Protocol of the Session on December 8, 2004

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Zum Auswahlrecht gehört auch, dass die Kriterien bekannt sind und in welchem Umfang sie in die Gesamtbewertung einfließen, und es muss sichergestellt sein, dass es um fachliche Qualifikation und fachliche Passgenauigkeit geht und am Ende nicht um eine Sozialauswahl. Um es ganz deutlich zu sagen, es darf niemals darum gehen, dass eine allein erziehende Mutter, die vielleicht zusätzlich auch noch ihren Lebensunterhalt verdienen muss, nicht durch ein Bewerbungsverfahren kommt, weil man ihr nicht zutraut, dass sie die Mehrfachbelastung schafft, und dass man glaubt, dass sie damit das Hochschulranking belastet. Das muss ausgeschlossen sein. Eine Sozialauswahl darf es bei einem Auswahlverfahren aus unserer Sicht dann niemals geben.

Nun liest es sich, Herr Senator, in Ihrer Antwort des Senats zum Hochschulzugang so, als wenn Sie gerade erst in die Diskussion einsteigen, aber Sie haben schon einen Gesetzentwurf für Freitag in der Deputation. Das ist so ein bisschen, ich sage einmal, wie Kai aus der Kiste. Ich denke, es wäre eigentlich sinnvoller, in einen geordneten Diskussionsprozess auch erst einmal in Bremen einzusteigen. Der Akademische Senat an der Universität hat darüber bisher auch noch nicht debattiert. Es ist auch ein Richtungswechsel, dass das Abitur nicht mehr allein entscheidend ist. Ich würde mir das wünschen, dass man das noch ein bisschen genauer debattiert. Ich hätte jedenfalls noch einmal genaueren Diskussionsbedarf an der Stelle, wie man das Verfahren am Ende dann auch genau macht. Ich glaube, da sind wir in der Tat auch erst am Anfang und nicht unbedingt am Ende.

Ich möchte noch einmal zu dem Ausgangspunkt zurückkommen, wer eigentlich zuständig für die Kenntnisdefizite ist, die Schule oder die Hochschule. Ich meine, dass da beide gefordert sind, und die Pisa-Ergebnisse bescheinigen uns auch immer wieder, erst recht seit gestern, dass die deutschen Schülerinnen und Schüler zirka eineinhalb Jahre hinter dem Bildungsweltmeister Finnland zurückliegen, dass das deutsche Bildungssystem sozial extrem ausgrenzend ist und dass Arbeiter- und Migrantenkinder kaum das Abitur erreichen. Dass Schule da besser werden muss, steht sicherlich außer Frage, aber über die richtigen Konzepte und den Weg unterscheiden unsere sich sicherlich von den Vorstellungen der großen Koalition. Wir glauben, dass Sie mit Ihrem selektiven Schulsystem, das sie auch gerade in Bremen wieder verstärkt haben, auf dem Holzweg sind und damit eine integrierte Schule nicht schaffen können.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Nun wundern Sie sich darüber, dass die Jugendlichen keine richtige Anschlussfähigkeit an die Hochschulen haben. Das wundert uns nicht. Das ist eben auch Ergebnis Ihrer verfehlten Schulpolitik hier in Bremen.

Wir sind der Auffassung, dass Schule auch mit Heterogenität umgehen muss, dass sie sich der Heterogenität stellen muss. Da gibt es auch Ansätze im Ressort, das wissen wir auch. Wir sind aber der Meinung, dass die Hochschulen das in Wirklichkeit auch tun müssen. Auch die Hochschulen müssen lernen, damit umzugehen, dass sie zu Studienbeginn sich eventuell mit heterogen qualifizierten Studienanfängerinnen und Studienanfängern auseinander setzen müssen. Diese Herausforderungen müssen die Hochschulen unserer Ansicht nach annehmen. Die Hochschulen können nicht davon ausgehen, dass mit dem Abitur automatisch alle Kompetenzen verbunden sind, die als Eingangsvoraussetzung für die verschiedenen Studiengänge als notwendig oder wünschenswert angesehen werden, erst recht nicht, wenn man künftig auch die Profilierung der Schulen haben will. Dann ist es da auch etwas ausdifferenzierter, also wird die Heterogenität an Hochschulen eher zunehmen.

Daher sind wir der Meinung, dass auf die Gestaltung der Hochschuleingangsphase erheblich mehr Wert gelegt werden muss. Die Hochschulen und die Universität haben sich da auf den Weg gemacht. Wir glauben aber, dass man da erst am Anfang steht. Ich glaube, dass wir eine wesentlich bessere Studienberatung brauchen. Da sind nicht nur die Hochschulen gefordert, aber natürlich die Schulen und selbstverständlich auch die Berufsberatung der Arbeitsämter. Auch sie haben die Aufgabe, dazu ihren Beitrag zu leisten, dass die Studierenden vor dem Studium eine relativ klare Vorstellung davon haben,

was sie im Studium erwartet und ob das im Einklang mit dem steht, welche Vorstellungen sie dazu haben.

Die Hochschulen werden vermutlich auch viel mehr propädeutische Kurse und studienbegleitende Tutorien anbieten müssen als in der Vergangenheit, und sie werden E-Learning und DistanceLearning-Konzepte anbieten müssen, zu denen möglicherweise die Studierenden schon Zugang haben, bevor sie überhaupt ihr Studium aufgenommen haben. Allerdings ist klar, dass die Hochschulen und Schulen enger kooperieren müssen. Sie müssen auch ihre Schnittstellenprobleme beseitigen. Sie müssen sich dem Problem der Anschlussfähigkeit deutlicher stellen.

In jedem Fall muss es jedoch am Ende zumindest immer darum gehen, und da komme ich noch einmal auf die OECD-Studie zurück, die uns immer wieder die Unterdurchschnittlichkeit bescheinigt im internationalen Vergleich, also zu wenig Abiturienten, zu wenig Studienanfänger und zu wenig Hochschulabsolventen, dass wir mehr jungen Menschen eine gute Bildung geben. Das ist doch wichtig für die Zukunft der jungen Menschen. Das ist gut für den Standort, und das wird uns auch immer wieder bescheinigt. Das bescheinigen uns nicht nur die Wissenschaftler, das bescheinigen uns auch die Arbeitsämter, die immer wieder sagen, die gute Ausbildung ist wichtig für den Job, ist wichtig als Mittel gegen die Arbeitslosigkeit. Von daher haben wir da eine hohe Verantwortung.

Deshalb halten wir auch Überlegungen für verfehlt, die das Abitur in Frage stellen und womöglich den Zugangskorridor zu den Hochschulen enger machen wollen. Wir vom Bündnis 90/Die Grünen wollen daran arbeiten, dass mehr junge Menschen gute Bildungschancen haben und dass diese Chancen vor allen Dingen auch sozial gerecht verteilt sind. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich möchte ganz herzlich in unserem Haus eine ehemalige Kollegin der SPDFraktion begrüßen, Frau Ingrid Busboom.

Herzlich willkommen!

(Beifall)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Spieß.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben zurzeit eine bundesweite Diskussion. Diese existiert längst nach dem Motto Qualität statt Masse, und es ist falsch, das hier zu ignorieren, sondern das sollten wir auch hier in

Bremen einmal zur Kenntnis nehmen, dass es diese Diskussion gibt.

(Beifall bei der CDU)

Wir müssen beides tun. Wir müssen zum einen das Abitur aufwerten, und das tun wir gemeinsam, Frau Berk. Das tun wir mit den Bildungsdeputierten gemeinsam, dass wir versuchen, dieses Abitur aufzuwerten. Wir müssen natürlich auch dafür sorgen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen erhalten bleibt, und diese kann nur dann erhalten bleiben, wenn wir ein Auswahlverfahren haben und den Hochschulen die Möglichkeit geben, die Studenten zu wählen, die dort studieren, und indem wir auch schauen, welche Studenten welches Fach wählen, und diese nicht dazu zwingen, nach den Prüfungen, die dann im vierten Semester stattfinden, diese Hochschule wieder zu verlassen, weil sie nicht in der Lage sind, diese Prüfungen zu bestehen. Das müssen wir einfach verhindern.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben völlig Recht, Frau Berk, die Forschung bei uns ist hervorragend. Dagegen haben wir auch nichts gesagt, sondern wir haben gesagt, das, was dort stattfindet in der Lehrtätigkeit, was die Professoren dort zur Kenntnis nehmen müssen über die Fähigkeiten der Studenten, darf so nicht vorkommen. Ich habe es mehrfach gesagt, wir müssen einfach dafür sorgen, dass es nicht Aufgabe der Hochschule ist. Das ist ganz wichtig.

(Beifall bei der CDU)

Es ist zwar richtig, von der Autonomie der Hochschule zu sprechen, aber wir müssen sie eben auch dazu bringen, dass sie Zulassungsbeschränkungen erlässt. Wir haben einfach gesehen, was auch daraus entsteht. Ich hatte es auch schon angegeben, dieses Beispiel, wenn die Hochschulen diese Zulassungsbeschränkung haben und die Universität nicht, dann werden all diejenigen, die an der Hochschule nicht angenommen werden, dies an der Universität versuchen, und das dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen einfach sehen, dass wir eine Gleichheit, eine Autonomie schaffen. Dazu gehört, Herr Lemke, und das erwarte ich jetzt eigentlich auch von Ihnen, eine klare politische Aussage, dass Sie nicht nur die rechtlichen Rahmen erlassen, sondern einfach auch ganz konkret sagen, wie das jetzt aussehen soll, und die Universitäten und Hochschulen auch dazu zwingen, dies durchzuführen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Stahmann.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Frau Spieß, ich werde irgendwie den Eindruck nicht los, dass Sie verleugnen wollen, dass wir bundesweit zu wenig Abiturienten haben, und das trifft auch auf Bremen zu.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Zu- ruf der Abg. Frau W i n d l e r [CDU])

Bremen hat eine Abiturientenquote, die knapp über 33 Prozent liegt. Bayern liegt bei 27 Prozent. Das wäre ein Grund, da könnten wir sagen, da haben wir Bayern einmal überholt, aber wenn wir uns europaweit umschauen, wie die Abiturientenquoten im europäischen Umland aussehen, dann gibt es deutlich mehr Schülerinnen und Schüler, die dort den Hochschulgang absolvieren können und das auch erreichen, in Schweden beispielsweise locker 60 Prozent, und wir bekommen in den nächsten Jahren ein sehr großes wirtschaftliches Problem, wenn wir da in der Schul- und Bildungspolitik nicht umsteuern.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Glocke)

Frau Kollegin Stahmann, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage anzunehmen?

Ja, gern!

Bitte, Herr Jäger!

Frau Kollegin Stahmann, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass alle diese internationalen Vergleiche hinken, weil wir in Deutschland eine ganz andere Bildungstradition haben

(Beifall bei der CDU)

und wir zum Beispiel eine duale Berufsausbildung haben, wir eine Facharbeiterausbildung haben, sich Menschen übrigens mit Einsatz von erheblichen finanziellen Mitteln zum Meister ausbilden lassen und sich aufgrund dieser Tatsache diese Zahlen von Studenten in dem einen Land mit den Zahlen in einem anderen Land in Europa überhaupt nicht vergleichen lassen?

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Jäger, für den Hinweis bin ich Ihnen überaus dankbar. Wenn Sie darauf hinweisen wollten, dass wir ein Bildungssystem haben, das noch auf ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

der Drei-Stände-Gesellschaft hier in Deutschland fußt, dann haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. J ä g e r [CDU]: Ach, so sehen Sie das!)

In anderen Ländern werden Erzieherinnen in Kindergärten gemeinsam mit Lehrerinnen und Lehrern ausgebildet. Dort gibt es ein ganz anderes Bewusstsein, wie wichtig Bildung von Anfang an ist.

Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass die CDU hier für ein Bildungssystem eintritt, das in höchstem Maße selektiv ist. Sie wollen doch gar nicht 30 Prozent Abiturienten! Das, was Sie hier vermitteln, ist, Sie wären froh, wenn es die Abiturientenquote nur in Höhe von zehn Prozent gäbe. Ich vermisse die Anstrengungen Ihrer Fraktion, dafür zu sorgen, dass mehr Migrantenkinder Abitur machen, dass Kinder in Tenever die gleichen Bildungschancen haben wie in Schwachhausen. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das Statistische Landesamt nachgewiesen hat, dass die Kinder in Schwachhausen zu 70 Prozent Abitur machen, in Walle, in Tenever, in Osterholz haben die Kinder deutlich schlechtere Bildungschancen, nicht weil sie dümmer sind, sondern weil wir es hinnehmen, dass den Kindern durch die frühe Trennung, Klasse sechs oder Klasse vier, Bildungschancen vorenthalten werden!

(Abg. Focke [CDU]: Was hat das denn damit zu tun?)

Wir schaffen es nicht, die Begabungspotentiale, ich spreche Sie an, Sie regieren hier seit neun Jahren mit! Jetzt ducken Sie sich hier nicht die ganze Zeit weg, das macht einen hier richtig ärgerlich!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das wird hier zum Treppenwitz der Geschichte, dass die CDU hier so tut, als hätte sie mit der fehlgeschlagenen Bildungspolitik in Bremen nichts zu tun. Auch seitdem Sie mitregieren, machen nicht mehr Migrantenkinder hier Abitur, und dafür tragen auch Sie die Verantwortung sowohl in der Bildungs- als auch in der Hochschulpolitik! Daran muss sich in diesem Land ganz gründlich etwas ändern, wenn wir international und bundesweit als Wirtschaftsstandort konkurrieren wollen. Das wollte ich hier nur sagen. Das treibt einem ja die Hitze ins Gesicht!

(Heiterkeit und Beifall beim Bündnis 90/ Die Grünen und bei der SPD)

Zum Abkühlen erhält jetzt das Wort die Abgeordnete Frau Berk.

(Heiterkeit)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In meinem Alter ist das mit der Hitze so eine Sache! Zwei Dinge: Frau Dr. Spieß, ich finde es ja gut, wenn Sie sagen, wir wollen das mit Bildung gemeinsam machen, aber bitte schön, dann hätten Sie den Bildungsdeputierten, den Fachdeputierten hier erst einmal den Vorrang lassen sollen für die Diskussion, bevor wir über die Hochschulen sprechen!