämpfen im Bündnis für Ausbildung dafür, dass zusätzlich Ausbildungsplätze geschaffen werden. Sie erinnern sich vielleicht auch noch an die Initiative, als wir im Senat gesagt haben, wir beteiligen uns mit der Kammer und anderen wichtigen Multiplikatoren der Stadt an so einer Ausbildungsinitiative. Es ist gelungen, glaube ich, nahezu 400 zusätzliche Ausbildungsplätze zu gewinnen.

(Beifall bei der SPD)

Das ist der gute Teil. Der negative Teil ist, dass gleichzeitig so viele Firmen gesagt haben, wir machen es nicht mehr, wir wissen nicht, wie wir über das nächste Jahr kommen, die Konjunktur ist so furchtbar, die Binnennachfrage ist so schlecht. Aber, meine Damen und Herren, ich sage es bei jedem einzelnen Betriebsbesuch: Die Verpflichtung, Ausbildungsplätze für unsere Kinder, ich sage ausdrücklich für unsere Kinder, hier in Bremen und in Deutschland zur Ver

fügung zu stellen, ist nicht eine, die wir aufgrund von Nachfragen oder konjunkturellen Dellen beiseite schieben können. Es bleibt eine unabdingbare Verpflichtung der Gesellschaft und der Unternehmen, diese Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Deshalb ist es mir so wichtig, dass wir hier den Schulterschluss nicht verlieren, sondern dass wir das als Gesamtverantwortung, so wie es Frau Hövelmann hier in ihrem Beitrag vorgetragen hat, anerkennen. Wir brauchen die Gesamtverantwortung aller Beteiligten in der Politik, in der Verwaltung, in den Gewerkschaften, in den Unternehmen, gemeinsam um jeden einzelnen Ausbildungsplatz zu kämpfen. Ich glaube, wir sind auf einem richtigen Weg. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 16/991, auf die Große Anfrage der Fraktionen der SPD und der CDU Kenntnis.

Regionales Gleichgewicht in der EU-Strukturförderung sichern

Mitteilung des Senats vom 14. März 2006 (Drucksache 16/953)

Meine Damen und Herren, die Beratung ist eröffnet. – Wortmeldungen liegen nicht vor. – Die Beratung ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Mitteilung des Senats, Drucksache 16/953, Kenntnis.

Männliche Mitarbeiter in die KTH!

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 21. März 2006 (Drucksache 16/963)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Röpke.

Meine Damen und Herren, die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Crueger.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben diesen Antrag gestellt, nachdem wir Ende des letzten Jahres eine Kleine Anfrage an den Senat gerichtet und vom Senat abgefragt haben, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überhaupt in den KTH, männlich wie weiblich, beschäftigt sind, wie sich das quantitative Verhältnis dieser beider Gruppen zueinander verhält. Wir haben da eine sehr schöne und informative Antwort bekommen. Es wurde auch in der Presse daraufhin schon diskutiert. Wir haben uns dann überlegt, wir wollen versuchen, mit einem Antrag hier in der Bürgerschaft endlich auch Bewegung in dieses Problem hineinzubringen, denn von den 3954 Mitarbeitern in bremischen KTH – das ist jetzt alles Stand Dezember letzten Jahres – sind gerade einmal 428 männlich. Ich sage es noch einmal, 3954 Mitarbeiter, davon 428 männlich!

Dann muss man ja noch einmal ein bisschen genauer hinschauen, dann muss man schauen, wer ist denn tatsächlich in der pädagogischen Arbeit am Kind eingesetzt, und wer ist mit Hausmeistertätigkeiten oder als Koch beschäftigt? Wenn ich wirklich schaue, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter pädagogisch arbeiten, dann beträgt der Anteil der Männer daran nur 1,78 Prozent. 1,78 Prozent der pädagogischen Mitarbeiter in KTH sind Männer. Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Das kann man auch ganz schnell durch lebenspraktische Erfahrungen untermauern.

Gehen Sie einmal in eine Kindertagesstätte, das kann ich jedem Kollegen hier nur empfehlen, sich einmal den Kindergarten vor Ort anzuschauen! Die männlichen Kollegen werden relativ schnell mitbekommen, dass sie im Kindergarten von den Kindern angeschaut werden wie ein Auto. Sie haben das Gefühl, sie seien sozusagen ein Alien, plötzlich ganz interessant, weil es sehr wenige männliche Bezugspersonen gibt. Das Gleiche berichten mir auch Zivildienstleistende, die ihren Zivildienst in Kindergärten machen. Es hat also immer den Faktor des Besonderen, weil man als kleines Kind in den Kindergärten normalerweise den Umgang mit Frauen kennt.

Wir meinen, da es im Kindergarten neben ganz viel anderem darum geht, den Kindern eine Sozialisierung zu bieten, da sich die Kinder in dieser Zeit auch ihre Vorbildfiguren für die Rollenbildung suchen, da sie sich sozusagen an dem, was die Erwachsenen da tun und wie sie handeln, auch in gewisser Weise orientieren, ist es aus pädagogischer Hinsicht ganz wichtig, dass es dort einen gesunden Mix gibt, dass es dort Frauen wie auch Männer gibt.